TE Vwgh Erkenntnis 2004/7/6 2002/11/0108

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Veröffentlicht am 06.07.2004
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Index

90/02 Führerscheingesetz;

Norm

FSG 1997 §1 Abs3;
FSG 1997 §25 Abs3;
FSG 1997 §37 Abs1;
FSG 1997 §7 Abs1;
FSG 1997 §7 Abs3 Z7;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Gall, Dr. Pallitsch, Dr. Schick und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde der V in L, vertreten durch Winkler-Heinzle Rechtsanwaltspartnerschaft in 6900 Bregenz, Gerberstraße 4, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 8. April 2002, Zl. Ib-277- 36/2002, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund ist schuldig, der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 31. Juli 2001 entzog die Bezirkshauptmannschaft Bregenz der Beschwerdeführerin gemäß § 24 Abs. 1 Z. 1, § 7 Abs. 1 und Abs. 3 Z. 1 und § 26 Abs. 2 FSG die Lenkberechtigung für die Gruppe B für die Dauer von vier Monaten, gerechnet ab der vorläufigen Abnahme des Führerscheines (24. Juli 2001) bis einschließlich 24. November 2001. Gemäß § 26 Abs. 8 FSG wurde als begleitende Maßnahme eine Nachschulung angeordnet. Gemäß § 26 Abs. 8 FSG wurde der Beschwerdeführerin weiters aufgetragen, ein von einem Amtsarzt erstelltes Gutachten über die gesundheitliche Eignung gemäß § 8 FSG beizubringen. Grundlage dessen war, dass die Beschwerdeführerin am 24. Juli 2001 einen PKW in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand (0,96 mg/l Atemalkoholkonzentration) gelenkt hatte.

Am 29. August 2001 und am 14. September 2001 lenkte die Beschwerdeführerin ein Kraftfahrzeug ohne gültige Lenkberechtigung und wurde deshalb zweimal wegen einer Übertretung nach § 37 Abs. 1 FSG in Verbindung mit § 1 Abs. 3 FSG rechtskräftig bestraft.

In der Zeit von 21. November 2001 bis 12. Dezember 2001 nahm die Beschwerdeführerin an einem Driver-Improvement-Kurs beim Kuratorium für Verkehrssicherheit teil.

Mit Bescheid vom 17. Jänner 2002 entzog die Bezirkshauptmannschaft Bregenz der Beschwerdeführerin die Lenkberechtigung für die Gruppe B gemäß § 26 Abs. 5 FSG bis zur Beibringung des amtsärztlichen Gutachtens.

Die Beschwerdeführerin legte in der Folge der Behörde ein amtsärztliches Gutachten und eine verkehrspsychologische Stellungnahme vor. Die amtsärztliche Untersuchung erfolgte am 21. Jänner 2002, das amtsärztliche Gutachten wurde am 23. Jänner 2002 erstattet.

Auf Grund der Übertretungen vom 29. August 2001 und 14. September 2001 entzog die Bezirkshauptmannschaft Dornbirn mit Bescheid vom 26. Februar 2002 der Beschwerdeführerin die Lenkberechtigung auf die Dauer von sechs Monaten (gerechnet ab 19. Februar 2002).

Dagegen erhob die Beschwerdeführerin Berufung.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 8. April 2002 bestätigte die belangte Behörde den zuletzt genannten erstinstanzlichen Bescheid mit der Maßgabe, dass die Dauer der Entziehung von sechs Monaten mit Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides, somit ab 26. Februar 2002, beginnt. In der Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, das Lenken eines Kraftfahrzeuges ohne gültige Lenkberechtigung stelle eine schwere Übertretung nach dem Führerscheingesetz dar. Besonders verwerflich sei im konkreten Fall, dass die Beschwerdeführerin knapp einen Monat nach Beginn des Entzuges im Abstand von weniger als einem Monat zweimal eine solche Übertretung begangen habe. Im Rahmen der Wertung seien weitere Delikte der Beschwerdeführerin, für die sie rechtskräftig bestraft worden sei, insbesondere die Übertretungen nach § 38 Abs. 5 StVO 1960 und die Übertretung nach § 5 Abs. 1 StVO 1960, zu berücksichtigen. Die seit den Übertretungen verstrichene Zeit sei zu kurz, um entscheidend zu Gunsten der Beschwerdeführerin ins Gewicht fallen zu können. Unter Berücksichtigung, dass die Beschwerdeführerin unmittelbar nach Beginn der Entziehungszeit der vorangegangenen Entziehung der Lenkberechtigung zweimal innerhalb eines sehr kurzen Zeitraumes ein Kraftfahrzeug ohne gültige Lenkberechtigung gelenkt habe, der von ihr begangenen Verwaltungsstraftaten, für die sie rechtskräftig bestraft worden sei, der seit der Tat verstrichenen Zeit und des Verhaltens während dieser Zeit sei die Behörde der Ansicht, dass die Beschwerdeführerin ihre Verkehrszuverlässigkeit nicht vor Ablauf einer Entzugsdauer von sechs Monaten, gerechnet ab Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides, wieder erlangen werde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Für den Beschwerdefall sind folgende Bestimmungen des Führerscheingesetzes in der Fassung vor der 5. FSG-Novelle (FSG) von Bedeutung:

"Geltungsbereich

§ 1.

...

(3) Das Lenken eines Kraftfahrzeuges und das Ziehen eines Anhängers ist, ausgenommen in den Fällen des Abs. 5, nur zulässig mit einer von der Behörde erteilten gültigen Lenkberechtigung für die Klasse oder Unterklasse (§ 2), in die das Kraftfahrzeug fällt.

...

...

Allgemeine Voraussetzungen für

die Erteilung einer Lenkberechtigung

§ 3. (1) Eine Lenkberechtigung darf nur Personen erteilt werden, die:

...

2. verkehrszuverlässig sind (§ 7),

...

Verkehrszuverlässigkeit

§ 7. (1) Als verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn nicht auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs. 3) und ihrer Wertung (Abs. 5) angenommen werden muss, dass sie wegen ihres Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen die Verkehrssicherheit gefährden wird, insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr, Trunkenheit oder einen durch Suchtgift oder durch Medikamente beeinträchtigen Zustand.

...

(3) Als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn jemand:

...

7. ein Kraftfahrzeug lenkt

a) ohne gültige Lenkberechtigung,

...

(5) Für die Wertung der in Abs. 3 beispielsweise angeführten Tatsachen sind deren Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend.

Entziehung, Einschränkung und Erlöschen der Lenkberechtigung Allgemeines

§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z. 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit

1. die Lenkberechtigung zu entziehen oder

...

Dauer der Entziehung

§ 25. (1) Bei der Entziehung ist auch auszusprechen, für welchen Zeitraum die Lenkberechtigung entzogen wird. Dieser ist auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens festzusetzen.

...

(3) Bei einer Entziehung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit (§ 7) ist eine Entziehungsdauer von mindestens drei Monaten festzusetzen. Wurden begleitende Maßnahmen gemäß § 24 Abs. 3 angeordnet, so endet die Entziehungsdauer nicht vor Befolgung dieser Anordnung."

Insoweit die Beschwerdeführerin zunächst vorbringt, die Behörde hätte den gegenständlichen Entziehungsbescheid nicht erlassen dürfen, weil der Entziehungsbescheid der Erstbehörde vom 17. Jänner 2002 noch aufrecht gewesen sei, zumal "bescheidmäßig das Ende dieser Maßnahme" nicht ausgesprochen worden sei, ist ihr Folgendes zu entgegnen: Bei der Entziehung der Lenkberechtigung mit Bescheid der Erstbehörde vom 17. Jänner 2002 handelte es sich um eine sogenannte "Formalentziehung" gemäß § 26 Abs. 5 FSG bis zur Beibringung des amtsärztlichen Gutachtens. Mit der Beibringung des Gutachtens vom 23. Jänner 2002 war die Wirkung des genannten erstbehördlichen Bescheides erloschen, ohne dass es entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin noch eines gesonderten Aufhebungsbescheides bedurfte.

Die Beschwerdeführerin vertritt in ihrer Beschwerde die Auffassung, dass die auf § 7 Abs. 3 Z. 7 FSG gestützte Entziehung der Lenkberechtigung als Bestrafung im Sinne des Art. 4 Abs. 1

7. ZPEMRK zu qualifizieren sei, weshalb eine solche Sanktion auf Grund bereits einmal erfolgter Bestrafung unzulässig sei.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes handelt es sich jedoch bei einer Versagung oder Entziehung der Lenkberechtigung, auch wenn eine solche Maßnahme vielfach subjektiv als Strafe empfunden werden mag, nicht um eine Verwaltungsstrafe, sondern um eine Administrativmaßnahme zum Schutz der Öffentlichkeit vor verkehrsunzuverlässigen Personen. Ein Verstoß gegen das Verbot der Doppelbestrafung liegt daher im Beschwerdefall nicht vor (vgl. insbesondere auch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 14. März 2003, G 203/02 ua.).

Unstrittig sind im Beschwerdefall die zwei rechtskräftigen Bestrafungen der Beschwerdeführerin wegen Übertretungen gemäß § 37 Abs. 1 FSG iVm § 1 Abs. 3 FSG. Im Hinblick auf das zweimalige Lenken eines Kraftfahrzeuges trotz entzogener Lenkberechtigung lagen zwei bestimmte Tatsachen im Sinn des § 7 Abs. 3 Z. 7 FSG vor.

Wie die Beschwerdeführerin in der Beschwerde zu Recht aufzeigt, rechtfertigt eine bestimmte Tatsache nach § 7 Abs. 3 Z. 7 FSG - wie der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen hat, vgl. das hg. Erkenntnis vom 12. Dezember 2000, Zl. 2000/11/0200 - für sich allein nur in enger zeitlicher Nähe mit der Tatbegehung die Annahme der Verkehrsunzuverlässigkeit im Sinn des § 7 Abs. 1 FSG 1997. Damit hat der Verwaltungsgerichtshof zum Ausdruck gebracht, dass bei diesen Delikten im Regelfall eine Verkehrsunzuverlässigkeit des Betreffenden nur für einen kürzeren Zeitraum angenommen werden kann und daher - auch im Hinblick auf § 25 Abs. 3 FSG - eine Entziehung der Lenkberechtigung nur in Frage kommen wird, wenn die Entziehung verhältnismäßig knapp nach der Begehung des Deliktes erfolgt.

Die Erstbehörde durfte, diesem Gedanken folgend, mit ihrem Bescheid vom 26. Feber 2002 die Lenkberechtigung der Beschwerdeführerin nur entziehen, wenn im Zeitpunkt der Erlassung ihres Bescheides die Verkehrsunzuverlässigkeit der Beschwerdeführerin noch gegeben war und überdies die Prognose getroffen werden musste, dass ihre Verkehrsunzuverlässigkeit noch für mindestens drei weitere Monate andauern werde (§ 25 Abs. 3 FSG). Im Hinblick darauf, dass die Beschwerdeführerin nicht nur einmal, sondern wiederholt - und zwar alsbald nach Beginn der Entziehungszeit und kurze Zeit darauf erneut - ein Kraftfahrzeug lenkte, ohne im Besitz einer gültigen Lenkberechtigung zu sein, und daher im besonderen Maß ihre gleichgültige Einstellung gegenüber Vorschriften, die der Verkehrssicherheit dienen, unter Beweis stellte, ist die Annahme der erstinstanzlichen Behörde, die Beschwerdeführerin sei zum Zeitpunkt der Erlassung ihres Entziehungsbescheides und jedenfalls noch für den Zeitraum von drei Monaten ab diesem Zeitpunkt als verkehrsunzuverlässig anzusehen, nicht als rechtswidrig zu erkennen.

Die mit dem angefochtenen Bescheid ausgesprochene Entziehungszeit erweist sich jedoch als zu lang: Zieht man in Betracht, dass die hier maßgeblichen Delikte bereits Ende August 2001 bzw. Mitte September 2001 begangen wurden, somit im Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides rund fünfeinhalb Monate seit dem letzten Delikt verstrichen waren, durfte die belangte Behörde in ihrem Bescheid vom 8. April 2002 - unter Bedachtnahme auf die eingangs dargestellte Rechtslage - nicht mehr davon ausgehen, dass die Beschwerdeführerin noch bis 26. August 2002, somit insgesamt für eine Zeit von 11½ Monaten nach Begehung der letzten Tat, verkehrsunzuverlässig ist. Besondere Umstände, die eine andere Beurteilung erforderlich machen würden, hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid nicht aufgezeigt. Auch die im angefochtenen Bescheid genannten Verwaltungsvorstrafen der Beschwerdeführerin - zu denen die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid keine näheren Feststellungen getroffen, sondern sie lediglich nach der übertretenen Norm bezeichnet hat - führen nicht zu dem Ergebnis, mit der Wiedererlangung der Verkehrszuverlässigkeit der Beschwerdeführerin sei nicht vor Ende August 2002 zu rechnen.

Aus den dargelegten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Wien, am 6. Juli 2004

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2002110108.X00

Im RIS seit

25.08.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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