TE Vwgh Erkenntnis 2003/2/19 2000/08/0054

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Veröffentlicht am 19.02.2003
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
50/01 Gewerbeordnung;
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §12 Abs3 lita;
AlVG 1977 §12 Abs6 lita;
ASVG §4 Abs1 Z1;
ASVG §4 Abs2;
AVG §37;
AVG §38;
AVG §68 Abs1;
GewO 1973 §39 Abs2 idF 1993/029;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Strohmayer und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des R in W, vertreten durch Mag. Johannes Kerschbaumer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Georg Coch-Platz 3/2/6, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 1. März 2000, Zl. LGSW/Abt. 10- AlV/1218/56/1999-2855, betreffend Widerruf und Rückforderung von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde die Zuerkennung der Geldleistungen aus der Arbeitslosenversicherung für den Zeitraum vom 1. Jänner bis 31. Oktober 1999 widerrufen und das unberechtigt Empfangene zurückgefordert. Nach Gesetzeszitaten und Darstellung des Verwaltungsgeschehens stellte die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid folgenden Sachverhalt fest: Der Beschwerdeführer habe vom 1. Jänner 1999 bis 3. August 1999 Arbeitslosengeld mit einem Tagesbetrag von S 409,-- und nahtlos anknüpfend ab 4. August 1999 Notstandshilfe mit einem Tagesbetrag von S 378,-- bezogen. Den der Leistungsgewährung zu Grunde liegenden Anträgen vom 5. August 1998 bzw. 29. Juli 1999 sei kein Hinweis auf eine Funktion bzw. Tätigkeit des Beschwerdeführers als Geschäftsführer der R GmbH zu entnehmen. Nachträglich habe das Arbeitsmarktservice von dritter Seite davon Kenntnis erlangt, dass der Beschwerdeführer gewerberechtlicher Geschäftsführer der R GmbH sei. Nach dem Auszug aus dem Firmenbuch (Stichtag 13. Oktober 1999) sei der Beschwerdeführer Prokurist dieses Unternehmens und vertrete seit 27. August 1990 selbstständig. Die R GmbH sei zur Ausübung des Gewerbes "Maler und Anstreicher" berechtigt; der Magistrat der Stadt Wien habe die Anzeige betreffend Ausübung des Gewerbes durch den Beschwerdeführer zur Kenntnis genommen.

Festzuhalten sei, dass die Gewerbeordnungsnovelle 1992, BGBl. Nr. 29/1993, im Bereich der Bestellung eines gewerberechtlichen Geschäftsführers ab 1. Juli 1993 eine Änderung der Rechtslage mit sich gebracht habe. Nach § 39 Abs. 2 der Gewerbeordnung in der Fassung der Gewerberechtsnovelle 1992 müsse der Geschäftsführer den für die Ausübung des Gewerbes vorgeschriebenen persönlichen Voraussetzungen entsprechen; handle es sich um ein Gewerbe, für das die Erbringung eines Befähigungsnachweises erforderlich sei, so müsse der gemäß § 9 Abs. 1 zu bestellende Geschäftsführer einer juristischen Person außerdem 1. dem zur gesetzlichen Vertretung berufenen Organ der juristischen Person angehören oder 2. ein mindestens zur Hälfte der wöchentlichen Normalarbeitszeit im Betrieb beschäftigter, nach den Bestimmungen des Sozialversicherungsrechtes vollversicherungspflichtiger Arbeitnehmer sein. Die bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesgesetzes, BGBl. Nr. 29/1993, geltenden Bestimmungen des § 39 Abs. 2 leg. cit. gelten für Personen, die am 1. Juli 1993 zum Geschäftsführer bestellt gewesen seien, bis zum Ablauf des 31. Dezember 1998 weiter. Das bedeute also, dass ab 1. Juli 1993 für Kapitalgesellschaften ein Prokurist nicht mehr zum gewerberechtlichen Geschäftsführer bestellt werden könne. Die juristische Person müsse ihren gewerberechtlichen Geschäftsführer aus dem Kreis der handelsrechtlichen Geschäftsführer oder der Arbeitnehmer, die zumindest die Hälfte der Normalarbeitszeit im Betrieb tätig und vollversicherungspflichtig seien, bestellen. Für jene Prokuristen, die mit 1. Juli 1993 bei der Behörde als gewerberechtliche Geschäftsführerin registriert seien, gelte eine Übergangsfrist bis 31. Dezember 1998.

Zentrale Voraussetzung für den Anspruch auf Arbeitslosengeld und Notstandshilfe sei das Vorliegen von Arbeitslosigkeit. Der Beschwerdeführer sei ab 1990 und damit doch nahezu ein Jahrzehnt hindurch gewerberechtlicher Geschäftsführer und Prokurist einer GmbH gewesen. Der Beschwerdeführer sei auch mit Ende der genannten Übergangsfrist ab 1. Jänner 1999 nicht zum handelsrechtlichen Vertreter bestellt worden. Der Beschwerdeführer könne der GmbH daher nur als Arbeitnehmer mit Mindestarbeitsverpflichtung und voller Versicherungspflicht zur Verfügung gestanden sein. Unkenntnis einer gehörig kundgemachten Bestimmung könne der Beschwerdeführer nicht erfolgreich einwenden. Soweit Uninformiertheit bei der GmbH vorgelegen sei, deren gewerberechtlicher Geschäftsführer und Prokurist der Beschwerdeführer über Jahre gewesen sei, könne dies eine anders lautende Beurteilung nicht herbeiführen. Nachdem der volle Sachverhalt erst nachträglich bekannt geworden sei, sei die Zuerkennung der Leistungen zu Recht widerrufen und die im Zeitraum 1. Jänner bis 31. Oktober 1999 ausbezahlten Leistungen wieder zurückgefordert worden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben. Der Beschwerdeführer macht zusammengefasst geltend, der von der belangten Behörde festgestellte Sachverhalt rechtfertige nicht den Widerruf der Zuerkennung und die Rückforderung der Leistung; der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt sei überhaupt noch nicht festgestellt worden. Die belangte Behörde habe nicht festgestellt, ob er tatsächlich die Tätigkeit des gewerberechtlichen Geschäftsführers ausgeübt und dadurch ein Einkommen erzielt habe.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Vorausgeschickt sei, dass der Beschwerdeführer seine Anwartschaft auf die Geldleistungen aus der Arbeitslosenversicherung nicht als Beschäftigter jenes Unternehmens erworben hat, für welches er zum gewerberechtlichen Geschäftsführer bestellt worden ist. Es ist daher auch nicht unrichtig, dass das Dienstverhältnis des Beschwerdeführers zur Gänze aufgelöst ist.

Die Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gehen zutreffend davon aus, dass § 39 Abs. 2 Gewerbeordnung in der Fassung BGBl. Nr. 29/1993 für einen gewerberechtlichen Geschäftsführer einer juristischen Person u.a. normiert, dass dieser dem zur gesetzlichen Vertretung berufenen Organ der juristischen Person angehören oder ein zumindest zur Hälfte der wöchentlichen Arbeitszeit im Betrieb beschäftigter, nach den Bestimmungen des Sozialversicherungsrechtes vollversicherungspflichtiger Arbeitnehmer sein muss. Unstrittig ist, dass der Beschwerdeführer im Streitzeitraum gewerberechtlicher Geschäftsführer einer GmbH war. Daraus schloss die belangte Behörde, dass der Beschwerdeführer seiner Verpflichtung als gewerberechtlicher Geschäftsführer nur als ein mindestens zur Hälfte der wöchentlichen Arbeitszeit im Betrieb beschäftigter, nach den Bestimmungen des Sozialversicherungsrechtes vollversicherungspflichtiger Arbeitnehmer habe nachkommen können. Aus dieser Bestimmung ergebe sich aber, dass der Beschwerdeführer daher im Streitzeitraum nicht arbeitslos gewesen sei.

Die sich gegen diese Auffassung wendende Beschwerde ist begründet. Die Bestellung zum gewerberechtlichen Geschäftsführer bedeutet auch nach § 39 Abs. 2 der Gewerbeordnung in der Fassung BGBl. Nr. 29/1993 noch nicht, dass ein solcher gewerberechtlicher Geschäftsführer nicht arbeitslos ist (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 30. September 1997, 96/08/0084, und vom 29. März 2000, 98/08/0073). Arbeitslos kann ein solcher gewerberechtlicher Geschäftsführer nur dann sein, wenn er nicht ein mindestens zur Hälfte der wöchentlichen Arbeitszeit im Betrieb beschäftigter, nach den Bestimmungen des Sozialversicherungsrechtes vollversicherungspflichtiger Arbeitnehmer ist. Die Voraussetzungen hiefür wurden vom Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren bestritten. Die belangte Behörde setzte sich ausgehend von ihrer Rechtsauffassung, ein gewerberechtlicher Geschäftsführer sei zufolge dieser Bestimmung jedenfalls nicht arbeitslos, damit nicht auseinander. Entgegen dieser Auffassung kann man nur deshalb, weil der Beschwerdeführer gewerberechtlich verpflichtet gewesen wäre, sich in einem bestimmten Mindestumfang zu betätigen, nicht darauf schließen, dass er sich tatsächlich in diesem Umfang betätigt hat. Die belangte Behörde wäre von eigenen Ermittlungen nur dann enthoben gewesen, wenn das Bestehen eines die Voll- und die Arbeitslosenversicherungspflicht für den Streitzeitraum begründenden Beschäftigungsverhältnisses bescheidmäßig rechtskräftig festgestellt worden wäre (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 30. Juni 1998, 98/08/0129). Liegt aber wie im Beschwerdefall ein solcher Bescheid nicht vor, ist es Aufgabe der Behörde zu prüfen, ob der gewerberechtliche Geschäftsführer im Betrieb beschäftigt wird und zwar in einer Weise, die die Vollversicherungspflicht nach den Bestimmungen des ASVG begründet. Nur ein solcherart Beschäftigter ist nicht als arbeitslos zu bezeichnen (§ 12 Abs. 3 lit. a i.V.m. Abs. 6 lit. a AlVG). Verneinendenfalls ist zu prüfen, ob der Beschwerdeführer auf sonstige Weise durch seine Erwerbstätigkeit als gewerberechtlicher Geschäftsführer die Einkommensgrenzen überschritten hat. Da die belangte Behörde ausgehend von ihrer unrichtigen Rechtsauffassung solche Ermittlungen unterließ, belastete sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes. Dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.

Wien, am 19. Februar 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2000080054.X00

Im RIS seit

05.05.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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