TE Vwgh Erkenntnis 2003/5/23 2003/11/0129

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Veröffentlicht am 23.05.2003
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
90/02 Führerscheingesetz;

Norm

AVG §64 Abs2;
AVG §66 Abs4;
FSG 1997 §24 Abs1;
FSG 1997 §24;
FSG 1997 §25 Abs1;
FSG 1997 §25;
FSG 1997 §26 Abs3;
FSG 1997 §26;
FSG 1997 §7;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Graf, Dr. Gall, Dr. Pallitsch und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, in der Beschwerdesache der M in G, vertreten durch Dr. Reinhard Langner, Rechtsanwalt in 1140 Wien, Hütteldorfer Straße 124, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 23. November 2001, Zl. RU6-St-F-0105/0, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.088,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Strafverfügung der Bundespolizeidirektion Wien vom 9. Oktober 2000 wurde die Beschwerdeführerin schuldig erkannt, sie habe am 6. September 2000 um 8.50 Uhr an einer näher angegebenen Stelle im Wiener Ortsgebiet als Lenkerin eines nach dem Kennzeichen bestimmten Kraftfahrzeuges die im Ortsgebiet zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 42 km/h, somit erheblich, überschritten und dadurch gegen § 20 Abs. 2 StVO 1960 verstoßen.

Die Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung entzog der Beschwerdeführerin mit Bescheid vom 5. April 2001 die Lenkberechtigung für Kraftfahrzeuge der Klasse B auf die Dauer von zwei Wochen ab Zustellung des Bescheides. Unter einem wurde einer allfälligen Berufung die aufschiebende Wirkung aberkannt. Als Rechtsgrundlage waren § 24 Abs. 1, § 25 Abs. 1 und § 26 Abs. 3 des Führerscheingesetzes (FSG) angegeben. Begründend wurde ausgeführt, die Fahrgeschwindigkeit der Beschwerdeführerin am 6. September 2000 sei mit einem Radarmessgerät festgestellt worden.

Der dagegen erhobenen Berufung wurde hinsichtlich der Entziehung der Lenkberechtigung keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid mit der Maßgabe bestätigt, dass die Lenkberechtigung der Beschwerdeführerin für Kraftfahrzeuge der Klasse B auf die Dauer von zwei Wochen ab Rechtskraft des Bescheides der Erstbehörde entzogen werde. Unter einem wurde der Berufung hinsichtlich des Ausspruchs nach § 64 Abs. 2 AVG Folge gegeben und der erstbehördliche Bescheid insoweit aufgehoben. In der Begründung führte der Landeshauptmann von Niederösterreich aus, nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei die Entziehungsbehörde zwar an den Spruch der Strafbehörde in Ansehung der Begehung der Geschwindigkeitsübertretung, nicht jedoch hinsichtlich des Ausmaßes desselben gebunden. Auf Grund eines Gutachtens des Amtssachverständigen für technische Kraftfahrzeugangelegenheiten vom 16. Mai 2001, aus dem hervorgehe, dass sich entsprechend der Radarmessung von 97 km/h unter Berücksichtigung der geltenden Verkehrsfehlergrenze von 5 km/h eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um mindestens 42 km/h ergebe, sowie eines Gutachtens des Amtssachverständigen für Elektrotechnik des Amts der Niederösterreichischen Landesregierung vom 2. Oktober 2001, aus dem sich ergebe, dass der gemessene Geschwindigkeitswert eindeutig dem Fahrzeug der Beschwerdeführerin zuzuordnen und das Fahrzeug zum Messzeitpunkt mit einer Geschwindigkeit von mindestens 92 km/h unterwegs gewesen sei, stehe das Vorliegen einer bestimmten Tatsache im Sinne des § 7 Abs. 3 Z. 4 FSG fest.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 1 B-VG vor dem Verfassungsgerichtshof. Nachdem dieser mit Beschluss vom 26. Februar 2002, B 55/02-7, die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten hatte, wurde sie von der Beschwerdeführerin ergänzt.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 14. März 2003, G 203/02-8 ua, den Antrag des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. Juli 2002, Zl. A 2002/25-1,

§ 26 Abs. 3 sowie die Wortgruppe "3 und" in § 26 Abs. 7 des Führerscheingesetzes (FSG), BGBl. I Nr. 120/1997 (sowohl § 26 Abs. 3 als auch die in § 26 Abs. 7 erwähnte Wortfolge in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 2/1998)

in eventu

die Wortfolge "im Ortsgebiet um mehr als 40 km/h oder" in § 7 Abs. 3 Z. 4, § 26 Abs. 3 sowie die Wortgruppe "3 und" in § 26 Abs. 7 des Führerscheingesetzes (FSG), BGBl. I Nr. 120/1997 (die Wortfolge in § 7 Abs. 3 Z. 4 in der Stammfassung; sowohl § 26 Abs. 3 als auch die in § 26 Abs. 7 erwähnte Wortfolge in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 2/1998)

als verfassungswidrig aufzuheben, abgewiesen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

1. Im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (seine Zustellung erfolgte nach der Aktenlage am 15. Dezember 2001) ist für die Überprüfung seiner Rechtmäßigkeit durch den Verwaltungsgerichtshof das FSG in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 25/2001 sowie der Kundmachung des Bundeskanzlers BGBl. I Nr. 112/2001 maßgeblich.

Die im Beschwerdefall einschlägigen Bestimmungen des FSG lauten (auszugsweise):

"Allgemeine Voraussetzungen für die Erteilung einer Lenkberechtigung

§ 3. (1) Eine Lenkberechtigung darf nur Personen erteilt werden, die:

...

2. verkehrszuverlässig sind (§ 7),

...

Verkehrszuverlässigkeit

§ 7. (1) Als verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn nicht auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs. 3) und ihrer Wertung (Abs. 5) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen die Verkehrssicherheit gefährden wird, insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr, Trunkenheit oder einen durch Suchtgift oder durch Medikamente beeinträchtigten Zustand.

...

(3) Als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn jemand:

...

4. die jeweils zulässige Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet um mehr als 40 km/h oder außerhalb des Ortsgebietes um mehr als 50 km/h überschritten hat und diese Überschreitung mit einem technischen Hilfsmittel festgestellt wurde;

...

(5) Für die Wertung der in Abs. 3 beispielsweise angeführten Tatsachen sind deren Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend.

...

5. Abschnitt

Entziehung, Einschränkung und Erlöschen der Lenkberechtigung

Allgemeines

§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit

1. die Lenkberechtigung zu entziehen oder

... .

...

Dauer der Entziehung

§ 25. (1) Bei der Entziehung ist auch auszusprechen, für welchen Zeitraum die Lenkberechtigung entzogen wird. Dieser ist auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens festzusetzen.

...

(3) Bei einer Entziehung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit (§ 7) ist eine Entziehungsdauer von mindestens drei Monaten festzusetzen. Wurden begleitende Maßnahmen gemäß § 24 Abs. 3 angeordnet, so endet die Entziehungsdauer nicht vor Befolgung der Anordnung.

Sonderfälle der Entziehung

§ 26.

...

(3) Im Falle der erstmaligen Begehung einer in § 7 Abs. 3 Z 4 genannten Übertretung - sofern die Übertretung nicht geeignet war, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen oder mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern begangen wurde (§ 7 Abs. 3 Z 3) oder auch eine Übertretung gemäß Abs. 1, 2 oder 4 vorliegt - hat die Entziehungsdauer zwei Wochen, bei der zweiten Begehung einer derartigen Übertretung innerhalb von zwei Jahren ab der ersten Begehung sechs Wochen zu betragen.

...

(7) Eine Entziehung gemäß Abs. 3 und 4 darf erst ausgesprochen werden, wenn das Strafverfahren in erster Instanz durch Strafbescheid abgeschlossen ist. ... .

..."

2. In der Beschwerde bleibt unbestritten, dass die Beschwerdeführerin wegen des Vorfalls vom 6. September 2000 von der Bundespolizeidirektion Wien mit rechtskräftiger Strafverfügung vom 9. Oktober 2000 gemäß § 20 Abs. 2 in Verbindung mit § 99 Abs. 3 lit. a StVO 1960 bestraft worden ist. Auch das Ausmaß der Geschwindigkeitsüberschreitung im Ortsgebiet um 42 km/h wird in der Beschwerde nicht bestritten. Es bestehen daher keine Bedenken dagegen, dass die Erstbehörde der Beschwerdeführerin die Lenkberechtigung auf die Dauer von zwei Wochen "ab Zustellung dieses Bescheides" entzogen hat, weil die Voraussetzungen des § 26 Abs. 3 FSG unstrittig gegeben waren.

Wie die Beschwerdeführerin zutreffend vorbringt, hat die Erstbehörde die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Berufung gegen ihren Bescheid gemäß § 64 Abs. 2 AVG ausgeschlossen. Die Entziehung der Lenkberechtigung ist daher (vorläufig) wirksam geworden. Auf Grund des Charakters des § 26 FSG als lex specialis zu dem in §§ 7, 24 und 25 FSG geregelten System der Entziehung der Lenkberechtigung (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2003/11/0128) ist davon auszugehen, dass in denjenigen Fällen, in denen es zu einem vorläufigen Wirksamwerden der Entziehung der Lenkberechtigung auf Grund des erstinstanzlichen Entziehungsbescheides gekommen ist, die Berufungsbehörde ausschließlich zu beurteilen hat, ob der erstinstanzliche Entziehungsbescheid rechtmäßig ist. Eine eigene Beurteilung der Frage, ob noch im Zeitpunkt der Erlassung des Berufungsbescheides eine Entziehung der Lenkberechtigung geboten ist, ist der Berufungsbehörde verwehrt.

Dies hat die belangte Behörde verkannt, als sie - an Stelle der gänzlichen Bestätigung des erstinstanzlichen Bescheides (und damit der Entziehung für die von der Erstbehörde angeordnete Zeit ab Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides) in Abänderung des Spruches des grundsätzlich von ihr bestätigten erstinstanzlichen Bescheides die Entziehung der Lenkberechtigung erst ab dem Zeitpunkt der Rechtskraft des erstinstanzlichen Bescheides, somit ab Zustellung ihres Berufungsbescheides, ausgesprochen hat. Wie die Beschwerdeführerin zutreffend aufzeigt, käme es bei der von der belangten Behörde implizit vertretenen Rechtsauffassung im Ergebnis dazu, dass der Beschwerdeführerin ihre Lenkberechtigung zweimal für je zwei Wochen entzogen worden wäre (vgl. in diesem Zusammenhang das hg. Erkenntnis vom 24. August 1999, Zl. 99/11/0145).

Indem die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes. Er war aus diesen Erwägungen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

3. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001, BGBl. II Nr. 501.

Wien, am 23. Mai 2003

Schlagworte

Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Besondere Rechtsprobleme Auswechslung behördlicher Aufträge und Maßnahmen Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Diverses Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2003110129.X00

Im RIS seit

11.07.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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