TE Vfgh Erkenntnis 2000/12/4 A14/97

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Veröffentlicht am 04.12.2000
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Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art137 / sonstige Klagen
ABGB §1431

Leitsatz

Teilweise Stattgabe einer Klage gegen den Bund auf Rückzahlung einer trotz fehlender Zustellung eines Strafbescheides wegen Übertretung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes geleisteten Geldstrafe; keine wirksame Zustellung des Strafbescheides aufgrund mangelnder Zustellung an den Rechtsvertreter des Klägers; Rückforderung der weder irrtümlich noch unter dem Druck von Exekutionsschritten geleisteten Teilzahlungen trotz Zustellmangels nicht möglich

Spruch

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) ist schuldig, an die klagende Partei zu Handen ihres Rechtsvertreters S 35.000,-- samt 4 % Zinsen seit 22.8.1997 binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) ist schuldig, der klagenden Partei zu Handen ihres Rechtsvertreters S 120,-- an anteiligen Prozeßkosten binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Im übrigen wird das Klagebegehren abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. In der auf Art137 B-VG gestützten, gegen den Bund (damals: Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales) gerichteten Klage vom 16.4.1997 bringt der Kläger vor, daß das Magistratische Bezirksamt für den 1./8. Bezirk im Verfahren MBA 1/8-S20644/94 ein Straferkenntnis (mit dem über ihn fünf Geldstrafen zu je S 25.000,-- wegen Übertretung des §3 Abs1 iVm. §28 Abs1 Z1 lita Ausländerbeschäftigungsgesetz verhängt wurden) erlassen habe, welches aber ihm persönlich und nicht seinem Rechtsvertreter zugestellt worden sei. Das Straferkenntnis sei auch in der Folge seinem Rechtsanwalt nie zugekommen; dieser habe aber aufgrund der telephonischen Information des Klägers "aus anwaltlicher Vorsicht" Berufung an den UVS Wien erhoben. Der UVS Wien habe mit Berufungsbescheid vom 23.11.1995, GZ UVS-07/45/00774/95, die Berufung als unzulässig zurückgewiesen. In weiterer Folge sei keine neuerliche Zustellung des Straferkenntnisses erster Instanz erfolgt, weshalb die erstinstanzliche Behörde ohne bescheidmäßige Deckung eine Geldstrafe von S 138.875,-- (incl. Kosten) aus dem nicht existierenden Straferkenntnis vom 25.9.1995 eingefordert habe, wovon der Kläger bisher S 95.000,-- (richtig: S 90.000,--) einbezahlt habe. Am 18.10.1996 habe der Kläger daher die Rückzahlung der bis dahin geleisteten Beträge beantragt. Mit Schreiben vom 25.10.1996 habe das Magistratische Bezirksamt für den 1./8. Bezirk dem Rechtsvertreter des Klägers zu einer neuen Geschäftszahl, MBA1/8-M/A21799/96, mitgeteilt, daß das erstinstanzliche Straferkenntnis zusammen mit dem Berufungsbescheid des UVS mittels RSb-Brief am 6.12.1995 zugestellt worden sei: Aufgrund der rechtswirksamen Zustellung komme eine Rückzahlung nicht in Betracht.

Die Zustellung des Strafbescheides - so die Klagserzählung weiter - werde unter Berufung auf eidesstattliche Erklärungen des Rechtsanwaltes und dessen Rechtsanwaltsanwärter, wonach keine Zustellung erfolgt sei, bestritten. Aufgrund der fehlenden Zustellung an seinen Rechtsvertreter sei die Bezahlung rechtsgrundlos erfolgt, weshalb der Kläger den Betrag von S 95.000,-- samt 4 % Zinsen seit 25.10.1996 sowie die Kosten des Rechtsstreites (S 6.566,40,--) klageweise begehrt und ein stattgebendes Urteil beantragt.

Der Klage liegen "Eidesstättige Erklärungen" des Beschwerdevertreters und des bei ihm beschäftigten Rechtsanwaltsanwärters Dr. T. K. bei. Die Erklärung des erstgenannten lautet:

"Ich ... erkläre hiermit an Eides Statt, daß ich als Rechtsvertreter (der klagenden Partei) im Verwaltungsstrafverfahren zu MBA 1/8-S20644/94, niemals ein Straferkenntnis erster Instanz zugestellt bekommen habe. Die Zustellung vom 6.12.1995 betraf lediglich den Berufungsbescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Wien vom 23.11.1995. Abgesehen von diesem Berufungsbescheid wurde mir in obiger Verwaltungsstrafsache mit der Zustellung vom 6.12.1995 kein weiterer Bescheid zugestellt."

Die Erklärung des Rechtsanwaltsanwärters ist gleichlautend mit der Maßgabe, daß sich anstelle der Wendung "Rechtsvertreter (der klagenden Partei)" die Wendung "als Rechtsanwaltsanwärter in der Kanzlei des Rechtsvertreters (der klagenden Partei)" findet.

2. Der Bund (Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales) hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Äußerung erstattet, in welcher zunächst die Zulässigkeit der Klage bestritten wird, da der Anspruch - so er bestünde - dem Bereicherungsrecht zuzurechnen und im ordentlichen Rechtsweg auszutragen wäre. Im übrigen sei - wie sich für die beklagte Partei aus verschiedenen Aktenvermerken in den Verwaltungsakten und dem Rückschein des RSb-Briefes ergebe - eine Zustellung an den Rechtsvertreter der klagenden Partei zusammen mit dem Berufungsbescheid des UVS erfolgt. Auf dem RSb-Brief befinde sich die Aktenzahl des erstinstanzlichen Strafbescheides und die Übernahme des Briefes sei durch einen Arbeitnehmer des Anwaltes durch Unterschrift bestätigt worden. Der äußere Anschein (Geschäftszahl des erstinstanzlichen Strafbescheides auf dem Kuvert) spreche für eine ordnungsgemäße Zustellung; der Anwalt hätte in seiner Kanzlei "Nachforschungen betreiben" können; den eidesstattlichen Erklärungen komme kein Beweiswert zu, da die Zustellung nicht an eine dieser beiden Personen erfolgt sei, sondern laut Rückschein an einen Arbeitnehmer des Zustellbevollmächtigten. Unbestritten sei jedenfalls, daß das Straferkenntnis am 28.9.1995 dem Kläger selbst zugestellt worden sei. Für eine Sanierung des Zustellmangels spreche, daß der zustellbevollmächtigte Anwalt mehrfach bei verschiedensten Stellen für die klagende Partei eingeschritten sei. Das angebliche Nichtzukommen des relevanten Bescheides - und zwar vor der neuerlichen Zustellung am 6.12.1995 - erscheine unglaubwürdig. Der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales sei der Berufungsbescheid zusammen mit einer Kopie des Strafbescheides, Zl. MBA 1/8-S20644/94, am 19.12.1995 zugestellt worden. Insgesamt wirke das Vorbringen des Klägers sowohl "aktenwidrig als auch unglaubwürdig" und konstruiert. Die Bundesministerin stellt den Antrag, die Klage mangels Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes als unzulässig zurückzuweisen, in eventu dem Grunde nach mangels eines zu Recht bestehenden Rückforderungsanspruchs als unbegründet abzuweisen.

3. Der Kläger hat auf diese Äußerung repliziert: Aus dem Vorbringen der beklagten Partei gehe nur hervor, daß sie keinen Nachweis für die Zustellung habe. In dem Kuvert habe sich nur der Berufungsbescheid des UVS Wien befunden, nicht aber das Straferkenntnis. Die erstinstanzliche Behörde habe sich bereits im erstinstanzlichen Verfahren durch "große Verfahrensfehler ausgezeichnet" und das Straferkenntnis nicht dem Rechtsvertreter zugestellt. Sein Anwalt habe nicht erahnen können, daß in dem Kuvert, das den Bescheid des UVS Wien enthalten hätte und auf dessen Rückschein nichts anderes vermerkt gewesen sei, auch das Straferkenntnis erster Instanz hätte sein sollen. Die Ausführungen zur "Nachforschungspflicht" seien nicht nachvollziehbar, da es "im Verwaltungsstrafverfahren keine Entscheidungspflicht" gäbe. Da nach 3 Jahren - hier am 18.10.1996 - ohne Zustellung Verjährung eingetreten sei, hätten der Kläger bzw. der Klagevertreter auch keine Veranlassung gehabt, die Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides bei der Behörde zu urgieren.

4. Der Verfassungsgerichtshof hat im Zuge des Vorverfahrens den Klagevertreter sowie die bei diesem beschäftigte Kanzleileiterin zum strittigen Zustellvorgang befragt; über Aufforderung des Verfassungsgerichtshofes übermittelte der Magistrat der Stadt Wien (Magistratsabteilung 6 - Rechnungsamt) die bezughabenden Einhebungsakten sowie eine Auflistung der vom Kläger geleisteten Beträge.

Die Kanzleileiterin P H gab folgendes an:

"Ich bin in der Kanzlei von Rechtsanwalt Dr. B K seit 3. Juli 1989 beschäftigt und habe dort seit etwa 1992 die Funktion einer Kanzleileiterin inne. Zu den Aufgaben der Kanzleileiterin in dieser Kanzlei gehört unter anderem die Öffnung der Eingangspost. Dieser Vorgang ist wie folgt organisiert: Ich öffne die Kuverts und trenne sodann die Schriftstücke, die mit der Eingangsstampiglie versehen werden, von den Kuverts, die von einer Kollegin dahingehend kontrolliert werden, ob sich in ihnen übersehene Schriftstücke befinden. Ich sehe sodann die Poststücke durch und trenne jene Poststücke aufgrund derer Fristen einzutragen sind von den anderen. Die Fristen vermerke ich auf den Poststücken und trage sie dann in den Fristenkalender ein. Beide Stapel von Poststücken, sowohl jenen in dem ich keinen Kalender feststellen konnte als auch den der die Friststücke enthält kommt dann zu Rechtsanwalt Dr. K, der sodann sowohl die Schriftstücke ohne Frist als auch jene mit Fristen gegenkontrolliert und überprüft, ob die Fristen im Kalenderbuch richtig eingetragen sind. Rechtsanwalt Dr. K bekommt die Poststücke bereits mit den angeschlossenen Akten. Eine Kontrolle bei Rückscheinbriefen, ob die auf dem Rückscheinbrief vermerkte Geschäftszahl mit der Geschäftszahl des im Kuvert befindlichen Schriftstückes übereinstimmt wird nicht immer durchgeführt. Ich habe mir vor meiner Einvernahme den Handakt der Kanzlei durchgesehen um mich an den Fall überhaupt erinnern zu können. Ich kann mich noch daran erinnern daß der damalige Konzipient der Kanzlei Dr. T K mitgeteilt hat, daß im Gegensatz zum ersten Rechtsgang der erstinstanzliche Bescheid nunmehr unserer Kanzlei zugestellt werden würde, weshalb wir auf diesen Bescheid gewartet haben. Über Vorhalt des Rückscheins mit der Eingangsstampiglie 6. Dezember 1995 (Akt des Magistrates Seite 70): Die Unterschrift auf der Eingangsstampiglie vom 6. Dezember 1995 stammt von mir. Auf die Frage, auf welche Weise es möglich ist, festzustellen, ob ein nicht im Akt befindliches Schriftstück zu einem früheren Zeitpunkt in der Kanzlei als Einschreib- oder Rückscheinschriftstück eingelangt ist:

An sich müßte das Schriftstück im Akt sein, wenn es eingelangt ist. Die zweite Möglichkeit der Kontrolle wäre, wenn es sich um ein Schriftstück handelt, aufgrund dessen eine Frist einzutragen war, daß im Kalender nach der Frist gesucht wird. Eine dritte Möglichkeit wäre die Befragung von Mitarbeitern, ob sich diese an das Schriftstück erinnern können. Ein Posteingangsbuch in welchem chronologisch alle einlangenden Schriftstücke (Einschreibbriefe bzw. Rückscheinbriefe) eingetragen werden, wird in unserer Kanzlei nicht geführt. Ob in der Angelegenheit F T ein Schriftstück in der Kanzlei jemals gesucht worden ist kann ich nicht angeben, weil ich mich an einen solchen Vorgang nicht erinnern kann."

Der Klagevertreter hat - nach einem einleitenden Hinweis, daß er von der Verschwiegenheitspflicht entbunden sei - folgendes ausgesagt:

"Ich habe die Aussage meiner Kanzleileiterin Frau P H durchgelesen, sie entspricht der Wahrheit. Bezüglich des konkreten Zustellvorganges kann ich mich noch an folgendes erinnern: Mein damaliger Konzipient Dr. T K pflegte, wenn er zum Zeitpunkt der Postzustellung in der Kanzlei weilte, meine Kanzleidamen damit zu 'nerven', daß er beim Brieföffnen dabei sein wollte und zum Teil die Briefe sofort in Augenschein nahm. So war es auch in diesem Fall:

Dr. T K kam mit dem Zurückweisungsbescheid des UVS sofort zu mir und fragte mich, ob wir diesen Bescheid akzeptieren könnten. Dr. T K war nämlich mit dem Akt des Beschwerdeführers bestens vertraut; der Akt interessiert ihn auch besonders. Er hatte auch die Schriftsätze in diesem Akt diktiert. In meiner Kanzlei ist es immer üblich gewesen, daß Kuverts vor dem Wegwerfen nochmals dahingehend kontrolliert werden, ob in ihnen Schriftstücke versehentlich zurückgeblieben sind.

Was den Kanzleikalender anlangt, so bin ich nicht mehr in der Lage, diesen vorzulegen, weil die Kanzleikalender bei uns nur drei Jahre lang aufbewahrt werden, zumal sie für steuerliche Belange ohne Bedeutung sind.

Über Vorhalt: Im Unternehmen meines Mandanten wird die Post üblicherweise von Mitarbeitern und nicht persönlich von Herrn T übernommen. Meiner Einschätzung nach dürfte dort ein ziemliches 'Chaos' herrschen, weil ich auch von der ersten Zustellung des Straferkenntnisses nur eine telefonische Mitteilung bekommen habe, das Original dieses Straferkenntnisses hatte Herr T nie übermittelt.

Zu den Gründen, die Herrn T veranlaßt haben, zunächst aufgrund des Rückstandsausweises ein Ansuchen um Zahlungserleichterung zu stellen und sodann ab 25. Juni 1996 zunächst bis 22. Oktober 1996 Zahlungen an die Behörde vorzunehmen: Ich weise darauf hin, daß mein Konzipient Dr. T K diesen Akt seinerzeit geführt hat. Ebenso wenig wie wir durch Urgenz des Bescheides die Behörde vor Ablauf der Verjährungsfrist auf den Umstand aufmerksam machen wollten, daß der Bescheid noch nicht zugestellt worden ist, dürften auch die Zahlungen vom 25.6.1996 bis 22.10.1996 den gleichen Zweck gehabt haben, die Behörde nicht vorzeitig darauf aufmerksam zu machen, daß der Bescheid noch nicht zugestellt wurde. Die Zahlungen im Jahr 1997 dürften auf Exekutionsmaßnahmen zurückzuführen sein. Ein weiterer möglicher Grund könnte darin liegen, daß meiner Erinnerung nach Ende 1996 Unterlagen bei Herrn T von den Steuerbehörden beschlagnahmt wurden, die meines Wissens bis heute nicht wieder ausgefolgt worden sind. Dadurch könnte auch ein gewisses Chaos bei Herrn T entstanden sein.

Mein Antrag, auf den das Antwortschreiben des Magistratischen Bezirksamtes im 1./8. Bezirk vom 25. Oktober 1996 Bezug nimmt, war ein Rückforderungsantrag hinsichtlich der bisher geleisteten Beiträge. Ich weise den Antrag vom 18.10.1996 vor, der, wie das Briefzeichen .../2 zeigt, von meinem Konzipienten Dr. T K konzipiert wurde. Aus diesem Antrag wird festgestellt, daß darin nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens unter Berufung darauf, daß nach Auffassung des UVS das seinerzeit zugestellte Straferkenntnis einen 'Nichtbescheid' darstelle, ein Geldbetrag von S 95.000,-- mit der Begründung zurückgefordert wird, daß die Behörde ohne bescheidmäßige Deckung einen Geldbetrag von S 138.875,-- eingefordert habe. Das Original des Antragschreibens wird dem Zeugen zurückgestellt. Dazu ergänzend der Zeuge: Ich verweise auf das Datum des Antrages, daß ich ziemlich exakt mit dem Ende der Zahlungen von Herrn T und dem Ablauf der Verjährungsfrist deckt, und verweise dazu nochmals auf die vorstehenden Angaben. Weitere Angaben zu dieser Angelegenheit kann ich nicht machen. Ich nehme den Aktenvermerk der Strafvollzugsreferentin über die angebliche Vorgangsweise bei der Abfertigung des Berufungsbescheides zur Kenntnis, ich kann dazu nur auf die eigenen Angaben und auf die meiner Kanzleileiterin verweisen."

4.1. Über Vorhalt einer Zahlungsaufstellung des Magistrates der Stadt Wien - es ergibt sich daraus, daß der Kläger 1996 18mal S 5.000,-- sowie 1997 5mal S 6.000,-- und einmal S 18.875,-- sohin insgesamt S 138.875,-- gezahlt hatte - dehnte der Kläger sein Klagebegehren mit Schriftsatz vom 4.4.2000 um den Betrag von S 43.875,-- samt 4 % Zinsen seit 22.8.1997 auf insgesamt S 138.875,-- aus und beantragte folgendes Urteil:

"Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei den Betrag von S 138.875,-- samt 4 % Zinsen p.a. seit 22.8.1997 sowie 4 % Zinsen p.a. aus S 95.000,-- von 25.10.1996 bis 21.8.1997 sowie die Kosten dieses Rechtsstreites zu Handen des Klagevertreters binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen."

Dazu führt der Kläger aus, daß er zwar diese Zahlungen geleistet habe, dies allerdings weder als Anerkenntnis noch als eigenständige Verpflichtung anzusehen sei. Zahlreiche Unterlagen des Klägers seien 1996 von der Steuerbehörde beschlagnahmt und auch im Zeitpunkt der weiteren Zahlungen 1997 noch nicht ausgefolgt worden, weshalb beim Kläger ein "gewisses Chaos" entstanden sei und er nicht nachvollziehen habe können, "ob den entsprechenden Zahlungsaufforderungen der MA 6 überhaupt ein rechtswirksamer Bescheid zugrundelag". Er sei auch der unrichtigen Ansicht gewesen, daß er aufgrund des ihm übermittelten Rückstandsausweises bzw. der wöchentlichen "Eintreibungen" des Erhebungs- und Vollstreckungsdienstes sowie eines rechtskräftigen Strafbescheides zur Zahlung verpflichtet wäre. Es sei dem Kläger im übrigen auch nicht zumutbar gewesen - "entgegen den Zahlungsaufforderungen des Rechnungsamtes bei Behauptung der Rechtswirksamkeit einer zugrundeliegenden Entscheidung" - die Zahlung der geforderten Beträge zu verweigern, zumal nicht nur der Geschäftsbetrieb durch ständige Eintreibungsversuche gestört worden wäre, sondern auch die Privatsphäre des Klägers verletzt worden wäre, wenn dieser ständig damit hätte rechnen müssen, daß auf sein Vermögen exekutiv zugegriffen werde.

Es sei unmittelbar nach Erhalt der Zahlungsaufforderung über den Restbetrag von S 48.875,-- bekanntgegeben worden, daß ein Verfahren auf Rückzahlung der bisher entrichteten Zahlungen zur gegenständlichen Aktenzahl beim Verfassungsgerichtshof anhängig sei; von der MA 6 sei allerdings der vermeintliche Anspruch weiter betrieben worden.

Der Kläger habe in Summe einen Betrag von S 137.500,-- zuzüglich Pfändungsgebühr von S 1.375,--, insgesamt sohin S 138.875,-- bezahlt, ohne daß diesen Zahlungen ein rechtskräftiger öffentlich-rechtlicher Titel zugrunde gelegen sei. Da die Finanzprokuratur jegliche Rückzahlung der vom Kläger aufgrund des vermeintlichen Straferkenntnisses geleisteten Beträge schon dem Grunde nach ablehne, sei eine zusätzliche Anspruchsstellung an die Finanzprokuratur hinsichtlich der nunmehr hervorgekommenen Beträge nicht erforderlich.

4.2. Mit Schreiben vom 11.5.2000 teilte der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit mit, daß die Geldstrafe in Höhe von S 125.000,-- zur Gänze von der klagenden Partei bezahlt worden sei; der darüber hinausgehende Betrag (S 12.500,-- Verfahrenskostenbeitrag und S 1.375,-- Pfändungsgebühr) sei jedoch nicht gem. §28 Abs3 AuslBG dem Arbeitsmarktservice zugeflossen, weshalb auch keine passive Klagslegitimation des Bundes hinsichtlich dieses Betrages entstanden sei.

II 1. Der Verfassungsgerichtshof nimmt aufgrund des durchgeführten Beweisverfahrens als erwiesen an, daß dem Klagevertreter in einem Rückscheinkuvert, das von seiner Kanzlei am 6.12.1995 übernommen wurde, der Berufungsbescheid des UVS Wien vom 23.11.1995, UVS-07/45/00774/95, zugestellt wurde. Es kann hingegen nicht festgestellt werden, daß sich in diesem Kuvert auch der Strafbescheid des Magistratischen Bezirksamtes für den 1. und 8. Bezirk vom 14.9.1995, MBA 1/8-S 20644/94, befunden hat.

Der Klagevertreter vermied es daraufhin im Hinblick auf den Lauf der Verjährung, die Behörde auf ihren Fehler aufmerksam zu machen. Aus dem gleichen Grund hat der Kläger - nach der Lage des vom Verfassungsgerichtshof eingeholten Einhebungsaktes - aufgrund einer Zahlungsaufforderung beim Rechnungsamt des Magistrates der Stadt Wien

-

ohne daß ein Zwangsvollstreckungsverfahren eingeleitet worden wäre

-

einen Ratenzahlungsantrag gestellt und aufgrund der ihm mit Teilzahlungsbescheid der Magistratsabteilung 6 - Rechnungsamt - vom 14.6.1996 erteilten Ratenbewilligung bis zum Eintritt der Verjährung am 18.10.1996 beginnend mit 25.6.1996 18 Raten a S 5000,-- (insgesamt also S 90.000,--, die letzte Rate am 22.10.1996) bezahlt. Sodann hat er - nunmehr wieder durch den Beschwerdevertreter - unter Berufung darauf, daß das Straferkenntnis nicht wirksam zugestellt worden sei, die bezahlten Beträge im Ausmaß von S 95.000,-- (richtig: S 90.000,--) zunächst von der Stadt Wien zurückverlangt. Die Behörde hat in der Folge im Hinblick auf die ihrer Auffassung nach eingetretene Rechtskraft Exekutionsschritte eingeleitet. Der Kläger bezahlte in der Folge beginnend mit 25.6.1997 bis 23.7.1997 fünf mal

S 6.000,-- (insgesamt somit S 30.000,--) und am 13.8.1997 einen Restbetrag von S 18.875,--.

2. Diese Feststellungen gründen sich auf die vorliegenden Verwaltungsakten und die nicht widerlegbaren Angaben der vernommenen Zeugen, nämlich des Klagevertreters und seiner Kanzleimitarbeiterin.

2.1. Die nach dem dargestellten Ablauf der Dinge unter Berücksichtigung der Lebenserfahrung geradezu auf der Hand liegende Motivation des Klägers zur freiwilligen Zahlung eines Teils der Geldstrafe im Jahre 1996 wird nicht nur durch die Angaben des Klagevertreters anläßlich von dessen Einvernahme bestätigt, sondern erhellt auch aus der geradezu planmäßigen (vorläufigen) Beendigung dieser Zahlungen mit Ablauf der am 18.10.1996 eingetretenen Verjährung des §31 VStG (letzte freiwillige Ratenzahlung am 22.10.1996) und der unmittelbar darauffolgenden Antragstellung auf Rückerstattung der Beiträge (wenngleich zunächst fälschlich gegen die Stadt Wien anstelle des Bundes). Dieser Vorgang widerlegt die Behauptungen des Klägers in seinem Schriftsatz vom 4.4.2000, daß der Kläger aufgrund der Beschlagnahme der "auch im Zeitpunkt der weiteren Zahlungen im Jahr 1997 noch nicht wieder ausgefolgten" Unterlagen nicht habe nachvollziehen können, ob den Zahlungsaufforderungen der MA 6 überhaupt ein rechtswirksamer Bescheid zugrunde gelegen sei. Im Hinblick auf den bereits am Tage des Eintritts der Verjährung gestellten und vom Beschwerdevertreter verfaßten Rückzahlungsantrag, der (abgesehen von einer Rechendifferenz von S 5.000,--) die Zahlungen des Klägers präzise widerspiegelt, geht der Verfassungsgerichtshof auch davon aus, daß die Ratenzahlungen aus den vorerwähnten Gründen in Absprache mit dem Beschwerdevertreter und nicht aufgrund eines "chaosbedingten" Alleingangs des Klägers erfolgten.

2.2. Zu der zwischen den Parteien kontroversen Frage der Zustellung des Straferkenntnisses war für die Beweiswürdigung im besonderen folgendes maßgebend:

2.2.1. Wie aus dem vorgelegten Verwaltungsstrafakt des Magistratischen Bezirksamtes hervorgeht, wurde nach Einlangen des zurückweisenden Berufungsbescheides des UVS Wien am 29.11.1995 ausweislich eines darüber angefertigten handschriftlichen Aktenvermerkes (AS 68) von diesem Tag, der offenkundig die Unterschrift der Bearbeiterin trägt, die Kanzlei angewiesen, "1) Berufungsbescheid zustellen 2) Zustellung des Straferkenntnisses an den ausgewiesenen Rechtsvertreter (es folgen Name und Anschrift) ...". Ein am gleichen Tag von der Bezirksamtsleiterin unterfertigtes Formular (AS 74 verso), ist im mit "Kanzlei" überschriebenen Abschnitt wie folgt ausgefüllt:

"I) Original der beiliegenden Ausfertigung des Berufungsbescheides mit Zahlschein zu Handen (des Rechtsvertreters mit Name und Anschrift) Rsb expedieren.

II) Wiedervorlage mit Rechtsmittel oder Weiterbearbeitung durch das Strafenexpedit nach Ablauf der Rechtsmittelfrist".

2.2.2. Nach Punkt I findet sich ein mit einem Stempel "4. Dez.1995" datierter Vermerk "1x" mit einem unleserlichen Zusatz. Eine weitere Zustellverfügung enthält dieses Formular nicht.

2.2.3. Der an den Klagevertreter adressierte Rückschein weist neben der Übernahmebestätigung unter "GZ" die Zahl "S/20644/94" auf.

2.2.4. Entgegen den Ausführungen der beklagten Partei in ihrer Äußerung befindet sich auf dem Rückschein somit keineswegs die Geschäftszahl des Straferkenntnisses, sondern nur jener Teil der Geschäftszahl des Aktes, der allen Ausfertigungen gemeinsam ist. Es findet sich - wie unstrittig ist - auch kein Hinweis auf dem Rückschein, daß sich in diesem Kuvert der Berufungsbescheid des UVS befunden hätte. Die vermerkte Aktenzahl läßt nur den Bezug zur vorliegenden Sache erkennen. Es ist dem Rückschein insgesamt daher kein eindeutiger Hinweis darauf zu entnehmen, was sich - aufgrund der den Vermerk zu "GZ" verfassenden Stelle - konkret darin hätte befinden sollen.

2.2.5. Es ist vielmehr nach den oben wiedergegebenen, widersprüchlichen Zustellverfügungen des Verwaltungsstrafaktes durchaus naheliegend, daß die auf dem üblichen Formular verfügte Zustellanordnung der Bezirksamtsleiterin, welche eine Anweisung auf neuerliche Zustellung des Straferkenntnisses nicht enthielt, befolgt und der handschriftliche Vermerk der Referentin (der zwar im Akt abgehakt wurde, aber kein Datum der Durchführung aufweist) übersehen worden ist.

2.3. Angesichts dieser Aktenlage kann von einem Nachweis der Zustellung des Straferkenntnisses an den Klagevertreter nicht die Rede sein. Der Verfassungsgerichtshof sah sich daher nicht veranlaßt, an der Richtigkeit der Angaben des Klagevertreters und seiner Mitarbeiterin Zweifel zu hegen.

3. Aufgrund des festgestellten Sachverhaltes hat der Verfassungsgerichtshof in rechtlicher Hinsicht erwogen:

3.1. Zur Zulässigkeit:

Der Verfassungsgerichtshof hat vor dem Hintergrund seiner ständigen Rechtsprechung zur Rückforderung bereits geleisteter Geldstrafen keinen Zweifel an der Zulässigkeit einer Klage der hier vorliegenden Art(vgl. VfSlg. 8812/1980, 9556/1982, 13993/1994, 15175/1998).

3.2. In der Sache:

3.2.1. Der Kläger begehrt vom beklagten Bund die Zahlung eines Betrages von S 138.875,--, der sich aus S 125.000,-- Strafe und S 12.500,-- Verfahrenskostenbeitrag und der Pfändungsgebühr von S 1.375.- zusammensetzt. Der beklagte Bund ist jedoch nur hinsichtlich der Geldstrafe in Höhe von S 125.000,-- passiv klagslegitimiert, da der Bund zwar zur Verhängung einer Geldstrafe über den Kläger zuständig war und ihm der eingehobene Strafbetrag auch wirklich zugekommen ist, dies jedoch weder für den Verfahrenskostenbeitrag noch für die Pfändungsgebühr zutrifft; hinsichtlich dieser beiden Geldbeträge ist das Land Wien passiv klagslegitimiert (vgl. mit näherer Begründung bereits VfSlg. 13852/1994 und VfSlg. 14636/1996).

Da der Bund somit nur in bezug auf die Rückforderung der bezahlten Geldstrafe in Höhe von S 125.000,-- passiv klagslegitimiert ist, war die Klage hinsichtlich des Teilbetrages von S 13.875,-- schon wegen fehlender passiver Klagslegitimation des Bundes abzuweisen.

3.2.2. Die Klage ist aber auch sonst nur teilweise begründet:

a) Die privatrechtlichen Bestimmungen über Bereicherung finden auch im öffentlichen Recht direkt oder analog Anwendung, um vorhandene Lücken des öffentlichen Vermögensrechtes zu schließen. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes können entrichtete Geldstrafen unter zwei Voraussetzungen gestützt auf §1431 ABGB (§1435 ABGB kommt hier der Sache nach nicht in Betracht) zurückgefordert werden, nämlich wenn es an einem Titel im Sinne einer rechtlichen Deckung fehlt und die Leistung aufgrund eines Irrtums erbracht worden ist. Einem Irrtum hat der Verfassungsgerichtshof - hierin der zivilgerichtlichen Judikatur folgend - die Zahlung einer Nichtschuld unter dem Druck der Exekution (somit unter Zwang) gleichgehalten (vgl. zu alledem das grundlegende Erkenntnis VfSlg. 8812/1980).

b) Im vorliegenden Fall steht das Fehlen einer rechtlichen Deckung außer Frage, da nach den Tatsachenfeststellungen des Verfassungsgerichtshofes der Strafbescheid zu keinem Zeitpunkt dem Kläger wirksam zugestellt worden ist.

c) Es können jedoch die aufgrund der Ratenbewilligung bewirkten Zahlungen des Jahres 1996 im Ausmaß von S 90.000,-- deshalb nicht zurückgefordert werden, weil es diesbezüglich an der zweiten Voraussetzung fehlt: Der Kläger hat diese Zahlungen weder irrtümlich, noch unter dem Druck von Exekutionsschritten, sondern in Kenntnis des Umstandes, daß ein rechtskräftiger Bescheid gar nicht vorlag, noch vor der Einleitung von Exekutionsschritten (und zunächst ohne die ihm mögliche Berufung auf die fehlende Rechtskraft des Bescheides) entrichtet, weil er damit die Absicht verfolgte, die Behörde bis zum Eintritt der Verjährung im Glauben zu lassen, daß die Rechtskraft des Bescheides eingetreten sei, um die bezahlten Beträge nach Ablauf dieser Verjährungsfrist zurückfordern zu können, ohne ein Nachholen der Zustellung befürchten zu müssen. Hinsichtlich der aufgrund des Ratenzahlungsbescheides geleisteten Beträge von insgesamt S 90.000,-- liegen daher die Voraussetzungen für eine auf §1431 ABGB gestützte Rückforderung nicht vor.

3.2.3. Anders verhält es sich jedoch mit dem nach den vorliegenden Vollstreckungsakten und der Äußerung der MA 6 - Rechnungsamt im Wege der Verwaltungsexekution durch den Erhebungs- und Vollstreckungsdienst eingehobenen weiteren Zahlungen - soweit diesbezüglich der beklagte Bund passiv legitimiert ist - von insgesamt S 35.000,--. Insoweit wurde unter dem Druck eines Exekutionsverfahrens ohne rechtlichen Grund geleistet. Dieser Betrag kann daher gem. §1431 ABGB zurückgefordert werden.

3.3. Hinsichtlich dieses Betrages von S 35.000,-- besteht das Klagebegehren somit zu Recht, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war. Ebenso zu Recht hat der Kläger die aus diesem Betrag resultierenden Verzugszinsen eingeklagt, weshalb ihm auch diese zuzusprechen waren (vgl. VfSlg. 5079/1965, 10489/1985, 10889/1986, 11064/1086 und 13852/1994).

4. Aufgrund des Obsiegens der klagenden Partei nur mit einem Viertel ihrer Klagsforderung waren ihr - als Folge der schon bei gleichteiligem Obsiegen bzw. Unterliegen der Parteien eintretenden wechselseitigen Aufhebung der Kostenansprüche - keine Kosten, sondern gem. §35 VerfGG 1953 iVm. §43 ZPO lediglich (anteilige) Stempelgebühren in der Höhe von S 120,-- zuzusprechen.

5. Dies konnte gem. §19 Abs4 VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Zustellung, VfGH / Klagen, Zivilrecht, Bereicherung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2000:A14.1997

Dokumentnummer

JFT_09998796_97A00014_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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