TE Vwgh Erkenntnis 2003/5/14 2002/08/0018

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Veröffentlicht am 14.05.2003
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Index

E3L E05204010;
E6J;
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

31979L0007 Gleichbehandlungs-RL Soziale Sicherheit;
61998CJ0104 Buchner VORAB;
AlVG 1977 §23 Abs1;
AlVG 1977 §23 Abs2 Z2;
AlVG 1977 §23 Abs8;
AlVG 1977 §24 Abs2;
ASVG §253d idF 1996/201;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Köller und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des G in L, vertreten durch Dr. Gerhard Hiebler, Rechtsanwalt in 8700 Leoben, Hauptplatz 12/II, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Steiermark vom 4. April 2001, Zl. LGS600/ALV/1218/2001-Mag.GR/Kö, betreffend Berichtigung und Rückforderung von Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Auf Grund seines Antrages vom 8. März 2000 stand der am 24. August 1942 geborene Beschwerdeführer im Bezug von Notstandshilfe.

Am 29. Mai 2000 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Zuerkennung einer vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit. Mit Schreiben der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten vom 22. August 2000 wurde ihm mitgeteilt, dass wegen des am 1. Juli 2000 in Kraft getretenen Sozialversicherungs-Änderungsgesetzes 2000 die Zuerkennung dieser Leistung nicht mehr möglich sei, weil die gesetzlichen Bestimmungen aufgehoben worden seien. Auf Grund des Sozialrechts-Änderungsgesetzes sei sein Antrag als Antrag auf Berufsunfähigkeitspension zu werten. Wenn es der Beschwerdeführer wünsche, werde die Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten seinen (vorsorglichen) Antrag als Antrag auf Berufsunfähigkeitspension behandeln. Dazu werde er ersucht, sein Einverständnis bis 30. September 2000 schriftlich mitzuteilen.

Mit Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten vom 4. Oktober 2000 wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 29. Mai 2000 auf Gewährung einer vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit gemäß § 270 iVm § 253d ASVG abgelehnt. Begründend wurde ausgeführt, gemäß § 587 Abs. 4 ASVG idF des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 2000 sei ein nach dem 23. Mai 2000 und vor dem 2. Juni 2000 gestellter Antrag auf vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit als Antrag auf Berufsunfähigkeitspension mit Stichtag 1. Juni 2000 zu werten. Der Beschwerdeführer habe seinen Antrag am 29. Mai 2000 eingebracht. Dieser könne daher nicht mehr als Antrag auf vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit behandelt werden.

Mit Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten vom 7. Februar 2001 wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 29. Mai 2000 auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension gemäß § 271 ASVG abgelehnt. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass nach einem ärztlichen Gutachten die Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers nicht so weit vermindert sei, dass ihm die Ausübung seiner bisherigen Tätigkeit als technischer Sachbearbeiter oder einer Tätigkeit innerhalb der gleichen Berufsgruppe, die ihm bei Berücksichtigung der Ausbildung und der bisherigen Berufslaufbahn zugemutet werden könne, nicht mehr möglich wäre. Berufsunfähigkeit gemäß § 273 Abs. 1 ASVG liege somit nicht vor. Berufsunfähigkeit gemäß § 273 Abs. 2 ASVG habe nicht festgestellt werden können, weil der Beschwerdeführer in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag nicht durch mindestens 120 Kalendermonate eine gleiche Tätigkeit ausgeübt habe.

Niederschriftlich erklärte der Beschwerdeführer vor der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice am 28. Februar 2001, dass er den Pensionsantrag vom 29. Mai 2000 nicht gemeldet habe, weil ihm ein Mitarbeiter der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten bereits bei der Antragstellung gesagt habe, dass sein Antrag auf vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit wegen einer Änderung der Rechtslage nicht mehr behandelt werde. Dieser Mitarbeiter habe auch gesagt, dass der Beschwerdeführer die Antragstellung nicht beim Arbeitsmarktservice melden müsse, da der Antrag nicht behandelt werde. Dieselbe Auskunft habe der Beschwerdeführer beim Ombudsmann der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten erhalten. Zu dem Schreiben der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten vom August, wonach er für die Behandlung seines Antrages als Antrag auf Berufsunfähigkeitspension sein Einverständnis schriftlich hätte mitteilen müssen, gab der Beschwerdeführer an, dass er dies niemals getan hätte und damit der Meinung gewesen sei, dass sein Antrag nicht mehr weiter behandelt werde.

Mit Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vom 15. März 2001 wurde der Bezug der Notstandshilfe durch den Beschwerdeführer gemäß § 38 iVm § 24 Abs. 2 AlVG für den Zeitraum vom 1. Juni 2000 bis 31. Jänner 2001 widerrufen bzw. die Bemessung rückwirkend berichtigt. Gemäß § 38 iVm § 25 Abs. 1 AlVG wurde der Beschwerdeführer zur Rückzahlung der unberechtigt empfangenen Notstandshilfe in Höhe des Gesamtbetrages von S 17.640,-- verpflichtet. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer habe den ihm ausbezahlten Betrag in Höhe der Differenz zwischen der Notstandshilfe und der ihm zustehenden Leistung (Pensionsvorschuss gemäß § 23 AlVG) zu Unrecht bezogen, da er seinen Pensionsantrag vom 29. Mai 2000 nicht gemeldet habe.

In seiner Berufung gegen diesen Bescheid führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, eine Umwandlung seines Antrages in einen Antrag auf Berufsunfähigkeitspension sei nicht erfolgt. Dem Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten vom 7. Februar 2001 liege kein Antrag seinerseits zu Grunde, sodass es sich nur um ein Missverständnis der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten handeln könne. Er habe lediglich am 29. Mai 2000 einen vorsorglichen Antrag auf vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit gestellt, der mit Bescheid vom 4. Oktober 2000 rechtskräftig abgelehnt worden sei. Mit der Zuerkennung der beantragten Leistung habe keinesfalls gerechnet werden können, da die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen durch das Sozialrechts-Änderungsgesetz 2000 aufgehoben worden seien bzw. hinsichtlich des Bezuges einer Berufsunfähigkeitspension niemals ein solcher Antrag gestellt worden sei. Es fehle daher eine wesentliche Voraussetzung für die Zuerkennung eines Pensionsvorschusses. Folglich sei das normale Arbeitslosengeld bzw. die normale Notstandshilfe zu leisten gewesen.

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid der belangten Behörde wurde der Berufung des Beschwerdeführers nicht stattgegeben und der erstinstanzliche Bescheid vom 15. März 2001 bestätigt. Nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens und der einschlägigen Rechtsvorschriften führte die belangte Behörde begründend im Wesentlichen aus, auch wenn der Beschwerdeführer kein schriftliches Einverständnis zur Wertung seines Pensionsantrages vom 29. Mai 2000 als Antrag auf Berufsunfähigkeitspension abgegeben habe, so habe er dennoch durch sein konkludentes Verhalten, nämlich dadurch, dass er sich im Auftrag der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten einer ärztlichen Untersuchung unterzogen habe, diesen Wunsch zum Ausdruck gebracht. Auch die Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten habe dies so beurteilt und das Ergebnis der ärztlichen Untersuchung als Grundlage für die Ablehnung der Zuerkennung einer Berufsunfähigkeitspension herangezogen. Ab Pensionsantragstellung am 29. Mai 2000 habe dem Beschwerdeführer daher nur mehr Pensionsvorschuss gebührt. Er habe durch das Verschweigen maßgebender Tatsachen weiterhin die für ihn höhere Notstandshilfe bezogen. Die Differenz sei zurückzufordern. Zu dem Einwand, dass die Voraussetzungen für einen Pensionsvorschuss gar nicht gegeben gewesen seien, führte die belangte Behörde aus, es sei Sache des Arbeitsmarktservice und nicht der Partei zu beurteilen, ob mit einer beantragten Pension zu rechnen sei. Die Partei sei somit nicht von ihrer Meldepflicht entbunden. Außerdem habe es zum Zeitpunkt der Antragstellung die Pensionsart der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Erwerbsfähigkeit noch gegeben und wäre mit der Zuerkennung in welcher Form auch immer zu rechnen gewesen, sonst hätte der Beschwerdeführer gar keinen Antrag gestellt. Zum damaligen Zeitpunkt sei kein Grund vorgelegen, von der Gewährung des Pensionsvorschusses abzusehen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird, mit dem Antrag, den angefochtenen Bescheid kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 24 Abs. 1 AlVG ist das Arbeitslosengeld einzustellen, wenn eine der Voraussetzungen für den Anspruch wegfällt. Wenn sich eine für das Ausmaß des Arbeitslosengeldes maßgebende Voraussetzung ändert, ist es neu zu bemessen.

§ 24 Abs. 2 AlVG sieht vor, dass dann, wenn sich die Zuerkennung oder die Bemessung des Arbeitslosengeldes nachträglich als gesetzlich nicht begründet herausstellt, die Zuerkennung zu widerrufen oder die Bemessung rückwirkend zu berichtigen ist.

§ 22 AlVG in der hier maßgebenden Fassung BGBl. Nr. 502/1993 lautet wie folgt:

"§ 22. (1) Arbeitslose, die eine Leistung aus einem der Versicherungsfälle des Alters aus der Pensionsversicherung nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz, dem Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz, BGBl. Nr. 560/1978, oder dem Bauern-Sozialversicherungsgesetz bzw. dem Bundesgesetz über die Sozialversicherung freiberuflich selbständig Erwerbstätiger, BGBl. Nr. 624/1978, ein Sonderruhegeld nach dem Nachtschicht-Schwerarbeitergesetz, BGBl. Nr. 354/1981, oder einen Ruhegenuß aus einem Dienstverhältnis zu einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft beziehen bzw. die Anspruchsvoraussetzungen für eine Pension aus einem der Versicherungsfälle des Alters erfüllen, haben keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld.

(2) Das gleiche gilt für die Zeit eines laufenden Verfahrens auf Zuerkennung einer im Abs. 1 genannten Leistung. Wird ein derartiger Antrag rechtskräftig abgelehnt, ist eine allfällige gemäß § 23 Abs. 1 gewährte Leistung in Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe umzuwandeln."

Gemäß § 79 Abs. 56 AlVG idF BGBl. I Nr. 102/2000 ist auf vor dem 1. Juli 2000 zuerkannte oder beantragte Vorschüsse § 23 AlVG in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 47/1997 weiterhin anzuwenden.

§ 23 AlVG in der hier somit anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 47/1997 hat auszugsweise folgenden Wortlaut:

"Bevorschussung von Leistungen aus der Pensionsversicherung

§ 23. (1) Arbeitslosen, die die Zuerkennung

1. einer Leistung aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit oder der Erwerbsunfähigkeit, einer vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit oder eines Übergangsgeldes aus der gesetzlichen Pensions- oder Unfallversicherung oder

2. einer Leistung aus einem der Versicherungsfälle des Alters mit Ausnahme einer vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit aus der Pensionsversicherung nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz, dem Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz, dem Bauern-Sozialversicherungsgesetz oder eines Sonderruhegeldes nach dem Nachtschwerarbeitsgesetz

beantragt haben, kann bis zur Entscheidung über ihren Antrag auf diese Leistungen vorschußweise Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe gewährt werden.

(2) Für die vorschußweise Gewährung von Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe ist erforderlich, daß

1. abgesehen von der Arbeitsfähigkeit, Arbeitswilligkeit und Arbeitsbereitschaft gemäß § 7 Abs. 3 Z 1, die übrigen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme dieser Leistungen vorliegen,

2. im Hinblick auf die vorliegenden Umstände mit der Zuerkennung der Leistungen aus der Sozialversicherung zu rechnen ist und

3. im Falle des Abs. 1 Z 2 überdies eine Bestätigung des Pensionsversicherungsträgers vorliegt, daß voraussichtlich eine Leistungspflicht dem Grunde nach binnen zwei Monaten nach dem Stichtag für die Pension nicht festgestellt werden kann.

...

(4) Der Vorschuß ist in der Höhe des gebührenden Arbeitslosengeldes bzw. der gebührenden Notstandshilfe zu gewähren, darf jedoch die durchschnittliche Höhe der Leistungen nach Abs. 1 Z 1 bzw. der Leistungen nach Abs. 1 Z 2 nicht übersteigen. Sofern der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice auf Grund einer schriftlichen Mitteilung des Sozialversicherungsträgers bekannt ist, daß die zu erwartende Leistung niedriger sein wird, ist die Vorschußleistung entsprechend zu vermindern. Der Vorschuß ist im Falle des Abs. 1 Z 2 rückwirkend ab dem Stichtag für die Pension zu gewähren, sofern der Pensionswerber den Antrag binnen 14 Tagen nach Ausstellung der Bestätigung gemäß Abs. 2 Z 3 gestellt hat.

...

(8) Wird eine Pension gemäß Abs. 1 nicht zuerkannt, so gilt der Vorschuß in der geleisteten Dauer und Höhe als Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe, dh. daß insbesondere keine allfällige Differenznachzahlung erfolgt und die Bezugsdauer gemäß § 18 verkürzt wird."

Auf Grund des § 38 AlVG sind die genannten Bestimmungen auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.

Im vorliegenden Fall kann es auf sich beruhen, in welchem Verhältnis die Bestimmungen des § 23 Abs. 8 AlVG (wonach im Falle der Nichtzuerkennung unter anderem auch einer Alterspension im Sinne des § 23 Abs. 1 Z 2 AlVG der Vorschuss nicht umgewandelt wird) und des § 22 Abs. 2 zweiter Satz AlVG (wonach ein während des Verfahrens auf Alterspension gewährter Vorschuss in Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe umzuwandeln ist) zueinander stehen, weil der Beschwerdeführer nicht die Zuerkennung einer Alterspension, sondern einer Pensionsleistung aus einem der in § 23 Abs. 1 Z 1 AlVG genannten Versicherungsfälle beantragt hat, hinsichtlich derer aber § 22 Abs. 2 AlVG keine Regelung enthält.

Die Rechtmäßigkeit der von der belangten Behörde vorgenommenen rückwirkenden Berichtigung der Höhe der Notstandshilfe setzte im Übrigen voraus, dass dem Beschwerdeführer ab Stellung seines Pensionsantrages vom 29. Mai 2000 die Notstandshilfe nur mehr im Ausmaß eines Pensionsvorschusses zugestanden wäre. Dies wiederum hätte zur Voraussetzung, dass im Sinne des § 23 Abs. 2 Z 2 AlVG im Hinblick auf die vorliegenden Umstände mit der Zuerkennung der Leistungen aus der Sozialversicherung zu rechnen gewesen wäre. In diesem Zusammenhang ist auf Folgendes hinzuweisen:

Mit dem Strukturanpassungsgesetz, BGBl. Nr. 201/1996, war das Anfallsalter für männliche Versicherte hinsichtlich der Leistung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (§ 253d ASVG) auf das vollendete 57. Lebensjahr erhöht, jenes für weibliche Versicherte (55. Lebensjahr) jedoch unverändert belassen worden.

Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) sprach mit Urteil vom 23. Mai 2000, Slg. 2000 I-03625, Rs. C-104/98 ("Buchner") aus, dass das unterschiedliche Pensionsanfallsalter für Männer und Frauen für die vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit gemäß § 122c BSVG gegen die Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit verstoße. Die Wirkung dieser Entscheidung wurde - mit näherer Begründung - zeitlich nicht begrenzt. Auf Grund des Anwendungsvorranges des Gemeinschaftsrechtes war daher die in sämtlichen Sozialversicherungsgesetzen eingeführte Erhöhung des Anfallsalters für Männer auf 57 Jahre unbeachtlich.

Bereits zum Zeitpunkt der Erlassung des genannten EuGH-Urteiles bestand die Absicht, die vorzeitige Alterspension wegen Arbeitsunfähigkeit mit dem Sozialrechts-Änderungsgesetz 2000 zum 1. Oktober 2000 abzuschaffen. Dies ergibt sich aus den Materialien zum Sozialversicherungs-Änderungsgesetz 2000, BGBl. I Nr. 43/2000 (AB 187 BlgNR 21. GP). Mit diesem Gesetz, kundgemacht am 7. Juli 2000, wurde unter dem Eindruck der Entscheidung "Buchner" § 253d ASVG, somit die Anspruchsgrundlage für die vorzeitige Alterspension wegen Arbeitsunfähigkeit, (rückwirkend) mit Ablauf des 30. Juni 2000 außer Kraft gesetzt (§ 587 Abs. 2 ASVG in der Fassung des Sozialversicherungs-Änderungsgesetzes 2000).

Mit derselben Novelle wurde in § 587 Abs. 3 ASVG angeordnet, dass die die vorzeitige Alterspension wegen Arbeitsunfähigkeit betreffenden Regelungen auf Personen weiterhin anzuwenden sind, die Anspruch auf diese Versicherungsleistung mit dem Stichtag vor dem 1. Juli 2000 haben.

§ 587 Abs. 4 ASVG in der genannten Fassung bestimmt, dass

§ 253d ASVG auf männliche Versicherte, die nach dem 22. Mai 1943

geboren wurden und die diese vorzeitige Pension nach dem 22. Mai 2000 beantragt haben, nicht mehr anzuwenden ist.

Die zuletzt genannte Regelung wurde mit dem Sozialrechts-Änderungsgesetz 2000, BGBl. I Nr. 92/2000, ausgegeben am 11. August 2000 und mangels gegenteiliger Anordnung am 12. August 2000 in Kraft getreten, dahingehend abgeändert, dass Anträge auf vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit, die nach dem 23. Mai 2000 und vor dem 2. Juni 2000 gestellt worden waren, als Anträge auf Invaliditäts- (Berufsunfähigkeits-)Pension mit Stichtag 1. Juni 2000 zu werten sind, wobei § 255 Abs. 4 ASVG in der Fassung BGBl. I Nr. 43/2000 anzuwenden ist.

§ 255 Abs. 4 ASVG in der genannten Fassung lautet wie folgt:

"(4) Als invalid gilt auch der (die) Versicherte, der (die) das 57. Lebensjahr vollendet hat, wenn er (sie) infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner (ihrer) körperlichen oder geistigen Kräfte außer Stande ist, einer Tätigkeit, die er (sie) in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate hindurch ausgeübt hat, nachzugehen. Dabei sind zumutbare Änderungen dieser Tätigkeit zu berücksichtigen."

Der Oberste Gerichtshof kam hinsichtlich der Übergangsbestimmung des § 587 Abs. 4 ASVG in der Fassung des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 2000 in Verfahren betreffend die Zuerkennung von Pensionsleistungen zu den Stichtagen 1. Juni 2000 und 1. Juli 2000 zu dem Schluss, dass sie auf Grund des Anwendungsvorranges des Gemeinschaftsrechtes unbeachtlich sei; auch sie verstoße nämlich gegen das Diskriminierungsverbot der Gleichbehandlungsrichtlinie (vgl. z.B. OGH 28. Juni 2001, Zl. 10ObS54/01s, und 30. Juli 2001, Zl. 10ObS242/01p).

Mit dem Wahrscheinlichkeitsmaßstab für die Beurteilung der Frage, ob mit der Zuerkennung einer Pension zu rechnen ist, hat sich der Verwaltungsgerichtshof in den Erkenntnissen vom 16. Februar 1999, Zl. 98/08/0200, und vom 29. März 2000, Zl. 97/08/0419, auseinandergesetzt. Demnach sind bei der Beantwortung der Frage, ob mit der Zuerkennung einer Pension zu rechnen ist, sowohl die Sach- als auch die Rechtslage einzubeziehen. Ein allzu strenger Maßstab für die Gewährung eines Pensionsvorschusses ist nicht anzulegen. Zu berücksichtigen ist, welche Anspruchsvoraussetzungen für die angestrebte Pensionsleistung strittig und noch Gegenstand sozialgerichtlicher Verfahren sind. Soweit es sich dabei um leicht beurteilbare, insbesondere auch nicht von der Ermittlung durch Sachverständige abhängige Umstände handelt, hinsichtlich derer keine komplizierten rechtlichen Erwägungen (die inhaltlich strittig sein könnten) anzustellen sind, und nach diesen Umständen des jeweiligen Einzelfalles mit der Zuerkennung der angestrebten Pensionsleistung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mehr gerechnet werden kann, so ist die gesetzliche Voraussetzung für die Gewährung des Pensionsvorschusses, dass im Hinblick auf die vorliegenden Umstände mit der Zuerkennung der Leistungen aus der Sozialversicherung gerechnet werden kann, als weggefallen bzw. nicht vorhanden anzusehen.

Aus der Sicht der Behörde kommt es grundsätzlich auf einen bestimmten, ex ante zu beurteilenden Grad der Wahrscheinlichkeit an, ob eine Pensionsleistung zuerkannt werden wird, und nicht darauf, ob die Partei mit ihrer Auffassung im Ergebnis durchdringen wird. Nur eine solche Sichtweise vermag auch dem Umwandlungsverbot des § 23 Abs. 8 AlVG sachlich gerecht zu werden, das zu unter Umständen beträchtlichen und irreparablen Anspruchsverlusten in der Höhe der Geldleistung gegenüber den sonst gebührenden Geldleistungen an Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe führen kann. Mit Rücksicht auf diese nachteiligen Folgen für eine arbeitslose Person muss bei der Beurteilung der Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 23 Abs. 2 Z 2 AlVG mit besonderer Genauigkeit vorgegangen werden. Da die Zuerkennung einer Pensionsleistung vom Pensionsversicherungsträger abhängt, kommt dessen Auffassung besondere Bedeutung zu.

Im gegenständlichen Verfahren muss im Nachhinein das Vorliegen der Voraussetzungen des § 23 Abs. 2 Z 2 AlVG für einen bereits zurückliegenden Zeitraum beurteilt werden. In diesem Fall ist eine zwischenzeitig bereits ergangene bescheidmäßige Erledigung durch den Pensionsversicherungsträger aber zu berücksichtigen. Eine solche Erledigung, in der die damalige Rechtsauffassung des Pensionsversicherungsträgers zum Ausdruck kommt, liegt hier vor. Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Erledigungen rechtmäßig waren und ob der Beschwerdeführer im Falle ihrer Anfechtung Erfolg gehabt hätte. Da der Beschwerdeführer nicht vorgebracht hat, die Erledigungen des Pensionsversicherungsträgers angefochten zu haben bzw. anzufechten, musste die belangte Behörde, zumal jedenfalls eine ex lege "Zuerkennung" einer Pensionsleistung nicht vorgesehen ist, davon ausgehen, dass mit der Zuerkennung der angestrebten Pensionsleistung im Hinblick auf die somit bereits klargelegte Sichtweise des Pensionsversicherungsträgers mit der in Rede stehenden Wahrscheinlichkeit nicht (mehr) gerechnet werden kann.

Da die belangte Behörde dies verkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Das Mehrbegehren war abzuweisen, da es in den Pauschalbeträgen der genannten Verordnung keine Deckung findet bzw. die Umsatzsteuer in diesen Beträgen bereits enthalten ist. Die Umrechnung der

entrichteten Eingabegebühr erfolgte gemäß § 3 Abs. 2 Z 2 Eurogesetz, BGBl. I Nr. 72/2000.

Wien, am 14. Mai 2003

Gerichtsentscheidung

EuGH 61998J0104 Buchner VORAB

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2002080018.X00

Im RIS seit

25.06.2003

Zuletzt aktualisiert am

04.11.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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