TE Vwgh Erkenntnis 2003/11/25 2002/11/0124

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Veröffentlicht am 25.11.2003
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Index

19/05 Menschenrechte;
90/02 Führerscheingesetz;

Norm

FSG 1997 §24;
FSG 1997 §7 Abs2;
MRK Art6 Abs1;
MRKZP 07te Art4 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des D in D, vertreten durch Winkler-Heinzle, Rechtsanwaltspartnerschaft, 6900 Bregenz, Gerberstraße 4, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 23. April 2002, Zl. Ib-277-39/2002, betreffend Entziehung und Erteilung der Lenkberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 24 Abs. 1 Z. 1 FSG die Lenkberechtigung für die Klasse B für die Dauer von 30 Monaten, gerechnet ab der am 30. November 2001 erfolgten Zustellung des Mandatsbescheides, entzogen. Sein Antrag auf Erteilung der Lenkberechtigung für die Klasse A wurde gemäß § 3 Abs. 1 Z. 2 FSG abgewiesen.

In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe in der Zeit von November 2000 bis 8. August 2001 10,049 kg Marihuana in Verkehr gesetzt oder versucht, in Verkehr zu setzen. Bei fünf Drogenschmuggelfahrten habe er einen Pkw verwendet. Der Beschwerdeführer sei deshalb mit dem rechtskräftigen Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 8. Jänner 2002 wegen des Verbrechens nach § 28 Abs. 2 Suchtmittelgesetz - SMG, teilweise in Form des Versuches nach § 15 StGB, zu einer Freiheitsstrafe von 21 Monaten verurteilt worden. 14 Monate davon seien unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen worden. Besonders verwerflich an der Tat des Beschwerdeführers sei, dass die Grenzmenge beinahe um das 25-fache überschritten worden sei und der Beschwerdeführer aus Gewinnsucht gehandelt habe. Der Beschwerdeführer habe die strafbaren Handlungen im Zeitraum November 2000 bis 8. August 2001 begangen. An diesem Tag sei er nach der Ausreise aus der Schweiz beim Zollamt L. von Beamten der Zollwache auf frischer Tat betreten worden, als er versucht habe, 3,049 kg Cannabiskraut oder -blüten nach Österreich zu schmuggeln. Seither habe er gewusst, dass gegen ihn ein Strafverfahren wegen des Verdachtes des Verbrechens nach § 28 Abs. 2 SMG eingeleitet werde. Der Beschwerdeführer sei vom 8. August 2001 bis 8. März 2002 in Haft gewesen. Der Mandatsbescheid vom 16. November 2001 sei ihm am 30. November 2001 zugestellt worden. Mangels Freizügigkeit habe der Beschwerdeführer bis zum 8. März 2002 keine Möglichkeit gehabt, sein Wohlverhalten zu beweisen. Die seit der Haft verstrichene Zeit sei zu kurz, um entscheidend zu seinen Gunsten ins Gewicht fallen zu können. Im Rahmen der Prognose seien zum Nachteil des Beschwerdeführers zu berücksichtigen gewesen die große Menge an Suchtgift, die gewinnsüchtigen Motive, die wiederholten Tathandlungen und der lange Tatzeitraum, der Umstand, dass der Beschwerdeführer nicht aus eigenem Antrieb von seinem strafbaren Verhalten Abstand genommen habe, sowie die Verwendung des Pkws bei Begehung der Straftat. Der Beschwerdeführer habe zudem dem Gericht die Namen der Personen, von denen er das Suchtgift gekauft habe, nicht bekannt gegeben. Zugunsten des Beschwerdeführers sei zu berücksichtigen gewesen, dass er gerichtlich unbescholten gewesen sei und die Tat nicht in Bezug auf sog. "harte" Drogen begangen habe. Die Qualifikation nach § 28 Abs. 4 Z. 3 SMG sei nicht erreicht worden. Der Beschwerdeführer habe zudem (wenn auch sehr spät) im gerichtlichen Verfahren ein Geständnis abgelegt.

Auf Grund der großen Suchtgiftmenge, der wiederholten Tathandlungen und der Tatsache, dass der Beschwerdeführer nicht aus eigenem Antrieb von seinem strafbaren Verhalten Abstand genommen habe, sei eine erhöhte Bereitschaft des Beschwerdeführers zur Begehung von Suchtgiftdelikten anzunehmen. Insgesamt sei somit von einer erheblichen Wiederholungsgefahr und einer schlechten Zukunftsprognose auszugehen. Auf Grund der Wertung der strafbaren Handlung des Beschwerdeführers nach § 7 Abs. 5 FSG bedürfe es eines mindestens 30 Monate hindurch erwiesenen Wohlverhaltens des Beschwerdeführers, um die Wiedererlangung seiner Verkehrszuverlässigkeit annehmen zu können. Soweit sich der Beschwerdeführer auf die Strafbemessung durch das Strafgericht berufe, verkenne er, dass die Entziehung der Lenkberechtigung keine Strafe sei und sich daher das Strafgericht bei der Strafbemessung von wesentlich anderen Überlegungen zu leiten lassen habe als die Kraftfahrbehörde bei der Bemessung der Dauer der Entziehungszeit. Die Entziehung der Lenkberechtigung sei nach österreichischem Recht keine Strafe, sondern eine Maßnahme zum Schutz anderer Verkehrsteilnehmer oder sonstiger Rechtsgüter vor verkehrsunzuverlässigen Kraftfahrzeuglenkern. Die Entziehung der Lenkberechtigung verstoße demnach nicht gegen das Doppelbestrafungsverbot. Mangels Verkehrszuverlässigkeit des Beschwerdeführers sei auch sein Antrag auf Erteilung der Lenkberechtigung für die Klasse A abzuweisen gewesen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof und an den Verwaltungsgerichtshof. Mit Erkenntnis vom 11. Oktober 2003, B 1031/02, sprach der Verfassungsgerichtshof aus, dass der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden sei, und wies die Beschwerde ab. In der Begründung dieses Erkenntnisses führte der Verfassungsgerichtshof aus, der Beschwerdeführer sei in dem von ihm geltend gemachten Recht nach Art. 4 des 7. ZPEMRK nicht verletzt, weil die Entziehung der Lenkberechtigung gemäß § 24 in Verbindung mit § 7 Abs. 2 und 4 FSG typischerweise einen Sicherungszweck im Sinne polizeilicher Gefahrenabwehr verfolge. Solche Maßnahmen seien dann zu verhängen, wenn die Annahme gerechtfertigt sei, dass sich der Betreffende künftig - unter Gebrauchnahme seiner Lenkberechtigung - weiterer strafbarer Handlungen schuldig machen werde, die durch das Lenken von Kraftfahrzeugen erleichtert werden. Die Entziehung der Lenkberechtigung sei in diesem Fall keine Strafe, sondern eine Sicherungsmaßnahme, die nicht den Strafzweck des "Tadels" verfolge, sondern der die Prognose zukünftigen Missbrauchs der Lenkberechtigung zugrunde liege.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

Für den Beschwerdefall sind folgende Bestimmungen des Führerscheingesetzes - FSG, in der von der belangten Behörde anzuwendenden Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 32/2002, maßgebend:

"Allgemeine Voraussetzungen für die Erteilung einer Lenkberechtigung

§ 3. (1) Eine Lenkberechtigung darf nur Personen erteilt werden, die:

...

2. verkehrszuverlässig sind (§ 7),

...

Verkehrszuverlässigkeit

§ 7 ...

(2) Als nicht verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs. 4) und ihrer Wertung (Abs. 5) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart sich weiterer schwerer strafbarer Handlungen schuldig machen wird, die durch das Lenken von Kraftfahrzeugen erleichtert werden.

...

(4) Als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 2 hat insbesondere zu gelten, wenn jemand

...

5. eine strafbare Handlung gemäß § 12 Suchtgiftgesetz 1951, BGBl. Nr. 160/1952, begangen hat.

Entziehung, Einschränkung und Erlöschen der Lenkberechtigung Allgemeines

§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit

1. die Lenkberechtigung zu entziehen oder

...

Dauer der Entziehung

§ 25. (1) Bei der Entziehung ist auch auszusprechen, für welchen Zeitraum die Lenkberechtigung entzogen wird. Dieser ist auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens festzusetzen.

...

(3) Bei einer Entziehung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit (§ 7) ist eine Entziehungsdauer von mindestens drei Monaten festzusetzen. ...

..."

Soweit der Beschwerdeführer auch in der vorliegenden Beschwerde einen Verstoß gegen Art. 4 Abs. 1 des 7. ZPEMRK geltend macht, ist er auf das zuvor genannte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes hinzuweisen. In Ansehung der behaupteten Verletzung dieses verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes ist der Verwaltungsgerichtshof zufolge Art. 133 Z. 1 B-VG unzuständig. Zu einer Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof gemäß Art. 140 Abs. 1 B-VG sieht sich der Verwaltungsgerichtshof im Hinblick auf die Begründung des genannten Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes nicht veranlasst.

Die bedingte Nachsicht eines Teiles einer Freiheitsstrafe gemäß § 43a Abs. 2 StGB setzt voraus, dass hinsichtlich des bedingt nachgelassenen Teiles die Voraussetzungen für die bedingte Strafnachsicht gemäß § 43 StGB vorliegen. Diese setzt unter anderem voraus, dass die bloße Androhung der Vollziehung allein oder in Verbindung mit anderen Maßnahmen genügen wird, um den Verurteilten von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten. Dabei sind die Art der Tat, die Person des Rechtsbrechers, der Grad seiner Schuld, sein Vorleben und sein Verhalten nach der Tat zu berücksichtigen. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung zum FSG bereits wiederholt ausgesprochen, dass die gemäß § 43 Abs. 1 StGB zu berücksichtigenden Umstände auch für die in § 7 Abs. 5 FSG genannten Wertungskriterien von Bedeutung sein können (siehe dazu unter anderem die hg. Erkenntnisse vom 23. April 2002, Zlen. 2001/11/0406 und 2002/11/0019, und vom 25. Februar 2003, Zl. 2002/11/0114, mwN).

Der bedingten Strafnachsicht des Landesgerichtes Feldkirch liegt die Auffassung zugrunde, dass der Beschwerdeführer nach der Verbüßung von sieben Monaten der über ihn verhängten Freiheitsstrafe (auf die die Untersuchungshaft ab 8. August 2001 angerechnet wurde), somit ab seiner Entlassung am 8. März 2002 keine weiteren strafbaren Handlungen begehen werde, weil ihn die bloße Androhung der Vollstreckung der (restlichen) Freiheitsstrafe von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abhalte. Die mit dieser Auffassung in Widerspruch stehende Ansicht der belangten Behörde, beim Beschwerdeführer müsse für die Dauer von 30 Monaten ab der am 30. November 2001 erfolgten Zustellung des Mandatsbescheides, somit bis 30. Mai 2004, angenommen werden, dass er sich weiterer schwerer strafbarer Handlungen schuldig machen werde, die durch das Lenken von Kraftfahrzeugen erleichtert werden, ist nach dem festgestellten Sachverhalt - selbst unter Außerachtlassung der Tatsache, dass die belangte Behörde, wie sie in der Gegenschrift einräumt, die Suchtgiftmenge, die der Beschwerdeführer in Verkehr gesetzt oder in Verkehr zu setzen versucht hat, zu Unrecht in dem oben genannten Ausmaß angenommen hat - , insbesondere unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Beschwerdeführer vor der am 8. Jänner 2002 erfolgten Verurteilung durch das Landesgericht Feldkirch gerichtlich unbescholten war, nicht begründet. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass es für die Annahme der Verkehrsunzuverlässigkeit nach § 7 Abs. 2 FSG nicht genügt, dass die Begehung weiterer schwerer strafbarer Handlungen bloß nicht ausgeschlossen werden kann. Es muss vielmehr die Annahme begründet sein, der Betreffende werde "sich weiterer schwerer strafbarer Handlungen schuldig machen" (siehe auch dazu die hg. Erkenntnisse vom 23. April 2002, Zl. 2002/11/0019, und vom 25. Februar 2003, Zl. 2002/11/0114). Das Erfordernis einer Prognose künftigen strafbaren Verhaltens war nach der Begründung des zuvor genannten Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 11. Oktober 2003 entscheidend dafür, die Entziehung der Lenkberechtigung wegen Verkehrsunzuverlässigkeit gemäß § 7 Abs. 2 FSG als administrative Sicherungsmaßnahme und nicht als Strafe zu qualifizieren.

Aus den dargelegten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Von der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung war gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abzusehen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 25. November 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2002110124.X00

Im RIS seit

22.12.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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