TE Vfgh Erkenntnis 2000/6/19 B344/98

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Veröffentlicht am 19.06.2000
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Index

90 Straßenverkehrsrecht, Kraftfahrrecht
90/01 Straßenverkehrsordnung 1960

Norm

EMRK 7. ZP Art.4
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
StGB §81 Z2
StVO 1960 §5 Abs1 iVm §99 Abs1 lita
VfGG §67
VStG §51e
VStG §67g

Leitsatz

Keine Verletzung des Doppelbestrafungsverbotes durch Verhängung einer Verwaltungsstrafe wegen Lenkens eines Kraftfahrzeugs in alkoholisiertem Zustand trotz strafgerichtlichen Freispruchs vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung im Zuge derselben Tathandlung; keine vollständige Erschöpfung des Unrechts- und Schuldgehaltes der Verwaltungsübertretung durch das gerichtliche Strafverfahren; keine Verletzung der Verfahrensgarantien der Menschenrechtskonvention durch Absehen von einer mündlichen Verhandlung; kein Anschein der Parteilichkeit seitens des entscheidenden Einzelmitglieds aufgrund Bindung an die Rechtsansicht des Verfassungsgerichtshofes bei Erlassung des angefochtenen Ersatzbescheides

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Der Beschwerdeführer, der zum Tatzeitpunkt im Juli 1996 18 Jahre alt war, lenkte einen Pkw, kam dabei in einer langgezogenen Rechtskurve links von der Fahrbahn ab und prallte an einen Baum, wobei er sich leicht verletzte. Die Untersuchung der ihm in der Folge im Krankenhaus abgenommenen Blutprobe ergab einen Alkoholisierungsgrad zum Unfallzeitpunkt von 1,63 Promille. Sein Beifahrer erlitt bei diesem Verkehrsunfall so schwere Verletzungen, daß er noch an der Unfallstelle verstarb.

1.2. Weil der Beschwerdeführer ein Fahrzeug lenkte und sich dabei in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befand, wurde er mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn wegen der Übertretung nach §5 Abs1 StVO 1960 gemäß §99 Abs1 lita StVO 1960 zu einer Geldstrafe in Höhe von S 10.000,- (Ersatzfreiheitsstrafe 10 Tage) verurteilt. In der dagegen erhobenen Berufung, beim Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich am 12. November 1996 eingelangt, ersuchte der Beschwerdeführer im Hinblick auf beim Verfassungsgerichtshof anhängige Beschwerdeverfahren um umgehende Entscheidung oder um Einbringung eines Antrages nach Art140 Abs1 B-VG an den Verfassungsgerichtshof, um selbst noch in den Genuß der Anlaßfallwirkung zu kommen. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich entsprach diesem Begehren umgehend und erließ - ohne Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung - den abweislichen Berufungsbescheid vom 22. November 1996. Dieser Bescheid wurde mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 10. Oktober 1997, B4852/96, wegen Anwendung einer als verfassungswidrig erkannten Gesetzesbestimmung aufgehoben.

1.3. Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis vom 14. Oktober 1996 wurde der Beschwerdeführer nach Durchführung der Hauptverhandlung am 16. September 1996 und am 14. Oktober 1996 von der gegen ihn mit Strafantrag vom 13. August 1996 erhobenen Anklage,

"er habe am 14. Juli 1996 in Moosdorf als Lenker des Pkw mit dem Kennzeichen (...) auf der Lamprechtshausener Bezirksstraße von Eggelsberg in Richtung Moosdorf fahrend dadurch, daß er infolge Unachtsamkeit links von der Fahrbahn abkam und gegen einen Baum prallte, fahrlässig den Tod des H. S. herbeigeführt"

sowie

"... sich vor der Tat, wenn auch nur fahrlässig, durch den Genuß von Alkohol in einen die Zurechnungsfähigkeit nicht ausschließenden Rauschzustand versetzt, obwohl er vorhergesehen habe, daß ihm die Lenkung seines Kraftfahrzeuges, sohin eine Tätigkeit bevorstehe, deren Vornahme in diesem Zustand geeignet sei, eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Sicherheit eines anderen herbeizuführen oder zu vergrößern,

und (...) hiedurch das Vergehen der fahrlässigen Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen nach dem §81 Z2 StGB begangen",

gemäß §259 Z3 StPO freigesprochen.

1.4. Im zweiten Rechtsgang wies der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich mit Bescheid vom 27. Jänner 1998 - wiederum ohne Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung - die Berufung hinsichtlich des Schuldspruches als unbegründet ab und setzte die Geldstrafe, gestützt auf den - nunmehr anwendbaren - §20 VStG, auf S 8.000,- und die Ersatzfreiheitsstrafe auf 7 Tage herab.

Zum in der Berufung vorgebrachten Vorwurf der Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Verbots der Doppelbestrafung führt der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich in der Begründung dieses Bescheides aus:

"... Der gegenständliche Berufungsfall unterscheidet sich nun vom Fall Gradinger gegen Österreich insoferne, als sich das Landesgericht Ried i.I. mit der Frage, ob der Beschuldigte das Fahrzeug in einem durch Alkohol beeinträchtigen Zustand gelenkt hat, gar nicht auseinandergesetzt hat. Der Freispruch wegen fahrlässiger Tötung nach §81 Z2 StGB erfolgte laut Protokollvermerk und gekürzter Urteilsausfertigung vom 14.10.1996, AZ ..., mangels Schuldbeweis. Aus den vom O.ö. Verwaltungssenat beigeschafften Protokollen der Hauptverhandlung vom 16.9.1996 und vom 14.10.1996 kann entnommen werden, daß der beim gegenständlichen Verkehrsunfall Getötete dem Beschuldigten möglicherweise in das Lenkrad des von ihm gelenkten Fahrzeuges gegriffen hat, sodaß dieser den Verkehrsunfall nicht verhindern konnte. Das Gericht konnte dem Beschuldigten offenbar einen Sorgfaltsverstoß hinsichtlich des angeklagten Vergehens nicht nachweisen, sodaß sich für das Gericht die weitere Frage, welchen Alkoholisierungsgrad der Beschuldigte beim Lenken des Fahrzeuges aufwies, mangels Zuständigkeit gar nicht mehr stellte."

2.1. Dagegen richtet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, nicht einer unzulässigen Doppelbestrafung unterzogen zu werden und auf ein faires Verfahren geltend gemacht sowie die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

2.2. Die Verletzung des Art4 Z1 7. ZPEMRK begründet der Beschwerdeführer damit, daß er im gerichtlichen Strafverfahren vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung in der Qualifikation des §81 Z2 StGB freigesprochen worden sei. Wesentliches Tatbestandselement dieser Strafbestimmung sei, daß sich jemand vor der Tat vorsätzlich oder fahrlässig durch Genuß von Alkohol in einen die Zurechnungsfähigkeit nicht ausschließenden Rauschzustand versetze. Der vorliegende gerichtliche Straftatbestand sei sohin umfassender als die Verwaltungsstrafnorm des §99 Abs1 lita StVO 1960.

Der Rechtsansicht der belangten Behörde, die in der Bescheidbegründung zwischen Schuld- und Freispruch im Strafprozeß unterscheide, sei der klare Wortlaut des Art4 Z1 7. ZPEMRK entgegenzuhalten, wonach ein neuerliches Strafverfahren auch nach einem Freispruch unzulässig sei.

2.3. In seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein faires Verfahren erachtet sich der Beschwerdeführer verletzt, weil die belangte Behörde weder eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung durchgeführt, noch das Erkenntnis öffentlich verkündet habe. Zudem hafte dem entscheidenden Einzelorgan des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich der "äußere Anschein" der Abhängigkeit und Parteilichkeit im Sinne des Art6 Abs1 erster Satzes EMRK an. Wenn auch die Bestimmungen der §§68 Abs2 und 489 Abs3 StPO im Verwaltungsstrafverfahren nicht unmittelbar Anwendung fänden, so entspreche es dem heutigen strafprozessualen Standard, daß im zweiten Rechtsgang nicht nochmals jener Richter entscheiden dürfe, dessen Erkenntnis im ersten Rechtsgang von der übergeordneten Instanz aufgehoben worden sei.

3. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift.

3.1. Der in der Beschwerde geäußerte Vorwurf, die belangte Behörde unterscheide zu Unrecht zwischen einem Schuld- und Freispruch im Strafprozeß, finde in keinem einzigen Satz des angefochtenen Bescheides Deckung.

3.2. Auch liege keine unzulässige Doppelbestrafung vor, weil sich das Verfahren vor dem Landesgericht Ried im Innkreis wegen §81 Z2 StGB nicht auf "dasselbe Verhalten" des Beschwerdeführers gründe wie die verwaltungsbehördliche Bestrafung nach §99 Abs1 lita iVm. §5 Abs1 StVO 1960. Die Verwaltungsstrafbehörde habe nämlich lediglich das Lenken eines Fahrzeuges in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand zu beurteilen gehabt. Insofern sei auch der Hinweis des Beschwerdeführers auf den Fall Gradinger gegen Österreich verfehlt. Es könne den Gerichtsprotokollen auch nicht entnommen werden, daß der Freispruch im gerichtlichen Strafverfahren deshalb erfolgt sei, weil der Beschwerdeführer nicht alkoholisiert gewesen sei. Die Frage der Alkoholisierung des Beschwerdeführers sei vielmehr vom Strafgericht gar nicht geprüft und daher auch nicht verwertet worden.

3.3. Dem Vorwurf, die belangte Behörde habe Verfahrensvorschriften des Art6 EMRK verletzt, hält die belangte Behörde entgegen, daß der Beschwerdeführer in seinem Rechtsmittel lediglich eine unrichtige rechtliche Beurteilung im erstinstanzlichen Straferkenntnis gerügt und er weiters den Antrag gestellt habe, der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich möge umgehend über sein Rechtsmittel entscheiden bzw. einen Antrag nach Art140 Abs1 B-VG an den Verfassungsgerichtshof richten. Die belangte Behörde habe durch eine umgehende Bescheiderlassung diesem Begehren entsprochen. Nach Aufhebung des Straferkenntnisses im ersten Rechtsgang durch den Verfassungsgerichtshof habe die belangte Behörde dann unter Anwendung des §20 VStG lediglich die Strafe neu zu bemessen gehabt. Außerdem sei ausdrücklich darauf hinzuweisen, daß der Beschwerdeführer auch im zweiten Rechtsgang nicht die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung beantragt habe.

Gemäß §67g AVG könne die öffentliche Verkündung des Bescheides im Falle der Nichtdurchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung dann unterbleiben, wenn die Einsichtnahme in den Bescheid jedermann gewährleistet sei. Durch Auflage des angefochtenen Bescheides in der Kanzlei des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich sei jedermann diese Möglichkeit eingeräumt worden.

3.4. Weiters seien die vom Beschwerdeführer angeführten Bestimmungen der Strafprozeßordnung im vorliegenden Verwaltungsstrafverfahren nicht anzuwenden, weshalb das dahingehende Vorbringen ins Leere gehe.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Zur behaupteten Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Verbots der Doppelbestrafung:

1.1. Gemäß Art4 Abs1 7. ZPEMRK darf niemand wegen einer strafbaren Handlung, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren desselben Staates erneut vor Gericht gestellt oder bestraft werden.

1.2. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in mehreren Gesetzesprüfungsverfahren mit dem Doppelbestrafungsverbot befaßt und ausgesprochen, daß eine Regelung, wonach eine Tat, durch die mehrere Delikte verwirklicht werden (Idealkonkurrenz), noch nicht dem in Art4 des 7. ZPEMRK festgelegten Verbot der Doppelbestrafung widerspricht (vgl. VfSlg. 14696/1996, 15128/1998, 15199/1998, 15293/1998).

Eine Strafdrohung oder eine Strafverfolgung wegen einer strafbaren Handlung wird demnach im Hinblick auf Art4 7. ZPEMRK erst dann unzulässig (vgl. VfSlg. 14696/1996),

"wenn sie bereits Gegenstand eines Strafverfahrens war; dies ist der Fall, wenn der herangezogene Deliktstypus den Unrechts- und Schuldgehalt eines Täterverhaltens vollständig erschöpft, sodaß ein weitergehendes Strafbedürfnis entfällt, weil das eine Delikt den Unrechtsgehalt des anderen Delikts in jeder Beziehung mitumfaßt (Kienapfel, Grundriß des österreichischen Strafrechts, 6. Aufl., 1996, 245). ... Strafverfolgungen bzw. Verurteilungen wegen mehrerer Delikte, die auf Straftatbeständen fußen, die einander wegen wechselseitiger Subsidiarität, Spezialität oder Konsumtion jedenfalls bei eintätigem Zusammentreffen ausschließen, bilden verfassungswidrige Doppelbestrafungen, wenn und weil dadurch ein- und dieselbe strafbare Handlung strafrechtlich mehrfach geahndet wird. (Vgl. zur Annahme bloßer Scheinkonkurrenzen, um dem Vorwurf der Doppelbestrafung zu entgehen, OGH - verst. Senat - 21. November 1991, 14 Os 127/90 = RZ 1993/47, unter Berufung auf Burgstaller, Die Scheinkonkurrenz im Strafrecht, JBl 1978, S 393 ff., 459 ff.)"

Fälle der Scheinkonkurrenz von Delikten aufgrund von Spezialität, Konsumtion oder stillschweigender Subsidiarität sind grundsätzlich durch Auslegung und Anwendung der verschiedenen Strafbestimmungen festzustellen. Dabei muß dem verfassungsrechtlichen Verbot der Doppelbestrafung im Wege verfassungskonformer Auslegung der einzelnen Straftatbestände entsprochen werden.

Ob mehrere Delikte eintätig zusammentreffen können oder die Anwendung eines Straftatbestandes die Bestrafung nach einem anderen ausschließt, ist den gesetzlichen materiellen Strafbestimmungen zu entnehmen (vgl. VfSlg. 15199/1998).

Der Gerichtshof hat diese Ausführungen im eben zitierten Erkenntnis durch die Feststellung ergänzt, daß für den Fall des Vorliegens einer Scheinkonkurrenz eines Deliktes nach Verwaltungsstrafrecht und eines Deliktes nach gerichtlichem Strafrecht in verfahrensrechtlicher Hinsicht die zur Anwendung des VStG 1991 berufene Verwaltungsbehörde nach §30 Abs2 und 3 VStG 1991 vorzugehen und den in diesen Bestimmungen normierten Vorrang des Gerichtes zur Beurteilung seiner Zuständigkeit zu beachten hat.

1.3. Im Erkenntnis VfSlg. 15293/1998 hat der Gerichtshof ausdrücklich auf das Urteil des EGMR im Fall Oliveira gg. Schweiz vom 30.7.1998, Z84/1997/868/1080, Bezug genommen. Diesem Verfahren lag ein Verkehrsunfall zugrunde, bei dem ein Fahrzeug, das auf einer mit Eis und Schnee bedeckten Straße auf die andere Straßenseite geraten war, zuerst ein anderes Fahrzeug streifte und dann mit einem zweiten Fahrzeug zusammenstieß, dessen Lenker schwere Verletzungen erlitt. Weil die Fahrzeuglenkerin die Geschwindigkeit ihres Fahrzeuges nicht den Straßenverhältnissen angepaßt und so die Kontrolle über ihr Fahrzeug verloren hatte, verhängte ein Polizeirichter eine Geldbuße. Zusätzlich wurde die Fahrzeuglenkerin von einem Strafgericht wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe, von der die ursprüngliche Strafe abgezogen worden war, verurteilt.

Der EGMR hat in der genannten Entscheidung ausgesprochen, daß dies ein typisches Beispiel dafür sei, daß eine einzelne Handlung mehrere Straftatbestände erfülle (Idealkonkurrenz von Straftaten). Das charakteristische Merkmal dieses Begriffs liege darin, daß ein einzelnes strafbares Verhalten in zwei getrennte Straftatbestände aufgeteilt werde, in diesem Fall der Verlust der Kontrolle über das eigene Fahrzeug und die fahrlässige Körperverletzung. In solchen Fällen absorbiere die schwerere Strafe gewöhnlich die geringere. Nichts daran verletze Art4 7. ZPEMRK, weil diese Bestimmung es verbiete, einen Menschen zweimal wegen desselben Straftatbestandes zu verfolgen, während in Fällen, in denen eine Handlung mehrere Straftatbestände erfülle (Idealkonkurrenz), eine strafbare Handlung zwei getrennte Straftatbestände erfülle (Z26). Art4 7. ZPEMRK schließe auch nicht aus, daß getrennte Straftatbestände, selbst wenn sich diese auf ein einziges strafbares Verhalten bezögen, von unterschiedlichen Gerichten verfolgt würden, insbesondere wenn, wie im vorliegenden Fall, die Strafen nicht kumulativ verhängt würden, sondern die geringfügigere Strafe von der schwereren absorbiert werde (Z27).

1.4.1. Im vorliegenden Fall verletzte eine einzelne Handlung des Beschwerdeführers mehrere Straftatbestände. Er wurde sohin aufgrund desselben Verhaltens wegen der Verwirklichung mehrerer Delikte verfolgt bzw. bestraft (Idealkonkurrenz).

1.4.2. Gegenstand des Strafverfahrens vor dem Landesgericht Ried im Innkreis war (siehe dazu Punkt I.1.3.) die Beurteilung der Frage, ob der Beschwerdeführer dadurch, daß er infolge einer Unachtsamkeit links von der Fahrbahn abkam und gegen einen Baum prallte, fahrlässig den Tod seines Beifahrers herbeigeführt und ob er die fahrlässige Tötung in der Tatqualifikation des §81 Z2 StGB dadurch begangen hatte, daß er sich vor der Tat, wenn auch nur fahrlässig, durch den Genuß von Alkohol in einen die Zurechnungsfähigkeit nicht ausschließenden Rauschzustand versetzte, obwohl er vorhergesehen hatte, daß ihm die Lenkung eines Kraftfahrzeuges, sohin eine Tätigkeit bevorstand, deren Vornahme in diesem Zustand geeignet war, eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Sicherheit eines anderen herbeizuführen oder zu vergrößern.

Das Landesgericht Ried im Innkreis hat in diesem Verfahren neben dem Beschuldigten vier Zeugen einvernommen und den Beschuldigten im Hinblick auf das Verfahrensergebnis gemäß §259 Z3 StPO wegen des Nichtgelingens des Schuldbeweises freigesprochen.

Der Schuldbeweis gelingt gemäß §259 Z3 StPO dann nicht, wenn "der Gerichtshof erkennt, daß (...) der Tatbestand nicht hergestellt oder nicht erwiesen sei, daß der Angeklagte die ihm zur Last gelegte Tat begangen habe". Aufgrund des durchgeführten Beweisverfahrens konnte das Strafgericht nicht ausschließen, daß der Beifahrer des Beschwerdeführers, der seinerseits zum Tatzeitpunkt alkoholisiert war, den Verkehrsunfall verursacht hatte, weil er dem Beschwerdeführer ins Lenkrad griff, und sah es daher nicht als erwiesen an, daß der Beschwerdeführer die ihm zur Last gelegte Tat wirklich begangen hatte.

Weder aus den Protokollen über die Hauptverhandlung noch aus dem Protokollsvermerk und der gekürzten Urteilsausfertigung vom 14. Oktober 1996 geht hervor, daß das Landesgericht Ried im Innkreis die Frage der Alkoholisierung des Beschwerdeführers geprüft hätte.

1.4.3. Demgegenüber hatte der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich im vorliegenden Verwaltungsstrafverfahren zu prüfen, ob der Beschwerdeführer ein Fahrzeug in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand lenkte.

Die Annahme im Beschwerdevorbringen, die Bestrafung des Beschwerdeführers im Verwaltungsstrafverfahren habe zu einer unzulässigen Doppelbestrafung geführt, trifft nicht zu:

Wie die oben dargelegten Erwägungen zeigen, ist selbst bei eintätigem Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen ein Absehen von der Verfolgung und Bestrafung im Hinblick auf Art4 Abs1 7. ZPEMRK nur dann geboten, wenn der Unrechts- und Schuldgehalt des einen herangezogenen Deliktstypus den Unrechts- und Schuldgehalt des anderen Deliktstypus im wesentlichen Aspekt mitumfaßt und vollständig erschöpft, sodaß kein weitergehendes Strafbedürfnis übrigbleibt. Vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung unter besonders gefährlichen Umständen wurde der Beschwerdeführer freigesprochen, weil das Strafgericht es nicht als erwiesen ansah, daß er die fahrlässige Tötung wirklich begangen hatte. Ob - wie im vorliegenden Fall - der Beschwerdeführer vorher ein Fahrzeug in alkoholisiertem Zustand gelenkt hatte, war im Hinblick auf dieses Verfahrensergebnis sohin für das Strafgericht nicht mehr von Bedeutung. Der Unrechts- und Schuldgehalt der Verwaltungsübertretung nach §5 Abs1 iVm. §99 Abs1 lita StVO 1960 war daher durch das gerichtliche Strafverfahren wegen §81 Z2 StGB nicht vollständig erschöpft und es bestand hinsichtlich dieser Übertretung ein weitergehendes Strafbedürfnis.

1.4.4. Der vorliegende Bescheid verletzte den Beschwerdeführer sohin nicht in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, nicht einer unzulässigen Doppelbestrafung unterzogen zu werden.

2. Der Beschwerdeführer rügt weiters die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein faires Verfahren, weil die belangte Behörde keine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt und den Bescheid nicht öffentlich verkündet habe.

2.1. Gemäß §51e Abs3 Z1 und 2 VStG kann der Unabhängige Verwaltungssenat von einer Berufungsverhandlung absehen, wenn in der Berufung nur eine unrichtige rechtliche Beurteilung behauptet wird (Z1) oder wenn sich die Berufung nur gegen die Höhe der Strafe richtet (Z2) und keine Partei die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung beantragt hat.

Der Beschwerdeführer hat weder im ersten noch im zweiten Rechtsgang die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung beantragt (vgl. 24.6.1993, Fall Schuler-Zgraggen gegen die Schweiz, 17/1992/362/436, Z58; EGMR 21.9.1993, Fall Zumtobel gegen Österreich, 28/1992/373/447, Z34;).

Die belangte Behörde hat das Berufungsvorbringen denkmöglich dahingehend qualifiziert, daß lediglich die unrichtige rechtliche Beurteilung behauptet wurde und diese Rechtsansicht im Bescheid auch begründet. Der Verfassungsgerichtshof kann daher in der Nichtdurchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung keinen in die Verfassungssphäre reichenden Verfahrensmangel erkennen.

2.2. Ebensowenig vermag der Verfassungsgerichtshof im Hinblick auf §67g AVG in der Unterlassung der öffentlichen Verkündung des Berufungsbescheides einen in die Verfassungssphäre reichenden Verfahrensmangel festzustellen.

2.3. Zum Vorwurf, dem entscheidenden Einzelmitglied der belangten Behörde hätte es an Unparteilichkeit gefehlt, ist zu bemerken, daß dieses Bedenken angesichts der Bindung des entscheidenden Einzelmitgliedes im zweiten Rechtsgang an die Rechtsansicht des Verfassungsgerichtshofes im aufhebenden Erkenntnis (§67 VerfGG 1953) unbegründet ist. Ein Anschein der Parteilichkeit liegt etwa dann vor, wenn ein Mitglied eines Tribunals mit derselben Angelegenheit schon in einer anderen Stellung befaßt war (siehe Herbst in: Machacek/Pahr/Stadler, Grund- und Menschenrechte und Menschenrechte in Österreich, Bd. III, 1997, 683). Bei der Erlassung eines Ersatzbescheides im zweiten Rechtsgang kann daher nicht von einer "anderen Stellung" des Organs gesprochen werden. Das entscheidende Organ hat vielmehr in gleicher Stellung - gebunden an die Rechtsansicht des Verfassungsgerichtshofes - noch einmal entschieden.

2.4. Der Beschwerdeführer wurde daher auch nicht in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein faires Verfahren verletzt.

3. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in einem sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder in Rechten wegen Anwendung einer vom Verfassungsgerichtshof als rechtswidrig erkannten Norm verletzt wurde.

4. Die Beschwerde war daher abzuweisen.

5. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Strafrecht, Straßenpolizei, Alkoholisierung, Verwaltungsstrafrecht, Verhandlung mündliche, Bescheidverkündung, Zusammentreffen strafbarer Handlungen, Konkurrenz, VfGH / Prüfungsmaßstab, Ersatzbescheid, fair trial, Doppelbestrafungsverbot

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2000:B344.1998

Dokumentnummer

JFT_09999381_98B00344_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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