TE Vwgh Erkenntnis 2004/7/7 99/13/0271

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Veröffentlicht am 07.07.2004
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;

Norm

BAO §167 Abs2;
VwGG §41 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Hargassner und Dr. Fuchs als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Seidl LL.M., über die Beschwerde der R & Co GmbH in W, vertreten durch Dr. Günther Steiner, Dr. Anton Krautschneider und Dr. Erich Jungwirth, Rechtsanwälte in 1080 Wien, Trautsongasse 6, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 29. September 1999, Zl. RV/287- 16/16/99, betreffend Haftung für Lohnsteuer und Festsetzung von Dienstgeberbeitrag zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen samt Zuschlag für den Zeitraum vom 1. Jänner 1994 bis 31. Mai 1996, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.172,88 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Am 6. Mai 1996 wurde der serbische Staatsbürger A. in Wien von einer Polizeistreife angehalten und nach Feststellung seiner Einreise in das Bundesgebiet ohne Sichtvermerk vorläufig festgenommen. Bei seiner Vernehmung durch die Polizei gab er an, sich seit dem 26. Juni 1995 ununterbrochen im Bundesgebiet aufzuhalten und an verschiedenen Orten, sehr oft bei seiner Freundin an deren näher genannten Adresse, gewohnt zu haben. Er sei an keiner seiner Adressen gemeldet und habe auch kein Visum. Er arbeite schon seit fünf Jahren schwarz bei der Beschwerdeführerin in Wien 21., "(Nähe X.-Platz; Tel. ...)" zu einem gleich bleibenden Stundenlohn von S 100,--.

Das von der Polizei von diesem von A. bekundeten Sachverhalt in Kenntnis gesetzte Finanzamt erließ am 22. Juli 1996 drei Bescheide, mit denen die Beschwerdeführerin zur Haftung für Lohnsteuer herangezogen wurde und der Dienstgeberbeitrag zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen sowie der Zuschlag hiezu festgesetzt wurden. Diesen Bescheiden legte das Finanzamt den Zeitraum der Kalendermonate Jänner bis Dezember 1994 (erster Bescheid), der Kalendermonate Jänner bis Dezember 1995 (zweiter Bescheid) und der Kalendermonate Jänner bis Mai 1996 (dritter Bescheid) zu Grunde, wobei es auf der Basis eines Stundenlohnes von S 100,-- zu einer monatlichen Bemessungsgrundlage von S 16.670,50 gelangte, die es für die Jahre 1994 und 1995 mit der Zahl zwölf und für die Zeiträume des Jahres 1996 mit der Zahl vier vervielfachte (für den Kalendermonat Mai 1996 wurde noch eine anteilige Lohnauszahlung für drei Tage hinzugerechnet).

In ihrer gegen diese Bescheide erhobenen Berufung wies die Beschwerdeführerin zunächst darauf hin, dass aus der Anzeige der Polizei hervorgehe, dass A. am 25. Juni 1995 in das Bundesgebiet eingereist sei, was in Widerspruch zu den mit dem 1. Jänner 1994 beginnenden Abgabenvorschreibungen stehe. Die Aussage des A., bei der Beschwerdeführerin seit fünf Jahren schwarz zu arbeiten, habe er nicht unter Wahrheitspflicht abgelegt; nach seiner Aussage sei er "offenbar als Gegenleistung für seine Denunzierung der Beschwerdeführerin" aus der Schubhaft entlassen worden, obwohl er über keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland verfüge und nicht einmal gemeldet sei. Auffällig sei, dass A. nicht einmal die Adresse der Beschwerdeführerin kenne, obwohl er bei ihr seit fünf Jahren beschäftigt gewesen sein wolle. Naturgemäß habe er auch nicht gewusst, dass die Beschwerdeführerin "ein Saisonbetrieb" sei, bei welchem nur acht Monate im Jahr gearbeitet werde, während für die restlichen vier Monate (während der kalten Jahreszeit) die Arbeiter abgemeldet würden. Bei der Beschwerdeführerin seien mehrere Ausländer beschäftigt, die alle ihre Beschäftigungsbewilligung hätten. A. sei bei der Beschwerdeführerin nicht beschäftigt; möglicherweise habe er einen anderen Ausländer gekannt, der bei der Beschwerdeführerin beschäftigt gewesen sei. Straflos bleibende Falschaussagen eines Ausländers könnten die der Abgabenvorschreibung zu Grunde liegenden Sachverhaltsannahmen nicht tragen, es werde beantragt, A. als Zeugen im Abgabenverfahren unter Wahrheitspflicht zu vernehmen. Der Verwaltungsakt der Fremdenpolizei möge beigeschafft und dem Vertreter der Beschwerdeführerin darin Akteneinsicht gewährt werden.

Mit Schreiben vom 13. Februar 1997 teilte das Finanzamt der Beschwerdeführerin mit, dass die für die Abgabenfestsetzung erforderlichen Unterlagen von der Polizei auf Grund der Anzeige zur Verfügung gestellt worden seien. Für die Schätzung der Bemessungsgrundlagen sei die Aussage des A. maßgeblich. Da aus dieser Aussage alle Daten für die Abgabenfestsetzung hervorgingen, sei eine Beischaffung des fremdenpolizeilichen Verwaltungsaktes nicht erforderlich. Die Gewährung von Akteneinsicht in Unterlagen von Bundesdienststellen anderer Wirkungsbereiche falle nicht in die Zuständigkeit der Abgabenbehörde.

Mit Schreiben vom 19. Februar 1997 ersuchte des Finanzamt die Beschwerdeführerin, bis zum 19. März 1997 für den Zeitraum von 1. Jänner 1994 bis dato eine Aufstellung der betreuten Baustellen unter Angabe des Ortes der Baustelle, des Zeitraumes der Tätigkeit, des Inhaltes der Arbeiten und der jeweils eingesetzten Arbeitnehmer vorzulegen.

Mit Schreiben vom 17. März 1997 brachte die Beschwerdeführerin dem Finanzamt gegenüber vor, dass die Abgabenfestsetzung auf einer Anzeige beruhe, die keine Feststellungen, sondern lediglich einen Verdacht enthalte, welchem eine nicht unter Wahrheitspflicht gemachte "unqualifizierte" Beschuldigung zu Grunde liege. Ein solcher Verdacht wäre erst im Zuge des Ermittlungsverfahrens zu prüfen und rechtfertige für sich allein ohne weitere Beweismittel noch keine Abgabenfestsetzung. Die Beschwerdeführerin sei zu dieser Beschuldigung nicht einmal gehört worden. Akteneinsicht in den fremdenpolizeilichen Verwaltungsakt sei der Beschwerdeführerin von der Fremdenpolizei gesetzeskonform verweigert worden, weil sie nicht Partei dieses Verfahrens sei. Es sei der Beschwerdeführerin nicht um Akteneinsicht in Unterlagen von Bundesdienststellen eines anderen Wirkungsbereiches gegangen, sondern um die Beschaffung eines Beweismittels zum Zweck der Beweisführung für die in der Berufung angeführten Tatsachen.

Mit Schreiben vom 19. März 1997 teilte die Beschwerdeführerin dem Finanzamt zu dessen Aufforderung mit, dass von ihr rund 400 Geschäftsfälle pro Jahr abgewickelt würden, was bedeutete, dass rund 1.200 bis 1.300 Geschäftsfälle in der vom Finanzamt geforderten Art überarbeitet werden müssten. Bei der Beschwerdeführerin seien rund 40 Arbeiter beschäftigt, das Büro sei mit einer Angestellten und einer Halbtagskraft besetzt, eine Computererfassung der Geschäftsfälle gebe es nicht. Die Beschwerdeführerin wäre selbst bei optimaler Ausschöpfung ihrer Ressourcen an Büroleistung nicht in der Lage, die vom Finanzamt geforderte Aufstellung zu liefern. Die vom Finanzamt geforderte Aufstellung würde "einen Folianten mit mehreren 100 Seiten" erfordern und könnte ohne unverhältnismäßigen Kostenaufwand - die Erstellung dieser Aufstellung käme die Beschwerdeführerin teurer als der bekämpfte Abgabenbetrag - nicht erstellt werden. Nach den Abgabenvorschriften seien Aufzeichnungen dieser Art nicht zu führen. Es würde diese Aufstellung auch keinen Wert für das Ermittlungsverfahren haben, weil A. bei der Beschwerdeführerin nicht gearbeitet habe.

In den dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Verwaltungsakten liegt ein nicht unterfertigter, mit dem 23. Februar 1998 datierter Zettel über "Erhebung Fremdenpolizei", dem sich u.a. folgende Notizen entnehmen lassen:

"...

30.8.1990: Firma C. BaugmbH (Hoch- und Tiefbau), 1100 Wien, ..., Antrag auf Beschäftigungsbewilligung für A. mit Bescheid vom 16.10.90 abgelehnt (Einreise am 30.8.90 zur Arbeitsaufnahme)

Sichtvermerk für Aufenthalte in Österreich:

v. 3/91 - 30.5.91

Verpflichtungserklärung

30.5.91 - 11/91

Verpflichtungserklärung Firma C. BaugmbH

v. 8/92 - 20.2.93

Verpflichtungserklärung Firma C. BaugmbH

...

Letzte Meldung laut ZMA: 5. ..., abgemeldet seit 18.2.93 Touristensichtvermerk gültig bis 29.4.94 (Beschwerdeführerin) S 100,--/Std.

Seit 26.6.95 nicht rechtmäßig im Bundesgebiet, eingereist unter Umgehung der Grenzkontrolle über Ungarn

Haft seit 6.5.96, Schubhaft im Polizeigefangenenhaus Wien 9.5.96: Bescheid über die Ausweisung

Flugticket hinterlegt von Herrn V., serbischer Staatsbürger,

angestellt bei C. BaugmbH seit 86.

Abflug: 12.5.96"

Diesem Notizzettel angeschlossen ist eine Niederschrift über die Vernehmung des A. durch das fremdenpolizeiliche Büro am 9. Mai 1996. Bei dieser Vernehmung gab A. an, bisher im Bundesgebiet keiner legalen Beschäftigung nachgegangen zu sein und keine Familienangehörigen in Österreich zu haben. Er arbeite in Österreich seit fünf Jahren schwarz.

Mit Berufungsvorentscheidung vom 24. Februar 1998 wies das Finanzamt die Berufung als unbegründet ab. In der Begründung dieses Bescheides wird dem Berufungsvorbringen über die Einreise des A. am 25. Juni 1995 erwidert, dass sich A. seit 1991 regelmäßig, teils mit Sichervermerk und Verpflichtungserklärung, teils mit Touristensichtvermerk, teils illegal im Bundesgebiet aufgehalten habe. Die fremdenpolizeilichen Aufenthaltsdaten deckten sich mit den niederschriftlich festgehaltenen Angaben des A. über eine fünfjährige Arbeitsdauer. Entgegen den Mutmaßungen in der Berufung sei A. ohnehin abgeschoben worden. Die Berufungsschrift enthalte lediglich eine "Eigeninterpretation" der Anzeige und lasse jegliche Sachbeweise vermissen. Die ihr aufgetragene Vorlage der Baustellenaufstellung habe die Beschwerdeführerin unter Hinweis auf den damit verbundenen Arbeitsaufwand verweigert; es hätte dem Ergänzungsauftrag aber schon durch die Vorlage der laufend zu führenden Bautagesberichtsbücher entsprochen werden können, wodurch der von der Beschwerdeführerin gesehene Arbeitsaufwand entbehrlich gewesen wäre. Mit Vorlage der Bautagesberichtsbücher hätte die Beschwerdeführerin auch ihre Berufungsbehauptung verifizieren können, dass sie ein Saisonbetrieb sei, bei welchem nur acht Monate im Jahr gearbeitet werde. Beweismittel, die für das Ermittlungsverfahren wertlos wären, würden vom Finanzamt nicht gefordert. Es gehe aber nicht an, einerseits einer "möglichen Beweisführung ... nicht Folge zu leisten" und andererseits "von der Abgabenbehörde die Unmöglichkeit der zeugenschaftlichen Einvernahme eines bereits in die Heimat abgeschobenen Schwarzarbeiters zu verlangen". Auf Grund der aktenkundigen Anzeige, der niederschriftlich festgehaltenen Aussage des illegalen Schwarzarbeiters und der fremdenpolizeilichen Ermittlungen sei der den Nachforderungsbetrag begründende Sachverhalt schlüssig und entspreche den Lebenserfahrungen mehr als der in der Berufung behauptete Sachverhalt.

In ihrem Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz rügte die Beschwerdeführerin zunächst, dass sich die Berufungsvorentscheidung auf ein Aktenstück stütze, das der Beschwerdeführerin unbekannt sei, weil ihr die Einsicht in diesen Akt verwehrt worden sei. Es könne die Beschwerdeführerin die Feststellungen der Berufungsvorentscheidung daher nicht nachprüfen. Dem Vorwurf der Behörde, die Berufung enthalte Mutmaßungen, müsse entgegnet werden, dass das Finanzamt über einen anderen Wissensstand als die Beschwerdeführerin verfügt habe. Zum Vorwurf, dass die Beschwerdeführerin die Bautagesberichtsbücher nicht vorgelegt habe, sei auszuführen, dass aus diesen zum einen die eingesetzten Arbeiter nicht hervorgingen und dass zum anderen bei Pauschalpreisvereinbarungen derartige Bautagesberichtsbücher nicht zu führen seien. Es habe das Finanzamt für den fraglichen Zeitraum im Übrigen ohnehin eine abgabenbehördliche Prüfung des Unternehmens der Beschwerdeführerin veranlasst, bei welcher aber entsprechende Anhaltspunkte für eine Beschäftigung des A. bei der Beschwerdeführerin nicht gefunden worden seien. Dass das Unternehmen der Beschwerdeführerin als Saisonbetrieb, der nur acht Monate im Jahr arbeite, tätig sei, sei "allgemein bekannt" und habe auch der Abgabenbehörde jedenfalls im Zuge der Betriebsprüfung bekannt werden müssen.

Am 28. Mai 1998 wurde ein Bericht über die abgabenbehördliche Prüfung des Unternehmens der Beschwerdeführerin erstattet; als Prüfungsgegenstand finden sich in diesem Bericht die Abgaben "Umsatzsteuer 1994 - 1996, Körperschaftsteuer 1994 - 1996, Kraftfahrzeugsteuer 1994 - 1996, Kapitalertragsteuer 1994 - 1996 und Kammerumlage 1994 - 1996" angeführt. Infolge formeller Mängel der Bücher kam es zu einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen. Zu Tz 29 des Berichtes heißt es, dass lediglich die Ausgangsrechnungen hätten vorgelegt werden können, während die anderen Unterlagen im Zusammenhang mit der Abwicklung der Aufträge im Zeitpunkt der Fakturierung vernichtet zu werden pflegten. Die vorgelegten gebundenen Bücher für Kassaeinnahmen hätten insoweit Mängel aufgezeigt, als mehrere Bücher für den gleichen Zeitraum geführt worden seien, die Chronologie der Eintragungen teilweise nicht gegeben gewesen sei und manchmal das Original gefehlt habe. Die formellen Mängel der Bücher hätten im Ergebnis einer "Leistungskalkulation" unter Berücksichtigung der dagegen erhobenen Einwendungen der Beschwerdeführerin zu einer "griffweisen Hinzuschätzung" in Höhe von jährlich S 300.000,-- zuzüglich 20 % Umsatzsteuer geführt. Sachverhaltsfeststellungen im Zusammenhang mit der den bekämpften Bescheiden des Finanzamtes vom 22. Juli 1996 zu Grunde gelegten Annahme einer Beschäftigung des A. durch die Beschwerdeführerin lassen sich dem Prüfungsbericht nicht entnehmen.

Die belangte Behörde übermittelte der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 14. September 1999 eine Kopie des "Aktenvermerkes bezüglich der Einsichtnahme in die Akten der Fremdenpolizei" zur Kenntnisnahme.

Mit Schreiben vom 28. September 1999 nahm die Beschwerdeführerin hiezu dahin Stellung, dass sich aus dem Akt kein Anhaltspunkt dafür ergebe, dass A. zwischen dem 29. April 1994 und dem 25. Juni 1995 in Österreich gewesen sei. Es ergebe sich aus dem Aktenvermerk vielmehr, dass ein Angestellter der C. BaugmbH in 1100 Wien das Flugticket für die Ausreise von A. bei der Fremdenpolizei hinterlegt habe, woraus ein Naheverhältnis des Ausländers zu diesem Bauunternehmen und nicht zur Beschwerdeführerin abzuleiten sei; habe doch dieses Unternehmen schon am 30. August 1990 einen Antrag auf Beschäftigungsbewilligung für A. gestellt und auch von März 1991 bis Februar 1993 Verpflichtungserklärungen für den Genannten abgegeben. Demgegenüber habe A. nicht einmal die Adresse der Beschwerdeführerin nennen können. A. habe seinen tatsächlichen Arbeitgeber, der in der C. BaugmbH vermutet werden müsse, offenbar decken wollen. Im Zuge der abgabenbehördlichen Prüfung im Jahre 1998 seien auch Arbeiter der Beschwerdeführerin vernommen worden, ohne dass sich aus diesen Vernehmungen ein Hinweis auf die Beschäftigung des A. bei der Beschwerdeführerin ergeben habe. Die Beschwerdeführerin habe zwischenzeitig durch Zufall erfahren, dass auch solche Arbeiter zur Vernehmung vorgeladen worden seien, die nicht mehr bei ihr arbeiteten und in den letzten Jahren entlassen worden seien. Auch diese hätten A., der bei der Beschwerdeführerin ja nie gearbeitet habe, naturgemäß nicht gekannt, weshalb beantragt werde, zur Entlastung der Beschwerdeführerin auch die Protokolle dieser Vernehmungen beizuschaffen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. In der Begründung ihres Bescheides verwies sie auf die Bestimmung des § 166 BAO, auf den Grundsatz der freien Beweiswürdigung, auf die Voraussetzung für eine behördliche Schätzung sowie auf die Mitwirkungspflicht des Abgabepflichtigen bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen und führte unter Bezugnahme auf den Beschwerdefall aus, dass sich aus der Anzeige der Bundespolizeidirektion Wien und "den insbesondere darin enthaltenen Feststellungen der erhebenden Organe" ergebe, dass A. als Maurer bei der Beschwerdeführerin im Zeitraum 1994 bis 1996 tätig gewesen sei. Diese Angaben stimmten mit jenen aus dem fremdenpolizeilichen Verwaltungsakt überein, nach welchen sich A. seit 1991 regelmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe. Der Hinweis der Beschwerdeführerin auf die Einreise des A. in das Bundesgebiet erst am 25. Juni 1995 gehe fehl, weil es sich bei diesem Tag um jenen handle, an welchem A. letztmalig nach Österreich eingereist sei. Dass A. als Gegenleistung für seine Denunziation aus der Schubhaft entlassen worden sei, entbehre jeglicher Grundlage und stelle lediglich eine "Schutzbehauptung" der Beschwerdeführerin dar, weil A. nachweislich am 12. Mai 1996 in seine Heimat abgeschoben worden sei. Dass A. die genaue Firmenanschrift der Beschwerdeführerin nicht gewusst habe, sei noch kein Indiz gegen seine Beschäftigung, weil Bauarbeiter naturgemäß immer wieder an verschiedenen Baustellen tätig seien; die von A. angegebene Telefonnummer sei jene der Beschwerdeführerin gewesen. Dem Mitwirkungsersuchen des Finanzamtes vom 19. Februar 1997 habe die Beschwerdeführerin nicht Rechnung getragen. Zum Argument einer Unverhältnismäßigkeit des mit der Erfüllung des Auftrages verbundenen Kostenaufwandes sei der vom Finanzamt in der Berufungsvorentscheidung geäußerten Ansicht beizupflichten, dass es zur Beantwortung des Vorhaltes durchaus ausgereicht hätte, die Bautagebücher vorzulegen. Dass angesichts der großen Anzahl von Geschäftsvorfällen über diese Vorgänge keinerlei Aufzeichnungen geführt worden seien, erscheine sonderbar und entspreche "keineswegs der Verkehrsauffassung", in welchem Zusammenhang noch darauf zu verweisen sei, dass auch im Prüfungsbericht vom 28. Mai 1998 eine Mangelhaftigkeit der Aufzeichnungen festgestellt worden sei. Die Tatsache, "ob es sich bei dem Betrieb der (Beschwerdeführerin) um einen Saisonbetrieb handelt oder nicht, war nie Gegenstand der Berufung". Zur Wahrung des Grundsatzes des Parteiengehörs sei der Beschwerdeführerin eine Kopie des "Aktenvermerkes bezüglich der Einsichtnahme in den Akt der Fremdenpolizei" übermittelt worden. In der dazu erstatteten Stellungnahme vom 28. September 1999 seien "keine neuen entscheidungsrelevanten Argumente vorgebracht" worden.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Erstattung einer Gegenschrift und Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde in einem nach § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Gemäß § 115 Abs. 1 BAO haben die Abgabenbehörden die abgabepflichtigen Fälle zu erforschen und von Amts wegen die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zu ermitteln, die für die Abgabepflicht und die Erhebung der Abgaben wesentlich sind.

Den Parteien ist nach § 115 Abs. 2 BAO Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen zu geben.

§ 115 Abs. 3 BAO ordnet an, dass die Abgabenbehörden Angaben der Abgabepflichtigen und amtsbekannte Umstände auch zu Gunsten der Abgabepflichtigen zu prüfen und zu würdigen haben.

Als Beweismittel im Abgabenverfahren kommt nach § 166 BAO alles in Betracht, was zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes geeignet und nach Lage des einzelnen Falles zweckdienlich ist.

Tatsachen, die bei der Abgabenbehörde offenkundig sind, und solche, für deren Vorhandensein das Gesetz eine Vermutung aufstellt, bedürfen nach § 167 Abs. 1 BAO keines Beweises.

Im Übrigen hat die Abgabenbehörde gemäß § 167 Abs. 2 BAO unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Abgabenverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unterliegt die behördliche Beweiswürdigung seiner Kontrolle im Umfang der Fragen, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen den Denkgesetzen und der Lebenserfahrung nicht widersprechen (siehe die bei Ritz, Bundesabgabenordnung, Kommentar2 § 167 Tz 10, wiedergegebene Judikatur).

Den mit dem angefochtenen Bescheid aufrecht erhaltenen Haftungs- und Festsetzungsbescheiden des Finanzamtes liegt die Sachverhaltsfeststellung zu Grunde, dass der illegal ins Bundesgebiet eingereiste serbische Staatsangehörige A. von Jänner 1994 bis zum Zeitpunkt seiner Festnahme am 6. Mai 1996 als Maurer zu einem Stundenlohn von S 100,-- von der Beschwerdeführerin als Dienstnehmer beschäftigt worden sei. Die Beschwerdeführerin war dem den bekämpften Bescheiden zu Grunde gelegten Sachverhalt von Beginn an mit der Behauptung entgegen getreten, den am 6. Mai 1996 aufgegriffenen A. überhaupt nicht beschäftigt zu haben und darüber hinaus als "Saisonbetrieb" tätig zu sein, bei welchem die Arbeiter während der kalten Jahreszeit abgemeldet würden.

Einer Auseinandersetzung mit dem letztgenannten Vorbringen der Beschwerdeführerin hat sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid mit einer Feststellung entzogen, deren Aktenwidrigkeit von der Beschwerdeführerin mit Recht gerügt wird. Dass die Tatsache, ob es sich beim Betrieb der Beschwerdeführerin um einen Saisonbetrieb handle, "nie Gegenstand der Berufung" gewesen sei, wie im angefochtenen Bescheid festgestellt wird, widerspricht der an früherer Stelle wiedergegebenen Aktenlage in augenfälliger Weise. Schon das Unterbleiben jeglicher Auseinandersetzung mit diesem für die Höhe der bekämpften Abgabenforderungen zwangsläufig bedeutsamen Berufungseinwand der Beschwerdeführerin begründet bereits einen Verfahrensmangel, bei dessen Vermeidung das Ergehen eines inhaltlich anders lautenden Bescheides nicht ausgeschlossen werden kann. Inwieweit es - angesichts des Vorbringens der Beschwerdeführerin über die Gepflogenheit, ihre Arbeiter während der Wintermonate abzumelden - bei der Eigenschaft ihres Unternehmens als Saisonbetrieb um einen Sachverhalt gehandelt hätte, dessen Ermittlung einer besonderen, von der Beschwerdeführerin im Verfahren nicht geleisteten Mitwirkung bedurft hätte, wie die belangte Behörde dies in der Gegenschrift anklingen lässt, wäre in der Begründung des angefochtenen Bescheides plausibel zu machen gewesen.

Aber auch die Sachverhaltsfeststellung, dass der serbische Staatsangehörige A. von der Beschwerdeführerin im Streitzeitraum überhaupt beschäftigt worden war, ist nicht als Ergebnis eines solchen Verfahrens anzusehen, in welchem die Abgabenbehörden ihrer in § 115 Abs. 3 BAO festgeschriebenen Obliegenheit ausreichend entsprochen hätten, und stellt sich als Resultat einer Beweiswürdigung dar, die sich mangels Darstellung aller verfügbaren Ermittlungsergebnisse einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof auf ihre Widerspruchsfreiheit zur Lebenserfahrung entzieht.

Dass die Aussage des A. vor der Polizei ein im Abgabenverfahren nach § 166 BAO taugliches Beweismittel darstellte, trifft gewiss zu. Angesichts des dieser Aussage widersprechenden Parteienvorbringens der Beschwerdeführerin oblag es der Abgabenbehörde aber auch, das ihr Mögliche an Ermittlungen zur Überprüfung der von A. bei der Polizei gemachten Aussage anzustellen, wobei die Beschwerdeführerin zu einer sachdienlichen Mitwirkung durchaus in die Pflicht genommen werden durfte.

Soweit die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides der Beschwerdeführerin eine Verletzung ihrer Mitwirkungspflicht wegen der Verweigerung der Vorlage der vom Finanzamt begehrten Aufstellung und wegen des Unterlassens einer Vorlage zumindest der Bautagebücher vorwirft, unterlässt sie die gebotene Auseinandersetzung mit dem von der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren erstatteten Vorbringen, dass aus Bautagebüchern die Namen der bei den Baustellen beschäftigten Arbeiter gar nicht hervorgingen und sie zudem zufolge vielfach abgeschlossener Pauschalpreisvereinbarungen Bautagebücher auch gar nicht habe führen müssen. Der im angefochtenen Bescheid getroffene Hinweis auf die im Betriebsprüfungsbericht vom 28. Mai 1998 aufscheinende Feststellung der Mangelhaftigkeit von Aufzeichnungen der Beschwerdeführerin entbehrt im hier interessierenden Zusammenhang jedes argumentativen Wertes.

Dass in der Stellungnahme der Beschwerdeführerin vom 28. September 1999 "keine neuen entscheidungsrelevanten Argumente" vorgebracht worden seien, wie die belangte Behörde in der Bescheidbegründung ausführt, ist eine verfahrensrechtliche Feststellung, die erneut als aktenwidrig bezeichnet werden muss.

Die Beschwerdeführerin hat in dieser Eingabe darauf verwiesen, dass eine Vernehmung ihrer Arbeiter im Zuge des abgabenbehördlichen Prüfungsverfahrens keinen Hinweis auf die Beschäftigung des A. bei ihr ergeben habe, und dass auch nicht mehr bei ihr beschäftigte Arbeiter zu dieser Frage ergebnislos vernommen worden seien, wobei sie ausdrücklich auch die Beischaffung der Protokolle dieser Vernehmungen begehrt hatte. Kam diesen Ausführungen in der Stellungnahme vom 28. September 1999 zwar mangels Nennung von Namen und Anschriften der Zeugen sowie ausdrücklicher Bekanntgabe des Beweisthemas nicht die Qualität eines Beweisantrages im Sinne des § 183 Abs. 3 BAO zu, so war die belangte Behörde nach § 115 Abs. 3 BAO aber doch verhalten, auch auf solche von der Beschwerdeführerin angesprochene Ermittlungsergebnisse Bedacht zu nehmen und sie in ihre Beweiswürdigung einzubeziehen.

Unter den der Berücksichtigung im Sinne des § 167 Abs. 2 BAO zu unterziehenden Ergebnissen des Abgabenverfahrens sind alle und nicht bloß die in eine bestimmte Richtung deutenden Ermittlungsergebnisse zu verstehen und deren Berücksichtigung ist nach § 167 Abs. 2 BAO sorgfältig vorzunehmen. Auch negative Ermittlungsergebnisse sind Ermittlungsergebnisse im Sinne des § 167 Abs. 2 BAO. Ermittlungen, die einen bestehenden Verdacht oder eine bestehende Vermutung hätten bestätigen können, führen auch dann zu im Sinne des § 167 Abs. 2 BAO sorgfältig zu berücksichtigenden Ergebnissen des Abgabenverfahrens, wenn der Verdacht oder die Vermutung durch sie nicht bestätigt worden ist. Zu der von der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren aufgestellten Behauptung, die Vernehmungen aktuell beschäftigter wie auch früher beschäftigt gewesener Arbeiter der Beschwerdeführerin hätten keinen Anhaltspunkt für die Annahme einer Beschäftigung des A. bei der Beschwerdeführerin ergeben, findet sich in der Begründung des angefochtenen Bescheides kein Wort. Traf diese Behauptung der Beschwerdeführerin aber zu, dann hätte dies die Behörde dazu verpflichtet, ihre Beweiswürdigung unter Einbeziehung dieser erfolglosen Vernehmungen zu gestalten. Eine Beweiswürdigung unter Ausklammerung "unerwünschter" Verfahrensergebnisse entzieht sich der dem Gerichtshof obliegenden Schlüssigkeitsprüfung.

Für die von der Beschwerdeführerin in der Stellungnahme vom 28. September 1999 ins Treffen geführte Auffälligkeit des Engagements der C. Bau-gmbH für den betroffenen Arbeiter A., zu welchem Thema die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid auch kein Wort verloren hat, gelten diese Erwägungen in gleicher Weise. Dass das Bekanntwerden des Umstandes der Hinterlegung des Flugtickets für A. durch einen Angestellten der C. Bau-gmbH entsprechende Ermittlungsschritte der Abgabenbehörde bei diesem Unternehmen und dem tätig gewordenen Angestellten hätte auslösen müssen, sei in diesem Zusammenhang noch angemerkt.

Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003; die Abweisung des Kostenmehrbegehrens gründet sich darauf, dass die zum Ersatz begehrte Umsatzsteuer im verordneten Pauschbetrag schon enthalten ist.

Wien, am 7. Juli 2004

Schlagworte

Sachverhalt Beweiswürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:1999130271.X00

Im RIS seit

27.07.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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