TE Vfgh Erkenntnis 1999/12/1 B1292/98

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Veröffentlicht am 01.12.1999
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Index

L5 Kulturrecht
L5500 Baumschutz, Landschaftsschutz, Naturschutz

Norm

B-VG Art140 Abs7 zweiter Satz
Nö NaturschutzG §2

Leitsatz

Aufhebung eines Bescheides betreffend die Untersagung des Abbaus von Quarzsand infolge Quasianlaßfallwirkung der Aufhebung einer Bestimmung des Nö NaturschutzG als verfassungswidrig

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Das Land Niederösterreich ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit 29.500 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.a) Die Berghauptmannschaft Wien hatte dem Beschwerdeführer mit einer "Verständigung" vom 2. Juli 1993 mitgeteilt, daß die Gewinnungsbewilligungen (betreffend den Quarzkiesabbau) für näher bezeichnete Abbaufelder auf Grundstücken der Katastralgemeinde Pielach, Verwaltungsbezirk Melk, aufgrund der Bestimmungen des §238 Abs1 bis 5 des Berggesetzes 1975 idF der Berggesetznovelle 1990, BGBl. 355, mit Wirkung vom 1. Jänner 1991 ex lege als erteilt und die betreffenden Grundstücke im jeweils angeführten Ausmaß gemäß §176 Abs1 des Berggesetzes 1975 als Bergbaugebiet gelten.

b) Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Melk vom 27. Oktober 1997 wurde dem Beschwerdeführer die naturschutzbehördliche Bewilligung zum Abbau von Quarzsand auf den in Rede stehenden Abbaufeldern im Landschaftsschutzgebiet "Wachau und Umgebung" gemäß der im Bescheid dargelegten Projektsbeschreibung und den Projektsunterlagen erteilt. Diese Entscheidung führte als gesetzliche Grundlagen §6 Abs2 Z5, §4 Abs1 Z1 und §19 des NÖ Naturschutzgesetzes in der Fassung LGBl. 5500-3 an.

c) Gegen den Bescheid erhoben sowohl die Stadtgemeinde Melk als auch die Niederösterreichische Umweltanwaltschaft Berufung. Diesen Rechtsmitteln wurde mit Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 13. Mai 1998 Folge gegeben, der erstinstanzliche Bescheid (mit Ausnahme der Kostenentscheidung) behoben und (im Spruch) wie folgt neu gefaßt:

"Die Ausführung des beantragten Vorhabens - Abbau von Quarzsand auf den Abbaufeldern ... , alle KG Pielach, Landschaftsschutzgebiet 'Wachau und Umgebung' im Ausmaß von 2,9149 ha - wird untersagt.

Rechtsgrundlagen:

§4 Abs1 Z. 1 und Abs3, §6 Abs2 Z. 3 und Abs4 des NÖ Naturschutzgesetzes, LGBl. 5500-5."

2. Dieser Berufungsbescheid ist Gegenstand der vom Bewilligungswerber erhobenen Beschwerde nach Art144 B-VG, in welcher die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung sowie die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird. Die Beschwerde langte am 17. Juli 1998 beim Verfassungsgerichtshof ein.

Die Niederösterreichische Landesregierung legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde begehrte.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat am 17. Dezember 1998 beschlossen, aus Anlaß einer zu B1287/98 protokollierten Beschwerde gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der §§2, 5 Abs3 und 6 Abs4 des NÖ Naturschutzgesetzes, LGBl. 5500-5, einzuleiten. Mit Erkenntnis vom 25. Juni 1999, G256/98, hob der Gerichtshof §2 des NÖ Naturschutzgesetzes, LGBl. 5500-5, als verfassungswidrig auf und sprach aus, daß §2 des NÖ Naturschutzgesetzes in der Fassung vor der Novelle LGBl. 5500-5 wieder in Kraft tritt; im übrigen stellte er das Gesetzesprüfungsverfahren ein.

III. 1. Gemäß Art140 Abs7

B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlaßfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlaßfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrundegelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.

Dem in Art140 Abs7 B-VG genannten Anlaßfall (im engeren Sinn), anläßlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren

(VfSlg. 10616/1985, 11711/1988).

Die mündliche Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren G256/98 fand am 16. Juni 1999 statt. Die hier zu entscheidende Beschwerde langte beim Verfassungsgerichtshof - wie bereits erwähnt - am 17. Juli 1998 ein, war also zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung schon anhängig; der ihr zugrundeliegende Fall ist somit einem Anlaßfall gleichzuhalten.

2. Die belangte Behörde begründete ihren Bescheid damit, sie sei aufgrund des erhobenen Sachverhaltes und eines schlüssigen Gutachtens des Amtssachverständigen für Naturschutz zur Ansicht gelangt, daß bei der Verwirklichung des geplanten Vorhabens das Landschaftsbild sowie die Landschaft in ihrer Schönheit und Eigenart dauernd und maßgeblich beeinträchtigt würden und diese Beeinträchtigung auch nicht durch Vorschreibung von Vorkehrungen ausgeschlossen werden könne.

Dieses Verfahrensergebnis der Berufungsbehörde, nämlich die Versagung der Bewilligung des beantragten Vorhabens bzw. die Untersagung seiner Ausführung, ist ua. darauf zurückzuführen, daß die Behörde sich der Sache nach auf §2 des NÖ Naturschutzgesetzes in der Fassung der am 20. Februar 1998 in Kraft getretenen Novelle LGBl. 5500-5 stützte, welcher es nicht zuließ, die vom Bund wahrzunehmenden und keiner weiteren Überprüfung durch das Land unterliegenden gesamtwirtschaftlichen Interessen an der Tätigkeit eines Bergbaubetriebes zu berücksichtigen. Eine solche Berücksichtigung ist jedoch nach dem erwähnten Erkenntnis G256/98 aus verfassungsrechtlicher Sicht geboten, denn die in dieser Entscheidung sowie im Erk. VfGH 25.6.1999 B1287/98 enthaltenen Ausführungen über die gesamtwirtschaftlichen Interessen in Zusammenhang mit der Errichtung oder dem Ausbau von Verkehrswegen sind auf den vorliegenden, einen Bergbau betreffenden Fall sinngemäß zu übertragen (arg.: "... Zwecken ... des Bergbaues oder des Eisenbahn-, Straßen- und Luftverkehrs ..." in §2 Abs3 des NÖ NaturschutzG in der wieder in Kraft gesetzten Fassung vor der Novelle LGBl. 5500-5).

Die belangte Behörde wendete bei Erlassung des angefochtenen Bescheides - wie eben dargetan - die als verfassungswidrig aufgehobene Gesetzesbestimmung an. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, daß diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war.

Der Beschwerdeführer wurde somit wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt.

Der Bescheid ist daher aufzuheben.

3. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde in sinngemäßer Anwendung des §19 Abs4 Z3 VerfGG abgesehen.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von 4500 S sowie die Eingabegebühr von 2500 S enthalten.

Schlagworte

Naturschutz, VfGH / Aufhebung Wirkung, VfGH / Anlaßfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1999:B1292.1998

Dokumentnummer

JFT_10008799_98B01292_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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