TE Vwgh Erkenntnis 2004/5/25 2003/01/0365

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Veröffentlicht am 25.05.2004
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §67d;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerde des B in B, geboren 1971, vertreten durch Dr. Benno Wageneder, Rechtsanwalt in 4910 Ried im Innkreis, Adalbert-Stifter-Straße 16, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 19. Mai 2003, Zl. 227.583/0-VIII/23/02, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein der albanischen Volksgruppe angehörender Staatsangehörigen von Mazedonien, reiste seinen Angaben zufolge am 5. Februar 2002 in das Bundesgebiet ein und stellte am 12. Februar 2002 einen Asylantrag.

Bei seiner Einvernahme zu den Fluchtgründen gab er vor dem Bundesasylamt am 28. Februar 2002 im Wesentlichen an, er hätte für die UCK kämpfen sollen, habe sich dieser jedoch nicht angeschlossen, sondern sei (zu seinem Onkel) nach Kumanovo gezogen. Dann habe ihn die mazedonische Polizei gesucht, um ihn zum Militär zu holen. Auf Grund dieser Umstände sei er für drei Monate in den Kosovo geflüchtet. Im September (gemeint: 2001) habe die UCK neuerlich Personen (als Kämpfer) zu sammeln versucht; daraufhin sei er geflüchtet. Im Zuge seiner weiteren Befragung zur Rückkehr nach Mazedonien gab der Beschwerdeführer an, er wisse nicht, wem er glauben solle, "vielleicht bringen sie mich als Albaner um"; sein bester Freund habe unter den näher dargelegten Umständen (für die der Beschwerdeführer "Mazedonier" verantwortlich machte) beide Beine verloren und sei "von der UCK ins Krankenhaus Pristina gebracht worden".

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 19. März 2002 gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG die Zulässigkeit seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Mazedonien fest. Es schenkte den Angaben des Beschwerdeführers zu den Fluchtgründen Glauben, beurteilte jedoch sein Vorbringen als nicht asylrelevant; es sei nicht glaubhaft, dass dem Beschwerdeführer in Mazedonien Verfolgung drohe. Zur Entscheidung nach § 8 AsylG meinte das Bundesasylamt, eine aktuelle Gefahr bzw. "Rückkehrgefährdung" bestehe für den Beschwerdeführer im Hinblick auf die (näher festgestellte) gegenwärtige Lage in Mazedonien nicht; der Heimatstaat sei ganz offenkundig gewillt, den Beschwerdeführer zu schützen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung. Er

machte darin (u.a.) Folgendes geltend:

"...

3. Meine Fluchtgründe sind einerseits Angst vor den mazedonischen Behörden, weil ich mich dem Einsatz in der mazedonischen Armee durch Flucht entzogen habe (Desertion). Die Behauptung im Bescheid auf Seite 9 unter 'Resümee', dass 'auf Grund der von der mazedonischen Regierung angeordneten Amnestie für UCK-Kämpfer ... aus dieser Sicht keine Verfolgungshandlung erblickbar' sei, trifft auf mich nicht zu, weil ich kein UCK-Kämpfer war und sich die Amnestie nur auf diese bezieht und nicht auf Deserteure.

4. Andererseits müsste ich bei meiner Rückkehr auch Angst vor ehemaligen UCK-Kämpfern haben, weil ich mich auch diesen nicht angeschlossen hatte und so von beiden Seiten als Verräter - mit allen Konsequenzen - betrachtet würde."

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen - ohne Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung erlassenen - Bescheid der belangten Behörde vom 19. Mai 2003 wurde die Berufung des Beschwerdeführers "gemäß §§ 7, 8 AsylG abgewiesen".

Hinsichtlich der Entscheidung nach § 7 AsylG werde vollinhaltlich auf die zutreffende rechtliche Beurteilung der Erstbehörde verwiesen.

Bezüglich § 8 AsylG meinte die belangte Behörde, aus dem Berufungsvorbringen seien keine Umstände zu erkennen, die die rechtliche Beurteilung der Erstbehörde in Frage stellen würden. Der Beschwerdeführer habe keine aktuelle, von staatlichen Stellen zumindest geduldete Bedrohungssituation aufgezeigt. In der Berufung würden keine neuen Umstände dargetan, die zu neuerlichen Sachverhaltsermittlungen verpflichten würden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die Beschwerde macht u.a. geltend, der Beschwerdeführer sei durch den angefochtenen Bescheid "in seinem Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung" verletzt worden. Die Berufung enthalte sehr wohl neues Vorbringen. Der Beschwerdeführer habe vorgebracht, er habe Angst vor ehemaligen UCK-Kämpfern bei der Rückkehr nach Mazedonien bzw. davor, von beiden Seiten als Verräter betrachtet zu werden. Zur Situation von "Deserteuren" oder Verweigerern innerhalb der Reihen der albanischen Volksgruppe habe die Behörde keine Feststellungen getroffen, sodass nicht beurteilt werden könne, ob der Beschwerdeführer "in Sicherheit zurückkehren kann".

Mit diesem Vorbringen ist der Beschwerdeführer im Recht.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa zuletzt das hg. Erkenntnis vom 1. April 2004, Zl. 2001/20/0291, und die darin angegebene Judikatur) kann der Sachverhalt im Sinne des Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG nur als "geklärt" angesehen werden, wenn er nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und schlüssiger Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz festgestellt wurde und in der Berufung kein dem Ergebnis des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens entgegen stehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt - erstmalig und mangels Neuerungsverbotes zulässigerweise - neu und in konkreter Weise behauptet wird. Die Voraussetzung eines aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärten Sachverhaltes im Sinne der genannten Bestimmung ist auch dann nicht erfüllt, wenn die erstinstanzliche Beweiswürdigung in der Berufung substantiiert bekämpft wird.

Entgegen der Auffassung der belangten Behörde liegen die erwähnten Voraussetzungen für das Absehen von einer mündlichen Berufungsverhandlung im gegenständlichen Fall deshalb nicht vor, weil die belangte Behörde vor dem Hintergrund der erstmals in der Berufung behaupteten Bedrohung des Beschwerdeführers durch "ehemalige UCK-Kämpfer" bzw. seine Behandlung als "Verräter von beiden Seiten" den für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt nicht als geklärt ansehen durfte und sich daher mit diesem Berufungsvorbringen im Rahmen einer Verhandlung hätte auseinander setzen müssen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 12. Juni 2003, Zl. 2002/20/0336). Außerdem ist eine Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers über die auf seinen besten Freund unternommene "Jagd mit einem Hubschrauber" unterblieben. Ob dieser Vorfall allenfalls für den Beschwerdeführer asylrelevant ist, wäre auch in der Verhandlung zu klären gewesen.

Da nicht auszuschließen ist, dass die belangte Behörde bei Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung und Auseinandersetzung mit dem genannten (neuen) Berufungsvorbringen zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 25. Mai 2004

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2003010365.X00

Im RIS seit

23.06.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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