TE Vwgh Erkenntnis 2004/6/30 2002/04/0001

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Veröffentlicht am 30.06.2004
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
50/01 Gewerbeordnung;

Norm

AVG §52;
AVG §60;
GewO 1994 §74 Abs2;
GewO 1994 §77 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer sowie die Hofräte Dr. Stöberl, Dr. Rigler, Dr. Bayjones und Dr. Kleiser als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Siegl, über die Beschwerde 1. der CN,

2. des Dr. EN, 3. der Dr. HN, 4. der C, 5. des A und 6. der R, alle in R, alle vertreten durch Dr. Anton Hintermeier, Rechtsanwalt in 3100 St. Pölten, Andreas Hoferstraße 8, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 22. November 2001, Zl. WST1-BA-0112, betreffend Genehmigung einer gewerblichen Betriebsanlage (mitbeteiligte Partei:

S Österreichische Warenhandels-AG in S, vertreten durch Dr. Peter Zöchbauer und Mag. Christiana Butter, Rechtsanwälte in 3100 St. Pölten, Herrengasse 2), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Berufung der Beschwerdeführer gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Melk vom 22. November 2000, mit dem der mitbeteiligten Partei die gewerbebehördliche Betriebsanlagengenehmigung für die Errichtung und den Betrieb eines Supermarktes samt technischer Einrichtung und Parkflächen erteilt wurde, abgewiesen. In der Begründung wird ausgeführt, die Beschwerdeführer hätten im Wesentlichen eingewendet, dass die im Lärmgutachten des Amtssachverständigen angenommene Parkplatzfrequenz um ein Vielfaches mehr betrage und durch dieses erhöhte Verkehrsaufkommen die Lebensqualität durch erhöhte Lärm- und Geruchsbelästigungen unzumutbar beeinträchtigt werde. Darüber hinaus hätten die Beschwerdeführer eingewendet, dass sie durch die Anlieferungen in der Zeit zwischen 5.00 und 7.00 Uhr in ihrer Nachtruhe gestört würden, da die Schlafraumfenster in Richtung der Anlieferung mit LKW liegen würden. Speziell der hohe und laute Warnton beim Rückwärtsfahren der LKW würde unweigerliches Aufwachen bedeuten und jegliche Erholungsphase in den Morgenstunden zerstören. Nach Hinweis auf die §§ 74 Abs. 2 und 77 Abs. 1 erster Satz GewO 1994 wurden zu diesem Vorbringen das lärmtechnische und das luftreinhaltetechnische Amtsachverständigengutachten sowie das amtsärztliche Gutachten wiedergegeben, welche dem erstinstanzlichen Genehmigungsbescheid zugrunde gelegen seien.

Das lärmtechnische Gutachten vom 31. Mai 2000 habe (unter anderem) ausgeführt, dass im Einreichprojekt eine Untersuchung der NÖ Umweltschutzanstalt (NUA) vom 3. April 2000 und eine dazugehörige Ergänzung vom 17. April 2000 aufliege. In dieser Untersuchung der NUA seien einerseits die während der vorgesehenen Betriebszeiten herrschende Umgebungsgeräuschsituation messtechnisch an drei Messpunkten erhoben und andererseits die zu erwartenden Betriebslärmimmissionen an sechs Rechenpunkten rechnerisch ermittelt worden. In dieser Untersuchung seien die im Zuge dieser Umgebungsgeräuschmessung festgestellten Pegelwerte für die drei Messpunkte in Form des Basispegels, des äquivalenten Dauerschallpegels und des statistischen Spitzenpegels in dB sowohl für die Mittelwerttagzeit (06.00 Uhr bis 22.00 Uhr) als auch für die Nachtzeit angegeben. Bei der Berechnung der Betriebslärmimmissionen seien als relevante Eckdaten die Betriebszeit (werktags Montag bis Freitag zw. 07.00 und 20.00 Uhr, Samstag zw. 07.00 und 17.00 Uhr), ein einfacher Parkplatzwechsel pro Stunde, 5 LKW-, 3 Klein-LKW- und 8 Transporteranlieferungen pro Tag während der Betriebszeit, eine Frischdienst- LKW-Anlieferung zw. 05.00 und 07.00 Uhr, im Freien wirksame Anlieferungszeit 5 Minuten zur Tagzeit (06.00 bis 20.00 Uhr) und im Freien wirksame Anlieferungszeit 3 Minuten zur Nachtzeit (05.00 und 06.00 Uhr), die Errichtung einer Lärmschutzwand mit einem mittleren Schalldämmmaß von zumindest 20 dB, die Ausführung der Einkaufswägen mit Gummibereifung und der Fahrbahn mit feinem Bitumenkies, ein Schallhindernis mit einem mittleren Schalldämmmaß von zumindest 20 dB im Bereich der Kühlanlagenkondensatoren, die Türe vom Maschinenraum ins Freie mit einem Schalldämmmaß von zumindest 35 dB, die Verkleidung der Maschinenraumdecke sowie die akustische Rückfahrwarneinrichtung der LKW berücksichtigt worden. Die berechneten Betriebslärmimmissionen seien in der Untersuchung der NUA für die sechs Rechenpunkte in Form des Beurteilungspegels und des Spitzenpegels sowohl für die Tagzeit als auch für die Nachtzeit (zwischen 05.00 und 06.00 Uhr) in dB angeführt. Aus lärmtechnischer Sicht könne bei Gegenüberstellung der festgestellten äquivalenten Dauerschallpegel der Umgebungsgeräusche und der rechnerisch ermittelten Beurteilungspegel zur Tagzeit festgestellt werden, dass der äquivalente Dauerschallpegel der Umgebung durch das Hinzukommen der Betriebsgeräusche nicht weiter erhöht werde. Zur Nachtzeit werde der äquivalente Dauerschallpegel der Umgebung durch das Hinzukommen der Betriebsgeräusche der Frischdienstanlieferung in der Zeit zwischen 05.00 und 06.00 Uhr nur unwesentlich erhöht werden. Diese Erhöhung werde im Bereich von ca. 1 dB liegen und könne deshalb als unwesentlich angesehen werden, da eine Schallpegeldifferenz von 1 dB weder subjektiv von Menschen noch messtechnisch einwandfrei nachgewiesen werden könne. Daher könne zusammengefasst werden, dass bei Einhaltung der vorgesehenen Betriebsweise die gemäß der ÖAL-Richtlinie Nr. 3 Blatt 1 für derartige Umgebungsgeräuschsituationen als zumutbar angegebenen Kriterien als erfüllt angesehen werden können. Die Pegelspitzen am ungünstigsten Nachbarschaftspunkt würden sowohl zur Tag - als auch zur Nachtzeit bei ca. 66 dB liegen. Diese Pegelspitzen würden durch die LKW-Fahrbewegungen, welche in der Nachtzeit einmal durchgeführt würden, hervorgerufen werden. Durch diese errechneten Pegelspitzen werde der in der ÖAL-Richtlinie Nr. 3 Blatt 1 als oberster Grenzwert von 70 dB für Pegelspitzen während der kritischen Nachtzeit für gewidmetes Bauland-Kerngebiet unterschritten. Um die angeführten Rechenwerte sicherzustellen, werde die Vorschreibung der lärmtechnischen Auflagen 10. und 11. vorgeschlagen.

Das ebenfalls in der Begründung des angefochtenen Bescheides wiedergegebene amtsärztliche Gutachten vom 18. September 2000 verweist zunächst auf das lärmtechnische Gutachten, insbesondere darauf, dass der äquivalente Dauerschallpegel der Umgebung durch die Betriebsgeräusche nur unwesentlich um ca. 1 dB erhöht werde. Diese Erhöhung sei vom menschlichen Ohr nicht merkbar. Bei der Frischdienstanlieferung morgens zwischen 5.00 Uhr und 6.00 Uhr ergebe sich ein Beurteilungspegel, der den äquivalenten Dauerschallpegel der leisesten halben Stunde in diesem Zeitraum um ca. 7 dB unterschreite, woraus sich morgens keine Lärmerhöhung durch Anlieferungen ergebe. Weiters werde festgehalten, dass die Kühlanlagen auch zur Nachtzeit im Bereich der exponiertesten Anrainerschaft im Bereich des Grundgeräuschpegels lägen. Die Lärmpegelspitzen durch LKW-Fahrbewegungen im ungünstigsten Nachbarschaftsbereich lägen sowohl zur Tag- als auch zur Nachtzeit unter dem Grenzwert der ÖAL-Richtlinie Nr. 3, Blatt 1, für Lärmpegelspitzen im Bauland-Kerngebiet. Unter Einhaltung der bereits angegebenen Maßnahmen sei aus ärztlicher Sicht mit keiner unzumutbaren Belästigung bzw. Gesundheitsbeeinträchtigung der Anrainer zu rechnen. Das treffe auf normal empfindende Erwachsene bzw. auf ein normal empfindendes Kind zu.

Im Hinblick auf die Einwendungen der Beschwerdeführer betreffend die zu erwartende Lärmbelästigung durch den lauten Warnton beim Rückwärtsfahren der LKW während der täglichen Anlieferungen zwischen 5.00 Uhr und 7.00 Uhr früh sowie die unzumutbare Lärmbelästigung durch das Betätigen der Druckluftbremse der LKW sei durch die belangte Behörde eine ergänzende Stellungnahme des lärmtechnischen Amtssachverständigen vom 15. Oktober 2001 eingeholt worden. Dieses im angefochtenen Bescheid wiedergegebene ergänzende Gutachten führt (unter anderem) aus, dass hinsichtlich der akustischen Rückfahrwarneinrichtung festgestellt werde, dass dieses Geräusch in dem ergänzenden schalltechnischen Gutachten der NUA vom 17. April 2000 für den exponiertesten Nachbarschaftspunkt untersucht worden sei und die berechneten Werte für diesen Rechenpunkt bereits im lärmtechnischen Gutachten des Amtssachverständigen dargestellt seien. Im Bereich der Liegenschaft der Beschwerdeführer seien aufgrund der größeren Entfernung jedenfalls geringere Immissionen durch die Rückfahrwarneinrichtung zu erwarten als im Bereich dieses Rechenpunktes. Schallpegelspitzen durch

z. B. Druckluftgeräusche seien von der NUA ebenfalls untersucht worden und seien deshalb ebenfalls im Gutachten des ASV berücksichtigt.

Begründend wird im angefochtenen Bescheid weiter ausgeführt, dass aufgrund der schlüssigen und gedanklich nachvollziehbaren Gutachten der beigezogenen Amtssachverständigen für Lärmschutz, Luftreinhaltetechnik sowie des amtsärztlichen Amtssachverständigen bei projektsgemäßer Ausführung sowie bei Einhaltung der vorgeschriebenen Auflagen weder mit einer Gesundheitsbeeinträchtigung noch mit einer unzumutbaren Belästigung der Anrainer zu rechnen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführer erachten sich durch den angefochtenen Bescheid in ihrem Recht "darauf, dass eine Behörde nach einer bereits ergangener Berufungsentscheidung nicht neuerlich über unsere Berufung entscheidet" sowie in ihrem Recht "auf das Unterbleiben unzumutbarer Immissionen durch eine gewerbliche Betriebsanlage gemäß § 77 Gewerbeordnung" verletzt.

Die Beschwerdeführer bringen zum ersten Beschwerdepunkt vor, dass die NÖ Landesregierung bereits mit Bescheid vom 3. Juli 2001, Zl. RU1-B-0102/00, über ihre Berufung sowohl gegen die Erteilung der Baugenehmigung als auch gegen die Erteilung der Betriebsanlagengenehmigung zur Gänze abgesprochen habe und der angefochtene Bescheid daher eine wegen entschiedener Sache unzulässige Sachentscheidung treffe.

Mit diesem Vorbringen sind die Beschwerdeführer nicht im Recht: Mit hg. Beschluss vom 12. Dezember 2001, Zl. 2001/04/0157, wurde ihre Beschwerde gegen den genannten Bescheid der NÖ Landesregierung vom 3. Juli 2001, "soweit sie sich gegen die Verletzung des Rechtes 'auf das Unterbleiben unzumutbarer Immissionen durch eine gewerbliche Betriebsanlage gemäß § 77 Gewerbeordnung' richtet" gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mangels Berechtigung zur Erhebung der Beschwerde zurückgewiesen. Begründend führte der Verwaltungsgerichtshof in diesem Beschluss aus: "Vor diesem Hintergrund" (Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 13. Oktober 1983, Zl. 83/08/0155, 0156) "und dem oben angesprochenen Inhalt der Begründung des angefochtenen Bescheides sowie weiters dem Betreff ('... Bausache ...') und der Bezeichnung des Bescheides als einen solchen der 'NÖ Landesregierung', wobei es an Anhaltspunkten für eine andere Deutung fehlt, diesen - auch - als Bescheid des (im gewerbebehördlichen Betriebsanlagengenehmigungsverfahren zuständigen) Landeshauptmann in mittelbarer Bundesverwaltung aufzufassen, kommt der Verwaltungsgerichtshof zum Schluss, dass mit dem angefochtenen Bescheid nur über den 'Einspruch' über die 'Baugenehmigung vom 22.11.2000' abgesprochen und nicht auch über die Berufung gegen den Spruchpunkt I. des erstinstanzlichen Bescheides".

Soweit daher in der Beschwerde (auch) behauptet wird, durch den angefochtenen Bescheid im Recht 'auf das Unterbleiben unzumutbarer Immissionen durch eine gewerbliche Betriebsanlage gemäß § 77 Gewerbeordnung' verletzt worden zu sein, konnten die Beschwerdeführer in diesem Recht nicht verletzt werden, weil darüber noch nicht entschieden wurde." (vgl. den hg. Beschluss vom 12. Dezember 2001, Zl. 2001/04/0157).

Nach dieser Rechtsprechung wurde daher in dem genannten Bescheid der NÖ Landesregierung vom 3. Juli 2001 noch nicht über die auf § 77 GewO 1994 gestützten subjektiven Rechte der Beschwerdeführer entschieden und liegt eine entschiedene Sache ("res judicata") gemäß § 68 Abs. 1 AVG nicht vor.

Zum zweiten Beschwerdepunkt bringen die Beschwerdeführer vor, dass sie wegen der LKW-Anlieferung zwischen 5.00 Uhr und 7.00 Uhr in ihrer täglichen Nachtruhe gestört seien und speziell der laute Warnton beim Rückwärtsfahren der LKW ein unweigerliches Aufwachen und ein Zerstören jeglicher Erholungsphase bewirke. Weiters hätten sie ausdrücklich auf die spezielle Lärmcharakteristik hingewiesen, die durch das Betätigen der Druckluftbremse der LKW beim Abfahren vom Betriebsareal entstehe. Auch durch das erhöhte Verkehrsaufkommen am Wochenende werde die Lebensqualität der Beschwerdeführer durch erhöhte Lärm- und Geruchsbelästigung unzumutbar beeinträchtigt. Der lärmtechnische Sachverständige habe sich in seinem Gutachten auf die Ermittlung der Lärmpegel an den verschiedenen Messungspunkten beschränkt, sich aber in keiner Weise mit der Lärmcharakteristik wie dem Impulscharakter der Warnanlage beim Rückwärtsfahren der LKW oder der Charakteristik der Bremsgeräusche der LKW beschäftigt. Darauf aufbauend sei auch das amtsärztliche Gutachten grob mangelhaft, da es sich auf eine Zusammenfassung der vom lärmtechnischen Sachverständigen ermittelten Werte beschränke und zum Ergebnis komme, dass diese unter den zulässigen Grenzwerten lägen. Eine Auseinandersetzung aus medizinischer Sicht fehle völlig, da der Sachverständige nicht ausführe, wie sich die Schallimmissionen auf den menschlichen Körper und im Besonderen auf die Erholungsfunktion des Schlafes auswirken würden. Eine Auseinandersetzung aus medizinischer Sicht habe auch deshalb nicht erfolgen können, weil der lärmtechnische Sachverständige nur die Lautstärke, nicht jedoch die Eigenart der auftretenden Geräusche ermittelt habe.

§ 74 Abs. 2 GewO 1994, BGBl. Nr. 194/1994 in der im Beschwerdefall maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 88/2000 (GewO 1994), lautet auszugsweise:

"(2) Gewerbliche Betriebsanlagen dürfen nur mit Genehmigung der Behörde (§§ 333, 334, 335) errichtet oder betrieben werden, wenn sie wegen der Verwendung von Maschinen und Geräten, wegen ihrer Betriebsweise, wegen ihrer Ausstattung oder sonst geeignet sind,

1. das Leben oder die Gesundheit des Gewerbetreibenden, der nicht den Bestimmungen des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes, BGBl. Nr. 450/1994, in der jeweils geltenden Fassung, unterliegenden mittätigen Familienangehörigen, der Nachbarn oder der Kunden, die die Betriebsanlage der Art des Betriebes gemäß aufsuchen, oder das Eigentum oder sonstige dingliche Rechte der Nachbarn zu gefährden; als dingliche Rechte im Sinne dieses Bundesgesetzes gelten auch die im § 2 Abs. 1 Z 4 lit. g angeführten Nutzungsrechte,

2. die Nachbarn durch Geruch, Lärm, Rauch, Staub, Erschütterung oder in anderer Weise zu belästigen,

(...)"

§ 77 Abs. 1 und 2 GewO 1994 lauten auszugsweise:

"(1) Die Betriebsanlage ist zu genehmigen, wenn nach dem Stand der Technik (§ 71a) und dem Stand der medizinischen und der sonst in Betracht kommenden Wissenschaften zu erwarten ist, dass überhaupt oder bei Einhaltung der erforderlichenfalls vorzuschreibenden bestimmten geeigneten Auflagen die nach den Umständen des Einzelfalles voraussehbaren Gefährdungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Z 1 vermieden und Belästigungen, Beeinträchtigungen oder nachteilige Einwirkungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Z 2 bis 5 auf ein zumutbares Maß beschränkt werden (...)

( 2) Ob Belästigungen der Nachbarn im Sinne des § 74 Abs. 2 Z 2 zumutbar sind, ist danach zu beurteilen, wie sich die durch die Betriebsanlage verursachten Änderungen der tatsächlichen örtlichen Verhältnisse auf ein gesundes, normal empfindendes Kind und auf einen gesunden, normal empfindenden Erwachsenen auswirken."

Die Feststellung, ob die Genehmigungsvoraussetzungen des § 77 GewO 1994 vorliegen, ist Gegenstand des Beweises durch Sachverständige auf dem Gebiet der gewerblichen Technik und auf dem Gebiet des Gesundheitswesens. Den Sachverständigen obliegt es, auf Grund ihres Fachwissens ein Urteil (Gutachten) über diese Fragen abzugeben. Der gewerbetechnische Sachverständige hat sich darüber zu äußern, welcher Art die von einer Betriebsanlage nach dem Projekt des Genehmigungswerbers zu erwartenden Einflüsse auf die Nachbarschaft sind, welche Einrichtungen der Betriebsanlage als Quellen solcher Immissionen in Betracht kommen, ob und durch welche Vorkehrungen zu erwartende Immissionen verhütet oder verringert werden und welcher Art und Intensität die verringerten Immissionen noch sein werden. Dem ärztlichen Sachverständigen fällt - fußend auf dem Gutachten des gewerbetechnischen Sachverständigen - die Aufgabe zu, darzulegen, welche Einwirkungen die zu erwartenden Immissionen nach Art und Dauer auf den menschlichen Organismus entsprechend den Tatbestandsmerkmalen des § 74 Abs. 2 GewO 1994 auszuüben vermögen (vgl. hg. Erkenntnis vom 27. Juni 2003, Zl. 2002/04/0195 mit Hinweis auf die bei Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO 1994 (2003) 574f referierte hg. Judikatur).

Dabei gehört es grundsätzlich zu den Aufgaben des gewerbetechnischen Sachverständigen, sich in einer die Schlüssigkeitsprüfung ermöglichenden Weise nicht nur über das Ausmaß, sondern auch über die Art der zu erwartenden Immissionen zu äußern und in diesem Zusammenhang darzulegen, ob und gegebenenfalls welche Eigenart einem Geräusch (z.B. Impulscharakter, besondere Frequenzzusammensetzung, Informationshältigkeit) unabhängig von seiner Lautstärke anhaftet. Demgegenüber hat der ärztliche Sachverständige auch dann, wenn hinsichtlich der Klangcharakteristik subjektive Wahrnehmungen von Bedeutung sein können, vor allem von den objektiven durch den gewerbetechnischen Sachverständigen in seinem Gutachten aufgenommenen Beweisen auszugehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Mai 2003, Zl. 2001/04/0113, mwH).

Erst sachverständig fundierte Feststellungen über den Charakter der erhobenen Lärmereignisse und der damit verbundenen Lärmspitzen ermöglichen eine Abklärung aus medizinischer Sicht, welche Auswirkungen diese Immissionen ihrer Art und ihrem Ausmaß nach auf den menschlichen Organismus auszuüben vermögen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. April 1998, Zl. 96/04/0221).

Im Gutachten des lärmtechnischen Sachverständigen werden der gemessene äquivalente Dauerschallpegel der Umgebungsgeräusche dem rechnerisch ermittelten Beurteilungspegel zur Tageszeit bzw. Nachtzeit gegenübergestellt und festgestellt, dass ersterer zur Tageszeit nicht und zur Nachtzeit nur um ca. 1dB erhöht werde, was unwesentlich sei, da diese Schalldifferenz weder subjektiv vom Menschen noch messtechnisch einwandfrei nachzuweisen sei. Weiters wurden Schallpegelspitzen berechnet, welche aber den Grenzwert nach der Richtlinie Nr. 3 Blatt 1 des ÖAL unterschreiten würden. Das vom Sachverständigen herangezogene Gutachten der NUA vom 3. April 2000 weist allgemein auf "Zuschläge für unangenehmen Geräuschcharakter" nach der ÖNORM S 5004 für unangenehme Geräusche mit Toncharakter, Impulscharakter und Informationscharakter hin und legt dar, dass für die vorliegenden Betriebsgeräusche, "welche erfahrungsgemäß keinen tonalen Charakter aufweisen" kein solcher Beurteilungszuschlag angewandt wurde.

Das - von der belangten Behörde aufgrund der Einwendungen der Beschwerdeführer eingeholte - ergänzende lärmtechnische Gutachten des Amtssachverständigen vom 15. Oktober 2001 verweist zur akustischen Rückfahrwarneinrichtung sowie zu "Schallpegelspitzen durch z.B. Druckluftgeräusche" auf das ergänzende schalltechnische Gutachten der NUA vom 17. April 2000. Dieses Gutachten kommt zum Ergebnis, dass die Auswirkungen der akustischen Rückfahrwarneinrichtung unter Berücksichtigung des Schallleistungspegels, der Tonhaltigkeit des Signals sowie der zeitlichen Andauer des Signaltones eine rechnerische Erhöhung von "ca. + 0,5 dB" des im ersten lärmtechnischen Gutachten der NUA vom 3. April 2000 ausgewiesenen Beurteilungspegels seien, sodass die Aussagen im ersten Gutachten der NUA vollinhaltlich aufrecht bleiben würden. Dem ergänzenden lärmtechnischen Gutachten kann in schlüssiger Weise entnommen werden, dass die Lärmcharakteristik der akustischen Rückfahrwarneinrichtung sowie der Druckluftgeräusche der LKW mit einem Zuschlag von "ca. + 0,5 dB" berücksichtigt wurde. Gegen die Richtigkeit des lärmtechnisch ermittelten Zuschlages bestehen seitens des Verwaltungsgerichtshofes keine Bedenken, zumal die Beschwerdeführer dem Gutachten dieses Sachverständigen nicht in fachkundiger Weise entgegen getreten sind.

Jedoch hat es die belangte Behörde unterlassen, ein weiteres Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen einzuholen, in dem aus medizinischer Sicht die Frage geklärt hätte werden können, welche Auswirkungen die im ergänzenden lärmtechnischen Gutachten festgestellten Immissionen ihrer Art und ihrem Ausmaß nach auf den menschlichen Organismus auszuüben vermögen.

Da die belangte Behörde jedenfalls auf Grund der aufgezeigten Umstände der ihr gemäß § 60 AVG obliegenden Begründungspflicht im angefochtenen Bescheid nicht ausreichend entsprach, belastete sie den angefochtenen Bescheid schon in Hinsicht darauf mit einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Dieser war daher schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 30. Juni 2004

Schlagworte

Sachverständiger Aufgaben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2002040001.X00

Im RIS seit

06.09.2004

Zuletzt aktualisiert am

08.01.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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