TE Vwgh Erkenntnis 2002/11/26 2002/11/0144

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.11.2002
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Index

90/02 Führerscheingesetz;

Norm

FSG 1997 §24 Abs4;
FSG 1997 §26 Abs5;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Graf, Dr. Gall, Dr. Pallitsch und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde der E in W, vertreten durch Dr. Wolfgang Rainer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schwedenplatz 2/74, gegen den Bescheid des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie vom 29. Mai 2002, Zl. 421.973/2-II/B/7/02, betreffend Aufforderung zur Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.088,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Aus einer Anzeige von Beamten eines Wachzimmers der Bundespolizeidirektion Wien im 7. Wiener Gemeindebezirk vom 12. Mai 2001 - aus Anlass eines Verkehrsunfalls im 7. Wiener Gemeindebezirk - geht hervor, dass es am 12. Februar 2001 um

5.55 Uhr zu einem Einsatz "bzgl. einer Reglosen in einem Fzg."

gekommen sei. Der Zeuge S. habe angegeben, er habe um ca. 5.50 Uhr "diese Frau" (gemeint: die Beschwerdeführerin) in ihrem Fahrzeug auf dem Fahrersitz sitzen gesehen. Auf Ansprache habe die Beschwerdeführerin vorerst nicht reagiert. Sie sei erst zu sich gekommen, als er sie leicht geschüttelt habe. Danach habe sie etwas von einem Kreislaufkollaps erzählt, sich auf den Beifahrersitz gesetzt und zu schimpfen angefangen. Nach der Ankunft der Beamten am Einsatzort habe die Beschwerdeführerin auf dem Beifahrersitz ihres Fahrzeugs angetroffen werden können. Sie sei ansprechbar gewesen und sei darauf hingewiesen worden, dass sie einen Verkehrsunfall verursacht habe und die Beamten diesen aufnehmen müssten. Die Beschwerdeführerin habe sinngemäß angegeben, sie habe einen Kreislaufkollaps gehabt und wisse nicht, wer mit ihrem Fahrzeug gefahren sei. Während der Amtshandlung seien Symptome einer Beeinträchtigung durch Alkoholeinwirkung (starker Alkoholgeruch aus dem Mund, gerötete Augenbindehäute, lallende Sprache, enthemmtes Verhalten) wahrgenommen worden. Da die Beschwerdeführerin den Angaben des Zeugen S. zufolge ein Fahrzeug gelenkt bzw. in Betrieb genommen habe, sei sie aufgefordert worden, eine Atemalkoholuntersuchung im oben erwähnten Wachzimmer durchzuführen. Zu ihrem Alkoholkonsum befragt habe sie angegeben, dass sie nichts Alkoholisches zu sich genommen habe. Vor der Durchführung des Atemalkoholtestes sei ihr die Handhabung des Gerätes genau erklärt worden. Die Beschwerdeführerin habe sich weiterhin bereit erklärt, die Untersuchung durchzuführen. In der Zeit von 6.34 Uhr bis 6.48 Uhr seien mit der Beschwerdeführerin insgesamt acht Versuche durchgeführt worden, welche jedoch alle als Fehlversuche gewertet worden seien. Nach der Aufforderung zu einem weiteren Versuch habe sie schreiend angegeben, dass sie nicht blasen könne, weil sie krank sei. Zur Art der Krankheit befragt, habe sie jegliche Aussagen verweigert.

Einem Aktenvermerk der Bundespolizeidirektion Wien liegen vom 12. Mai 2001 zufolge sei die Beschwerdeführerin an diesem Tag um

14.30 Uhr in das oben erwähnte Wachzimmer gekommen und habe aus ihrem Fahrzeug einige Gegenstände entnommen. Von einer Ausfolgung der Fahrzeugschlüssel sei jedoch Abstand genommen worden, da die Beschwerdeführerin immer noch stark nach alkoholischen Getränken gerochen und beim Gehen geschwankt habe und äußerst enthemmt gewesen sei. Außerdem sei ihr (schon) um 8.00 Uhr der Führerschein abgenommen worden.

Mit Mandatsbescheid vom 25. Mai 2001 entzog die Bundespolizeidirektion Wien der Beschwerdeführerin gemäß § 24 Abs. 1 Z. 1 des Führerscheingesetzes (FSG) in Verbindung mit § 57 Abs. 1 AVG die am 23. April 1986 für die Klassen A und B erteilte Lenkberechtigung, und zwar gemäß § 25 Abs. 3 FSG für die Zeit von 10 Monaten, gerechnet ab der Abnahme des Führerscheines, somit bis einschließlich 12. März 2002. Begründend wurde ausgeführt, die Beschwerdeführerin sei am 12. Mai 2001 gegen 5.50 Uhr im 7. Wiener Gemeindebezirk an einer näher bezeichneten Stelle in einem nach dem Kennzeichen bestimmten Pkw, der an einem weiteren, und zwar beschädigten, parkenden Pkw angestanden sei, auf der Fahrerseite sitzend bei laufendem Motor angetroffen worden. Bei der Aufnahme des Sachverhaltes hätten die Beamten Zeichen einer Alkoholisierung festgestellt. Die Beschwerdeführerin sei aufgefordert worden, die Atemluft mittels Alkomat überprüfen zu lassen, was von ihr rechtswidrig verweigert worden sei (8 Fehlversuche). Dies lasse eine die Verkehrszuverlässigkeit nach § 7 FSG ausschließende Sinnesart erkennen, deren Änderung erst durch ein Wohlverhalten während der festgesetzten Entziehungszeit angenommen werden könne.

In ihrer dagegen erhobenen Vorstellung verwies die Beschwerdeführerin zunächst auf ihr in einer Stellungnahme am selben Tag im Verwaltungsstrafverfahren erstattetes Vorbringen.

In dieser umfangreichen Stellungnahme führte sie aus, der von ihr gehaltene Pkw habe sich bis zum 11. Mai 2001 in einer Kfz-Werkstatt befunden. Die Beschwerdeführerin habe das Fahrzeug in den Vormittagstunden des 11. Mai 2001 aus der Werkstatt abgeholt und sei ohne Umwege zur Wohnung eines Bekannten im 9. Wiener Gemeindebezirk gefahren, wo sie es abgestellt habe. Sie habe erst um 1.00 Uhr früh des 12. Mai 2001 das Fahrzeug wieder in Betrieb genommen und sei damit vom 9. in den 1. Wiener Gemeindebezirk gefahren, von wo aus sie eine näher genannte Bar aufgesucht habe. Gegen 3.00 Uhr früh sei sie vom Personal beim Verlassen des Lokals gemeinsam mit einer männlichen Person gesehen worden, welche schon zuvor Annäherungsversuche unternommen hätte. Bereits vor diesem Zeitpunkt bis zum "Aufgewecktwerden durch Polizeibeamte auf dem Beifahrersitz ihres Pkw um ca. 6.00 Uhr früh fehle der Beschwerdeführerin jede Erinnerung". Der Einsatz von "K.O.-Tropfen oder ähnlichem" dürfe vermutet werden, zumal sie während des Lokalbesuches lediglich einen Coktail zu sich genommen habe und dies, ebenso den Umstand, dass sie das Lokal in Begleitung verlassen habe, erst nach dem gegenständlichen Vorfall durch Befragen des Personals habe feststellen können. Sie sei von den einschreitenden Beamten in einem Zustand angetroffen worden, in dem sie unmöglich erst kurz zuvor ein Fahrzeug hätte lenken können. Die Angaben des Zeugen S. würden bestritten. Im Übrigen weise das Fahrzeug nunmehr einen Kilometerstand auf, der 59 km über dem noch Tags zuvor Abgelesenen liege, obwohl die von der Beschwerdeführerin zurückgelegte Entfernung nicht einmal mit der Hälfte anzusetzen sei. Sie gehe davon aus, dass sie nicht Lenkerin ihres Pkws war, sondern dass es sich dabei vielmehr um die ihr unbekannt gebliebene "Lokalbekanntschaft" gehandelt haben müsse, welche nach dem Unfall Fahrerflucht begangen haben dürfte. Die Beschwerdeführerin leide seit ca. 10 Jahren an Bronchitis und habe sich auch vor ca. 14 Jahren infolge aktuer Flachatmung in Spitalsbehandlung befunden. Sie weise Kurzatmigkeit sowie bei tieferem Einatmen Schwindelanfälle auf. Eine aus Anlass des gegenständlichen Vorfalles am 6. Juni 2001 durchgeführte Lungentestung habe erheblich verminderte Lungenwerte ergeben.

In ihrer Vorstellung führte die Beschwerdeführerin weiter aus, sie habe der Aufforderung, zur Ablegung eines Alkomattests zum Wachzimmer mitzukommen, ebenso Folge geleistet wie der Aufforderung zur Vornahme des Tests. Sie habe den Test nicht verweigert, sondern sei aus nachgewiesenen gesundheitlichen Gründen (Bronchitis, verminderte Lungenfunktion etc.) nicht dazu in der Lage gewesen, worauf sie die Beamten auch hingewiesen habe. Von einem in der Folge beigezogenen Polizeiamtsarzt sei die Vornahme einer von der Beschwerdeführerin nicht verweigerten klinischen Untersuchung und einer Blutabnahme verweigert worden.

Im Verwaltungsakt erliegt weiters ein Befund eines Facharztes für Lungenkrankheiten (Dr. H.) vom 6. Juni 2001, in dem hinsichtlich der Lungenfunktion von leicht eingeschränkten Volumina bei reduzierten Flowparametern die Rede ist. Eine Diagnose ist in diesem Befund nicht enthalten.

Mit Schreiben vom 5. Juli 2001 legte die Beschwerdeführerin ein pulmologisches Gutachten eines Facharztes für Arbeits- und Betriebsmedizin, Innere Medizin und Lungenkrankheiten (Dr. V.) vom 27. Juni 2001 vor. Das Gutachten sei zur Frage erstellt worden, ob die Beschwerdeführerin in der Lage gewesen sei, einen "Alkotest" korrekt durchzuführen. Unter der Überschrift "Ganzkörperplethysmographie" ist davon die Rede, dass bei der Beschwerdeführerin eine Totalkapazität von 4,7 l entsprechend 80 % des Sollwerts, eine Vitalkapazität von 2,1 l entsprechend 48 % des Sollwerts sowie ein Sekundenatemstoß von 1,8 l entsprechend 49 % des Sollwerts vorliege. In der Diagnose ist von einer Verkleinerung der Lungenoberfläche (restriktive Ventilationsstörung) die Rede. Eine Vitalkapazität, die so erniedrigt wäre, dass die korrekte Handhabung eines "Alkotestes" nicht möglich wäre, ergebe sich aus der Vitalkapazität, die mehr als 1 l betrage und auch aus dem Sekundenatemstoß, die mehr als 1 l betrage, "prima vista" nicht. Es gebe jedoch Patienten, die unter emotionalem Stress eine Erhöhung der Atemmittellage zeigten. Damit stehe weniger atembares und ausatembares Lungenvolumen zur Verfügung, wobei diese Erhöhung der Atemmittellage sich besonders gravierend auswirke, wenn eine Verkleinerung der Lungenoberfläche a priori das atembare Luftvolumen reduziere. Es sei experimentell und atemphysiologisch nicht beurteilbar, ob durch emotionale Stressfaktoren bei zu Grunde liegender restriktiver Ventilationsstörung das ausatembare Luftvolumen so reduziert ist, dass die Durchführung eines korrekten Atemmanövers, wie es der "Alkotest" verlange, nicht möglich wäre. Dies deshalb, weil die stressbedingte Erhöhung der Atemmittellage nicht experimentell nachvollzogen werden könne. Sowohl die Schilderung der Beschwerdesymptomatik als auch die Dokumentation einer Verkleinerung der Lunge (Restriktion) ließen es jedoch wahrscheinlich erscheinen, dass zum Zeitpunkt des Alkotests eine Situation bestanden habe, welche eine Korrektdurchführung unmöglich gemacht habe. Um solchen Situationen vorzubeugen, sei die Durchführung eines Blutalkoholtests vorgesehen.

In einem an das Verkehrsamt gerichteten Schreiben vom 16. Juli 2001 führte der Chefarzt der Bundespolizeidirektion Wien aus, im vorgelegten pulmologischen Gutachten Dris. V. werde eine restriktive Ventilationsstörung bescheinigt, jedoch festgestellt, dass die Vitalkapazität bei 2,1 l (entsprechend 48 % des Sollwertes) lägen. Selbst der Sekundenatemstoß liege immer noch bei 1,8 l. Da für einen korrekten Atemalkoholtest eine Vitalkapazität von 1,5 l in irgendeiner Zeit ausreiche, sehe der Sachverständige Dr. V. keinen Grund, warum ein Atemalkoholtest nicht möglich gewesen wäre. Im zweiten Teil seines Gutachtens stelle er in den Raum, dass es Personen gebe, die unter Stressbedingungen ein noch geringere Vitalkapazität erreichten, als dies bei der Untersuchung vorgelegen sei. Deshalb meine er, dass es auch möglich wäre, dass die Kombination "Stress bei Lungenerkrankung" zu einer Vitalkapazität von unter 1,5 l führen.

In diesem Fall läge jedoch eine Behinderung vor, was sie (gemeint: die Beschwerdeführerin) in Zukunft vom Lenken aller Kraftfahrzeuge ausschließen würde.

Die Bundespolizeidirektion Wien gab mit Bescheid vom 27. Juli 2001 ua. der Vorstellung der Beschwerdeführerin Folge und behob ihren Mandatsbescheid vom 25. Mai 2001.

Mit Bescheid vom selben Tag forderte die Bundespolizeidirektion Wien die Beschwerdeführerin gemäß § 24 Abs. 4 in Verbindung mit § 26 Abs. 5 FSG auf, binnen vier Monaten nach Zustellung ein amtsärztliches Gutachten beizubringen. Begründend führte die Bundespolizeidirektion Wien unter zusammengefasster Wiedergabe des pulmologischen Gutachten Dris. V. aus, im zweiten Teil des Gutachtens werde in den Raum gestellt, dass es Personen gebe, die unter Stressbedingungen eine noch geringere Vitalkapazität erreichten, als dies bei der Untersuchung vorgelegen sei. Deshalb meine der Gutachter, dass es auch möglich wäre, dass die Kombination "Stress bei Lungenerkrankung" zu einer Vitalkapazität von unter 1,5 l führe. Der Polizeichefarzt komme in seinem "Gutachten" zu dem "Entschluss", dass im konkreten Fall der Beschwerdeführerin eine Behinderung vorliege, weshalb spruchgemäß die amtsärztliche Untersuchung angeordnet worden sei.

Beide Bescheide waren an die Beschwerdeführerin zu Handen des bereits anlässlich der Vorstellung eingeschrittenen Rechtsanwaltes adressiert und wurden am 30. Juli 2001 in dessen Kanzlei übernommen.

In der gegen den Aufforderungsbescheid erhobenen Berufung brachte die Beschwerdeführerin vor, der erstinstanzliche Bescheid sei nicht wirksam erlassen worden, weil die Behörde erster Instanz nicht von einer Zustellvollmacht des Rechtsanwaltes auch im Aufforderungsverfahren (nach Beendigung des Entziehungsverfahrens) hätte ausgehen dürfen. In der Sache führte sie aus, es sei bei ihr fachärztlicherseits lediglich eine restriktive Ventilationsstörung festgestellt worden. Hiebei handle es sich jedoch um keine organische Veränderung im Sinn des § 6 Abs. 1 Z. 2 FSG-GV. Im Übrigen sei es lediglich für möglich gehalten worden, dass bei Stress eine Vitalkapazität von 1,5 l unterschritten werden könnte. Aus ihrem bisherigen Vorbringen im Entziehungsverfahren, wie es zu der ihr zunächst angelasteten Alkomatest-Verweigerung gekommen sei, sei durchaus nachvollziehbar, dass es sich angesichts der konkreten Umstände um eine "absolute Ausnahmesituation" gehandelt habe, welche mit Alltagsstresssituationen wie z.B. Verkehrsstau oder Termindruck in keinster Weise vergleichbar sei, weshalb die Unfähigkeit, unter solchen Ausnahmebedingen einen Alkomattest abzulegen, noch nichts über ihre gesundheitliche Verkehrszuverlässigkeit (gemeint: Eignung) im Allgemeinen aussage.

Über Ersuchen des Landeshauptmannes von Wien führte der Chefarzt der Bundespolizeidirektion Wien in einer an das Verkehrsamt gerichteten Stellungnahme vom 8. Oktober 2001 aus, der Sachverständige Dr. V. spreche von einer restriktiven Ventilationsstörung bei Verkleinerung der Lunge. Dies stelle unzweifelhaft eine organische Veränderung dar. Diese Veränderung sei auch die Basis dafür, dass sie (gemeint: die Beschwerdeführerin) in Stresssituationen "möglicherweise" dermaßen oberflächlich atme, dass sie die Vitalkapazität von 1,5 l unterschreite, weshalb auch seitens der Behörde "die Verweigerung eingestellt" worden sei. Die Teilnahme im täglichen Straßenverkehr stelle sicher eine Belastung dar. Insbesondere ein höheres Verkehrsaufkommen mit Stau führe zu einer länger dauernden Stressbelastung, dies insbesondere auch deshalb, "da der zitierte Sachverständige allein aus der Tatsache, dass sie in einem geschlossenen Raum, lediglich durch die Aufforderung einen Atemalkoholtest durchzuführen, in einen derartigen Stress versetzt wurde, dass möglicherweise die Vitalkapazität dadurch unter 1,5 l zu liegen kam". Anschließend lauten die Ausführungen des Polizeichefarztes wie folgt:

"Gutachten:

Bei der oben Genannten liegt eine organische Veränderung der Lunge vor, die bei äußerer Belastung die Vitalkapazität auf unter 1,5 l Atemluft schrumpfen lässt. Dies stellt nach § 6 FSG-GV eine Behinderung dar."

In einer im Rahmen des Parteiengehörs erstatteten Stellungnahme führte die Beschwerdeführerin aus, Dr. V. habe eine Kausalität der festgestellten, restriktiven Ventilationsstörung für das Nichtzustandekommen gültiger Alkomattestergebnisse lediglich für möglich gehalten, einen experimentellen Nachweis einer stressbedingten Erhöhung der Atemmittellage jedoch ausgeschlossen. Das so genannte Gutachten des Chefarztes der Bundespolizeidirektion Wien sei angesichts der Übernahme der Ausführungen Dris. V. aktenmäßig durch nichts gedeckt.

Mit Schriftsatz vom 15. Februar 2002 brachte die Beschwerdeführerin bei der Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie einen Antrag auf Übergang der Zuständigkeit zur Entscheidung ein.

Mit Bescheid vom 29. Mai 2002 gab der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie dem Antrag auf Übergang der Zuständigkeit zur Entscheidung gemäß § 73 Abs. 2 AVG statt, wies jedoch unter einem die Berufung der Beschwerdeführerin gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit §§ 24 Abs. 4 und 26 Abs. 5 FSG ab. Der erstinstanzliche Bescheid werde mit der Maßgabe bestätigt, dass die Frist zur Beibringung des Gutachtens mit der Zustellung des Berufungsbescheides zu laufen beginne. In der Begründung führte der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie nach Wiedergabe der einschlägigen Rechtsvorschriften aus, die Beschwerdeführerin habe im Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens ein pulmologisches Gutachten Dris. V. vom 27. Juni 2001 beigebracht, welches im Wesentlichen die Diagnose beinhaltet habe, dass eine Verkleinerung der Lungenoberfläche (restriktive Ventilationsstörung) gegeben sei. Der polizeiliche Chefarzt der Bundespolizeidirektion Wien habe hiezu am 26. Juli 2001 bzw. ergänzend am 8. Oktober 2001 in einer gutächtlichen Stellungnahme festgestellt, dass bei der Beschwerdeführerin eine organische Veränderung der Lunge vorliege, die bei äußerer Belastung (wie etwa in Stresssituationen) die Vitalkapazität auf unter 1,5 l Atemluft schrumpfen lasse. Dies stelle eine Behinderung nach § 6 FSG-GV dar. Das beizubringende amtsärztliche Gutachten diene gerade dem Zweck, die hinsichtlich der gesundheitlichen Eignung der Beschwerdeführerin aufgetauchten Bedenken abzuklären. Im Übrigen reiche alleine der Umstand, wie lange die Beschwerdeführerin bereits die Lenkberechtigung besitze und ein Kraftfahrzeug gelenkt habe, für die Geübtheit nicht aus, diese müsse vielmehr von einem Amtsarzt festgestellt werden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, nahm aber von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

1.1. Im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (diese erfolgte nach dem Beschwerdevorbringen am 7. Juni 2002) ist für die Beurteilung seiner Rechtmäßigkeit das FSG in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 32/2002 maßgeblich.

Die einschlägigen Bestimmungen des FSG lauten (auszugsweise):

"Allgemeine Voraussetzungen für die Erteilung einer Lenkberechtigung

§ 3. (1) Eine Lenkberechtigung darf nur Personen erteilt werden, die:

...

3. gesundheitlich geeignet sind, ein Kraftfahrzeug zu lenken (§§ 8 und 9),

...

Gesundheitliche Eignung

§ 8. (1) Vor der Erteilung einer Lenkberechtigung hat der Antragsteller der Behörde ein ärztliches Gutachten vorzulegen, dass er zum Lenken von Kraftfahrzeugen gesundheitlich geeignet ist. ... .

(2) Sind zur Erstattung des ärztlichen Gutachtens besondere Befunde oder im Hinblick auf ein verkehrspsychologisch auffälliges Verhalten eine Stellungnahme einer verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle erforderlich, so ist das ärztliche Gutachten von einem Amtsarzt zu erstellen; der Antragsteller hat diese Befunde oder Stellungnahmen zu erbringen. ... .

Entziehung, Einschränkung und Erlöschen der Lenkberechtigung Allgemeines

§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit

1.

die Lenkberechtigung zu entziehen oder

2.

die Gültigkeit der Lenkberechtigung durch Bedingungen, Befristungen oder zeitliche, örtliche oder sachliche Beschränkungen einzuschränken. ... .

...

(4) Vor der Entziehung oder Einschränkung der Gültigkeit der Lenkberechtigung wegen mangelnder gesundheitlicher Eignung ist ein von einem Amtsarzt erstelltes Gutachten gemäß § 8, vor der Entziehung wegen mangelnder fachlicher Befähigung ein Gutachten gemäß § 10 einzuholen.

...

Sonderfälle der Entziehung

§ 26.

...

(5) Leistet der Besitzer einer Lenkberechtigung einem rechtskräftigen Bescheid mit der Aufforderung, die Gutachten gemäß § 24 Abs. 4 beizubringen, innerhalb von vier Monaten nach Zustellung des Bescheides keine Folge, so ist ihm die Lenkberechtigung jedenfalls bis zur Beibringung der Gutachten zu entziehen.

..."

1.2. Die einschlägigen Bestimmungen der FSG-GV lauten in der Fassung der Novelle BGBl. II Nr. 16/2002 (auszugsweise):

"Allgemeine Bestimmungen über die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen

§ 3. (1) Als zum Lenken von Kraftfahrzeugen einer bestimmten Fahrzeugklasse im Sinne des § 8 FSG gesundheitlich geeignet gilt, wer für das sichere Beherrschen dieser Kraftfahrzeuge und das Einhalten der für das Lenken dieser Kraftfahrzeuge geltenden Vorschriften

1. die nötige körperliche und psychische Gesundheit besitzt,

...

3. ausreichend frei von Behinderungen ist und

... .

...

Behinderungen

§ 6. (1) Als zum Lenken von Kraftfahrzeugen hinreichend frei von Behinderungen gilt eine Person, bei der keine der folgenden Behinderungen vorliegt:

...

2. Organische Veränderungen, die eine respiratorische Insuffizienz oder eine Vitalkapazität unter 1,5 l Atemluft verursachen.

... .

..."

2. Der Verwaltungsgerichtshof hegt entgegen dem umfangreichen Beschwerdevorbringen keine Bedenken dagegen, dass der angefochtene Bescheid, mit dem die Beschwerdeführerin zur Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens aufgefordert wurde, wirksam erlassen worden ist. Die Bundespolizeidirektion Wien konnte angesichts der Berufung des im Vorstellungsverfahren einschreitenden Rechtsvertreters der Beschwerdeführerin, der sich auf eine erteilte Vollmacht berief, davon ausgehen, dass dieser eine Zustellvollmacht auch für sämtliche Erledigungen im Rahmen des Vorstellungsverfahrens besaß. Von dieser Zustellvollmacht war jedenfalls der den Mandatsbescheid behebende Bescheid erfasst. Die Bundespolizeidirektion Wien wäre aber auch nicht gehindert, vielmehr sogar bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen verpflichtet gewesen, zur Abklärung der auch für das Entziehungsverfahren maßgeblichen Frage, ob weiterhin sämtliche Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung vorliegen, noch vor der Erlassung des die Vorstellung erledigenden Bescheides einen Aufforderungsbescheid nach § 24 Abs. 4 (iVm. § 26 Abs. 5) FSG zu erlassen. Auch für die Erlassung eines solchen Bescheides wäre von der Zustellvollmacht des Rechtsvertreters der Beschwerdeführerin auszugehen gewesen. Anders als die Beschwerdeführerin vermeint, kann aber allein auf Grund des Umstands, dass beide Bescheide unter einem zugestellt wurden und eine zeitliche Reihenfolge derselben nicht erkennbar ist, nicht davon die Rede sein, dass das Vorstellungsverfahren bereits beendet worden war und nunmehr in einem neuen Verwaltungsverfahren, für welches keine Zustellvollmacht bestand, der Aufforderungsbescheid ergangen wäre.

Dennoch ist der Beschwerde Erfolg beschieden.

Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Aufforderungsbescheid nach § 24 Abs. 4 in Verbindung mit § 26 Abs. 5 FSG jedenfalls nur dann zulässig, wenn begründete Bedenken in der Richtung bestehen, dass der Inhaber der Lenkberechtigung die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen derjenigen Klassen, die von seiner Lenkberechtigung erfasst werden, nicht mehr besitzt. Hiebei geht es zwar noch nicht darum, konkrete Umstände zu ermitteln, aus denen bereits mit Sicherheit auf das Fehlen einer Erteilungsvoraussetzung geschlossen werden kann, es müssen aber genügend begründete Bedenken in dieser Richtung bestehen, die die Prüfung des Vorliegens solcher Umstände geboten erscheinen lassen. Im vorliegenden Zusammenhang wäre der Aufforderungsbescheid dann rechtens, wenn ausreichende Anhaltspunkte für den Verdacht bestanden hätten, der Beschwerdeführerin mangle es wegen des Vorliegens einer organischen Veränderung, welche eine Vitalkapazität unter 1,5 Liter Atemluft verursacht, an der gesundheitlichen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen.

Die belangte Behörde stützt sich, wie ihre oben wiedergegebene Bescheidbegründung zeigt, einerseits auf die Diagnose im Gutachten Dris V., es liege bei der Beschwerdeführerin eine restriktive Ventilationsstörung vor, andererseits aber auf die gutächtliche Stellungnahme des Polizeichefarztes, wonach bei der Beschwerdeführerin eine organische Veränderung der Lunge vorliege, welche "bei äußerer Belastung (wie etwa in Stresssituationen) die Vitalkapazität auf unter 1,5 Liter Atemluft schrumpfen" lasse. Diese von der belangten Behörde zu Eigen gemachte Auffassung des Polizeichefarztes ist jedoch für den Verwaltungsgerichtshof vor dem Hintergrund des dargestellten Verwaltungsgeschehens nicht nachvollziehbar.

Im Gutachten Dris. V. ist zunächst bei der Zusammenfassung des Ergebnisses der Ganzkörperplethysmographie davon die Rede, dass die Beschwerdeführerin eine Vitalkapazität von 2,1 Liter (Atemluft) aufweise (darauf hat der Polizeichefarzt zwar in seiner ersten Stellungnahme vom 16. Juli 2001, nicht mehr aber in der von der belangten Behörde verwerteten Stellungnahme hingewiesen). Weiters wird ausgeführt, dass eine Vitalkapazität, die dergestalt erniedrigt sei, dass die korrekte Handhabung eines "Alkotestes" nicht möglich sei, "prima vista" nicht vorliege (auch diese Ausführungen werden in der von der belangten Behörde verwerteten chefärztlichen Stellungnahme nicht mehr erwähnt). Anschließend führt der Gutachter Dr. V. aus, es gebe Patienten, die unter emotionalem Stress eine Erhöhung der Atemmittellage zeigen, weshalb weniger atembares und ausatembares Lungenvolumen zur Verfügung stehe, wobei sich diese Erhöhung der Atemmittellage besonders gravierend auswirke, wenn eine Verkleinerung der Lungenoberfläche a priori das atembare Luftvolumen reduziere. Dass bei der Beschwerdeführerin, selbst in Stresssituationen, eine Reduktion der Vitalkapazität auf einen Wert von unter 1,5 Liter eintrete, ist dem Gutachten nicht zu entnehmen. Die nicht begründeten Ausführungen des Polizeichefarztes, die bei der Beschwerdeführerin vorliegende restriktive Ventilationsstörung sei "auch die Basis dafür, dass sie (gemeint: die Beschwerdeführerin) in Stresssituationen möglicherweise dermaßen oberflächlich atmet, dass sie die Vitalkapazität von 1,5 Litern unterschreitet", erweisen sich angesichts des Umstandes, dass jener seine Stellungnahmen nur auf der Basis des Gutachtens Dris. V. abgeben konnte, als bloße Mutmaßung. Indem die belangte Behörde diese unschlüssigen Ausführungen ihrem Bescheid zu Grunde legte, belastete sie diesen mit einem Begründungsmangel.

Der angefochtene Bescheid war aus diesen Erwägungen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

3. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001, BGBl. II Nr. 501. Das Mehrbegehren auf Ersatz der PSK-Erlagschein-Einzahlungsgebühr in Höhe von EUR 1,-- war abzuweisen, weil neben dem Ersatz des pauschalierten Schriftsatzaufwandes und dem Ersatz der Gebühr nach § 24 Abs. 3 VwGG ein weiterer Kostenersatz nicht vorgesehen ist.

Wien, am 26. November 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2002110144.X00

Im RIS seit

05.03.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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