TE Vwgh Erkenntnis 2003/4/10 99/18/0423

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Veröffentlicht am 10.04.2003
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Index

19/05 Menschenrechte;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs2;
FrG 1997 §75 Abs1;
MRK Art3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des P, geboren 1980, 1100 Wien, Zohmanngasse 28, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 30. Juli 1999, Zl. SD 510/98, betreffend Feststellung gemäß § 75 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 332,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 30. Juli 1999 wurde auf Grund des Antrages des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen von Sierra Leone, vom 27. November 1997 gemäß § 75 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, festgestellt, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass der Beschwerdeführer in diesem Staat gemäß § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 leg. cit. bedroht sei.

Begründend führte die belangte Behörde aus, dass die Gründe des erstinstanzlichen Bescheides der Bundespolizeidirektion Wien vom 18. Juni 1998 im Ergebnis auch für die Berufungsentscheidung maßgebend seien.

(Nach den im erstinstanzlichen Bescheid getroffenen Feststellungen habe der Beschwerdeführer seinen Feststellungsantrag vom 27. November 1997 im Wesentlichen damit begründet, dass er keiner politischen Partei angehörte und auch nicht vorbestraft wäre. Er hätte in Freetown als Mechaniker gearbeitet und wäre von der Armee von dort weggeholt und in ein Ausbildungscamp gebracht worden. Im Lager wären Drogen verteilt worden und die Leute, die sich geweigert hätten, Drogen zu nehmen, geschlagen worden. Wer sich geweigert hätte, mit dem Militär mitzugehen, wäre umgebracht worden. Der Beschwerdeführer hätte sich nicht geweigert, weil er Angst gehabt hätte. Er hätte auch Angst gehabt, in einen Kampf geschickt zu werden, wo er hätte sterben können. Sein Vater wäre auch so ums Leben gekommen. Aus diesem Grund wäre der Beschwerdeführer aus dem Lager geflüchtet. Das Training wäre sehr hart gewesen. Die Männer wären geschlagen worden, und er hätte sich zu jung gefühlt, um dieses Training mitzumachen.(

Begründend führte die belangte Behörde weiter aus, dass der Beschwerdeführer Ende November 1997 nach Österreich gelangt sei und einen Asylantrag gestellt habe. Daraus gehe hervor, dass er Mechaniker in Freetown gewesen sei und keiner politischen Partei angehört habe. Etwas mehr als drei Monate vorher, also etwa Mitte August, wäre er von der Armee aus seiner Werkstätte geholt, zwangsrekrutiert und in ein Militärcamp gesteckt worden. Eine andere Gruppe, die RUF, hätte dies mit jungen Männern ebenso gemacht. Er hätte sich nicht widersetzt, weil er sonst getötet worden wäre. Er hätte aber nicht so wie sein Vater sterben wollen, wäre aus dem Lager geflüchtet und wieder nach Freetown und auf ein Schiff gelangt. Der Asylantrag sei rechtskräftig abgewiesen worden.

Die Erstbehörde habe den vorliegenden Feststellungsantrag, dem dasselbe Vorbringen zugrunde gelegen sei, mit der Begründung abgewiesen, dass die Heranziehung zum Militärdienst ungeachtet der damit verbundenen Gefahren keine Bedrohung im Sinn des § 57 FrG und die Annahme des Beschwerdeführers, neuerlich zum Militär eingezogen zu werden, nur eine Vermutung darstellten.

Nach Auffassung der belangten Behörde stellten die Bürgerkriegssituation in einem Land und die damit verbundene landesweite allgemeine, wenn auch extreme Gefährdungslage und der in diesem Zusammenhang von Staatsbürgern verlangte Militärdienst grundsätzlich noch keine Bedrohung im Sinn des § 57 FrG dar. Zur Frage, welche Gefahren dem Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr nach Sierra Leone tatsächlich drohten, werde auf die allgemeine Situation in diesem Land hingewiesen.

Zu dem Zeitpunkt, als er zwangsrekrutiert worden sei, habe in Sierra Leone seit dem Putsch im Mai 1997 das Putschregime des Majors Jonny Paul Koroma bestanden. Teile des Landes im Norden seien weiterhin von den RUF-Milizen kontrolliert worden. Auf Grund eines im Oktober 1997 unterzeichneten Abkommens habe jedoch Anfang 1998, nachdem die ECOMOG das Militärregime vertrieben und die Hauptstadt Freetown erobert gehabt habe, der früher gestürzte Präsident Ahmad Kabbah wieder nach Freetown zurückkehren können (vgl. Fischer, Weltalmanach 1999, Seite 657). Bei der gegebenen Sachlage habe die belangte Behörde nach der Beseitigung des damaligen Militärregimes unter Koroma - zumal auch der Beschwerdeführer nicht einmal behauptet habe, wegen seiner Flucht aus dem Camp verfolgt zu werden und Gefahr zu laufen, einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe unterworfen zu werden - keinen Grund gesehen, von Amts wegen eine solche Gefahr für den Fall der Rückkehr des Beschwerdeführers anzunehmen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die inhaltliche Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Fremde im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 75 FrG das Bestehen einer aktuellen, also im Fall seiner Abschiebung in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 57 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch im Verfahren gemäß § 75 FrG die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob etwa allenfalls gehäufte Verstöße der in § 57 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind. (Vgl. zum Ganzen etwa das Erkenntnis vom 20. Juni 2002, Zl. 2002/18/0097, mwN.)

Die bloße Möglichkeit einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt allerdings nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 57 FrG als unzulässig erscheinen zu lassen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 5. September 2002, Zl. 99/21/0174, mwN).

2. Die belangte Behörde traf im angefochtenen Bescheid die Feststellung, dass in Sierra Leone seit dem Putsch im Mai 1997 und dem Zeitpunkt, als der Beschwerdeführer zwangsrekrutiert worden war, das Putschregime des Majors Jonny Paul Koroma bestanden hatte und Teile des Landes im Norden weiterhin von den RUF-Milizen kontrolliert worden waren. Auf Grund eines im Oktober 1997 unterzeichneten Abkommens hatte jedoch Anfang 1998, nachdem die ECOMOG das Militärregime vertrieben und die Hauptstadt Freetown erobert hatte, der früher gestürzte Präsident Ahmad Kabbah wieder nach Freetown zurückkehren können. Weiters führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer nicht einmal behauptet habe, wegen seiner Flucht aus dem Camp verfolgt zu werden und Gefahr zu laufen, einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe unterworfen zu werden, und sie nach der Beseitigung des damaligen Militärregimes unter Koroma keinen Grund sehe, von Amts wegen eine solche Gefahr für den Fall der Rückkehr des Beschwerdeführers (nach Sierra Leone) anzunehmen.

Diesen Ausführungen wird in der Beschwerde nicht konkretisiert entgegengetreten. Auf dem Boden der von der belangten Behörde zur allgemeinen Situation in Sierra Leone getroffenen Feststellungen begegnet ihre Auffassung, es lägen keine stichhaltigen Gründe für die in § 57 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG umschriebene Annahme vor, keinem Einwand.

3. Entgegen dem Beschwerdevorbringen, dass die Feststellung, es bestünden keine stichhaltigen Gründe für eine solche Annahme, im Gesetz nicht vorgesehen und nicht zu treffen sei, findet ein solcher Feststellungsausspruch im Gesetz Deckung, wird doch in § 75 Abs. 1 FrG normiert, dass auf Antrag eines Fremden mit Bescheid festzustellen ist, "ob" stichhaltige Gründe für die genannte Annahme bestehen (vgl. in diesem Zusammenhang etwa das hg. Erkenntnis vom 21. Februar 1997, Zl. 97/18/0061).

4. Die Beschwerde erweist sich sohin als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.

Wien, am 10. April 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:1999180423.X00

Im RIS seit

08.05.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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