TE Vwgh Beschluss 2003/3/31 2002/14/0130

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Veröffentlicht am 31.03.2003
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Index

E1E;
E1N;
E3L E09301000;
E6J;
000;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
31/05 Förderungen Fonds Zuschüsse;
32/04 Steuern vom Umsatz;
59/04 EU - EWR;

Norm

11992E092 EGV Art92;
11992E093 EGV Art93 Abs3;
11994NN15 EU-Beitrittsvertrag Anh15;
11997E003 EG Art3 Abs1 litg;
11997E087 EG Art87;
11997E088 EG Art88 Abs3;
11997E234 EG Art234;
31977L0388 Umsatzsteuer-RL 06te Art13 TeilA Abs1 litc;
31977L0388 Umsatzsteuer-RL 06te Art17 Abs3;
31977L0388 Umsatzsteuer-RL 06te Art20;
61979CJ0730 Philip Morris / Kommission;
61992CJ0387 Banco Exterior de Espana VORAB;
61997CJ0052 Viscido VORAB;
61997CJ0295 Piaggio VORAB;
61999CJ0143 Adria-Wien Pipeline VORAB;
62000CJ0053 Ferring VORAB;
GSBG 1996 §1 Abs2;
GSBG 1996 §3 Abs1;
GSBG 1996 §3 Abs3;
GSBV 1997;
Novellen BGBl1995/021 Art14 idF 1996/756;
UStG 1994 §12 Abs10;
UStG 1994 §12 Abs11;
UStG 1994 §29 Abs5;
UStG 1994 §6 Abs1 Z19;
UStGNov 1996/756 Art2 Z2;
VwGG §38a;

Beachte

Vorabentscheidungsverfahren:* EU-Register: EU 2003/0003 * EuGH-Zahl: C-172/03 * EuGH-Entscheidung:EuGH 62003CJ0172 3. März 2005 * Enderledigung des gegenständlichen Ausgangsverfahrens im fortgesetzten Verfahren: 2005/14/0024 E 29. Juni 2005 VwSlg 8040 F/2005

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß und die Hofräte Mag. Heinzl, Dr. Zorn, Dr. Robl und Dr. Büsser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Racek, in der Beschwerdesache des DDr. W H in S, vertreten durch Dkfm. Dr. Rolf Kapferer, Wirtschaftsprüfer in 6021 Innsbruck, Salurner Straße 1, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Tirol (Berufungssenat I) vom 19. September 2002, GZ. RV 653/1-T7/01, betreffend Umsatzsteuer 1997,

den Beschluss gefasst:

Spruch

Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften wird gemäß Art 234 EG folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Stellt eine Regelung, wie sie durch Artikel XIV Z 3 des Bundesgesetzes BGBl 21/1995 in der Fassung BGBl 756/1996 angeordnet wird, also eine Regelung, nach welcher bei Ärzten der Wechsel von der Erbringung umsatzbesteuerter Umsätze zur Erbringung umsatzsteuerbefreiter Umsätze hinsichtlich der weiterhin im Unternehmen verwendeten Güter nicht zu der durch

Artikel 20 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG vorgeschriebenen Kürzung der bereits gewährten Vorsteuer führt, eine staatliche Beihilfe iSd Artikel 87 EG (bzw. Artikel 92 EGV) dar?

Begründung

1. Österreichische Rechtslage:

1.1. Steuerbefreiung für ärztliche Leistungen:

Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt sind in Österreich nach § 6 Abs 1 Z 19 UStG 1994 steuerfrei (unter Ausschluss des Vorsteuerabzuges). Gemäß § 29 Abs 5 UStG 1994 gilt diese Steuerbefreiung allerdings erst für Umsätze, die nach dem 31. Dezember 1996 ausgeführt worden sind. Ärztliche Leistungen, die vor dem 1. Jänner 1997 erbracht worden sind, waren umsatzsteuerpflichtig und unterlagen dem Normalsteuersatz. Die Sechste Richtlinie (77/388/EWG) sieht in Art 13 Teil A Abs 1 lit c für ärztliche Leistungen eine Steuerbefreiung vor. Das Hinausschieben der Inkraftsetzung dieser Steuerbefreiung in Österreich auf den 1. Jänner 1997 beruht auf dem Beitrittsvertrag Österreichs zur EU (Anhang XV des Beitrittsvertrages).

Begannen langandauernde ärztliche Leistungen (zB kieferorthopädische Behandlungen) vor dem 1. Jänner 1997, wurden sie aber erst nach dem 31. Dezember 1996 beendet, so gelten diese Leistungen als nach dem 31. Dezember 1996 erbracht und sind daher umsatzsteuerbefreit. Hat der Arzt auf derartige Leistungen vor dem Jahr 1997 Anzahlungen vereinnahmt und versteuert, ist auf diese Anzahlungen nachträglich die Steuerbefreiung anzuwenden. Eine solche steuerliche Entlastung erfolgt im Jahr 1997. 1.2. Vorsteuerberichtigung:

§ 12 Abs 10 und 11 UStG 1994 lauten:

"(10) Ändern sich bei einem Gegenstand, den der Unternehmer in seinem Unternehmen als Anlagevermögen verwendet oder nutzt, in den auf das Jahr der erstmaligen Verwendung folgenden vier Kalenderjahren die Verhältnisse, die im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung für den Vorsteuerabzug maßgebend waren (Abs. 3), so ist für jedes Jahr der Änderung ein Ausgleich durch eine Berichtigung des Vorsteuerabzuges durchzuführen.

Dies gilt sinngemäß für Vorsteuerbeträge, die auf nachträgliche Anschaffungs- oder Herstellungskosten, aktivierungspflichtige Aufwendungen oder bei Gebäuden auch auf Kosten von Großreparaturen entfallen, wobei der Berichtigungszeitraum vom Beginn des Kalenderjahres an zu laufen beginnt, das dem Jahr folgt, in dem die diesen Kosten und Aufwendungen zugrunde liegenden Leistungen im Zusammenhang mit dem Anlagevermögen erstmals in Verwendung genommen worden sind.

Bei Grundstücken im Sinne des § 2 des Grunderwerbsteuergesetzes 1987 (einschließlich der aktivierungspflichtigen Aufwendungen und der Kosten von Großreparaturen) tritt an die Stelle des Zeitraumes von vier Kalenderjahren ein solcher von neun Kalenderjahren.

Bei der Berichtigung, die jeweils für das Jahr der Änderung zu erfolgen hat, ist für jedes Jahr der Änderung von einem Fünftel, bei Grundstücken (einschließlich der aktivierungspflichtigen Aufwendungen und der Kosten von Großreparaturen) von einem Zehntel der gesamten auf den Gegenstand, die Aufwendungen oder Kosten entfallenden Vorsteuer auszugehen; im Falle der Veräußerung oder der Entnahme ist die Berichtigung für den restlichen Berichtigungszeitraum spätestens in der letzten Voranmeldung des Veranlagungszeitraumes vorzunehmen, in dem die Veräußerung erfolgte.

(11) Ändern sich bei einem Gegenstand, den der Unternehmer für sein Unternehmen hergestellt oder erworben hat oder bei sonstigen Leistungen, die für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, die Voraussetzungen, die für den Vorsteuerabzug maßgebend waren (Abs. 3), so ist, sofern nicht Abs. 10 zur Anwendung gelangt, eine Berichtigung des Vorsteuerabzuges für den Veranlagungszeitraum vorzunehmen, in dem die Änderung eingetreten ist."

Artikel XIV Z 3 des Bundesgesetzes BGBl 21/1995 in der Fassung BGBl 756/1996 lautet:

"Die Berichtigung des Vorsteuerabzuges gemäß § 12 Abs. 10 und 11 Umsatzsteuergesetz 1994, die wegen der nach dem 31. Dezember 1996 erfolgenden erstmaligen Anwendung der Bestimmungen des § 6 Abs. 1 Z 7, Z 18, ausgenommen soweit sie sich auf Pflegeanstalten, Alters-, Blinden- und Siechenheime bezieht, und Z 19 bis 22 des Umsatzsteuergesetzes 1994 durchzuführen wäre, entfällt. Dasselbe gilt für § 6 Abs. 1 Z 25, soweit es sich um in § 6 Abs. 1 Z 18 des Umsatzsteuergesetzes 1994 genannte Leistungen handelt, jedoch nicht, soweit sich die Z 18 auf Pflegeanstalten, Alters-, Blinden- und Siechenheime bezieht."

Durch die zitierte Bestimmung des Artikel XIV Z 3 BGBl 21/1995 idF 756/1996 wird normiert, dass die Berichtigung des Vorsteuerabzuges gemäß § 12 Abs 10 und 11 UStG 1994, die wegen der nach dem 31. Dezember 1996 erfolgenden erstmaligen Anwendung der Befreiungsbestimmung nach § 6 Abs 1 Z 19 UStG 1994 (und anderer, medizinische Bereiche betreffender Befreiungsbestimmungen) durchzuführen wäre, entfällt. In der Literatur wird die Meinung vertreten, dass der Verzicht auf die Vorsteuerkorrektur bei Übertritt in die gesetzliche Steuerbefreiung im Widerspruch zu den Regeln des Art 20 der Sechsten Richtlinie steht (Ruppe, UStG 19942, § 6 Tz 415/10).

Nach dem Gesundheits- und Sozialbereich-Beihilfengesetz, BGBl 746/1996, haben Ärzte Anspruch auf Ausgleichszahlungen, mit welcher die entfallenden Vorsteuern kompensiert werden. Die Höhe des Ausgleiches wird durch die Verordnung BGBl 56/1997 festgelegt.

§ 3 dieses Gesundheits- und Sozialbereich-Beihilfengesetz lautet auszugsweise:

"(1) Ärzte, Dentisten und sonstige Vertragspartner haben Anspruch auf einen Ausgleich, der sich nach den von den Sozialversicherungsträgern, den Krankenfürsorgeeinrichtungen und den von den Trägern des öffentlichen Fürsorgewesens gezahlten Entgelten für Leistungen im Sinne des § 6 Abs. 1 Z 19 UStG 1994 richtet.

...

(3) Der Bundesminister für Finanzen hat im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Arbeit und Soziales mit Verordnung die Ausgleichssätze auf Grund von Erfahrungen über die wirtschaftlichen Verhältnisse bei der jeweiligen Gruppe von Unternehmern festzusetzen."

Die Verordnung des Bundesministers für Finanzen zu den Beihilfen- und Ausgleichsprozentsätzen, die im Rahmen des Gesundheits- und Sozialbereich-Beihilfengesetzes (GSBG 1996) anzuwenden sind, BGBl. II Nr. 56/1997, lautet:

"Auf Grund der §§ 1 Abs. 2 und 3 Abs. 3 des Gesundheits- und Sozialbereich-Beihilfengesetzes, BGBl. Nr. 746/1996, wird im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Arbeit und Soziales verordnet:

§ 1. (1) Die Beihilfe gemäß § 1 Abs. 2 GSBG 1996 beträgt 4,3% der Krankenversicherungsaufwendungen.

(2) Krankenversicherungsaufwendungen sind Ausgaben, die für Zwecke der sozialen Krankenversicherung getätigt werden. Nicht zu diesen Aufwendungen zählen Abschreibungen (zB Absetzung für Abnutzung, Investitionsfreibetrag), Ausgaben der durchlaufenden Gebarung (zB Ausgleichszahlungen nach dem GSBG 1996) und Rücklagenzuführungen, wohl aber Investitionsausgaben.

§ 2. (1) Die Ausgleichssätze für die in § 3 Abs. 1 GSBG 1996 genannten Gruppen betragen für die folgenden Fachärzte:

Augenheilkunde und Optometrie

3,9%

Chirurgie

4,5%

Frauenheilkunde und Geburtshilfe

3,1%

Hals-Nasen-Ohrenkrankheiten

3,3%

Haut- und Geschlechtskrankheiten

3,4%

Innere Medizin

4,4%

Kinder- und Jugendheilkunde

3,3%

Lungenkrankheiten

4,5%

Neurologie/Psychiatrie

3,0%

Orthopädie und orthopädische Chirurgie

3,1%

Physikalische Medizin

3,3%

Radiologie, med. Radiologie-Diagnostik,
Strahlentherapie-Radioonkologie

5,8%

Unfallchirurgie

4,3%

Urologie

3,3%

Zahn- , Mund- und Kieferheilkunde

4,8%

Medizinische und chemische Labordiagnostik

6,7%.

(2) Für Dentisten gilt der für Zahnärzte angeführte Ausgleichssatz.

(3) Für Ärzte für Allgemeinmedizin, in Abs. 1 nicht eigens angeführte Fachärzte, Gutachterärzte sowie die sonstigen Vertragspartner, die Leistungen im Sinne des § 6 Abs. 1 Z 19 UStG 1994 bewirken, gilt ein Ausgleichssatz von 3,4%.

(4) Als Entgelt gilt der in den Tarifverträgen und ähnlichen Verträgen festgelegte Betrag an den Arzt, Dentisten oder sonstigen Vertragspartner, soweit die Leistung im Rahmen eines Vertrages (Einzelvertrag) mit einem Sozialversicherungsträger, einer Krankenfürsorgeeinrichtung oder einem Träger des öffentlichen Fürsorgewesens erbracht wird. Die Auszahlung erfolgt im Zuge der Endabrechnung mit der Sozialversicherung.

(5) Ist gesetzlich oder vertraglich eine (teilweise) Bezahlung seitens des Patienten vorgesehen, bezieht sich der erstattungsfähige Ausgleich auf das gesamte Entgelt. Voraussetzung ist jedoch, dass es sich um eine Leistung im Rahmen eines Einzelvertrags handelt und der vom Patienten zu zahlende Betrag im Tarifvertrag festgelegt ist.

(6) Für Leistungen für Versicherte gemäß § 80 in Verbindung mit § 85 BSVG wird die Ausgleichszahlung im Ausmaß des jeweiligen nach Abs. 1 bis 3 festgelegten Ausgleichssatzes gewährt. Als Berechnungsgrundlage werden jene Leistungen herangezogen, die vom Versicherungsträger verrechnet werden oder für die dem Versicherten eine Kostenerstattung gebührt. In Fällen einer Kostenerstattung erfolgt die Anweisung an den Vertragspartner durch den Versicherungsträger.

§ 3. Der Ausgleichssatz für die Alten-, Behinderten- und Pflegeheime gem. § 3 Abs. 2 GSBG 1996 beträgt 4% des Entgelts ohne Ausgleich.

§ 4. (1) Unter Entgelte aus öffentlichen Mitteln im Sinne des § 2 GSBG 1996 fallen auch Entgelte für nach § 6 Abs. 1 Z 18 und 25 UStG 1994 befreite Leistungen, die an andere Kranken- und Kuranstalten, die nach diesen Umsatzsteuerbestimmungen befreite Leistungen bewirken, erbracht werden.

(2) Falls eine steuerfreie Leistung einer Kranken- oder Kuranstalt im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme der Sonderklasse einem Patienten ganz oder teilweise weiterverrechnet wird, zählt dieser Betrag nicht zu den Entgelten aus öffentlichen Mitteln und fällt unter die Kürzungsbestimmung des § 2 Abs. 1 GSBG 1996. Er ist daher der leistungserbringenden Kranken- oder Kuranstalt mitzuteilen.

(3) Entgelte für im Ausland versicherte Patienten sind solchen für Privatpatienten gleichzusetzen und fallen daher unter die Kürzungsbestimmung des § 2 Abs. 1 GSBG 1996. Falls seitens der Kranken- oder Kuranstalt keine Verrechnung mit dem Patienten oder dessen Versicherung erfolgt, ist für die Ermittlung des Kürzungsbetrages vereinfachend der jeweilige anstaltsbezogene Pflegegebührensatz (inklusive Vorsteuerkostenzuschlag) heranzuziehen."

2. Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer ist Facharzt für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde.

In der Umsatzsteuererklärung 1997 machte der Beschwerdeführer für jene langandauernden kieferorthopädischen Behandlungen, die am 1. Jänner 1997 noch nicht abgeschlossen waren (und die ab dem Jahr 1991 begonnen hatten), für die er Anzahlungen erhalten und die er im Umfang der Anzahlungen der Umsatzsteuer unterzogen hatte, wegen seines Übertrittes in die Steuerbefreiung (mit 1. Jänner 1997) eine umsatzsteuerliche Entlastung von ca 3,5 Mio Schilling geltend.

Das Finanzamt ging davon aus, dass bei langandauernden kieferorthopädischen Behandlungen von einer in etwa jahresweisen Leistungserbringung auszugehen sei. Bei Erlassung des Umsatzsteuerbescheides für das Jahr 1997 vom 4. Oktober 1999 anerkannte es eine umsatzsteuerliche Entlastung daher bloß für jene Behandlungen, die erst im Jahr 1996 begonnen hatten. Es berücksichtigte die Entlastung nur mit dem Betrag von 1,460.000 S.

Der Beschwerdeführer brachte gegen diesen Bescheid Berufung ein.

Die belangte Behörde (Finanzlandesdirektion für Tirol, Berufungssenat) wies das Finanzamt mit Schreiben vom 1. März 2002 unter anderem an zu erheben, in welchem Ausmaß zum 1. Jänner 1997 wegen des Überganges von der Steuerpflicht zur Steuerbefreiung (mit Ausschluss des Vorsteuerabzuges) eine Vorsteuerberichtigung nach § 12 Abs 10 UStG 1994 vorzunehmen sei.

Nach den Feststellungen, die das Finanzamt im Einvernehmen mit dem Beschwerdeführer traf, beträgt die Vorsteuerberichtigung nach § 12 Abs 10 UStG 1994 aus Gebäudeinvestitionen 338.073,15 S (6/10 der Vorsteuern von 258.245,64 S aus den 1993 getätigten Investitionen; 7/10 der Vorsteuern von 79.827,51 S aus den 1994 getätigten Investitionen). Die Vorsteuerberichtigung nach § 12 Abs 10 UStG 1994 aus den beweglichen Gegenständen beträgt nach den Feststellungen des Finanzamtes 79.986,56 S (1/10 der Vorsteuern von 4.598,99 S aus den 1993 getätigten Investitionen, 2/10 der Vorsteuern von 39.061,95 S aus den 1994 getätigten Investitionen, 3/5 der Vorsteuern von 23.756,55 S aus den 1995 getätigten Investitionen und 4/5 der Vorsteuern von 12.569,07 S der Vorsteuern aus den 1996 getätigten Investitionen).

Mit dem angefochtenen Bescheid (Berufungsentscheidung) vom 19. September 2002 wies die belangte Behörde die Berufung ab und nahm gegenüber dem Umsatzsteuerbescheid des Finanzamtes eine "Verböserung" vor, indem es Vorsteuerberichtigungen vornahm. Allerdings vertrat die belangte Behörde die Auffassung, dass die Vorsteuerberichtigung nach § 12 Abs 10 UStG 1988 aus den Gebäudeinvestitionen jeweils nur ein Zehntel der 1993 bzw 1994 geltend gemachten Vorsteuern, die Vorsteuerberichtigung nach § 12 Abs 10 UStG 1994 aus den beweglichen Gegenständen jeweils nur ein Fünftel der in den Jahren 1993 bis 1996 geltend gemachten Vorsteuern betrage und sich daher insgesamt nur eine Vorsteuerkürzung von 89.635,94 S ergebe. In der Berufungsentscheidung wurde daher die Umsatzsteuergutschrift u. a. um den Betrag der Vorsteuerberichtigung von 89.635,94 S gekürzt. Die belangte Behörde ging weiters davon aus, dass mit den 1996 begonnenen und am 1. Jänner 1997 noch nicht beendeten kieferorthopädischen Leistungen, die als umsatzsteuerfrei zu behandeln sind, im Jahr 1996 geltend gemachte Vorsteuern in Höhe von 164.870,15 unmittelbar zusammenhingen, und dass auch diese Vorsteuern bei der Veranlagung zur Umsatzsteuer 1997 nach allgemeinen Grundsätzen (wegen des Zusammenhanges mit steuerfreien Umsätzen) zu berichtigen seien. Im angefochtenen Bescheid wird daher die Umsatzsteuergutschrift auch um diese Vorsteuerberichtigung von 164.870,15 S gekürzt.

In der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wendet sich der Beschwerdeführer u.a. dagegen, dass die belangte Behörde Vorsteuerberichtigungen vorgenommen hat. Zur Begründung führt er aus, Artikel XIV Z 3 des Bundesgesetzes BGBl 21/1995 in der Fassung BGBl 756/1996 schließe ausdrücklich aus, dass Ärzte zum 1. Jänner 1997 eine Vorsteuerberichtigung vornehmen müssten.

In ihrer Gegenschrift wendet die belangte Behörde ein, Artikel XIV Z 3 des Bundesgesetzes BGBl 21/1995 in der Fassung BGBl 756/1996 sei von ihr nicht angewendet worden, weil es sich um eine nicht notifizierte Beihilfe iSd Art 92f EGV (nunmehr Art 87f EG) handle. Nicht notifizierte Beihilfen dürften gemäß Art 93 Abs 3 EGV (nunmehr Art 88 Abs 3 EG) von den Behörden der Mitgliedstaaten nicht vollzogen werden. Im Übrigen widerspreche Artikel XIV Z 3 des Bundesgesetzes BGBl 21/1995 in der Fassung BGBl 756/1996 dem Art 20 der Sechsten Richtlinie.

3. Erläuterungen zur Vorlagefrage:

Nach Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe g EG umfasst die Tätigkeit der Gemeinschaft die Errichtung eines Systems, das den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarktes vor Verfälschungen schützt. In diesem Rahmen erklärt Artikel 87 Absatz 1 EG staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen.

Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs ist nicht auszuschließen, dass sich das Beihilfenregime der Art 87f EG auch auf Lieferungen und Dienstleistungen im Bereich der Kieferorthopädie erstreckt, dass es also nicht nur die Lieferung von Gütern im Rahmen eines Gewerbebetriebes erfasst.

Nach Artikel 88 Absatz 3 EG ist die Kommission von der beabsichtigten Einführung oder Umgestaltung von Beihilfen so rechtzeitig zu unterrichten, dass sie sich dazu äußern kann. Im Anschluss daran hat die Kommission unverzüglich das in Artikel 88 Absatz 2 EG vorgesehene kontradiktorische Verfahren einzuleiten, wenn sie der Auffassung ist, dass das notifizierte Vorhaben mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar ist. Schließlich untersagt

Artikel 88 Absatz 3 Satz 3 EG dem Mitgliedsstaat, die beabsichtigte Maßnahme durchzuführen, bevor die Kommission eine abschließende Entscheidung erlassen hat.

Das Tätigwerden der nationalen Gerichte im System der Kontrolle von staatlichen Beihilfen beruht auf der unmittelbaren Wirkung, die dem in Artikel 88 Absatz 3 Satz 3 EG ausgesprochenen Verbot, beabsichtigte Beihilfemaßnahmen durchzuführen, zukommt.

Der Begriff der Beihilfe umfasst nicht nur positive Leistungen wie Subventionen selbst, sondern auch Maßnahmen, die in unterschiedlicher Form die Belastungen vermindern, die ein Unternehmen normalerweise zu tragen hat und die somit zwar keine Subventionen im strengen Sinne des Wortes darstellen, diesen aber nach Art und Wirkung gleichstehen (vgl. Urteile des EuGH vom 15. März 1994, C-387/92, Banco Exterior de España, Slg. 1994, I- 877, Randnr. 13, und vom 17. Juni 1999, C-295/97, Piaggio, Slg. 1999, I-3735, Randnr. 34).

Der Begriff der Beihilfe im Sinne von Artikel 87 Absatz 1 EG kann nur Vorteile bezeichnen, die unmittelbar oder mittelbar aus staatlichen Mitteln finanziert werden oder die eine zusätzliche Belastung für den Staat darstellen (vgl. Urteil vom 7. Mai 1998, C- 52/97 bis C-54/97, Viscido u. a., Slg. 1998, I-2629, Randnr. 13).

Die unterschiedliche Behandlung von Unternehmen kann einen Vorteil im Sinne von Artikel 87 Absatz 1 EG darstellen, wenn es keine sachliche Rechtfertigung für diese unterschiedliche Behandlung gibt (vgl. EuGH 22. November 2001, C-53/00, Ferring SA). Ein von einem Mitgliedstaat gewährter wirtschaftlicher Vorteil hat nur dann Beihilfecharakter, wenn er, gekennzeichnet durch eine gewisse Selektivität, geeignet ist, bestimmte Unternehmen zu begünstigen (vgl EuGH 8. November 2001, C-143/99, Adria-Wien).

Es gehört zum System der Umsatzsteuer, welches innerhalb der EU durch Richtlinien der Gemeinschaft, insbesondere durch die Sechste Richtlinie, vorgegeben ist, dass die Steuerpflicht von Umsätzen mit dem Recht auf vollen Vorsteuerabzug des Unternehmers einhergeht, dass aber andererseits jene Unternehmer, deren Umsätze steuerbefreit sind (ausgenommen die in Art 17 Abs 3 aufgezählten Befreiungen), vom Recht auf Vorsteuerabzug ausgeschlossen sind. Ändern sich die Verhältnisse für den Vorsteuerabzug, ordnet Art 20 der Sechsten Richtlinie eine Berichtigung der Vorsteuerabzüge an. Nach Art 20 Abs 2 der Sechsten Richtlinie wird für Investitionsgüter eine Berichtigung vorgenommen, wenn sich nach dem Jahr der Anschaffung des Investitionsgutes Änderungen des Anspruches auf Vorsteuerabzug gegenüber dem Anspruch für das Jahr der Anschaffung ergeben.

In Österreich wurde durch Artikel XIV Z 3 des Bundesgesetzes BGBl 21/1995 in der Fassung BGBl 756/1996 für Leistungen im medizinischen Bereich, insbesondere für Leistungen der Ärzte, angeordnet, dass entgegen Art 20 der Sechsten Richtlinie der Wechsel von der bisherigen Umsatzsteuerpflicht (bis 1996) in die Steuerbefreiung (ab 1997) nicht zu einer Berichtigung (also Kürzung) der Vorsteuern, welche für noch in der Zeit der Steuerpflicht erworbene Güter geltend gemachten worden sind, führt, obwohl diese Güter auch in der Zeit der Steuerbefreiung weiter verwendet werden, also der Erzielung befreiter Umsätze dienen. Durch diese Anordnung wird erreicht, dass der Vorsteuerabzug für Güter, die für die Erzielung befreiter Umsätze verwendet werden, erhalten bleibt. Endgültig zum Vorsteuerabzug zugelassene Güter dienen der Erzielung steuerbefreiter Umsätze.

Durch die dargestellte Regelung wird einerseits in Österreich eine Gruppe von Unternehmern (medizinischer Bereich) besser behandelt als andere Unternehmer. Durch eine solche Regelung wird anderseits den inländischen Unternehmern aus dieser Gruppe (medizinischer Bereich) ein Vorteil gegenüber ausländischen Unternehmern eingeräumt. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Ärzte (im Beschwerdefall Kieferorthopäden) aus Österreich in Konkurrenz zu Ärzten (Kieferorthopäden) in anderen Mitgliedstaaten der EU stehen. Solches wird insbesondere in grenznahen Gebieten zutreffen. Durch die Regelung des Artikel XIV Z 3 des Bundesgesetzes BGBl 21/1995 in der Fassung BGBl 756/1996, mit welcher der österreichische Gesetzgeber eine vom System der Mehrwertsteuer vorgegebene und durch Art 20 der Sechsten Richtlinie ausdrücklich angeordnete Vorsteuerkürzung ausgeschlossen hat, hat er den inländischen Ärzten einen Vorteil eingeräumt.

In der Literatur (Kolacny/Mayer, UStG2, § 12 Anm 45a) wird schließlich auch auf die Wettbewerbsverzerrung innerhalb der Gruppe der Ärzte verwiesen: Konnte ein Arzt die Ordinationseinrichtung noch im Jahr 1996 erwerben, bleibt ihm der Vorsteuerabzug uneingeschränkt erhalten. Konnte ein anderer Arzt die Ordinationseinrichtung erst im Jahr 1997 erwerben, steht ihm kein Vorsteuerabzug zu.

Der genannte Vorteil besteht in einem Verzicht auf Steuern und wird daher aus staatlichen Mitteln gewährt. Er verstärkt die Wettbewerbsstellung der begünstigten Unternehmer gegenüber anderen, mit ihnen im Wettbewerb stehenden Unternehmern. Daher muss der Wettbewerb als von diesem Vorteil beeinflusst betrachtet werden (vgl. insbesondere Urteil vom 17. September 1980, 730/79, Philip Morris/Kommission. Slg. 1980, 2671, Randnr. 11).

Der Verwaltungsgerichtshof hegt Zweifel an der sachlichen Rechtfertigung der strittigen Maßnahme iSd Randnr. 42 des Urteils vom 8. November 2001, C-143/99, Adria-Wien, zumal Nachteile, die den Betroffenen aus dem Wegfall des Vorsteuerabzugs erwachsen, ohnedies im Wege staatlicher Ausgleichszahlungen nach dem Gesundheits- und Sozialbereich-Beihilfengesetz, BGBl 746/1996, bzw der zu diesem Gesetz ergangenen Verordnung BGBl 56/1997 abgegolten werden.

Bei dieser Sachlage könnte durch eine Regelung, wie sie Artikel XIV Z 3 des Bundesgesetzes BGBl 21/1995 in der Fassung BGBl 756/1996 vorsieht, eine staatliche Beihilfe im Sinne von

Artikel 87 Absatz 1 EG geschaffen worden sein.

Wien, am 31. März 2003

Gerichtsentscheidung

EuGH 61992CJ0387 Banco Exterior de Espana VORAB
EuGH 61997CJ0295 Piaggio VORAB
EuGH 61997CJ0052 Viscido VORAB
EuGH 62000CJ0053 Ferring VORAB
EuGH 61999CJ0143 Adria-Wien Pipeline VORAB
EuGH 61979CJ0730 Philip Morris

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2002140130.X00

Im RIS seit

19.08.2003

Zuletzt aktualisiert am

02.02.2017
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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