TE Vwgh Erkenntnis 2003/7/3 2001/20/0210

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Veröffentlicht am 03.07.2003
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §7;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Moritz als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des J in W, vertreten durch Mag. Michael Schubhart, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Brucknerstraße 6/4, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 24. Jänner 2001, Zl. 210.932/0-XII/37/99, betreffend § 7 Asylgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Nigeria, reiste am 16. Jänner 1997 in das Bundesgebiet ein und stellte am 17. Jänner 1997 einen Asylantrag. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 28. Jänner 1997 erklärte der Beschwerdeführer, er habe nach der Hinrichtung von Ken Saro Wiwa Probleme gehabt. Am 15. November 1995 habe er an einer Demonstration in Bori teilgenommen. Während der Demonstration seien Soldaten gekommen und hätten die Demonstranten verhaftet. Auch der Beschwerdeführer sei verhaftet und in das Militärgefängnis nach Bori gebracht worden. Am 10. November 1996 habe eine Demonstration stattgefunden. Die Demonstranten seien in das Gefängnis eingedrungen, und der Beschwerdeführer habe fliehen können. Die Demonstranten seien friedlich mit Blumen in das Gefängnis gekommen. Der Beschwerdeführer könne nicht angeben, wie seine Zellentüre, die aus Eisenstäben bestanden habe und mit einem Schloss verschlossen gewesen sei, geöffnet worden sei. Er könne auch nicht angeben, wie viele Personen in der Zelle gewesen seien. Ferner gab der Beschwerdeführer an, von 1986 bis Dezember 1996 Landwirt in Bori gewesen zu sein. Auf den Vorhalt, dass es nicht möglich sei, dass er bis Dezember 1996 in der Landwirtschaft gearbeitet habe und gleichzeitig im Gefängnis gewesen sei, gab der Beschwerdeführer an, dass er bis zum Dezember 1995 gearbeitet habe.

Mit Bescheid vom 7. Mai 1997 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 3 Asylgesetz 1991 ab. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, das Vorbringen des Beschwerdeführers sei unglaubwürdig. Es sei nicht glaubwürdig, dass Demonstranten hätten ungehindert in ein Gefängnis gelangen und Häftlinge befreien können, obwohl das Gefängnis von staatlichen Organen bewacht worden sei. Widersprüchlich seien auch die Aussagen des Beschwerdeführers zur Dauer seiner Tätigkeit in der Landwirtschaft gewesen. Auch habe der Beschwerdeführer keine Angaben darüber machen können, wie viele Personen sich in seiner Zelle befunden hätten.

In seiner Berufung gegen diesen Bescheid hielt der Beschwerdeführer alle während der niederschriftlichen Einvernahme am 28. Jänner 1997 gemachten Angaben aufrecht. Er sei sich selbst nicht ganz im Klaren darüber, wie die Demonstrationsteilnehmer in das Gefängnis hätten gelangen und die Gefangenen befreien können. Es sei jedoch in Nigeria nicht unüblich, dass anlässlich von Demonstrationen Gefängnisse gestürmt und Insassen befreit werden. Der Beschwerdeführer habe nie behauptet, bis Dezember 1996 gearbeitet zu haben. Dieser Widerspruch beruhe auf einem Fehler während der Aufnahme der Personalien des Beschwerdeführers, der auch vom einvernehmenden Beamten persönlich korrigiert worden sei. Es sei dem Beschwerdeführer tatsächlich nicht möglich, die genaue Anzahl der in seiner Zelle befindlichen Mitgefangenen zu nennen, da diese auf Grund des andauernden Kommens und Gehens gravierender Schwankung unterworfen gewesen sei. Er habe die Frage dahingehend verstanden, die genaue Zahl der ständig zusammen mit ihm untergebrachten Häftlinge nennen zu müssen. Der Beschwerdeführer sei der Meinung gewesen, dass eine vage bzw. ungenaue Antwort von der Behörde nicht erwünscht gewesen wäre.

Bei der ersten mündlichen Berufungsverhandlung vor der belangten Behörde am 4. November 1999 führte der Beschwerdeführer aus, er habe der Menschenrechtsorganisation "democratic fighters" angehört. Deren Hauptquartier befinde sich in Lagos, aber es gebe Zweigstellen in diversen Gebieten. Der Anführer im Gebiet des Beschwerdeführers habe Ifeayi geheißen, den Anführer der gesamten Organisation könne er nicht nennen. Im Gefängnis sei er gewesen, weil man ihm Störung der öffentlichen Ruhe vorgeworfen habe. Im Falle seiner Rückkehr nach Nigeria würde er Probleme bekommen, weil er aus dem Gefängnis geflohen sei. Außerdem würde er sich vor den Familienangehörigen fürchten müssen, deren Verwandte während der Aufstände, die zur Befreiung des Beschwerdeführers geführt hätten, getötet worden seien. Er sei zwar kein Führungsmitglied, aber ein aktives Mitglied der genannten Menschenrechtsorganisation gewesen. Diese Organisation kämpfe um das Recht der Einwohner. In dem Gebiet, in dem der Beschwerdeführer lebe, gebe es viel Öl, aber die Einwohner profitierten nicht davon. Nur die Personen, die mit der Regierung zusammen arbeiteten, könnten vom Öl profitieren. Der Beschwerdeführer sei nur aktives Mitglied gewesen und habe nicht der Führungsgruppe der Menschenrechtsorganisation angehört. Daher habe er den Namen des Gesamtanführers für Nigeria vergessen.

Bei der zweiten mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde am 25. Oktober 2000 führte der Beschwerdeführer unter anderem an, dass die "democratic fighters" 50 Mitglieder gehabt hätten. An den Demonstrationen, die zu jener Zeit beinahe täglich stattgefunden hätten und gegen die Regierung nach dem Tod Ken Saro Wiwas gerichtet gewesen wären, hätten auch andere Menschenrechtsorganisationen als jene des Beschwerdeführers teilgenommen. Der Beschwerdeführer wiederholte, dass er ein aktives Mitglied dieser Organisation gewesen sei, aber keine höhere Funktion bekleidet hätte, er sei auch nicht Sekretär oder Ähnliches gewesen, sondern habe nur an den Demonstrationen teilgenommen, ansonsten sei er Bauer gewesen.

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wurde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 Asylgesetz abgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Angaben des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen seien nicht glaubwürdig. Der Beschwerdeführer habe sich im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme in Widersprüche verwickelt. Im erstinstanzlichen Verfahren habe er zunächst angegeben, als Landwirt bis Dezember 1996 tätig gewesen zu sein. Bei seinen späteren Ausführungen habe er gesagt, vom 15. November 1995 bis zum 10. November 1996 auf Grund einer Teilnahme an einer Demonstration inhaftiert gewesen zu sein. Auf den Vorhalt, dass es nicht möglich sei, bis Dezember 1996 in der Landwirtschaft tätig und gleichzeitig im Gefängnis gewesen zu sein, habe der Beschwerdeführer entgegnet, nur bis Dezember 1995 gearbeitet zu haben. Diese Erklärung vermöge jedoch den eklatanten Widerspruch nicht zu entkräften, weil der Beschwerdeführer seinen Angaben zufolge bereits am 15. November 1995 während einer Demonstration verhaftet worden sei und es ihm sohin auch nicht möglich gewesen wäre, bis Dezember 1995 in der Landwirtschaft tätig gewesen zu sein. Konkrete Aussagen bezüglich der Menschenrechtsorganisation, der der Beschwerdeführer angehört haben wolle, habe er nicht machen können. Die Frage, weshalb er den Namen des Führungsmitgliedes der gesamten Organisation nicht nennen könne, habe er damit beantwortet, dass er nur ein aktives Mitglied gewesen sei und nicht der Führungsgruppe angehört habe. Den Namen des Gesamtführers für Nigeria habe er vergessen. Die belangte Behörde sei auf Grund der durchgeführten Verhandlungen zu dem Schluss gekommen, dass sich der Beschwerdeführer sein allgemein gehaltenes Wissen über die stattgefundene Demonstration und die damit verbundenen Unruhen infolge der Hinrichtung von Ken Saro Wiwa auf Grund von Informationen aus Medien angeeignet habe. Auf Grund seines mangelnden Detailwissens könne er jedoch die von ihm geschilderten Ereignisse tatsächlich nicht selbst erlebt haben. Die Gesamtbetrachtung der im Verfahren aufgetretenen Widersprüchlichkeiten bzw. das nicht vorhandene Detailwissen bezüglich des vom Beschwerdeführer angeblich Erlebten führe zu dem Schluss, dass den Ausführungen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen kein Glaube geschenkt werden könne. Gemäß dem persönlichen Eindruck, den der Beschwerdeführer vor der Berufungsbehörde hinterlassen habe, sei daher festzuhalten, dass er die von ihm ins Treffen geführten Ereignisse selbst nicht erlebt haben könne.

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Der in Beschwerde gezogene Bescheid ist nicht hinreichend nachvollziehbar begründet. Wie sich aus der Niederschrift des Bundesasylamtes vom 28. Jänner 1997, und zwar aus jenem Teil, der den Fluchtweg des Beschwerdeführers betraf, ergibt, ist unter

"7. Beruflicher Werdegang" Folgendes festgehalten: "1. Beruf Landwirte von 00.00.1986 bis 00.12.1996 in Bori." Wie der Beschwerdeführer bereits in seiner Berufung dargelegt hat, habe sich der Widerspruch hinsichtlich der zeitlichen Lagerung seiner Tätigkeit in der Landwirtschaft aus einem Fehler während der Aufnahme seiner Personalien durch die erstinstanzliche Behörde ergeben, der vom einvernehmenden Beamten auch persönlich korrigiert worden sei. Tatsächlich findet sich die Angabe zu seiner beruflichen Tätigkeit des Beschwerdeführers, die noch dazu äußerst ungenau ist ("00.00.1986 bis 00.12.1996"), nicht bei den Aussagen des Beschwerdeführers zu seinem Fluchtweg oder zu seinen Fluchtgründen. Die belangte Behörde hat den Beschwerdeführer bei den mündlichen Berufungsverhandlungen dazu auch nicht näher befragt und ist auch im angefochtenen Bescheid nicht auf das Vorbringen eingegangen, dass es sich bloß um einen Fehler während der Aufnahme der Personalien gehandelt habe, der noch durch den einvernehmenden Beamten persönlich korrigiert worden sei. Die Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers kann durch die damit ins Treffen geführten Widersprüche nicht hinreichend begründet werden. Die vom Beschwerdeführer im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesasylamt vorgenommene Korrektur ("Dezember 1995" statt "Dezember 1996") bezieht sich offenbar darauf, dass der Beschwerdeführer nicht gleichzeitig gearbeitet habe und im Gefängnis gewesen sei. Ein genaues Datum ist in dieser Korrektur ebenfalls nicht enthalten, sodass sie wohl in erster Linie auf das Jahr bezogen ist. Im Übrigen kann daraus nicht die von der belangten Behörde unterstellte Aussage des Beschwerdeführers abgeleitet werden, er sei gleichzeitig im Gefängnis gewesen und habe gearbeitet. Außerdem lässt auch die Zeitangabe "00.12.1996" nicht zwingend den Schluss zu, dass der Beschwerdeführer bis 1. Dezember als Landwirt tätig gewesen sei, sondern sagt nur aus, dass er dies in diesem Monat nicht mehr war; wann im Monat November seine landwirtschaftliche Beschäftigung geendet hat, lässt sich aus dieser Zeitangabe nicht ableiten.

Unzutreffend ist es ferner, wenn die belangte Behörde ausführt, der Beschwerdeführer habe keine konkreten Aussagen zu der Menschenrechtsorganisation, der er angehört habe, machen können. Zwar hat der Beschwerdeführer nicht den Namen des Gesamtanführers für Nigeria nennen können, doch hat er die Ziele der Organisation, den lokalen Vorsitzenden und eine Mitgliederzahl (von der die Behörde nicht in Erfahrung zu bringen gesucht hat, auf welche regionale Einheit sie sich bezieht) angeben können. Allein daraus, dass der Beschwerdeführer den Namen des Gesamtanführers für Nigeria vergessen habe, kann nicht die Unglaubwürdigkeit seines gesamten Vorbringens abgeleitet werden.

Die Annahme der belangten Behörde, dass sich der Asylwerber sein Wissen über die Demonstrationen und damit verbundenen Unruhen auf Grund von Informationen aus Medien angeeignet habe, findet keine nähere Begründung im angefochtenen Bescheid. Wenn die belangte Behörde vermeint, dass es sich nur um ein allgemein gehaltenes Wissen gehandelt habe, so hätte sie im Rahmen der mündlichen Verhandlung den Wissensstand des Beschwerdeführers näher zu ergründen gehabt. Dass das Detailwissen des Beschwerdeführers mangelhaft gewesen sei, kann ohne eine solche nähere Ergründung dieses Wissens nicht nachvollziehbar festgestellt werden.

Zum persönlichen Eindruck, den die belangte Behörde gegen die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers ins Treffen führt, enthalten weder die Verhandlungsprotokolle noch der in Beschwerde gezogene Bescheid nähere Ausführungen, sodass es für den Verwaltungsgerichtshof nicht nachprüfbar ist, weshalb dieser persönliche Eindruck die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers in Frage stellen soll.

Aus den genannten Gründen war der in Beschwerde gezogene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. a, b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 3. Juli 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2001200210.X00

Im RIS seit

12.08.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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