TE Vwgh Erkenntnis 2004/4/1 2001/20/0681

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Veröffentlicht am 01.04.2004
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §28;
AsylG 1997 §7;
AVG §56;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Berger und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des A in H, geboren 1978 (alias: 1978), vertreten durch Dr. Gerhard Pail, Rechtsanwalt in 7400 Oberwart, Evangelische Kirchengasse 2, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 17. September 2001, Zl. 212.245/0-IV/29/99, betreffend § 7 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, reiste am 16. Juni 1999 in das Bundesgebiet ein und beantragte am selben Tag die Gewährung von Asyl. Zu seinen Fluchtgründen brachte der Beschwerdeführer in der Vernehmung vor dem Bundesasylamt am 14. Juli 1999 im Wesentlichen vor, er sei Tadschike und in seiner Heimatstadt "Harat" (gemeint: Herat) am 14. April 1999 von den Taliban festgenommen und bei den Verhören "schwerstens" geschlagen worden. Die Taliban hätten dem Beschwerdeführer unterstellt, er habe entweder selbst Waffen versteckt oder Zugriff auf Waffen, weil sein 1995 verstorbener Vater früher "Kommandant" der Partei "Djamiyat Islami" (nach der üblichen Schreibweise: "Jamiat-i Islami") gewesen sei und gegen die Kommunisten gekämpft habe. Dem Beschwerdeführer sei aus Anlass einer Gefängnisrevolte am 20. Mai 1999 die Flucht gelungen. Bei einer Rückkehr in sein Heimatland müsse er wegen des Vorwurfes des Waffenbesitzes und der Flucht aus dem Gefängnis mit den härtesten Strafen rechnen. Abschließend verwies der Beschwerdeführer darauf, dass die Taliban "nur ihre eigene Denkweise und Sprache den anderen aufzwingen" wollten und zum Beispiel der Meinung seien, "dass Harat die Heimat der Pashtunen sei und dass die anderen hier keinen Platz hätten."

Das Bundesasylamt hielt das Vorbringen des Beschwerdeführers für nicht glaubwürdig und wies den Asylantrag mit Bescheid vom 10. August 1999 gemäß § 7 AsylG ab, stellte gemäß § 8 AsylG jedoch fest, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan nicht zulässig sei.

In der gegen den Asylteil erhobenen Berufung machte der Beschwerdeführer unter Zitierung von entsprechenden Quellen ergänzend geltend, er sei als Angehöriger der tadschikischen Bevölkerungsgruppe ethnischer Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt. Mit einer in der Folge erstatteten Berufungsergänzung legte der Beschwerdeführer unter anderem zur Untermauerung seines Vorbringens einen Brief, der im Auftrag seiner Mutter von einem sogenannten Briefschreiber verfasst und von ihr unterfertigt worden sei, als weiteres Beweismittel vor.

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen - nach Durchführung von mündlichen Berufungsverhandlungen am 27. Juni 2001 und am 14. September 2001 erlassenen - Bescheid der belangten Behörde vom 17. September 2001 wurde die Berufung des Beschwerdeführers "gemäß § 7 AsylG" abgewiesen. Die belangte Behörde erachtete das Vorbringen des Beschwerdeführers angesichts näher dargestellter "Widersprüche" in seinen Angaben, die er in der Verhandlung "nicht nachvollziehbar auflösen" habe können, und aufgrund von "Ungereimtheiten" für nicht glaubwürdig.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorweg ist festzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid anhand der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 26. November 2003, Zl. 2001/20/0457).

Den beweiswürdigenden Erwägungen im angefochtenen Bescheid hält die Beschwerde - zu Recht - entgegen, die belangte Behörde habe völlig übersehen, dass die vom Beschwerdeführer behauptete Verfolgungsgefahr in seiner Heimatstadt Herat durch das vorgelegte Schreiben seiner Mutter bestätigt werde. Die belangte Behörde hat zwar eine Übersetzung dieses Schreibens veranlasst, doch darauf weder im Rahmen der Berufungsverhandlungen Bedacht genommen noch sich damit bei der Beweiswürdigung auseinander gesetzt. Nach dem Inhalt dieses Briefes - es wird von der Festnahme, schweren Verletzung und Ermordung von "Freunden und Kollegen" des Beschwerdeführers bei einem Militäreinsatz in der Zeit nach dem 17. April 1999 und von der Tötung von Gefangenen "aus dieser Zeit" sowie davon berichtet, dass sich die Taliban nach dem Verbleib des Beschwerdeführers bei Familienangehörigen erkundigt und ihn gesucht hätten, und schließlich vor einer Rückkehr gewarnt - kann nicht gesagt werden, das Schreiben wäre von vornherein zur Gänze als Beweismittel für die Richtigkeit der vom Beschwerdeführer vorgetragenen Verfolgungsbehauptungen untauglich gewesen. Demnach ist nicht ausgeschlossen, dass die belangte Behörde bei seiner Einbeziehung in Verbindung mit einer diesbezüglichen Befragung des Beschwerdeführers beweiswürdigend zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. Schon im Hinblick auf diese Unterlassung hat die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet.

Darüber hinaus ist bei der punktuell vorgenommenen, einzelne Aspekte herausgreifenden Beweiswürdigung im angefochtenen Bescheid zu bemängeln, dass nur die "Widersprüche" und "Ungereimtheiten" bewertet, jedoch jene Teile der Aussage des Beschwerdeführers ausgeklammert wurden, die sich einerseits mit den Ausführungen des Sachverständigen und andererseits mit den damaligen Verhältnissen in Afghanistan, vor allem mit dem aus zahlreichen Berichten bekannten Vorgehen der Taliban gegen Angehörige der nicht pashtunischen Bevölkerung im Herkunftsgebiet des Beschwerdeführers, in Einklang bringen lassen. Insbesondere hat die belangte Behörde auch nicht nachvollziehbar begründet, weshalb das Vorbringen des Beschwerdeführers zur Tätigkeit seines Vaters für unglaubwürdig erachtet wurde. Auf das Argument, die Angaben des Beschwerdeführers zu der Funktion seines Vaters seien "abstrakt" gehalten, lässt sich dies in tragfähiger Weise nicht stützen. Die belangte Behörde zeigt nämlich nicht auf, dass dem im Zeitpunkt des Todes des Vaters siebzehnjährigen Beschwerdeführer im Falle der Richtigkeit seiner diesbezüglichen Angaben eine nähere Beschreibung der Tätigkeit seines Vaters als sie im Asylverfahren vorgenommen wurde (der Vater sei als Kommandant einer kleineren Gruppe von 20 Personen Teil der militärischen Organisation der Jamiat-i Islami gewesen; er habe unter Esmail Khan gedient, dem Kommandanten von Herat, der Präsident Rabbani unterstellt gewesen sei, und von diesem oder einem seiner Kommandanten die Befehle erhalten; er habe an den Kämpfen gegen die Taliban zwischen Herat und Kandahar, früher auch gegen die Kommunisten, teilgenommen), möglich sein hätte müssen. Hätte sich aber beim Beschwerdeführer ein - infolge der zu den Taliban oppositionellen Aktivitäten des Vaters des Beschwerdeführers für die Jamiat-i Islami - "politischer oder militärischer Hintergrund" nicht verneinen lassen, so wäre nach den Ausführungen des Sachverständigen in der zweiten Berufungsverhandlung (bezogen auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides) auch die Gefahr einer Verfolgung des Beschwerdeführers als Angehöriger der tadschikischen Volksgruppe in Herat in Betracht zu ziehen gewesen (vgl. in diesem Zusammenhang das einen Tadschiken aus Herat betreffende Erkenntnis vom 26. November 2003, Zl. 2000/20/0258).

Der angefochtene Bescheid war somit aus den dargestellten Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 1. April 2004

Schlagworte

Begründung Begründungsmangel Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel Besondere Rechtsgebiete Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2001200681.X00

Im RIS seit

11.05.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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