TE Vwgh Erkenntnis 2002/12/12 2000/20/0516

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Veröffentlicht am 12.12.2002
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Racek, über die Beschwerde der AA in Wien, geboren 1982, vertreten durch Dr. Wolfgang Dellhorn, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Gölsdorfgasse 2, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 6. September 2000, Zl. 218.264/0-V/13/00, betreffend §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Ein Kostenersatz findet nicht statt.

Begründung

Die damals 17-jährige Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Nigeria, reiste am 27. Juni 2000 in das Bundesgebiet ein und beantragte am selben Tag Asyl. Bei ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 18. Juli 2000 gab sie zusammengefasst an, als Tochter eines bekannten moslemischen Imams in Kaduna, der gegen die Einführung der Scharia aufgetreten und im März 2000 zusammen mit der Mutter der Beschwerdeführerin im Zuge des "Scharia-Krieges" ermordet worden sei, würde sie im Falle ihrer Rückkehr nach Nigeria von Moslems getötet werden, weil ihr Vater gegen die Scharia (zu ergänzen: gewesen) sei.

Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 24. Juli 2000 den Asylantrag gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Nigeria sei zulässig. Es stellte zu den Behauptungen der Beschwerdeführerin fest, es würden "derzeit tatsächlich in den nördlichen Gliedstaaten Nigerias Kampfhandlungen zwischen fanatischen Moslems und Christen ausgetragen". Dem folgten weitere, allgemein gehaltene Feststellungen über den Stand der Auseinandersetzungen um die Einführung der Scharia in bestimmten Gegenden Nigerias.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Bundesasylamt die Ansicht, ein derartiger Konflikt könne nicht zur Asylgewährung führen, weil "den daraus resultierenden Folgen sämtliche in dieser Region Nigerias lebende Personen gleichermaßen ausgesetzt" seien und "überdies diese Handlungen (Übergriffe fanatischer Moslems im Norden von Nigeria) nicht dem Staat zugerechnet werden" könnten und "somit" nicht von staatlichen Stellen ausgingen. Das Bundesasylamt komme "somit zur Ansicht, dass keine Verfolgungsgefahr im Sinne der GFK" vorliege. "Generell und durch den vorgebrachten Sachverhalt" habe die Beschwerdeführerin "deutlich gemacht", dass der Grund für ihre Ausreise aus Nigeria in ihrer "subjektiven Furcht" gelegen sei, "möglicherweise auf Grund des Scharia-Krieges, der in Kaduna stattgefunden hat, getötet zu werden und ist diese Furcht aber nach Ansicht der erkennenden Behörde nicht geeignet, objektiv Ihre Flüchtlingseigenschaft zu begründen". In Anbetracht der "Größe Nigerias" könne die Furcht der Beschwerdeführerin "nicht objektiv nachvollzogen werden".

Weitere - teilweise wiederholende - Ausführungen dieser Art in der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides enthielten unter anderem die Formulierung, die Beschwerdeführerin habe vorgebracht, in ihrem Heimatland "vor Übergriffen radikaler Moslems möglicherweise irgendwann einmal betroffen zu sein", was jedoch "allein - so furchtbar und unangenehm sich die Situation für Sie auch darstellt - nicht als geeignet anzusehen" sei, das Vorliegen begründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft zu machen. Dies deshalb, weil "den aus solchen Verhältnissen resultierenden Handlungen, Benachteiligungen und Beschränkungen sämtliche dort lebende Bewohner, die sich gegen die Ansichten der fanatischen Moslems stellen, ausgesetzt sind und solche Verhältnisse daher nicht als konkrete, individuell gegen den Asylwerber, namentlich Sie, gerichtete Verfolgungshandlungen eingestuft werden können" (im Original ohne Unterstreichung).

Weiters vertrat das Bundesasylamt die Ansicht, "dass eine Gefahr, Bedrohung bzw. Verfolgung, die lediglich von Privatpersonen (und sei es auch in der Gestalt radikaler Moslems) ausgeht, nicht unter die Bestimmungen des (gemeint: der) GFK subsumiert zu werden vermag". Daran vermöge "auch die Tatsache nichts zu ändern, dass es allenfalls zu Übergriffen radikaler Moslems kommt, die von staatlichen Kräften (präventiv) nicht verhindert werden können, ist doch kein Staat der Welt in der Lage, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Der Unmöglichkeit des umfassenden präventiven Schutzes kommt allenfalls dann Bedeutung zu, wenn der Staat darüber hinaus nicht willig oder nicht in der Lage ist, derartige Übergriffe entsprechend (etwa durch Strafen oder andere Sanktionen) zu ahnden, also repressiv tätig zu werden. Diesbezügliche Anhaltspunkte konnten von Ihnen nicht dargelegt werden. ..."

Die Berufung der Beschwerdeführerin gegen diesen Bescheid enthielt umfangreiches Vorbringen - mit Ausführungen unter anderem zu den Fragen staatlichen Schutzes und des Bestehens einer inländischen "Fluchtalternative" - und verwies auf insgesamt 22 im Einzelnen angeführte Zeitungsberichte, die der Bruder der Beschwerdeführerin in seinem unter einer näher genannten Zahl geführten Asylverfahren vorgelegt habe.

Am 4. September 2000 langte bei der belangten Behörde eine zu den Verfahren sowohl der Beschwerdeführerin als auch ihres Bruders vorgelegte Liste mit sechs weiteren Zeitungsartikeln über die Auseinandersetzungen um die Einführung der Scharia samt Kopien dieser Artikel ein.

Die belangte Behörde wies mit dem angefochtenen, ohne mündliche Berufungsverhandlung erlassenen Bescheid vom 6. September 2000 die Berufung der Beschwerdeführerin gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Nigeria sei zulässig. Die Begründung dieser Entscheidung lautete im Asylteil - abgesehen von einem allgemein gehaltenen Textbaustein über Voraussetzungen der Asylgewährung - wie folgt:

"Die Asylwerberin ist laut eigener Aussage Staatsangehörige von Nigeria und am 27.6.2000 illegal in das Bundesgebiet eingereist. Am selben Tag hat sie einen Asylantrag gestellt, wurde hieraufhin vom Bundesasylamt niederschriftlich befragt und hat hiebei im Beisein eines geeigneten Dolmetschers für die englische Sprache ihre Gründe für die Antragstellung dargestellt.

Das erstinstanzliche Vorbringen wurde bereits im Bescheid des Bundesasylamtes richtig und vollständig wiedergegeben, sodass der diesbezügliche Teil des erstinstanzlichen Bescheides auch zum Inhalt des gegenständlichen Bescheides erhoben wird.

Das Bundesasylamt hat den Antrag der Asylwerberin mit Bescheid vom 24.7.2000, Zl. 00 07.872-BAE, abgewiesen. Gegen diesen Bescheid hat die Asylwerberin binnen offener Frist berufen.

Festgestellt wird:

Die Antragstellerin ist nigerianische Staatsangehörige moslemischen Glaubens. Die Antragstellerin hat ihre Heimatstadt Kaduna auf Grund allgemein herrschenden bürgerkriegsähnlichen Situation infolge der religiösen Gegensätze zwischen Christen und Moslems verlassen. Die Eltern der Antragstellerin wurden im Gefolge der Ausschreitungen ermordet und wurde das Elternhaus der Antragstellerin niedergebrannt.

Hinsichtlich der Religionsausübung in Nigeria wird auf die Feststellungen des Erstbescheides (Seite 4 f) verwiesen und werden die bezughabenden Passagen zum Inhalt des gegenständlichen Bescheides erhoben.

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in das erstinstanzliche Aktenkonvolut unter insbesonderer Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben der Antragstellerin, des Berufungsschriftsatzes sowie durch Einsichtnahme in das seitens der Antragstellerin am 28.8.2000 dem Bundesasylamt übergebene Beweismaterial betreffend die Allgemeinsituation in Nord-Nigeria.

Der Unabhängige Bundesasylsenat schließt sich der rechtlichen Würdigung des vorliegenden Sachverhaltes hinsichtlich der Bewertung der Flüchtlingseigenschaft der Antragstellerin durch die Behörde erster Instanz vollinhaltlich an und werden die bezughabenden begründenden Ausführungen des Erstbescheides zum Inhalt des gegenständlichen Bescheides erhoben.

Ergänzend wird ausgeführt, dass insbesondere auf Grund der notorischen Entwicklung in Nigeria es nicht erkannt werden konnte, dass der nigerianische Staat etwa seine ihm auferlegte Garantenstellung - nämlich Schutz seiner Bürger vor allfälligen Übergriffen von Seiten Dritter - etwa nicht nachzukommen im Stande ist. Dass der Staat Nigeria alles unternimmt in den Unruheprovinzen wieder Ruhe und Ordnung herzustellen, ergibt sich aus den den internationalen Medien entnehmbaren aktiven Bestrebungen seitens der Zentralregierung in Abuja.

Letztlich wird diesbezüglich ausdrücklich hervorgehoben, dass die religiöse Problematik in Nigeria ausschließlich einige wenige Bundesstaaten in Zentral- und Nordnigeria betrifft und es der Antragstellerin jedenfalls möglich gewesen wäre, sich in einen der sicheren und ruhigen Landesteile zu begeben und wäre ihr dies auch zumutbar gewesen, weshalb vom Vorliegen einer so genannten innerstaatlichen Fluchtalternative auszugehen war.

Rechtlich folgt, dass die Antragstellerin nicht Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ist, weshalb die Gewährung von Asyl gemäß § 7 Asylgesetz 1997 idgF nicht statthaft war."

In der nachfolgenden Begründung des Ausspruches gemäß § 8 AsylG vertrat die belangte Behörde unter anderem die Ansicht, "wie bereits oben ausgeführt" habe die von der Beschwerdeführerin "vorgebrachte Verfolgungsgefahr ihre Ursachen offensichtlich außerhalb des asylrelevanten Verfolgungsbegriffs, sodass die Anwendbarkeit des § 57 Abs. 2 FrG ausscheidet".

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die belangte Behörde ist rechtswidrig vorgegangen, indem sie das Berufungsvorbringen und die im Berufungsverfahren vorgelegten bzw. in der Berufung erwähnten Zeitungsberichte entgegen dem Gesetz und der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht zum Anlass für die Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung nahm. Sie hat darüber hinaus die in der Berufung zitierten Berichte nicht zum Akt genommen und berücksichtigt, sich mit den nachträglich vorgelegten weiteren Berichten und dem Berufungsvorbringen nicht inhaltlich auseinander gesetzt und damit - sowie durch den Gebrauch formelhafter, nicht näher konkretisierter Wendungen und Behauptungen - ihre Ermittlungs- und Begründungspflichten verletzt. Schließlich beruht der angefochtene Bescheid u.a. auf dem Rechtsirrtum, eine Bedrohung der Beschwerdeführerin mit ihrer Ermordung, weil sich ihr Vater gegen die Einführung der Scharia ausgesprochen habe, liege "außerhalb des asylrelevanten Verfolgungsbegriffs".

Da der zuletzt erwähnte Gesichtspunkt gegenüber der Verletzung von Verfahrensvorschriften durch die belangte Behörde als Aufhebungsgrund prävaliert, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Kosten waren der Beschwerdeführerin mangels eines darauf - sei es auch nur in allgemein gehaltener Form - abzielenden Antrages nicht zuzusprechen.

Wien, am 12. Dezember 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2000200516.X00

Im RIS seit

30.04.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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