TE Vwgh Erkenntnis 2003/7/3 2000/20/0560

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Veröffentlicht am 03.07.2003
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Index

41/04 Sprengmittel Waffen Munition;

Norm

WaffG 1996 §25 Abs1;
WaffG 1996 §25 Abs3;
WaffG 1996 §8 Abs1 Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Moritz als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des M in H, vertreten durch Dr. Walter Kerle, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Maria-Theresien-Straße 57/1, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 27. November 2000, Zl. Wa 4618-40/00, betreffend Entziehung einer Waffenbesitzkarte, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom 3. November 2000 wurde dem Beschwerdeführer die ihm am 15. Dezember 1997 ausgestellte Waffenbesitzkarte gemäß § 25 Abs. 3 iVm § 8 Abs. 1 Z 2 des Waffengesetzes 1996, BGBl. I Nr. 12/1997 (WaffG), entzogen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer habe am 1. Jänner 2000 um 0.35 Uhr aus Anlass des Jahreswechsels vor seinem Wohnhaus im Freiland mit seiner Schrotflinte Beretta, Bockdoppelflinte, Kal 12.7, drei Schüsse in Hüfthöhe in Richtung Boden abgegeben. Bei der Abgabe des dritten Schusses mit einer Fiocci Patrone sei der Lauf der Schrotflinte zerborsten. Durch die Explosion sei der Beschwerdeführer an seiner linken Hand schwer verletzt worden. Auf Grund dieses Sachverhaltes stehe fest, dass der Beschwerdeführer durch fahrlässigen Gebrauch der Waffe nicht nur sich selbst eine Verletzung mit schweren Dauerfolgen zugefügt, sondern auch darüber hinaus dritte Personen durch sein Handeln gefährdet habe, indem er mehrere Schüsse mit Schrotpatronen im bewohnten Gebiet zur Nachtzeit in einen Schneehaufen abgefeuert habe. Auf Grund der Streuwirkung von Schrotmunition hätte eine Verletzung von Nachbarn sowie der Familie des Beschwerdeführers selbst dann eintreten können, wenn die Waffe nicht explodiert wäre. Dieser Umstand könne von der Behörde nur dahin gewertet werden, dass der Beschwerdeführer seiner sich aus dem Waffengesetz ergebenden Verpflichtung zum sorgfältigen Umgang mit Waffen nicht in ausreichendem Maß nachgekommen sei und das Gebot des sorgfältigen Umganges mit Waffen daher gröblichst missachtet habe.

Der Beschwerdeführer erhob Berufung und führte in dieser im Wesentlichen aus, er sei als Büchsenmacher beim Bundesheer seit 1980 tätig. Im Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit repariere er immer wieder Waffen, und er habe auch seine eigene Waffe repariert. Nach Abschluss der Reparaturarbeiten an seiner Waffe sei ihm auf Grund des Lärms zu Silvester, "wo ja niemand gestört sei, die Idee gekommen", die reparierte Waffe auszuprobieren. Das Wohnhaus des Beschwerdeführers liege am nordwestlichen Rand von Hall und sei das letzte Haus. In mehr als 400 m nach Richtung Westen sei kein Gebäude. Sowohl nach Süden als auch nach Norden seien mehrere hundert Meter nur Feld bzw. Wiese. Der Beschwerdeführer sei beim Testen der Waffe völlig allein gewesen und habe an der Ecke des Feldes - dieser Bereich sei übrigens gut ausgeleuchtet - in den 1,5 Meter hohen Schneehaufen und in den Graben hinabgeschossen. Weder ein Nachbar noch ein Familienmitglied sei zugegen gewesen. Die Behauptung, durch die Streuwirkung von Schrotmunition hätte eine Verletzung eintreten können, sei unrichtig, weil einerseits nur der Beschwerdeführer allein anwesend gewesen sei, andererseits aber schon auf Grund der Tatsache, dass das Gewehr in Hüfthöhe gehalten worden und ca. 30 bis 40 cm vom Boden entfernt gewesen sei, überhaupt keine Streuwirkung habe eintreten können. Es sei "nicht seine beste Idee" gewesen, die Waffe auszuprobieren, und er werde dies auch in Zukunft nur mehr auf entsprechenden Schießständen machen. Dies sei dem Beschwerdeführer naturgemäß klar, es könne aber immer wieder einmal vorkommen, dass eine Waffe explodiere. Die Waffe wäre auch bei einem Test auf einem Schießstand "ruiniert" gewesen, und es wären auch dieselben Verletzungen beim Beschwerdeführer eingetreten.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ab und änderte den Erstbescheid dahingehend, dass sie dem Beschwerdeführer seine Waffenbesitzkarte gemäß § 25 Abs. 3 iVm § 8 Abs. 1 Z 1 WaffG entzog. Begründend wurde ausgeführt, das Vorgehen des Beschwerdeführers, am 1. Jänner 2000 um ca. 0.30 Uhr das reparierte Schrotgewehr vor dem Haus durch Abgabe von drei Schüssen "auszuprobieren", stelle einen leichtfertigen "und damit missbräuchlichen" Waffengebrauch dar.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die §§ 8 Abs. 1 und 25 Abs. 3 WaffG lauten (auszugsweise):

"Verlässlichkeit

§ 8. (1) Ein Mensch ist verlässlich, wenn er voraussichtlich mit Waffen sachgemäß umgehen wird und keine Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass er

1. Waffen missbräuchlich oder leichtfertig verwenden wird;

...

Überprüfung der Verlässlichkeit

§ 25. ...

(3) Ergibt sich, dass der Berechtigte nicht mehr verlässlich ist, so hat die Behörde waffenrechtliche Urkunden zu entziehen."

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Wertung einer Person als "verlässlich" im Sinne des Waffengesetzes ihre gesamte Geisteshaltung und Sinnesart ins Auge zu fassen, weil der Begriff der Verlässlichkeit den Ausdruck ihrer Wesenheit, nicht aber ein Werturteil über ihr Tun und Lassen im Einzelfall ist. Bestimmte Verhaltensweisen und Charaktereigenschaften einer Person können demnach die Folgerung rechtfertigen, dass die vom Waffengesetz geforderte Verlässlichkeit nicht gewährleistetet ist (vgl. dazu z.B. das hg. Erkenntnis vom 29. Oktober 1998, Zl. 98/20/0308). Der Verwaltungsgerichtshof hat auch in ständiger Rechtsprechung erkannt, dass angesichts des mit dem Waffenbesitz von Privatpersonen verbundenen Sicherheitsbedürfnisses nach Sinn und Zweck der Regelung des Waffengesetzes bei der Prüfung der Verlässlichkeit ein strenger Maßstab anzulegen ist. Die solcherart anzustellende Verhaltensprognose kann dabei bereits auf der Grundlage eines einzigen Vorfalles wegen besonderer Umstände den Schluss rechtfertigen, der vom Entzug waffenrechtlicher Urkunden Betroffene biete keine hinreichende Gewähr mehr, dass er von Waffen keinen missbräuchlichen oder leichtfertigen Gebrauch machen werde (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 27. September 2001, Zl. 2000/20/0119, mwN).

Der Beschwerdeführer bringt zunächst vor, er sei vor dem Erstbescheid nie in dieser Angelegenheit von der Behörde erster Instanz unter Bekanntgabe der gegen ihn erhobenen Vorwürfe vorgeladen oder zu einer Rechtfertigung aufgefordert worden.

Dem ist zu entgegnen, dass der Beschwerdeführer am 4. März 2000 in einer mit ihm aufgenommenen Niederschrift vor dem Gendarmeriepostenkommando Hall in Tirol zum Vorfall vom 1. Jänner 2000 befragt worden ist. Auch wenn der Beschwerdeführer im Übrigen nicht vom gesamten Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz förmlich verständigt worden war, stellt dies im vorliegenden Verfahren keinen relevanten Verfahrensfehler dar, da das Parteiengehör durch die mit der Berufung gegebenen Möglichkeiten der Stellungnahme als ausreichend gewährt anzusehen ist (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I,

2. Auflage, S. 724, unter E 523f zu § 45 Abs. 3 AVG zitierte hg. Judikatur).

Insofern der Beschwerdeführer ausführt, die Berufungsbehörde stütze sich auf die Z 1 des § 8 Abs. 1 WaffG und nicht mehr, wie die Behörde erster Instanz, auf die Z 2 und er hätte diesbezüglich zu einer Rechtfertigung aufgefordert werden müssen, ist ihm zu entgegnen, dass die Berufungsbehörde den erstinstanzlichen Bescheid nach eigenen Sachverhaltsfeststellungen und eigener rechtlicher Beurteilung nach jeder Richtung hin abändern kann (vgl. die bei Walter/Thienel, a.a.O., S. 1287, unter E 237 zu § 66 Abs. 4 AVG zitierte hg. Judikatur). Die Gewährung von Parteiengehör allein zur beabsichtigten Änderung des erstinstanzlichen Bescheidspruches durch die Berufungsbehörde war nicht erforderlich, da die Berufungsbehörde selbst keine Ermittlungen angestellt hat und vom Berufungsvorbringen als wahr ausgegangen ist; die rechtliche Beurteilung allein gebietet nicht die Wahrung des Parteiengehörs (vgl. die bei Walter/Thienel, a. a.O., S. 703, unter E 380f sowie S. 707, unter E 415 ff zu § 45 Abs. 3 AVG zitierte hg. Judikatur).

Zu der vom Beschwerdeführer geltend gemachten Unbescholtenheit ist auszuführen, dass mit der Entziehung einer waffenrechtlichen Urkunde auch dann vorzugehen ist, wenn ein nur einmal gesetztes Verhalten den Umständen nach die Folgerung rechtfertigt, dass die waffenrechtliche Verlässlichkeit nicht mehr gegeben ist (vgl. z.B. das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 27. September 2001, Zl. 2000/20/0119, und zur vergleichbaren Rechtslage des § 6 Waffengesetz 1986 das hg. Erkenntnis vom 20. Mai 1992, Zl. 92/01/0485).

Der angefochtene Bescheid ist aber unzureichend begründet:

Die belangte Behörde sieht die waffenrechtliche Verlässlichkeit des Beschwerdeführers dadurch nicht mehr gegeben, dass dieser seine Waffe leichtfertig "und damit missbräuchlich" verwendet habe. Dem von der belangten Behörde in der Bescheidbegründung zur Untermauerung ihrer Auffassung herangezogenen hg. Erkenntnis vom 7. Juni 1989, Zl. 89/01/0153, lag jedoch ein gänzlich anderer Sachverhalt zugrunde (nämlich die Abgabe von Schüssen gegen ein Nachbarhaus), sodass dieses Erkenntnis im vorliegenden Fall nicht begründend ins Treffen geführt werden kann. Die belangte Behörde hätte folglich näher darzulegen gehabt, weshalb sie Leichtfertigkeit bzw. Missbrauch als gegeben erachtet. Eine Gefährdung von (anderen) Personen oder Sachen hat die belangte Behörde im Übrigen ausdrücklich nicht angenommen; sie hat diesbezüglich dem Beschwerdeführer "geglaubt" (ohne sich allerdings näher mit dessen Vorbringen im Hinblick auf die konkret gegebenen Umstände und seine Vorgangsweise auseinander zu setzen).

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil es in diesen Rechtsvorschriften keine Deckung findet bzw. die beantragte Umsatzsteuer bereits im Pauschalbetrag nach der genannten Verordnung enthalten ist.

Wien, am 3. Juli 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2000200560.X00

Im RIS seit

31.07.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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