TE Vwgh Erkenntnis 2004/2/24 2002/01/0559

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Veröffentlicht am 24.02.2004
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
41/02 Staatsbürgerschaft;

Norm

B-VG Art130 Abs2;
StbG 1985 §10 Abs1 idF 1998/I/124;
StbG 1985 §10 Abs5 Z3 idF 1998/I/124;
StbG 1985 §11 idF 1998/I/124;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Dr. Kleiser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerde des C in Wien, vertreten durch Dr. Lennart Binder, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Rochusgasse 2, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 19. September 2002, Zl. MA 61/IV-C 528/2002, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 19. September 2002 wies die Wiener Landesregierung den Antrag des Beschwerdeführers, eines 1967 geborenen türkischen Staatsangehörigen, auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft "gemäß §§ 10 und 11 StbG" ab.

Zur Begründung ihrer Entscheidung führte die belangte Behörde Folgendes aus:

"Der türkische Staatsangehörige lebt seit Dezember 1989 in Österreich, ist verheiratet, sorgepflichtig für seine Gattin sowie zwei minderjährige Kinder und derzeit als Handelsarbeiter beschäftigt.

Laut Bescheinigung der Wiener Gebietskrankenkasse vom 21. März 2002 kann Herr C seit Beginn seines Aufenthaltes in Österreich, also seit 1989, nur etwa 7 Jahre und 3 Monate an Versicherungszeiten vorweisen, wobei er bei 31 verschiedenen Dienstgebern jeweils lediglich tageweise bzw. für einige Monate beschäftigt war. Nur im Zeitraum 16. April 1997 bis 15. Mai 1998 wies er ein länger währendes Beschäftigungsverhältnis auf. Zwischen den einzelnen Arbeitsverhältnissen lagen oft Zeiten der Arbeitslosigkeit, in welchen der Bewerber Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe bezogen hat. Das zur Zeit bestehende Beschäftigungsverhältnis ist erst seit 13. Februar 2002, also erst seit beinahe sechs Monate aufrecht.

Der Bewerber wurde am 9. April 2002 niederschriftlich informiert, dass eine positive Ermessensübung nicht beabsichtigt sei und verzichtete auf sofortigen Bescheiderlass. Hierauf ersuchte Herr C durch seinen Vertreter mit Stellungnahme vom 17. Mai 2002 um Bescheiderlass. Im ergänzend durchgeführten Ermittlungsverfahren gab der Bewerber bei seiner Einvernahme am 9. August 2002 an, er habe sich durchaus bemüht längerfristige Beschäftigungsverhältnisse einzugehen. Er habe lediglich ein einziges Mal auf Grund von Zahlungsrückständen seitens des Dienstgebers sein Beschäftigungsverhältnis aus eigenen Stücken gelöst. Ansonsten sei immer er gekündigt worden, was er einerseits mit der schlechten Auftragslage der Firmen und andererseits mit dem Verkauf von Firmen erklärte. Weitergehende Nachweise zur Untermauerung seines Vorbringens erbrachte der Bewerber nicht.

...

Im vorliegenden Falle liegt hinsichtlich Herrn C kein Einbürgerungshindernis gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 bis 8 StbG vor.

...

Im Hinblick auf die dargetane Sozialversicherungssituation, insbesondere auf Grund des Umstandes, dass es dem Bewerber bisher nicht gelungen ist, ein längerfristiges Beschäftigungsverhältnis einzugehen, ist es jedoch der Verleihungsbehörde nicht möglich, das in § 11 StbG determinierte Ermessen positiv zu gebrauchen.

Der Bewerber hat in der Türkei vier Jahre die Volksschule und drei Jahre die Hauptschule besucht sowie eine dreijährige Ausbildung als Lederschneider absolviert. Er lebt bereits seit seinem 23. Lebensjahr in Österreich, ist erst 35 Jahre alt, weist keine körperlichen Gebrechen auf und verfügt über einen unbefristeten Wiedereinreisesichtvermerk sowie einen Befreiungsschein. Auf Grund dieser Prämissen kann erwartet werden, dass dem Bewerber am österreichischen Arbeitsmarkt dauerhafte Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung stehen sollten. Angesichts der Umstände, dass der Bewerber im Rahmen seines 13-jährigen Aufenthaltes in Österreich lediglich etwas mehr als sieben Jahre in sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen stand, diese sehr kurz gehalten waren und lediglich tageweise oder für einige Monate eingegangen wurden sowie insbesondere 31 verschiedene Dienstgeber vorweist, erscheint eine berufliche Integration Herrn C noch nicht gelungen zu sein. Auch das derzeit bestehende Arbeitsverhältnis währt erst seit etwas mehr als 6 Monaten, weswegen auch dieses mangels ausreichender kontinuierlicher Dauer aktuell keine berufliche Integration indizieren kann.

Der anlässlich der niederschriftlichen Einvernahme vom 9. August 2002 von Herrn C abgegebenen Erklärung, seine Beschäftigungsverhältnisse seien teilweise auf Grund der schlechten Auftragslage der Firmen, teilweise wegen deren Verkauf, kurz gewesen, ist die Bescheinigung der Wiener Krankenkasse vom 21. März 2002 entgegenzuhalten. Danach war Herr C unter anderem bei renommierten Handelsketten beschäftigt, die noch immer bestehen und kaum über schlechte Auftragsverhältnisse zu klagen haben. Das Vorbringen des Einbürgerungswerbers stellt sich daher als unglaubwürdig dar, welches die erkennende Behörde nicht von den vergeblichen Bemühungen des Bewerbers um ein längerfristiges Beschäftigungsverhältnis zu überzeugen vermag. Dies umso mehr, als der Bewerber häufig lediglich tageweise andauernde Arbeitsverhältnisse vorweist. Dies mit den obgenannten Parametern, die aus der Sphäre des Dienstgebers stammen, zu begründen, widerspricht der allgemeinen Lebenserfahrung. Eine Integration in das österreichische Sozialsystem, in welchem Arbeitsausübung, Erbringung von Steuerleistungen- und Sozialversicherungsbeiträgen zur eigenen sozialen Absicherung sowie zur Deckung der für das Gemeinwesen erforderlichen Sozialmittel vorgesehen ist, ist somit nicht erkennbar.

Es kann weder im öffentlichen Interesse gelegen sein noch dem allgemeinen Wohl entsprechen, einem 35-jährigen Fremden, der sich seit 13 Jahren in Österreich aufhält, lediglich kurz gehaltene Arbeitsverhältnisse eingegangen und oftmals arbeitslos ist sowie in das österreichische Sozialsystem mangels ausreichender versicherungspflichtiger Arbeitsleistung nicht integriert ist, die österreichische Staatsbürgerschaft zu verleihen. Überdies kann aus dieser Situation heraus eine Belastung der öffentlichen Hand nicht ausgeschlossen werden.

Folglich ist es für die Verleihungsbehörde unumgänglich, Herrn C die Möglichkeit zu geben, seine Integrationswilligkeit betreffend der Eingliederung in den österreichischen Arbeitsmarkt, noch einige Zeit unter Beweis zu stellen und es war spruchgemäß zu entscheiden."

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde, zu der die belangte Behörde eine Gegenschrift erstattete, hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die belangte Behörde ging davon aus, dass die Einbürgerungserfordernisse (des § 10 Abs. 1 Z. 1 bis 8 StbG) gegeben seien. Sie stützte die Abweisung des Ansuchens jedoch darauf, dass sie das Ermessen nach § 11 StbG nicht zu Gunsten des Beschwerdeführers habe üben können.

§ 11 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG; in der im Beschwerdefall maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 124/1998) lautet:

"Die Behörde hat sich unter Bedachtnahme auf das Gesamtverhalten des Fremden bei der Ausübung des ihr in § 10 eingeräumten freien Ermessens von Rücksichten auf das allgemeine Wohl, die öffentlichen Interessen und das Ausmaß der Integration des Fremden leiten zu lassen".

Die belangte Behörde begründete ihre Ermessensentscheidung vorrangig damit, dass die berufliche Integration des Beschwerdeführers (seine Eingliederung in den österreichischen Arbeitsmarkt) "noch nicht gelungen erscheint"; es sei unumgänglich, dem Beschwerdeführer die Möglichkeit zu geben, "seine Integrationswilligkeit noch einige Zeit unter Beweis zu stellen".

Die zum Nachteil des Beschwerdeführers geübte Ermessensentscheidung der belangten Behörde ist schon aus folgenden Erwägungen nicht mängelfrei erfolgt:

Die Betrachtungsweise der belangten Behörde, die Beschäftigungszeiten eines Fremden seiner Gesamtaufenthaltsdauer im Inland gegenüberzustellen, erweist sich jedenfalls als verfehlt (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 4. April 2001, Zl. 2000/01/0258, und vom 7. Oktober 2003, Zl. 2002/01/0293). Wechselnden Beschäftigungsverhältnissen alleine bzw. einem häufigen Arbeitsplatzwechsel kommt im vorliegenden zu beurteilenden Rahmen keine Bedeutung zu (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 2. Oktober 2001, Zl. 2000/01/0156, und jeweils vom 7. Oktober 2003, Zl. 2002/01/0156 und Zl. 2001/01/0358).

Die belangte Behörde lässt unberücksichtigt, dass es auf das Ausmaß der Integration im Entscheidungszeitpunkt ankommt. Die berufliche Integration eines Einbürgerungswerbers tritt nicht plötzlich und unvermittelt ein, sondern sie ist üblicherweise Ergebnis eines Entwicklungsprozesses. Zeiten, die länger (etwa schon Jahre) zurückliegen, fallen nicht mehr maßgeblich ins Gewicht (vgl. die genannten Erkenntnisse Zl. 2000/01/0258 und Zl. 2002/01/0156).

Es ist daher darin, dass der Beschwerdeführer etwa von 1990 bis zum 16. April 1997 - worauf die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid unter anderem abzustellen scheint - viele kurzfristige Beschäftigungsverhältnisse aufzuweisen hatte, kein für die Entscheidung maßgebliches Integrationsdefizit zu erkennen. Der im angefochtenen Bescheid erhobene Vorwurf, der Beschwerdeführer weise Beschäftigungen auf, die "sehr kurz gehalten waren und lediglich tageweise oder für einige Monate eingegangen wurden", ist in zeitlicher Hinsicht nicht zuordenbar. Dass diese Feststellung sich etwa auf den maßgeblichen Zeitraum unmittelbar vor der Entscheidung der belangten Behörde bezieht, ist auf Grund der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht zu finden.

Die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer zwar das Erreichen eines bestimmten Ausmaßes an beruflicher Integration nicht abgesprochen, sie meint allerdings, dieser Entwicklungsprozess sei noch nicht abgeschlossen bzw. müsse der Beschwerdeführer noch einige Zeit "seine Integrationswilligkeit" beweisen.

Die belangte Behörde hätte allerdings zu Gunsten des Beschwerdeführers berücksichtigen müssen, dass er zuletzt nicht (wie in früheren Jahren) jeweils nur für ganz kurze Zeit bei Bekleidungsfirmen arbeitete, sondern sich erkennbar bemühte, bei anderen Arbeitgebern eine längerfristige und dauerhafte Beschäftigung zu erhalten. So ist den vorgelegten Verwaltungsakten bzw. dem eingeholten Versicherungsdatenauszug etwa zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer vom Arbeitgeber "Airest" am Flughafen Schwechat ab Mai 2000, ab November 2000 und ab Mai 2001 beschäftigt wurde, wobei die Beschäftigungsdauer bei diesem Arbeitgeber insgesamt nahezu 1 Jahr erreichte. Aus welchem Grund der Beschwerdeführer von diesem Arbeitgeber nicht durchgehend beschäftigt werden konnte, sondern die dem Versicherungsdatenauszug entnehmbaren Unterbrechungen auftraten, wurde nicht geprüft und nicht festgestellt. Jedenfalls wurde der Beschwerdeführer dann seit Februar 2002 (bis zur Bescheiderlassung im Oktober 2002), sohin durch nahezu acht Monate, vom Arbeitgeber "Merkur" als Handelsarbeiter beschäftigt und es deutet nichts darauf hin, dass dieses auf unbestimmte Zeit eingegangene Dienstverhältnis nicht als dauerhafte Beschäftigung des Beschwerdeführers anzusehen war. In seiner niederschriftlichen Befragung am 9. August 2002 hat der Beschwerdeführer unter anderem angegeben, er verfüge "das erste Mal über einen Befreiungsschein" (damit gemeint: nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz). Alle diese einen positiven Integrationsprozess indizierenden Umstände blieben unbeachtet.

Die behördlichen Feststellungen vermögen somit eine auf mangelnde berufliche Integration des Beschwerdeführers gegründete Ermessensübung zu dessen Lasten nicht zu rechtfertigen.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 24. Februar 2004

Schlagworte

Ermessen besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2002010559.X00

Im RIS seit

26.03.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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