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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Nichtowitz, über die Beschwerde des J (alias D) in Traiskirchen, geboren 1930, vertreten durch Mag. Sylvia Hafner, Rechtsanwalt in 2514 Traiskirchen, Hauptplatz 17/D2, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 4. November 1999, Zl. 212.658/0-VI/17/99, betreffend §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Irak, reiste am 19. Juni 1999 gemeinsam mit seiner Ehefrau mit dem Flugzeug in das Bundesgebiet ein. Vor der Bundespolizeidirektion Wien gab der Beschwerdeführer als Reiseziel einen aus medizinischen Zwecken geplanten Aufenthalt in London an und ersuchte unter Hinweis auf die Tötung eines seiner Söhne im Irak um die Gewährung von Asyl. Er sei in seiner Heimat fast wöchentlich vom irakischen Geheimdienst festgenommen, verhört und dabei auch gefoltert worden. Seine Söhne, von denen einer hingerichtet worden und der andere in Kriegsgefangenschaft in Kuwait sei, seien kurdische Freiheitskämpfer gewesen. Auch dem Beschwerdeführer sei vom irakischen Geheimdienst vorgeworfen worden, politisch tätig gewesen zu sein.
Vor dem Bundesasylamt gab der Beschwerdeführer am 13. Juli 1999 als Grund für das Verlassen seiner Heimat an, er wolle sich in England an der Halswirbelsäule operieren lassen. Gleichzeitig bestätigte der Beschwerdeführer über Vorhalt seine Angaben vom 19. Juni 1999 und ergänzte, er sei im Irak seit fünf oder sechs Jahren wegen seiner Söhne "alle drei Tage verhaftet und verhört" worden. Bei diesen Verhören habe man ihn mit dem Gewehrkolben geschlagen und mit Füßen auf die Hoden getreten, weshalb er nur mehr einen Hoden habe. Das Bundesasylamt hielt die Angaben des Beschwerdeführers über seine Verfolgung für unglaubwürdig und wies den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 16. August 1999 gemäß § 7 AsylG ab. Gleichzeitig sprach die Erstbehörde gemäß § 8 AsylG aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak zulässig sei.
Gegen diese Entscheidung erhob der Beschwerdeführer Berufung. Darin wendete er sich gegen die Beweiswürdigung der Erstbehörde, die nicht berücksichtigt habe, dass bei derart schweren Verfolgungshandlungen, wie sie der Beschwerdeführer geschildert habe, "fast zwingend" von einer Traumatisierung ausgegangen werden müsse. Diese führe dazu, dass bei der Schilderung von Fluchtgründen mit der Darstellung von Nebensächlichkeiten begonnen werde und die eigentlichen Fluchtgründe zunächst gar nicht genannt würden. Die Erstbehörde hätte daher ein psychologisches Gutachten darüber in Auftrag geben müssen, "ob" im Fall des Beschwerdeführers eine posttraumatische Belastungsstörung vorliege.
Am 8. Oktober 1999 führte die belangte Behörde mit dem Beschwerdeführer eine mündliche Verhandlung durch. Der Beschwerdeführer gab an, den Irak aus zwei Gründen, nämlich einerseits wegen der Verfolgung durch den Geheimdienst und andererseits wegen der notwendigen medizinischen Behandlung, verlassen zu haben. Über Vorhalt, dass seine Ehegattin bereits vor der belangten Behörde ausgesagt habe, von den Verhaftungen des Beschwerdeführers nichts gewusst zu haben, gab der Beschwerdeführer an, er habe "diese Angelegenheit" seiner Frau nicht erzählt. In der Verhandlung gab die Ehegattin des Beschwerdeführers befragt zu den Fluchtgründen an, der alleinige Grund für die Ausreise aus dem Irak sei die geplante medizinische Behandlung des Beschwerdeführers in London gewesen, ohne die ihr Mann sterben müsse. Sie seien jedoch mit Wissen und Willen der irakischen Behörden ausgereist, wobei die Ehegattin des Beschwerdeführers überzeugt sei, dass ihr Mann bei seiner Rückkehr in seine Heimat "überhaupt keine Probleme" mit den irakischen Behörden haben werde. Diesen Angaben seiner Ehegattin entgegnete der Beschwerdeführer in der Berufungsverhandlung, "dass jeder Iraker, der aus dem Ausland in den Irak zurückkommt, von Saddam hingerichtet wird".
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß den §§ 7 und 8 AsylG ab und stellte begründend fest, der Beschwerdeführer sei irakischer Staatsangehöriger der kurdischen Volksgruppe, wohingegen seine sonstige Identität nicht geklärt sei. Der Beschwerdeführer habe seinen Heimatstaat mit Wissen und Willen der irakischen Sicherheitsbehörden mit einem irakischen Reisepass aus dem alleinigen Grund verlassen, sich in London medizinisch behandeln zu lassen. Im Falle einer Rückkehr in den Irak habe der Beschwerdeführer "keine Probleme durch die irakischen Behörden zu erwarten", wozu die belangte Behörde beweiswürdigend auf die Aussage der Ehegattin und deren fehlende Kenntnis von den angeblich zahlreichen Verhören des Beschwerdeführers verwies.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Die Beschwerde gesteht zunächst zu, dass die Divergenz der Angaben des Beschwerdeführers und seiner Ehegattin zum Teil "erheblich" seien. Der Beschwerdeführer meint allerdings, dass gerade deshalb das von ihm beantragte psychologische Gutachten "von Interesse gewesen" wäre, da in vielen Fällen Verfolgungshandlungen und mögliche Folterungen oder Misshandlungen bei den Betroffenen "zu einer Neigung" führten, derartige Sachverhalte zum Teil "drastisch zu überhöhen". Mit diesem Vorbringen ist für die Beschwerde schon deshalb nichts zu gewinnen, weil für den Verwaltungsgerichtshof nicht nachvollziehbar ist, inwieweit eine gutachterlich (allenfalls) bestätigte Neigung des Beschwerdeführers zu Übertreibungen die Glaubwürdigkeit seines Vorbringens gerade stärken sollte.
Im Übrigen verweist die Beschwerde aber darauf, dass der Beschwerdeführer "kurdischer Nationalität" sei und "bereits dadurch" einer erhöhten staatlichen Verfolgung im Irak ausgesetzt sei. In der Verhandlung hat der Beschwerdeführer, wie erwähnt, ausgeführt, er sei davon überzeugt, dass jeder Iraker, der aus dem Ausland in den Irak zurückkomme, dort hingerichtet werde. Die belangte Behörde ist diesem Vorbringen im angefochtenen Bescheid entgegengetreten und hat - unter ausschließlicher Bezugnahme auf die erwähnte Aussage der Ehegattin des Beschwerdeführers und unter Verzicht auf diesbezügliche weitere Ermittlungen - die Auffassung vertreten, der Beschwerdeführer habe bei seiner Rückkehr in den Irak keine Probleme mit den Behörden seines Heimatstaates zu erwarten.
In seinem Erkenntnis vom 22. November 2001, Zl. 98/20/0221, hat der Verwaltungsgerichtshof unter Bezugnahme auf vorangegangene Judikatur ausgesprochen, dass vor dem Hintergrund der besonderen politischen Verhältnisse im Irak schon der Tatsache der Asylantragstellung im Ausland die Asylrelevanz nicht von vornherein abgesprochen werden kann (vgl. dazu etwa auch das hg. Erkenntnis vom 21. November 2002, Zl. 99/20/0160). Daran ändert nichts, wenn die belangte Behörde im vorliegenden Fall davon ausgeht, dass der Beschwerdeführer "mit Wissen und Willen der irakischen Sicherheitsbehörden" zum Zwecke einer medizinischen Behandlung aus dem Irak ausgereist ist, ist doch nach dem letztzitierten Erkenntnis für den mit der Asylantragstellung verbundenen "Nachfluchtgrund" nicht etwa Voraussetzung, dass eine "latente Gefährdungslage" für den Beschwerdeführer bereits im Zeitpunkt des Verlassens des behaupteten Verfolgerstaates bestanden hat.
Da sich die belangte Behörde somit in unrichtiger Beurteilung der Rechtslage mit den Konsequenzen der Asylantragstellung des Beschwerdeführers nicht weiter auseinander gesetzt hat, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am 20. März 2003
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2000200040.X00Im RIS seit
05.05.2003