TE Vfgh Erkenntnis 1999/12/17 B1526/98

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Veröffentlicht am 17.12.1999
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Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

VfGG §82 Abs1

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Abweisung des Antrags eines Arztes betreffend Honorarforderungen gegen die Gebietskrankenkasse aus einem Einzelvertrag

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Der Beschwerdeführer ist Arzt für Allgemeinmedizin in Tirol. Er hat am 20. März 1974 mit der Tiroler Gebietskrankenkasse einen Einzelvertrag abgeschlossen, den diese zum 31. Dezember 1996 gekündigt hat. Unter Berufung darauf, daß die zwischen dem Hauptverband der Sozialversicherungsträger für die Tiroler Gebietskrankenkasse einerseits und der Tiroler Ärztekammer andererseits abgeschlossene Honorarordnung wegen Verkürzung über die Hälfte nichtig und nach §879 ABGB sittenwidrig sei, begehrte der Beschwerdeführer mit näherer Begründung zunächst mit Bescheidantrag vom 29. Oktober 1996 in einem Fall eine Honorarnachzahlung aus diesem Vertragsverhältnis in Höhe der von ihm errechneten Differenz von öS 120,-- zwischen der tatsächlich erfolgten und der seiner Meinung nach angemessenen Honorierung. Mit Schriftsatz vom 22. April 1997 hat der Beschwerdeführer seinen Antrag auf weitere, seiner Auffassung nach seit Abschluß des Einzelvertrages entstandene Ansprüche, insgesamt in der Höhe von öS 11.304.000,-- ausgedehnt.

1.2. Über (auch auf das ursprüngliche Begehren bezogenen) Antrag des Beschwerdeführers ging infolge Ablaufs der gesetzlichen Entscheidungsfrist die Entscheidungsbefugnis über den genannten Antrag von der paritätischen Schiedskommission auf die Landesberufungskommission für Tirol über. Die Landesberufungskommission bejahte (ohne Einschränkung auf den ursprünglichen Antrag des Beschwerdeführers) das Vorliegen der Voraussetzungen für den Zuständigkeitsübergang und ihre Zuständigkeit zur Entscheidung über den Antrag des Beschwerdeführers, wies diesen jedoch - mit ausführlicher Begründung - ab. Die Landesberufungskommission sprach dabei nur über das ursprüngliche Begehren des Beschwerdeführers ab. Über die weiteren, mit Schriftsatz vom 22. April 1997 geltend gemachten Ansprüche des Beschwerdeführers entschied die Landesberufungskommission nicht.

1.3.1. Ihre Zuständigkeit zur Entscheidung über den Antrag des Beschwerdeführers leitet die Landesberufungskommission im Kern daraus ab, daß sie im Zuge der Entscheidung über Streitigkeiten aus dem Einzelvertrag auch die Gültigkeit von Bestimmungen des Gesamtvertrages zu beurteilen habe, die gemäß §341 Abs3 ASVG zugleich Inhalt des dem vor ihr auszutragenden Rechtsstreit zugrunde liegenden Einzelvertrages seien. Diese Zuständigkeit zur inzidenten Beurteilung der Gültigkeit solcher Vertragsbestimmungen entfalte freilich keine Bindungswirkung gegenüber den Parteien des jeweiligen Gesamtvertrages, weshalb durch die Inanspruchnahme ihrer Zuständigkeit auch nicht unzulässig in die Kompetenzen der zur Entscheidung über die Geltung und Anwendung (von Bestimmungen) eines Einzelvertrages zuständigen Landesschiedskommission bzw. der Bundesschiedskommission eingegriffen werde.

1.3.2. In der Sache selbst führte die Landesberufungskommission zunächst aus, daß der Anspruch des Beschwerdeführers auf Grund der Regelung des §36 Abs6 des Gesamtvertrages bereits präkludiert sei. Weiters begründete die Landesberufungskommission ihre Entscheidung im wesentlichen damit, daß die angegriffene Honorarordnung weder sittenwidrig noch nach den Gesichtspunkten des Gleichheitssatzes nichtig, sondern bei Berücksichtigung der den Inhalt der Gesamtverträge determinierenden Bestimmung des §342 ASVG durchaus sachlich und ausgewogen sei. Die Landesberufungskommission führte aus:

"(E)ine Nichtigkeit der hier in Frage stehenden Bestimmung ist nicht gegeben. Der ASt meinte, daß deswegen Nichtigkeit vorliege, weil eine Honorarlimitierung bei den gegenständlichen Standarduntersuchungen kraß sachwidrig sei. Bei der Häufigkeit der in Frage stehenden Untersuchungen werden weder das Material noch die Leistung selbst kostendeckend bzw. angemessen honoriert.

Hier ist zunächst auf die Bestimmung des §342 Abs2 ASVG Bedacht zu nehmen. Der Gesetzgeber wollte bei der Erlassung dieser Bestimmung eine Abkehr vom früher üblichen Fallpauschale und mehr Leistungsgerechtigkeit bei der Vergütung ärztlicher Leistungen erreichen. Ein strikter Auftrag, die Honorierung ausschließlich nach Einzelleistungen vorzunehmen, kann in dieser gesetzlichen Anordnung nicht erblickt werden, was die Formulierung 'grundsätzlich' nahelegt. Auch zeigt die Bestimmung des §131 Abs1 letzter Satz ASVG, daß der Gesetzgeber nach wie vor mit pauschalen Vergütungsformen rechnet. Ein reines Einzelleistungssystem birgt die Gefahr einer weithin unkontrollierbaren Leistungs- und Kostenausweitung mit sich. Deswegen ist in §342 Abs2 ASVG für den Gesamtvertrag eine Begrenzung der Ausgaben der Krankenversicherungsträger für die vertragsärztlichen Leistungen einschließlich der Wahlarzthilfe vorgesehen. Die vom Gesetz als gesollt formulierte Gesamtausgabenbegrenzung läßt sich mit einem reinen Einzelleistungssystem nicht vereinbaren. Hiezu kommt, daß gemäß §342 Abs1 Z3 ASVG der Gesamtvertrag für eine wirtschaftliche Behandlungs- und Verschreibweise zu sorgen hat. Damit ist klargestellt, daß der Krankenversicherungsträger nicht nur auf die Rolle eines reinen Zahlers beschränkt sein soll, sondern im Sinne des Wirtschaftlichkeitsgebotes auch auf die ärztliche Leistungserbringung Einfluß nehmen soll. Die Honorargestaltung gehört mit Sicherheit zu den Mitteln, mit denen die Kosten der ärztlichen Hilfe beeinflußt werden können. Damit ist ein Mischsystem zwischen Pauschalierung und Einzelleistung durchaus zulässig (vgl. Grillberger in Strasser, a.a.0, 357).

Unter diesem Blickwinkel sind auch die vom ASt kritisierten Limitierungsbestimmungen zu betrachten; sie sind nach Ansicht der Landesberufungskommission zulässig. Jede Gesamtausgabenbegrenzung führt dazu, daß die einzelnen Leistungen des Vertragsarztes umso geringer vergütet werden, je mehr Leistungen von der Ärzteschaft insgesamt erbracht werden, wobei degressive Honorargestaltungen und Limitierungsbestimmungen ein zulässiges Mittel darstellen. Der Vertragsarzt ist vor Überraschungen sicher, weil im vorhinein Punktewerte feststehen und die Limitierungen bekannt sind. Aus dem Vorrang des Einzelleistungssystems folgt auch nicht, daß jede Einzelleistung für sich betrachtet abgegolten sein muß, weil es sachliche Gründe gibt, gewisse Leistungen zu pauschalieren. Vor allem bezogen auf die Problematik der Überarztung lassen in gewissem Umfang Pauschalierungen zulässig erscheinen (Grillberger, a.a.0. 364).

Der Antragsteller kann aus den dargestellten gesetzlichen Bestimmungen weder ein Recht auf ein sozialadäquates Einkommen ableiten, weil, wie Grillberger a.a.O. überzeugend aufzeigt, dadurch einer umfassenden Interessenabwägung nicht Rechnung getragen würde. Denn es sind auch die Beitragsverpflichtungen zu berücksichtigen, die Zugänglichkeit von Kassenarztstellen und auch der Aspekt der kostengünstigen Auslastung von Apparaten. In diesem Sinne ist den Parteien des Gesamtvertrages ein entsprechender Spielraum zuzubilligen, insbesondere auch im Hinblick auf Limitierungsbestimmungen, die als unbdenklich anzusehen sind, solange sie sich auf durchschnittliche Erfahrungswerte stützen können. Daß dieser Spielraum verlassen worden wäre, wird vom ASt nicht behauptet. Vor allem ist aber die vom ASt ins Spiel gebrachte (angeblich mangelnde) Kostendeckung keinesfalls hier bedenklich, weil aus dem Gesichtspunkt der auch vom Gesetzgeber geforderten Gesamtausgabenbegrenzung eine globale Betrachtungsweise angebracht ist. Dieser wird die Herausnahme einer einzigen Leistung aus einer Vielzahl von Leistungen, die der ASt nach dem Gesamtvertrag erbringen kann, nicht gerecht.

Den Parteien der Gesamtverträge steht ein Gestaltungsspielraum offen, der nicht in willkürlicher oder unverhältnismäßiger Weise ausgenützt werden darf. vgl. Tomandl, a.a.O.). Ebenso wie Art8 EMRK richtet sich der Gleichheitsgrundsatz (Art7 B-VG, Art2 StGG) auch an den Gesetzgeber (VfSLG 13327/1993). Er setzt ihm insofern inhaltliche Schranken, als er verbietet, sachlich nicht begründbare Regelungen zu treffen (vgl. zB VfSLG 8457/1978, 10064/1984, 10084/1984 ua). Innerhalb dieser Schranken ist es dem Gesetzgeber von der Verfassung durch den Gleichheitsgrundsatz nicht verwehrt, seine politischen Zielvorstellungen auf die ihm geeignet erscheinende Art zu verfolgen (vgl. VfSLG 7864/1976, 7996/1977). Ob eine Regelung zweckmäßig ist, ob mit ihr der optimale Weg zur Zielerreichnung beschritten wird, sind Fragen, die nicht unter dem Blickwinkel des Gleichheitsgebotes zu prüfen sind. Es können auch mehrere, inhaltlich voneinander abweichende Bestimmungen gleichheitsgemäß sein(.) Ein Gesetz ist nicht schon dann gleichheitswidrig, wenn sein Ergebnis nicht in allen Fällen als befriedigend angesehen werden kann (vgl. Erkenntnis B154/93, G171/94 mwN).

Diese Überlegungen sind auch auf die hier zu beurteilenden Normenverträge zu übertragen und es ist insbesondere zu prüfen, welche Vorgaben vom Gesetzgeber den Vertragspartnern des Gesamtvertrages gemacht wurden. Dieser Gestaltungsspielraum - wie bereits dargestellt - wird vom Gesetzgeber in §342 Abs2 letzter Satz ASVG dahingehend determiniert, daß die Gesamtverträge eine Begrenzung der Ausgaben der Träger der Krankenversicherung für die vertragsärztliche Tätigkeit enthalten sollen. Insoweit ist der Verhandlungsspielraum, der bei den Honarordnungen eine wesentliche Bedeutung hat, der abschließenden Parteien jedenfalls im Sinne eines wirtschaftlichen, jedoch an den Bedürfnissen der ausreichenden medizinischen Versorgung orientierten Ermessens zu verstehen. Dies bedeutet somit grundsätzlich einmal, daß jedenfalls nicht jeder Arzt (praktischer und Facharzt) uneingeschränkt alle Leistungen erbringen können muß, die in den Honorarordnungen enthalten sind. Zum einen rechtfertigt der Gesichtspunkt der Ausbildung eine Einschränkung, um eine solche Reduzierung vorzunehmen. Wenn für spezifische Leistungen eine besondere Qualifikation verlangt wird, kann dies nie unsachlich oder gar gleichheitswidrig sein. In diesem Sinn hält auch der OGH die Limitierung und auch eine gewisse Pauschalierung für sachlich gerechtfertigt (10 Ob S 153/94 = SSV-NF 8/72).

Darüberhinaus hat der Patient auch sicher keinen Anspruch darauf, bei jedem Arzt jede nur erdenkliche Behandlung (auch die nach den Gesamtverträgen von Fachärzten zu erbringende) geboten zu bekommen, weil hier im Sinne des §342 Abs1 Z.1 ASVG die entsprechenden Vorgaben vorhanden sind und die ärztliche Versorgung der Bevölkerung (damit auch die Festsetzung der Zahl und Verteilung der Vertragsärzte) sicherzustellen ist. In diesem Sinne ist es ein durchaus sinnvoller, gleichfalls in der Honorarordnung zum Ausdruck gebrachter Gesichtspunkt, daß für entsprechende Leistungen auch entsprechende apparitive Voraussetzungen gefordert werden. Gerade aus dem Gesichtspunkt einer ökonomischen Gesamtbetrachtung ist eine gewisse Steuerung des Geräteeinsatzes auch im Wege der Honorierung durchaus sinnvoll und vom Sachlichkeitsgebot her nicht zu beanstanden. Hiezu führt Grillberger in SozSi 1991, 538 überzeugend aus, daß der hier in Frage stehende Verrechnungsvorbehalt gewisser Leistungen zugunsten gewisser Ärztegruppen den jeweiligen Gruppen eine genügende Anzahl von Patienten sichern soll, damit sich die Anschaffungen auch rentieren. Diese Vorbehalte verhindern und erschweren, daß sich jeder oder viele Ärzte teure Geräte anschaffen und dann gezwungen sind, Leistungen zu erbringen, die möglicherweise gar nicht notwendig sind und die Versichertengemeinschaft sogar belasten. Zu berücksichtigen sind nicht nur die Interessen des AST als praktischer Arzt, sondern auch jene der gesamten Ärzteschaft und der Patienten andrerseits, die durch die vorliegenden

Verrechnungsvorbehalte/Limitierungsbestimmungen in der Regel einen spezialisierten und gerätemäßig optimal ausgestatteten Facharzt als Vertragsarzt in Anspruch nehmen können. Der Versicherte hat, wie Schrammel es in 'Veränderungen des Krankenbehandlungsanspruches durch Vertragspartnerrecht' ZAS 1986, 145 ff ausdrückt, keinen Anspruch auf Sachleistungsgewähr um jeden Preis wie im übrigen die Versicherungsträger kraft Gesetzes dazu verhalten sind, unter anderem darauf zu achten, daß teure Geräte möglichst ausgelastet werden wie es im übrigen wohl auch im Interesse des Versicherten liege, daß Spezialbehandlungen vom Spezialisten erbracht werden. Von einer Einschränkung der Sachleistungspflicht deswegen, weil der AST nicht uneingeschränkt und voll honoriert alle Laborleistungen erbringen darf - auch wenn er es von der Ausbildung und der Ausstattung her könnte - kann keine Rede sein.

Dieser Interessenausgleich zwischen verschiedenen Ärztegruppen ist im übrigen nicht nur von der 'Willkür' der einen Gesamtvertrag abschließenden Parteien getragen, sondern ergibt sich wohl zwingend aus der Gestaltung des Ärzterechtes insgesamt. Durch das Ärztegesetz selbst ist die Unterscheidung in 'Arzt für Allgemeinmedizin' und 'Facharzt' vorgegeben und es kann wohl dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, daß er im Hinblick auf die fachspezifische Ausbildung weder den Allgemeinmediziner benachteiligen noch den Facharzt bevorzugen wollte, sondern im vorrangigen Interesse der Patienten eine 'Arbeitsteilung' zwischen den einzelnen Ärztegruppen vornehmen wollte. Wenn diese Arbeitsteilung in de(n) Honorarordnungen ihren Ausdruck gefunden hat, kann dies nicht beanstandet werden, und zwar auch bezogen auf die dargestellte Limitierungsbestimmung.

Der Arzt für Allgemeinmedizin soll die erste Anlaufstelle für den Patienten sein und es obliegt ihm die nicht zu unterschätzende schwierige Aufgabe zu beurteilen, ob der Patient von ihm selbst zielführend untersucht und behandelt werden kann oder ob es notwendig ist, zur zweckentsprechenden und notwendigen Untersuchung und Weiterbehandlung einen Facharzt beizuziehen. In diesem Sinne umfaßt die Bestimmung des §133 Abs2 ASVG eben auch die Weiterüberweisung eines Patienten für den Fall, daß der Arzt für Allgemeinmedizin meint, mit seinen Mitteln und Kenntnissen nicht mehr das Auslangen zu finden. Es bedeutet aber nicht, daß der Arzt für Allgemeinmedizin sich aller erdenklichen Hilfsmittel bedienen muß oder aber auch alle fachspezifischen Kenntnisse erwerben muß, um seiner Behandlungspflicht gegenüber dem Patienten ausreichend, auch im Sinne einer eine Haftung ausschließenden Behandlung nachzukommen. Diese Überlegungen zeigen letztlich, daß von einer knebelnden oder existenzgefährdenen Regelung des Gesamtvertrages (vgl. ecolex 1993, 337 = RdW 1993, 330) nicht die Rede sein (kann).

Abschließend ist noch zu bedenken, daß im Falle der vom AST behaupteten und durch Interpretation nicht zu beseitigenden (Teil) Nichtigkeit des Gesamtvertrages samt Honorarordnung es weder Sache der Paritätischen Schiedskommission noch der Berufungsbehörde sein kann, an die Stelle der angeblich nichtigen Regelungen andere zu setzen und damit die vom AST begehrten und ihm angemessen scheinenden Honoraransätze zuzuerkennen. Dies ist allein Aufgabe der vertragsschließenden Parteien und die Behörde würde sich damit außerhalb des ihr zugebilligten Ermessens bewegen (vgl. hiezu allgemein Krejci, Über unerlaubte Honorarordnungen für Kassenärzte, VersRdSch 1991, 145 ff, in diesem Sinne auch die Landesberufungskommission für Niederösterreich in SSV-NF 8/B 3 und die Landesberufungskommission für Oberösterreich in SSV-NF 8/B 9)."

2.1. Gegen diesen Bescheid der Landesberufungskommission vom 2. Juli 1998, zugestellt am 6. Juli 1998, richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und auf Gleichheit vor dem Gesetz behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.

2.2. Der Beschwerdeführer führt zunächst aus, er habe seinen Antrag mit Schriftsatz ausgedehnt. Die belangte Behörde habe ihm zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert, indem sie nur über sein ursprüngliches Begehren entschieden, die Erweiterung seines Antrages aber schlichtweg ignoriert habe. Dadurch habe sie auch in einem wesentlichen Punkt das Parteivorbringen völlig außer Acht gelassen und daher dem Beschwerdeführer gegenüber Willkür geübt.

2.3. Im übrigen wendet sich die Beschwerde gegen die von der belangten Behörde vorgenommene rechtliche Beurteilung des Antrages des Beschwerdeführers und wirft ihr im wesentlichen eine gehäufte Verkennung der Rechtslage vor.

Zu Unrecht gehe die belangte Behörde davon aus, daß gemäß §36 Abs6 der Honorarordnung Präklusion bzw. Verfall der meisten der vom Beschwerdeführer geltend gemachten Forderungen eingetreten sei.

Desgleichen sei die Ansicht der belangten Behörde unrichtig, wonach "das Problem der Sittenwidrigkeit der Honorarordnung nicht unter dem Blickwinkel des §879 ABGB ..., sondern, weil der Gesamtvertrag ein Normenvertrag sei, unter dem Blickwinkel des verfassungsrechtlich gewährleisteten Gleichheitssatzes" zu betrachten sei. In Lehre und Rechtsprechung sei längst anerkannt, daß Kollektivverträge an die Grundrechte gebunden seien. So habe auch der Verwaltungsgerichtshof in einem näher bezeichneten Erkenntnis ausgesprochen, daß die Kollektivvertragsparteien bei ihrer kollektiven Rechtsgestaltung an die Grundrechte, insbesondere an den verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz mit der Konsequenz gebunden seien, daß ein Verstoß dagegen die im Einzelfall wahrzunehmende Nichtigkeit der Regelung nach §879 ABGB zur Folge habe. Da für den Gesamtvertrag nichts anderes gelten könne, folge daraus, daß, "wenn Vertragsparteien von Gesamtverträgen den ihnen eingeräumten Gestaltungsspielraum in willkürlicher oder unverhältnismäßiger Weise ausnützen, die Nichtigkeit einer Regelung, hier der Honorarordnung, nach §879 ABGB" eintrete. Daraus schließt die Beschwerde weiters, daß die belangte Behörde verpflichtet gewesen wäre, vom Beschwerdeführer angebotene Beweise aufzunehmen, "um eine tatsächliche Willkürlichkeit der inkriminierten Regelung der Honorarordnung auch beurteilen zu können".

3.1. Die belangte Behörde hat den Verwaltungsakt ihres eigenen, trotz entsprechender Aufforderung des Verfassungsgerichtshofes aber nicht den des Verfahrens vor der paritätischen Schiedskommission vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen. Soweit der Sachverhalt ohne Berücksichtigung der Akten über das Verfahren vor der paritätischen Schiedskommission nicht geklärt werden kann, ist daher gemäß §20 Abs2 VerfGG von den Behauptungen des Beschwerdeführers auszugehen.

3.2. Im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof hat die Tiroler Gebietskrankenkasse als mitbeteiligte Partei eine Äußerung erstattet. Darin behauptet sie, der Erweiterungsantrag sei bei der paritätischen Schiedskommission zu eigener Zahl und gesonderter Behandlung zu Protokoll genommen worden, was dem Beschwerdeführer bekannt (gewesen) sein müsse. Die weiteren vom Beschwerdeführer geltend gemachten Ansprüche seien daher gar nicht Gegenstand des Verfahrens vor der Landesberufungskommission gewesen, weswegen sie auch nicht verpflichtet gewesen sei, darüber abzusprechen. In der Sache tritt die Tiroler Gebietskrankenkasse den Ausführungen des Beschwerdeführers entgegen und beantragt die Abweisung der Beschwerde.

3.3. Der Beschwerdeführer hat auf die Äußerung der mitbeteiligten Partei repliziert. Er führt aus, daß ihm zwar die bei der paritätischen Schiedskommission über seinen Erweiterungsantrag angelegte Aktenzahl, nicht aber diejenige des ursprünglichen Verfahrens bekannt gewesen sei, weshalb er auch bei Aufwendung der nötigen Sorgfalt nicht habe wissen können, daß die paritätische Schiedskommission seine Anträge offenbar zur abgesonderten Behandlung vorgesehen gehabt habe.

3.4. Mit (weiterem) Schriftsatz vom 15. April 1999 ergänzt der Beschwerdeführer sein Vorbringen und bringt weitere Bedenken gegen den angefochtenen Bescheid und die ihn tragenden Rechtsvorschriften vor.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Die im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Rechtsvorschriften lauten:

1.1. §341 ASVG lautet auszugsweise:

"(1) Die Beziehungen zwischen den Trägern der Krankenversicherung und den freiberuflich tätigen Ärzten werden durch Gesamtverträge geregelt, die für die Träger der Krankenversicherung durch den Hauptverband mit den örtlich zuständigen Ärztekammern abzuschließen sind. Die Gesamtverträge bedürfen der Zustimmung des Trägers der Krankenversicherung, für den der Gesamtvertrag abgeschlossen wird. Die Österreichische Ärztekammer kann mit Zustimmung der beteiligten Ärztekammer den Gesamtvertrag mit Wirkung für diese abschließen.

...

(3) Der Inhalt des Gesamtvertrages ist auch Inhalt des zwischen dem Träger der Krankenversicherung und dem Arzt abzuschließenden Einzelvertrages. Vereinbarungen zwischen dem Träger der Krankenversicherung und dem Arzt im Einzelvertrag sind rechtsunwirksam, insoweit sie gegen den Inhalt eines für den Niederlassungsort des Arztes geltenden Gesamtvertrages verstoßen.

..."

1.2. §§344 bis 346 ASVG lauten auszugsweise:

"Paritätische Schiedskommission

§344. (1) Zur Schlichtung und Entscheidung von Streitigkeiten, die in rechtlichem oder tatsächlichem Zusammenhang mit dem Einzelvertrag stehen, ist im Einzelfall in jedem Land eine paritätische Schiedskommission zu errichten. Antragsberechtigt im Verfahren vor dieser Behörde sind die Parteien des Einzelvertrages.

(...)

(3) Die paritätische Schiedskommission ist verpflichtet, über einen Antrag ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach dessen Einlangen, mit Bescheid zu entscheiden. Wird der Bescheid dem Antragsteller innerhalb dieser Frist nicht zugestellt oder wird dem Antragsteller schriftlich mitgeteilt, daß wegen Stimmengleichheit keine Entscheidung zustande kommt, geht auf schriftliches Verlangen einer der Parteien die Zuständigkeit zur Entscheidung an die Landesberufungskommission über. Ein solches Verlangen ist unmittelbar bei der Landesberufungskommission einzubringen. Das Verlangen ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf Stimmengleichheit oder nicht ausschließlich auf ein Verschulden der Behörde (§73 AVG 1950) zurückzuführen ist.

(4) Gegen einen Bescheid der paritätischen Schiedskommission kann Berufung an die Landesberufungskommission erhoben werden.

Landesberufungskommission

§345. (1) Für jedes Land ist auf Dauer eine Landesberufungskommission zu errichten. (...)

(2) Die Landesberufungskommission ist zuständig:

1. zur Entscheidung über Berufungen gegen Bescheide der paritätischen Schiedskommission und

2. zur Entscheidung auf Grund von Devolutionsanträgen gemäß §344 Abs3.

(...)".

2.1. Ein willkürliches Verhalten kann der Behörde unter anderem dann vorgeworfen werden, wenn sie den Beschwerdeführer aus unsachlichen Gründen benachteiligt hat oder aber, wenn der angefochtene Bescheid wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht (zB VfSlg. 10337/1985, 11436/1987).

Einer Behörde kann aber auch dann, wenn sie unrichtig entschieden hat, nicht Willkür zur Last gelegt werden, sofern sie nur bemüht war, richtig zu entscheiden, indem sie Gründe und Gegengründe gegeneinander abgewogen hat. Dies bedeutet, daß es unter dem Blickwinkel des Gleichheitssatzes in der Regel nicht ausreichen würde, wenn die Behörde nur die für die Abweisung eines Anspruches maßgeblichen Gründe aufzählt, es jedoch unterläßt, sich mit den Gründen auseinanderzusetzen, die für die Bejahung der Anspruchsberechtigung zu sprechen scheinen, so daß sie gar nicht in die Lage kommen könnte, Gründe und Gegengründe einander gegenüberzustellen und dem größeren Gewicht der Argumente den Ausschlag geben zu lassen (zB VfSlg. 9665/1983, 12102/1989, 12477/1990).

2.2. Die belangte Behörde hat sich ausführlich nicht nur mit der Argumentation des Beschwerdeführers einerseits und seiner Antragsgegnerin andererseits, sondern auch mit in der Literatur und der Rechtsprechung vertretenen Auffassungen zum Gegenstand ihrer Entscheidung auseinandergesetzt. Sie hat umfassend Gründe und Gegengründe gegeneinander abgewogen und alle notwendigen rechtlichen Elemente ihrer Entscheidung erörtert.

Es kann aus der Sicht des vorliegenden Beschwerdefalls dahinstehen, ob die Nichtigkeit gesamtvertraglicher Bestimmungen unmittelbar aus den Grundrechten und insbesondere dem Gleichheitssatz herrühren, oder ob ein Widerspruch zu diesen Grundrechten (bloß) ihre Sittenwidrigkeit im Sinne des §879 ABGB herbeiführen kann bzw. ob zusätzlich zu den Maßstäben, die sich aus den Grundrechten ergeben, auch andere Überlegungen über die Sittenwidrigkeit von Verträgen auf Gesamtverträge angewendet werden können, wie die Beschwerde meint.

Die belangte Behörde hatte schon deshalb keine Veranlassung, in ein Ermittlungsverfahren zur Frage der Angemessenheit der Honorarordnung einzutreten, weil diese als Resultat von Verhandlungen zwischen Interessenvertretungen, die einander widerstreitende Interessen zu vertreten haben, Ausdruck des zwischen diesen gegenbeteiligten Interessen erzielten Interessenausgleichs sind und insoweit auch die Vermutung der Angemessenheit der zu erbringenden Leistungen und des für diese Leistungen geschuldeten Entgelts für sich haben. Besondere Umstände, welche die Angemessenheit der Honorarordnung in Zweifel ziehen könnten, wurden vom Beschwerdeführer nicht behauptet. Die Unterlassung von Ermittlungen durch die belangte Behörde zur Frage der Angemessenheit der Honorarordnung vermag daher den Vorwurf der Willkür nicht zu begründen.

Ob die belangte Behörde zu Recht Verfristung der geltend gemachten Forderung des Beschwerdeführers angenommen hat, kann im Hinblick darauf dahingestellt bleiben.

Die belangte Behörde hat demnach gegenüber dem Beschwerdeführer keine Willkür geübt. Ob aber der angefochtene Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu beurteilen. Dies auch dann nicht, wenn die belangte Behörde nach der Vorschrift des Art133 Z4 B-VG eingerichtet und die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes zur Überprüfung ihrer Entscheidung ausgeschlossen ist (vgl. VfSlg. 13762/1994 mit Hinweisen auf die Vorjudikatur).

3.1. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt (zB VfSlg. 9696/1983), etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 10374/1985, 11405/1987, 13280/1992).

3.2. Die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer keineswegs, wie die Beschwerde meint, eine Sachentscheidung über das mit Schriftsatz vom 22. April 1997 vorgetragene - erweiterte - Begehren verweigert. Sie hat insbesondere mit keinem Wort zum Ausdruck gebracht, daß sie den Antrag des Beschwerdeführers insoweit zurückweisen oder über diesen Antrag überhaupt absprechen wollte. Sie hat vielmehr diesen Antrag unerwähnt und damit unerledigt gelassen. Ob die belangte Behörde inzwischen diesen weiteren Antrag des Beschwerdeführers erledigt hat oder ob er durch ein im Akt erliegendes Schreiben des Beschwerdeführers vom 24. August 1998 mit zurückgezogen ist, hat der Verfassungsgerichtshof aus dem Blickwinkel des vorliegenden Beschwerdefalles nicht zu klären.

Die belangte Behörde hat nach dem Gesagten den Beschwerdeführer auch nicht in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

4.1. Die vom Beschwerdeführer behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat somit nicht stattgefunden. Auf das weitere, mit Schriftsatz vom 15. April 1998 beim Verfassungsgerichtshof eingebrachte Vorbringen des Beschwerdeführers ist angesichts des zu diesem Zeitpunkt bereits erfolgten Ablaufes der sechswöchigen Beschwerdefrist, innerhalb derer eine Beschwerde auch ausgetauscht oder ergänzt werden kann, nicht gesondert einzugehen.

4.2. Das Verfahren hat aber auch nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in sonstigen, insbesondere den vom Beschwerdeführer in diesem Schriftsatz ins Treffen geführten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, daß er in seinen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde (vgl. bereits VfSlg. 14909/1997; vgl. aber auch das Erkenntnis B3077/97 vom 16.12.1999).

5. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

VfGH / Fristen, VfGH / Antrag, VfGH / Verfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1999:B1526.1998

Dokumentnummer

JFT_10008783_98B01526_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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