TE Vfgh Beschluss 1999/11/30 G169/99

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Veröffentlicht am 30.11.1999
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Index

90 Straßenverkehrsrecht, Kraftfahrrecht
90/01 Straßenverkehrsordnung 1960

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Prüfungumfang
VfGG §19 Abs3 Z2 lite
StVO 1960 §99 Abs6 lita

Leitsatz

Zurückweisung von Anträgen eines UVS auf teilweise Aufhebung von Bestimmungen der StVO 1960 betreffend die Straflosigkeit bei Verkehrsunfällen mit bloßem Sachschaden angesichts des nach einer allfälligen Aufhebung völlig veränderten, dem Gesetzgeber nicht zusinnbaren Inhaltes des verbleibenden Restteils

Spruch

Der Antrag des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Vorarlberg, in §99 Abs6 lita StVO 1960, BGBl. 1986/105, die Wortfolgen "durch die Tat lediglich Sachschaden entstanden ist," und "mit bloßem Sachschaden" sowie die Absatzbezeichnung "Abs5" als verfassungswidrig aufzuheben, wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1.1. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Vorarlberg stellte aus Anlaß eines bei ihm anhängigen Berufungsverfahrens gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch vom 14. September 1999, ZX-5661-1999, betreffend Übertretung des §19 Abs7 iVm. §19 Abs5 iVm. §99 Abs3 lita StVO 1960 gemäß Art140 Abs1 B-VG den Antrag, in §99 Abs6 lita der Straßenverkehrsordnung 1960, BGBl. 1960/159, in der Fassung der 13. StVO-Novelle, BGBl. 1986/105, die Worte "durch die Tat lediglich Sachschaden entstanden ist," und die Worte "mit bloßem Sachschaden" sowie die Absatzbezeichnung "Abs5" als verfassungswidrig aufzuheben.

1.2. Der antragstellende Senat führte zur Frage der Präjudizialität der angefochtenen Norm unter anderem aus, gemäß §99 Abs6 lita StVO 1960 in der Fassung der 13. Novelle, BGBl. 1986/105, liege eine Verwaltungsübertretung nicht vor, wenn durch die Tat lediglich Sachschaden entstanden sei, die Bestimmungen über das Verhalten bei einem Verkehrsunfall mit bloßem Sachschaden (§4 Abs5) eingehalten worden seien und nicht eine Übertretung nach Abs1 vorliege. Im gegenständlichen Fall liege keine Übertretung nach §99 Abs1 StVO 1960 vor, die Bestimmungen des §4 Abs2 und Abs5 StVO 1960 über das Verhalten bei einem Verkehrsunfall mit Personenschaden bzw. mit Sachschaden seien nicht verletzt worden.

Durch die gegenständliche Tat sei aber nicht nur Sachschaden entstanden, sondern sei die Berufungswerberin selbst erheblich verletzt worden (Prellungen, Bruch des Ellenbogens der linken Hand). Wegen der Verletzung der Berufungswerberin sei die Bestimmung des §99 Abs6 lita StVO 1960 nicht anwendbar. Daraus ergebe sich, daß der Erfolg der Berufung allein davon abhänge, ob die Regelung des §99 Abs6 lita StVO 1960 verfassungsmäßig sei oder nicht. Die Wortfolge "mit bloßem Sachschaden" sowie die Absatzbezeichnung "Abs5" seien in den Antrag einbezogen worden, um zu vermeiden, daß durch die beantragte Aufhebung dem §99 Abs6 lita StVO 1960 ein dem Gesetzgeber nicht zusinnbarer Inhalt gegeben werde.

1.3. Zur Sache selbst wurde unter anderem ausgeführt, der Gleichheitsgrundsatz im Sinne des Art7 B-VG werde unter anderem dann verletzt, wenn die in Betracht kommende Regelung sachlich nicht gerechtfertigte Differenzierungen vornehme. Jede unsachliche Unterscheidung sei unter dem Blickwinkel des Gleichheitsgrundsatzes verfassungswidrig. Wenngleich es der antragstellenden Behörde bewußt sei, daß ein Gesetz nicht schon dann gleichheitswidrig sei, wenn sein Ergebnis nicht in allen Fällen "als befriedigend empfunden" werde, sei es doch sachlich nicht gerechtfertigt, eine Person, die einen Unfall verursacht habe, bei dem nur sie selbst verletzt worden sei, gegenüber einer Person, die einen Unfall verursacht habe, bei dem ausschließlich Sachschaden entstanden sei, schlechter zu stellen. Eine solche Regelung sei in keiner Weise sachlich gerechtfertigt und entspreche auch nicht den Grundsätzen eines Schuldstrafrechts. Sie sei auch aus Gründen der General- und Spezialprävention nicht notwendig. Es könne nämlich davon ausgegangen werden, daß eine Person, die aufgrund ihres Fehlverhaltens einen Unfall verursache, bei dem (nur) sie verletzt werde, diese - in der Regel mit Schmerzen verbundene - erlittene Verletzung schon als "Strafe" für ihr Fehlverhalten ansehe. Eine Bestrafung durch die Verwaltungsstrafbehörde sei daher schon aus diesem Gesichtspunkt nicht mehr notwendig, um diese Person von einem neuerlichen gleichartigen Fehlverhalten abzuhalten.

Sinn und Zweck der Regelung des §99 Abs6 lita StVO 1960 sei aus Sicht des UVS auch, einen "Anreiz" für die Beachtung der Vorschriften des §4 StVO 1960 zu schaffen, dessen Einhaltung im Interesse der unfallbeteiligten Personen liege. Auch unter diesem Gesichtspunkt sei die derzeitige Regelung, die zwischen Unfällen mit ausschließlichem Sachschaden und Unfällen mit Eigenverletzung unterscheide, sachlich nicht gerechtfertigt.

1.4. §99 Abs6 lita StVO 1960 hat folgenden Wortlaut:

"(6) Eine Verwaltungsübertretung liegt nicht vor,

a) wenn durch die Tat lediglich Sachschaden entstanden ist, die Bestimmungen über das Verhalten bei einem Verkehrsunfall mit bloßem Sachschaden (§4 Abs5) eingehalten worden sind und nicht eine Übertretung nach Abs1 vorliegt,"

              2.              Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

2.1. Zur Zulässigkeit:

Der Verfassungsgerichtshof hatte sich in den zu G3/98 und G90/99 protokollierten Verfahren mit wortgleichen Anträgen des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Vorarlberg zu beschäftigen. Mit Beschluß vom 6. Oktober 1999 wies der Verfassungsgerichtshof die Anträge des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Vorarlberg, in §99 Abs6 lita StVO 1960, BGBl. 1986/105, die Wortfolgen "durch die Tat lediglich Sachschaden entstanden ist," und "mit bloßem Sachschaden" sowie die Absatzbezeichnung "Abs5" als verfassungswidrig aufzuheben, zurück und führte begründend folgendermaßen aus:

"3.1. Zur Zulässigkeit:

3.1.1. Der Verfassungsgerichtshof geht entsprechend seiner ständigen Judikatur (zB VfSlg. 9811/1983, 10296/1984, 11565/1987, 12189/1989, 14551/1996, 14795/1997, VfGH 19.6.1998, G275/96) davon aus, daß er nicht berechtigt ist, durch seine Präjudizialitätsentscheidung ein Gericht oder einen unabhängigen Verwaltungssenat, der einen Gesetzesprüfungsantrag gemäß Art140 Abs1 B-VG stellt, an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung des Gerichts oder des unabhängigen Verwaltungssenats in der Hauptsache vorgreifen würde. Ein Antrag eines dieser Rechtsschutzorgane gemäß Art140 Abs1 B-VG darf daher vom Verfassungsgerichtshof mangels Präjudizialität nur dann zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig, also gleichsam denkunmöglich ist, daß die angefochtene Gesetzesbestimmung eine Voraussetzung der Entscheidung eines Gerichts bzw. eines unabhängigen Verwaltungssenats im Anlaßfall bildet.

Unter Zugrundelegung der gegenständlichen Sachverhalte ist es nicht als denkunmöglich anzusehen, wenn der antragstellende UVS davon ausgeht, daß §99 Abs6 lita StVO 1960 in den zugrundeliegenden Anlaßfällen anzuwenden sei.

3.1.2. Nach ständiger Judikatur des Verfassungsgerichtshofes hat sich die Aufhebung einer verfassungswidrigen Bestimmung darauf zu beschränken, jene Teile einer gesetzlichen Bestimmung zu beseitigen, durch deren Wegfall die Verfassungswidrigkeit behoben würde. Bei einer teilweisen Aufhebung einer Regelung ist jedoch auch darauf Bedacht zu nehmen, daß der verbleibende Teil der Bestimmung nicht eine Veränderung seiner Bedeutung erfährt (zB VfSlg. 7376/1974, 7726/1975, 11506/1987). Die Grenzen der Aufhebung einer zu prüfenden Gesetzesbestimmung müssen so gezogen werden, daß einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und daß anderseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen mit erfaßt werden (zB VfSlg. 12235/1989, 12465/1990).

Diese zur Frage des Umfanges der Aufhebung entwickelte Judikatur hat auch Rückwirkungen auf die Zulässigkeit von Anträgen auf Aufhebung von gesetzlichen Bestimmungen, sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren; wenn bei Aufhebung bloß eines Teiles einer Norm der Sinn der verbleibenden Bestimmung nicht mehr dem erkennbaren gesetzgeberischen Willen entspricht, ist nur der Antrag auf Aufhebung der gesamten Regelung zulässig (zB VfSlg. 8155/1977, 11506/1987, 12235/1989, 12465/1990, 13179/1992).

Bezieht man diese eben dargelegte Rechtsauffassung auf die hier mit den Anträgen des UVS angegriffenen Teile des §99 Abs6 lita StVO 1960, so folgt daraus, daß die Anträge zurückzuweisen sind. Eine entsprechende Gesetzesaufhebung gäbe nämlich dem verbleibenden Restteil des §99 Abs6 lita StVO 1960 einen gänzlich veränderten, dem Gesetzgeber überhaupt nicht zusinnbaren Inhalt. Gerade der in §99 Abs6 lita StVO 1960 dezidiert und unmißverständlich zum Ausdruck gebrachte Wille des Gesetzgebers, Verkehrsunfälle, bei denen (auch) Personenschaden entstanden ist, von der dort normierten verwaltungsbehördlichen Straflosigkeit nicht mitzuumfassen, hat zur Folge, daß der im Sinne der Anträge des UVS bereinigte §99 Abs6 lita StVO 1960 mit einem Inhalt erfüllt würde, der, weil nunmehr - wie auch der UVS selbst in seiner Gegenäußerung konzediert - in gewissem Umfang auch Verkehrsunfälle mit Personenschaden straflos wären, dem Gesetzgeber jedenfalls nicht zusinnbar wäre."

Nichts anderes kann jedoch im vorliegenden Fall gelten, sodaß der Antrag des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Vorarlberg, in §99 Abs6 lita StVO 1960, BGBl. 1986/105, die Wortfolgen "durch die Tat lediglich Sachschaden entstanden ist," und "mit bloßem Sachschaden" sowie die Absatzbezeichnung "Abs5" als verfassungswidrig aufzuheben, zurückzuweisen ist.

2.2. Dieser Beschluß konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG 1953 ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.

Schlagworte

VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Antrag, VfGH / Legitimation, Straßenpolizei, Verkehrsunfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1999:G169.1999

Dokumentnummer

JFT_10008870_99G00169_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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