TE Vwgh Erkenntnis 2003/12/3 2001/01/0354

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Veröffentlicht am 03.12.2003
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Index

19/05 Menschenrechte;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §8;
FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §57;
MRK Art3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Thoma und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerde des K in Wien, geboren 1970, vertreten durch Dr. Irene Pfeifer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Riemergasse 10, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 19. Februar 2001, Zl. 220.689/0-V/13/01, betreffend §§ 7, 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird in seinem Ausspruch gemäß § 8 AsylG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Demokratischen Republik Kongo, reiste am 2. August 2000 in das Bundesgebiet ein und beantragte am selben Tag Asyl.

Zu seinen Fluchtgründen brachte der Beschwerdeführer bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 3. August 2000 vor, er sei im März 2000 bei einem Spaziergang in Kinshasa von einer Militärstreife aufgegriffen und zunächst in ein Militärcamp in Kinshasa, daran anschließend in ein weiteres Militärcamp in Lumbumbashi gebracht worden. Er sei zum Militärdienst gezwungen worden. Im Camp in Lumbumbashi habe er einen Mann getroffen, "der einen Kommandantenposten inne hatte; der ließ mich am 4. Tag gehen", weil beide der gleichen Volksgruppe angehört hätten und der Beschwerdeführer gerade geheiratet gehabt hätte. In der Zeit nach seiner Flucht hätten die Soldaten die Familie des Beschwerdeführers in Kinshasa bedroht und angekündigt, wenn er nicht auftauche, würden sie seine Gattin mitnehmen. Deshalb habe der Beschwerdeführer diese zu seinen Großeltern geschickt und schließlich das Land verlassen. Zu seinen Großeltern habe er nicht gehen können, da dies "nicht sicher genug" gewesen wäre. Im Falle seiner Rückkehr befürchte er, als Fahnenflüchtiger gefangen genommen zu werden; jedenfalls würde er "nicht ruhig leben" können.

Der Asylantrag wurde vom Bundesasylamt mit Bescheid vom 4. Jänner 2001 gemäß § 7 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 AsylG wurde festgestellt, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Demokratische Republik Kongo sei zulässig (Spruchpunkt II.).

Das Bundesasylamt begründete die Abweisung des Asylantrages zunächst damit, dass die vom Beschwerdeführer behauptete Zwangsrekrutierung unglaubwürdig sei. Im Übrigen sei das Vorbringen des Beschwerdeführers auch im Falle seiner Glaubwürdigkeit nicht asylrelevant, weil bei ihm keine Verfolgung aus in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen gegeben sei. Überdies wäre dem Beschwerdeführer bei seinen Großeltern eine interne Schutzalternative offen gestanden. Die Entscheidung nach § 8 AsylG begründete das Bundesasylamt insbesondere mit einem Hinweis auf die erwähnte innerstaatliche Schutzalternative sowie damit, dass in Kinshasa und Umgebung - dem Zielgebiet möglicher Abschiebungen - hinsichtlich der allgemeinen Lebensverhältnisse keine extreme allgemeine Gefahrenlage für die Bevölkerung bestehe.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer durch seinen Vertreter Berufung und führte in einer Ergänzung dazu u.a. aus, als Deserteur drohe ihm im Falle seiner Rückkehr die Zwangsrekrutierung und die Einstufung als Oppositioneller, was auch die Gefahr von Misshandlung oder Tod mit sich bringe. Dies belege auch eine in der Berufungsergänzung wiedergegebene Aussage einer von einem deutschen Verwaltungsgericht herangezogenen, namentlich nicht genannten Auskunftsperson.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers nach Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung gemäß §§ 7 und 8 AsylG ab. In der Begründung des angefochtenen Bescheides stellte die belangte Behörde nach Darstellung des bisherigen Verfahrensganges und einer wörtlichen Wiedergabe der Vernehmung des Beschwerdeführers in der Berufungsverhandlung fest, die vom Beschwerdeführer "ins Treffen geführten Umstände bzw. Ereignisse konnten nicht als Sachverhalt festgestellt bzw. der Entscheidung zugrundegelegt werden". Der Beschwerdeführer habe im Rahmen der Berufungsverhandlung eine Mehrzahl krass von seinen Erstaussagen vor dem Bundesasylamt abweichender Angaben gemacht (widersprüchliche Angaben zur Zeitdauer seiner beiden Aufenthalte in zwei Militärcamps, hinsichtlich der Person des Kommandanten jener Patrouille, die ihn angeblich im Stadtgebiet von Kinshasa aufgegriffen habe, hinsichtlich des Besitzes einer Identitätskarte sowie des Procedere hinsichtlich der Aufnahme seiner Personalien im ersten Militärcamp sowie zu den Modalitäten seiner Flucht). Auf entsprechenden Vorhalt habe der Beschwerdeführer keine plausiblen Erklärungen für die aufgetretenen Widersprüche geben können. In Bezug auf § 8 AsylG führte die belangte Behörde aus, aufgrund seiner mangelnden persönlichen Glaubwürdigkeit habe der Beschwerdeführer auch keine konkreten Indizien aufzuzeigen vermocht, welche die Annahme rechtfertigten, dass er im Falle seiner Rückkehr in den angeblichen Herkunftsstaat Gefahr liefe, unmenschlicher Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden. Abgesehen von persönlichen Anknüpfungspunkten habe die belangte Behörde auch nicht feststellen können, dass im gesamten Gebiet der Demokratischen Republik Kongo "eine allgemeine extreme Gefahrensituation" vorliege. Die belangte Behörde verwies auf die den zweiten Spruchpunkt des erstinstanzlichen Bescheides tragenden Begründungselemente und erhob die bezughabenden Passagen des Erstbescheides zum Inhalt des angefochtenen Bescheides. Weiters verwies sie auf eine Auskunft des Deutschen Außenamtes vom 18. Jänner 2001, wonach die Lage in der Demokratischen Republik Kongo bzw. der Hauptstadt Kinshasa "derzeit ruhig" sei. Auch internationalen Medien bzw. den einschlägigen Berichten seit Mitte Jänner 2001 könne keine dramatische Verschlechterung der Allgemeinsituation entnommen werden. Der Beschwerdeführer habe auch nicht aufzeigen können, dass er einer bestimmten Risikogruppe angehören würde. Die vom Beschwerdeführer in der Berufung zitierte Quelle beziehe sich auf eine namentlich nicht genannte Auskunftsperson und sei einer ernsthaften Bewertung nicht zugänglich.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

1. Die Abweisung des Asylantrages hat die belangte Behörde darauf gegründet, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers aufgrund mehrerer - dem Beschwerdeführer in der Berufungsverhandlung vorgehaltener - Widersprüche zwischen seinen Angaben vor der erstinstanzlichen Behörde und in der Berufungsverhandlung als unglaubwürdig zu werten sei. Dass die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid nicht angeführt hätte, welche Angaben des Beschwerdeführers unglaubwürdig erscheinen und in welchen Punkten Widersprüche vorliegen würden - wie der Beschwerdeführer behauptet - trifft im Hinblick auf die Wiedergabe seiner Einvernahme in der Berufungsverhandlung und die daran anschließende Aufzählung der widersprüchlichen Angaben des Beschwerdeführers nicht zu. Die von der belangten Behörde aufgrund der oben angeführten Widersprüche zu Lasten des Beschwerdeführers vorgenommene Beweiswürdigung begegnet im Ergebnis auch keinen Bedenken, die der Beschwerde - im Rahmen der gemäß § 41 Abs. 1 VwGG auf eine Schlüssigkeitsprüfung beschränkten Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof - zum Erfolg verhelfen könnten.

Die Beschwerde vermag insoweit auch keine relevanten Verfahrensfehler aufzuzeigen. Für die vom Beschwerdeführer aufgestellte Behauptung, dass "der beigezogene Dolmetsch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Kontakte zu den offiziellen kongolesischen Behörden pflegt" und die Angaben des Beschwerdeführers weiterleite, hat der Beschwerdeführer keinerlei Anhaltspunkte genannt und auch nicht dargelegt, welche Auswirkungen dieser behauptete Umstand auf das Verfahrensergebnis gehabt haben soll. Dass vom Beschwerdeführer keine relevanten Verfahrensfehler geltend gemacht wurden, gilt schließlich auch für dessen Behauptung, er sei in seinem "subjektiven Recht auf Kontakt mit dem Hochkommissär für Flüchtlinge der Vereinten Nationen verletzt" und nicht darüber belehrt worden, dass er eine Stellungnahme des Hochkommissärs der Vereinten Nationen verlangen könne. Abgesehen davon, dass sich aus aus dem vorgelegten Verwaltungsakt ergibt, dass der Hochkommissär von der Einleitung des gegenständlichen Asylverfahrens verständigt wurde und der Beschwerdeführer über die ihm im Asylverfahren zustehenden Rechte belehrt worden ist, wird in der Beschwerde nicht aufgezeigt, welchen Einfluss die behauptetermaßen unterlassene Belehrung oder die Einholung einer Stellungnahme des Hochkommissärs auf den Bescheidinhalt gehabt hätte.

Die Beschwerde war daher in Bezug auf die Entscheidung der belangten Behörde über den Asylantrag gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

2. Ihren Ausspruch nach § 8 AsylG hat die belangte Behörde einerseits mit einem Verweis auf den erstinstanzlichen Bescheid, der Feststellungen zu den allgemeinen Verhältnissen in der Demokratischen Republik Kongo enthielt, begründet; andererseits stützte sie sich auf die oben wiedergegebene Auskunft des Deutschen Außenamtes vom 18. Jänner 2001.

Der erstinstanzliche Bescheid ist mit 4. Jänner 2001 datiert.

Darin wird unter anderem festgestellt: "Ca. 60 % des Staatsgebietes werden von der Staatsregierung unter Präsident Kabila kontrolliert." Am 16. Jänner 2001 - somit vor Erlassung des angefochtenen Bescheides - fiel Präsident Laurent-Desiree Kabila einem Mordanschlag zum Opfer, als Nachfolger wurde sein Sohn Joseph Kabila bestellt. Der erstinstanzliche Bescheid konnte auf die Entwicklung in der Demokratischen Republik Kongo nach dieser Ermordung des Staatspräsidenten noch nicht eingehen. Auch die belangte Behörde hat sich aber mit den Folgen dieser Entwicklung nicht ausreichend beschäftigt, obwohl die Ermordung eines Staatspräsidenten ein für die Asylfrage oder für die Entscheidung nach § 8 AsylG möglicherweise bedeutsames Ereignis ist, was im konkreten Fall angesichts des notorischen Bürgerkrieges und verschiedener Berichte, die erkennen ließen, dass die humanitäre Lage und die Menschenrechtssituation in der Demokratischen Republik Kongo nicht unproblematisch waren, keiner näheren Erörterung bedarf (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 18. April 2002, Zl. 2001/01/0249, sowie zur Verpflichtung, aktuellste Beweismittel heranzuziehen, etwa das hg. Erkenntnis vom 4. April 2001, Zl. 2000/01/0348). Die belangte Behörde hat sich zwar, über die Feststellungen im erstinstanzlichen Bescheid hinausgehend, auf eine Auskunft des Deutschen Außenamtes vom 18. Jänner 2001 gestützt, wonach die Lage in der Demokratischen Republik Kongo "derzeit ruhig" sei; sie hat dabei aber unbeachtet gelassen, dass der in Rede stehenden Auskunft auch zu entnehmen war, dass die Situation in der Demokratischen Republik Kongo "unübersichtlich" sei (ohne dass in dieser Auskunft der Grund hiefür benannt wurde) und dass vom Deutschen Auswärtigen Amt ausdrücklich angeregt werde, "bis zur Klärung der innenpolitischen Lage von Abschiebungen Abstand zu nehmen". Inwieweit "auch den internationalen Medien bzw. den einschlägigen Berichten seit Mitte Jänner 2001 keine dramatische Verschlechterung der Allgemeinsituation in der Demokratischen Republik Kongo zu entnehmen" gewesen wäre (wie die belangte Behörde weiter ausführt), ist mangels Anführung der von der belangten Behörde herangezogenen Berichte im angefochtenen Bescheid für den Verwaltungsgerichtshof nicht nachprüfbar, zumal auch dem Protokoll über die Berufungsverhandlung nicht zu entnehmen ist, dass bzw. welche aktuelle Berichte bzw. Medienveröffentlichungen dem Beschwerdeführer in der mündlichen Berufungsverhandlung vorgehalten wurden.

Schon nach dem Gesagten steht daher fest, dass die belangte Behörde sich nicht in geeigneter und ausreichend nachvollziehbarer Weise mit dem für die Entscheidung über den Refoulementschutz gemäß § 8 AsylG hier wesentlichen Gesichtspunkt des § 57 Abs. 1 FrG - ob die Abschiebung angesichts der Verhältnisse in der Demokratischen Republik Kongo im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides insgesamt mit Österreichs Verpflichtungen aus Art. 3 EMRK (abgesehen von den außerdem zu berücksichtigenden Fällen einer drohenden Todesstrafe) vereinbar gewesen wäre (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 21. August 2001, Zl. 2000/01/0443, sowie das Erkenntnis vom 18. April 2002, Zl. 2001/01/0249, auf dessen Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird) - auseinandergesetzt hat.

Aufgrund der nicht ausreichenden Auseinandersetzung der belangten Behörde mit der aktuellen Entwicklung im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers leidet der angefochtene Bescheid in seinem Ausspruch über die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Demokratische Republik Kongo an Ermittlungs- und Begründungsmängeln. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die belangte Behörde bei Vornahme der gebotenen weiteren Ermittlungen in diesem Punkt zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen können, war der Bescheid in diesem Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 3. Dezember 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2001010354.X00

Im RIS seit

22.01.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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