TE Vfgh Erkenntnis 2000/10/3 G30/00

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Veröffentlicht am 03.10.2000
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Index

62 Arbeitsmarktverwaltung
62/01 Arbeitsmarktverwaltung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsumfang
AlVG §12 Abs6

Leitsatz

Keine Gleichheitswidrigkeit der Gleichstellung von Eigentümern land(forst)wirtschaftlicher Betriebe und Pächtern durch Festsetzung eines bestimmten Einheitswertes als Geringfügigkeitsgrenze für den Bezug von Arbeitslosengeld bei Bewirtschaftung eines land(forst)wirtschaftlichen Betriebes

Spruch

Der Antrag wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Der Verwaltungsgerichtshof beantragt, in §12 Abs6 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 (AlVG) litb idF BGBl. 615/1987 und die Wortfolge "auf andere Art" in litc idF BGBl. 817/1993 als verfassungswidrig aufzuheben, in eventu (im Hinblick auf die Novelle BGBl. 297/1995) auszusprechen, daß diese Bestimmungen verfassungswidrig waren.

§12 umschreibt die nach §7 Abs1 Z1 AlVG für den Anspruch auf Arbeitslosengeld erforderliche Arbeitslosigkeit. Während nach seinem Abs3 insbesondere unter anderem nicht als arbeitslos gilt, "wer selbständig erwerbstätig ist" (litb), gilt unter anderem nach Abs6 litb doch als arbeitslos,

"wer einen land(forst)wirtschaftlichen Betrieb bewirtschaftet, dessen nach den jeweils geltenden gesetzlichen Vorschriften festgestellter Einheitswert 54 000 S nicht übersteigt".

Weiters gilt nach der auf diese litb folgenden litc idF BGBl. 817/1993 als arbeitslos (zur Prüfung gestellter Teil hervorgehoben),

"wer auf andere Art selbständig erwerbstätig ist und daraus im Zeitraum der selbständigen Erwerbstätigkeit einen Umsatz erzielt, von dem 11,1 vH die im §5 Abs2 lita bis c des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes angeführten Beträge nicht übersteigt".

Nach der litb vorausgehenden lita dieser Bestimmung gilt nicht als arbeitslos, wer durch unselbständige Erwerbstätigkeit ein Entgelt bezieht, das die auch in der litc genannten Beträge nicht |bersteigt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über eine Beschwerde gegen einen Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Steiermark zu erkennen, mit welchem einem Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld vom 30. Mai 1994 mit der Begründung keine Folge gegeben wird, daß die Berufungswerberin einen land(forst)wirtschaftlichen Betrieb mit einem Einheitswert von 59.000 S führe, den sie von ihren Eltern gepachtet habe.

Beim Verwaltungsgerichtshof sind aus Anlaß dieser Beschwerde Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen entstanden, die er bezüglich des §12 Abs6 litb AlVG wie folgt darlegt:

"Nur wer einen land(forst)wirtschaftlichen Betrieb bewirtschaftet, dessen nach den jeweils geltenden gesetzlichen Vorschriften festgestellter Einheitswert den im Gesetz genannten Betrag nicht übersteigt, gilt als arbeitslos. Das Gesetz unterscheidet aber nicht, ob der Eigentümer selbst oder etwa ein Pächter (wie im vorliegenden Beschwerdefall) den land(forst)wirtschaftlichen Betrieb bewirtschaftet. Dem Gesetz liegt dabei augenscheinlich die Vermutung zugrunde, dass bei Einkünften aus der Bewirtschaftung eines land(forst)wirtschaftlichen Betriebes mit einem festgestellten Einheitswert der jeweils genannten Größe ein monatliches Einkommen, welches die Geringfügigkeitsgrenze übersteigt (vgl. etwa schon die Erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage betreffend die Abänderung des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1958:

215 BlgNR 12. GP, S. 5 ff), anzunehmen ist."

Anders als das Bauern-Sozialversicherungsgesetz (§23 Abs3 lite) berücksichtige das AlVG allerdings nicht, daß der Pächter für die Nutzung des land(forst)wirtschaftlichen Betriebes in aller Regel ein entsprechendes Entgelt zu entrichten hat, durch das der erwirtschaftete Ertrag gemindert wird. Es scheine daher

"(d)ie unterschiedlose Gleichstellung von Betriebseigentümer und Pächter eines Betriebes, die dem §12 Abs6 litb AlVG 1977 in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung zugrunde liegt, ... unsachlich zu sein und sohin gegen den Gleichheitssatz zu verstoßen".

Zur Bereinigung der Rechtslage sei es erforderlich, auch die Wortfolge "auf andere Art" in §12 Abs6 litc AlVG aufzuheben (Hervorhebung im Original):

"Sollte der Verfassungsgerichtshof der Anfechtung stattgeben, so wäre der vorliegende Beschwerdefall am verbleibenden §12 AlVG zu messen. Das aber könnte bedeuten, dass die Beschwerdeführerin zwar dem §12 Abs3 litb AlVG, aber keinem Tatbestand des §12 Abs6 unterfiele und daher von vornherein nicht als arbeitslos gälte. Denn die Wendung 'wer auf andere Art selbständig erwerbstätig ist' könnte unter Bedachtnahme auf die aufgehobene Bestimmung des §12 Abs6 litb AlVG weiterhin im bisherigen Sinn, also unter Ausklammerung der Besitzer land(forst)wirtschaftlicher Betriebe, verstanden werden. Um eine solche Auslegung auszuschließen, wird daher auch die Wendung 'auf andere Art' im §12 Abs6 litc AlVG idF BGBl. Nr. 817/1993 angefochten."

Die Bundesregierung hat von der Erstattung einer Äußerung zum Gegenstand abgesehen.

II. Der Antrag ist zulässig, aber nicht begründet.

1. Es ist nichts hervorgekommen, was daran zweifeln ließe, daß der Verwaltungsgerichtshof bei Erledigung der bei ihm anhängigen Beschwerde, die Anlaß zur Stellung des vorliegenden Antrages bot, §12 Abs6 litb AlVG anzuwenden hätte. Mit dieser Bestimmung ist die darauf folgende litc untrennbar verbunden:

Der Verfassungsgerichtshof hat in seiner bisherigen Judikatur ausgesprochen, daß der Umfang der zu prüfenden und im Falle ihrer Rechtswidrigkeit aufzuhebenden (oder als verfassungswidrig festzustellenden) Bestimmung derart abzugrenzen sei, daß einerseits nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden werde, als Voraussetzung für den Anlaßfall sei, andererseits aber der verbleibende Teil keine Veränderung seiner Bedeutung erfahren solle (vgl. VfSlg. 8155/1977). Es ist dabei in jedem Einzelfall abzuwägen, ob und welchem dieser Ziele der Vorrang gebührt (VfSlg. 7376/1974, 7726/1976, 13.701/1994). Die Grenzen einer (möglichen) Aufhebung müssen so gezogen werden, daß der verbleibende Gesetzesteil keinen völlig veränderten Inhalt bekommt, aber auch die mit der aufzuhebenden (bzw. als verfassungswidrig festzustellenden) Gesetzesbestimmung in einem untrennbaren Zusammenhang stehenden Betimmungen erfaßt werden. Der Verfassungsgerichtshof hält an diesen Grundsätzen, die sowohl auf von Amts wegen als auch auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren zutreffen (so VfSlg. 8155/1977, 13.701/1994), fest.

Die litc des §12 Abs6 AlVG klammert mit der Wortfolge "wer auf andere Art selbständig erwerbstätig ist ...," die (selbständige) Erwerbstätigkeit in einem land(forst)wirtschaftlichen Betrieb nach litb aus. Nach einem Wegfall der litb könnte sie auf keinen anderen Tatbestand bezogen werden, da in lita die unselbständige Erwerbstätigkeit unter der Geringfügigkeitsgrenze geregelt ist. Der Wegfall der litb macht daher diese Abgrenzung im besten Fall funktionslos, sie könnte aber auch dahin mißverstanden werden, daß der Inhalt der litc von der Aufhebung der litb unberührt bleibt und der von Abs6 litb erfaßt gewesene Personenkreis dem Abs3 litb unterfällt (und nicht als arbeitslos gilt). Die Wortfolge "auf andere Art" in der litc steht zur litb daher in dem vom Verwaltungsgerichtshof behaupteten untrennbaren Zusammenhang. Der Antrag ist daher auch hinsichtlich dieser Wortfolge zulässig.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist die Frage, ob eine anwendbare Norm, deren Verfassungsmäßigkeit zur Prüfung gestellt wird, noch in Kraft steht oder bereits außer Kraft getreten ist, keine Frage der Zulässigkeit des Antrages, sondern eine solche der Sachentscheidung, die der Gerichtshof an der jeweiligen Situation auszurichten hat (vgl. VfSlg. 11.469/1987 und die dort zitierte Vorjudikatur).

2. Die zur Prüfung gestellten Bestimmungen verstoßen aber nicht gegen den Gleichheitssatz.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in einem Antrag zutreffend ausführt, ist bei Beurteilung der Arbeitslosigkeit nicht zu unterscheiden, ob der land- und forstwirtschaftliche Betrieb im Eigentum des Betreibers steht oder nur gepachtet ist. §12 Abs6 litb AlVG schließt schon dann die Annahme von Arbeitslosigkeit aus, wenn ein Betrieb, der einen Einheitswert bestimmter Höhe übersteigt, vom Leistungswerber bewirtschaftet wird. Nun kommt gewiß dem Pächter eines Betriebs der Ertrag seiner Bewirtschaftung nur abzüglich des Pachtzinses zu. Wenn das BSVG für Zwecke der Beitragsbemessung den dafür maßgeblichen Einheitswert daher im Falle der Pacht um ein Drittel vermindert, nimmt es damit auf einen durchaus unterschiedlichen Sachverhalt - wenn auch pauschaliert - zulässigerweise Bedacht (wobei hier dahingestellt bleiben kann, ob es auch in verfassungsrechtlich einwandfreier Weise geschehen ist).

Der Verfassungsgerichtshof kann aber der Meinung des Verwaltungsgerichtshofs, der Gesetzgeber sei verfassungsrechtlich verpflichtet, bei Umschreibung der dem Bezug von Arbeitslosengeld unschädlichen geringfügigen Beschäftigung bei Bewirtschaftung eines land(forst)wirtschaftlichen Betriebes zu unterscheiden, ob es sich um einen Betrieb des Eigentümers oder einen gepachteten handelt, im Ergebnis nicht beipflichten:

Die Arbeitlosenversicherung hat den Zweck, den mit der Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses verbundenen plötzlichen Verdienstausfall abzufangen. Sie muß also möglichst rasch eingreifen. Im Falle der Fortführung einer zusätzlichen Erwerbstätigkeit muß daher ohne größeren Aufwand festgestellt werden können, ob ein Versicherungsfall vorliegt oder nicht. Die Feststellung des aktuellen Einkommens Selbständiger ist der Arbeitsmarktverwaltung aber meist nicht möglich. Ergebnisse von Steuerverfahren sind häufig erst nach großer Verzögerung verfügbar; ihnen liegen auch vielfach andere Bewertungen zugrunde. Der Gesetzgeber knüpft für land(forst)wirtschaftliche Betriebe daher an den Einheitswert, für andere Selbständige an den erzielten Umsatz an. Es liegt auf der Hand, daß diese Indikatoren nur einen sehr ungefähren Rückschluß auf das für Zwecke der Arbeitslosenversicherung zurechenbare Einkommen selbständig Tätiger zulassen.

Im Erkenntnis vom 9. Juni 1988, Z87/08/0303, (VwSlg. 12.737 A), das einen Fall betraf, in dem der Inhaber eines landwirtschaftlichen Betriebes aus dem Ertrag oder aus anderen Einkünften Leibrentenforderungen des Voreigentümers begleichen mußte, führt der Verwaltungsgerichtshof dazu selbst aus:

"Der Verwaltungsgerichtshof hegt gegen die bloße Anknüpfung an die Höhe des Einheitswertes (also an den nach dem Bewertungsgesetz 1955 ermittelten Ertragswert und nicht an den konkreten Zufluß von Einkünften), die mit dem gesamten System der Sozialversicherung, auch im Leistungsrecht (vgl. u.a. §§292 Abs5 ASVG, 140 Abs5 BSVG, 149 Abs5 GSVG, 36 Abs3 litA d AlVG) im Einklang steht, auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes in seiner Ausprägung durch die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. u.a. das Erkenntnis vom 14. Dezember 1978, Slg. Nr. 8457). Denn wie die wiedergegebenen Erwägungen in den Gesetzesmaterialien erkennen lassen, ging der Gesetzgeber für den Regelfall davon aus, daß bei einem Einheitswert in der damals festgesetzten Höhe die Einkünfte die Geringfügigkeitsgrenzen der lita und c des §12 Abs6 AlVG übersteigen, ja daß selbst bei einem geringeren Einheitswert diese Grenzwerte erreicht würden. Gegen die Richtigkeit dieser Annahmen und ihres weiteren Fortbestehens sind beim Gerichtshof vor dem Hintergrund des schon genannten allgemeinen Systems der Anknüpfung an steuerrechtlich ermittelte Ertragswerte einerseits und die Art dieser Ermittlung andererseits keine Bedenken entstanden. Er sieht sich daher nicht zu der vom Beschwerdeführer angeregten Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof veranlaßt."

Was aus einem Betrieb erwirtschaftet wird, hängt unter anderem auch von der Höhe eines allfälligen Pachtzinses ab. Dieser unterliegt allerdings der freien Vereinbarung. Deren Inhalt wird maßgeblich von der Verteilung der Risken und Lasten zwischen Pächter und Verpächter bestimmt. Oft deckt der Pachtzins auch nur die Aufwendungen, die bei anderer Vertragsgestaltung dem Pächter oblägen. Die Verpachtung der für die Geringfügigkeitsgrenze in Betracht kommenden kleinlandwirtschaftlichen Betriebe erfolgt ferner - wie auch der Anlaßfall beim Verwaltungsgerichtshof zeigt - häufig im Familienverband und aus anderen als Gründen der Einkommenserzielung für den Verpächter (wie etwa zwecks Sicherung der Fortführung des Betriebes). Bei minimalem Ertrag wird oft auch nur ein Anerkennungszins gezahlt. Der Pachtzins ist außerdem nur eine von mehreren für den Ertrag eines land(forst)wirtschaftlichen Betriebes mit gegebenem Einheitswert maßgeblichen Größen. Selbst der Eigentümer muß oft für lange Zeit Teile des Ertrages dazu verwenden, die Kosten der Anschaffung der Erwerbsgelegenheit zu decken: Er muß Kaufpreisraten entrichten, Leibrenten zahlen oder - im Bereich der Land(Forst)wirtschaft besonders häufig - ein Ausgedinge reichen. Dazu kommt, daß der Einheitswert als ein längerfristig gleichbleibender Wert auf den Durchschnitt des Ertrages abstellt, sodaß Aufwendungen (für längerfristig wiederkehrende Investitionen), die nur den Ertrag einiger Jahre belasten, keine besondere Berücksichtigung finden, obwohl sie das Einkommen der betreffenden - für eine sonst vorliegende Arbeitslosigkeit in Betracht kommenden - Wirtschaftsjahre empfindlich herabsetzen.

Insgesamt ist der Einheitswert daher ein sehr vager, der ziffernmäßig bestimmten Grenze der Geringfügigkeit von Beschäftigungsverhältnissen nur gleichwertiger, nicht gleichartiger und daher auch nur annähernd vergleichbarer Maßstab. Geht man mit dem Verwaltungsgerichtshof (in VwSlg. 12.737 A/1988) davon aus, daß beim jeweils maßgeblich erklärten Einheitswert die Einkünfte die Geringfügigkeitsgrenze regelmäßig übersteigen und selbst bei einem geringeren Einheitswert diese Grenze erreicht wird, so läßt der Einheitswert eine gewisse Bandbreite offen, innerhalb der gewisse einkommensmindernde Umstände noch nicht das Urteil rechtfertigen, die Grenze zur geringfügigen selbständigen Tätigkeit sei bereits unterschritten. Bei dieser Sachlage ist der Gesetzgeber durch den Gleichheitssatz nicht verpflichtet, für die Umschreibung der Geringfügigkeit einer neben dem Arbeitslosengeldbezug zulässigen Beschäftigung zwischen gepachteten Betrieben und vom Eigentümer bewirtschafteten zu unterscheiden. Er darf vielmehr ohne Rücksicht auf die Umstände des konkreten Falles und allfällige Kosten der Beschaffung der Erwerbsgelegenheit pauschal auf den Einheitswert abstellen. Der Antrag ist daher abzuweisen.

Eine mündliche Verhandlung war entbehrlich (§19 Abs4 Satz 1 VerfGG).

Schlagworte

Arbeitslosenversicherung, VfGH / Prüfungsumfang

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2000:G30.2000

Dokumentnummer

JFT_09998997_00G00030_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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