TE Vfgh Erkenntnis 2000/12/5 B1813/97

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Veröffentlicht am 05.12.2000
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Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Allg
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art83 Abs2
StGG Art5
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
ASVG §341 ff
ASVG §346
EG-Vertrag Art12
EG-Vertrag Art39 Abs2
EG-Vertrag Art234
Verordnung (EWG) Nr 1408/71 des Rates vom 14.06.71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern Art1, Art3, Art22

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Abweisung eines Antrags der Ärztekammer für Tirol auf Feststellung des Nichtbestehens einer Verpflichtung der Tiroler Vertragsärzte zur Behandlung von EWR-Ausländern nach den Bestimmungen der Honorarordnung betreffend vertraglich festgesetzte Kassentarife; keine Verletzung der Vorlagepflicht durch die Bundesschiedskommission; Inhalt des Gesamtvertrages durch unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht modifiziert; Widerspruch der Ausnahme von EWR-Urlaubern aus dem Anwendungsbereich des Gesamtvertrages zum Diskriminierungsverbot des EG-Vertrages und zu einer EWG-Verordnung

Spruch

Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. §30 des Gesamtvertrages für praktische Ärzte und Fachärzte, abgeschlossen mit Wirksamkeitsbeginn 1. Jänner 1985 zwischen der Ärztekammer für Tirol einerseits und dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger für die Tiroler Gebietskrankenkasse, die Versicherungsanstalt des österreichischen Bergbaues und die Betriebskrankenkasse der Austria Tabakwerke Aktiengesellschaft andererseits (in Hinkunft: Gesamtvertrag für Tirol), lautet:

"Die Honorierung der vertragsärztlichen Tätigkeit wird durch die Honorarordnung geregelt; diese bildet einen Bestandteil des Gesamtvertrages und enthält insbesondere:

a) die Grundsätze über die Verrechnung und Honorierung der vertragsärztlichen Leistungen;

b) das Verzeichnis der vertragsärztlichen Leistungen;

c) die Bewertung der einzelnen Leistungen in Punkten und, soweit dies vorgesehen ist, in Schillingbeträgen."

1.2. §18 Gesamtvertrag für Tirol hat - soweit für den vorliegenden Fall relevant - samt Überschrift folgenden Wortlaut:

"Behandlung von Betreuungsfällen

§18

(1) Soweit der Versicherungsträger zur Betreuung von Anspruchsberechtigten anderer österreichischer Krankenversicherungsträger verpflichtet ist, übernimmt der Vertragsarzt die ärztliche Behandlung zu den gleichen Bedingungen, wie sie für die Anspruchsberechtigten des Versicherungsträgers gelten, mit dem der Arzt im Vertragsverhältnis steht. Das gleiche gilt für jene Personen, die vom Krankenversicherungsträger nach den Bestimmungen des Kriegsopferversorgungsgesetzes, des Opferfürsorgegesetzes, des Verbrechensopfergesetzes, des Heeresversorgungsgesetzes oder des Strafvollzugsgesetzes zu betreuen sind.

...

(3) Personen, die aufgrund zwischenstaatlicher Übereinkommen einem österreichischen Krankenversicherungsträger zur Betreuung überwiesen werden, sind den Anspruchsberechtigten nach Abs1 gleichzustellen, sofern es sich um Grenzgänger oder um Dienstnehmer handelt, die sich zum Zwecke der Berufsausübung im Bundesgebiet aufhalten. Über diesen Personenkreis hinaus wird die vertragsärztliche Behandlung nur übernommen, sofern eine Sondervereinbarung über die Honorierung der in Betracht kommenden ärztlichen Leistungen zwischen den Vertragsparteien zustande kommt."

2. Seit dem Inkrafttreten des EWR-Abkommens, BGBl. Nr. 909/1993, mit 1. Jänner 1994 bzw. des Beitrittsvertrages, BGBl. Nr. 45/1995, mit 1. Jänner 1995 ist ua. die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, Amtsblatt Nr. L 149 vom 5. Juli 1971, S 2 ff, idgF (in Hinkunft: Verordnung Nr. 1408/71) in Österreich anzuwenden.

2.1. Art3 Abs1 Verordnung Nr. 1408/71 normiert ein besonderes Gleichbehandlungsgebot:

"Die Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen und für die diese Verordnung gilt, haben die gleichen Rechte und Pflichten auf Grund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates, soweit besondere Bestimmungen dieser Verordnung nichts anderes vorsehen."

2.2. Art6 Verordnung Nr. 1408/71 betrifft das Verhältnis zwischen dieser Verordnung und allfälligen von den Mitgliedstaaten abgeschlossenen Abkommen über soziale Sicherheit und lautet:

"Soweit die Artikel 7, 8 und 46 Absatz 4 nichts anderes bestimmen, tritt diese Verordnung im Rahmen ihres persönlichen und sachlichen Geltungsbereichs an die Stelle folgender Abkommen über soziale Sicherheit:

a) Abkommen, die ausschließlich zwischen zwei oder mehreren Mitgliedstaaten in Kraft sind;

b) Abkommen, die zwischen mindestens zwei Mitgliedstaaten und einem oder mehreren Staaten in Kraft sind, sofern es sich um Fälle handelt, an deren Regelung sich kein Träger eines dieser anderen Staaten zu beteiligen hat."

2.3. Art22 Abs1 Verordnung Nr. 1408/71 lautet:

"(1) Ein Arbeitnehmer oder Selbständiger, der die nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates für den Leistungsanspruch erforderlichen Voraussetzungen, gegebenenfalls unter Berücksichtigung des Artikels 18, erfüllt und

a) dessen Zustand während eines Aufenthalts im Gebiet eines anderen als des zuständigen Mitgliedstaats unverzüglich Leistungen erfordert ...

...

hat Anspruch auf:

i) Sachleistungen für Rechnung des zuständigen Trägers vom Träger des Aufenthalts- oder Wohnorts nach den für diesen Träger geltenden Rechtsvorschriften, als ob er bei diesem versichert wäre;

die Dauer der Leistungsgewährung richtet sich jedoch nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates;

ii) Geldleistungen vom zuständigen Träger nach den für diesen Träger geltenden Rechtsvorschriften. Im Einvernehmen zwischen dem zuständigen Träger und dem Träger des Aufenthalts- oder Wohnorts können diese Leistungen jedoch vom Träger des Aufenthalts- oder Wohnorts nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates für Rechnung des zuständigen Trägers gewährt werden.

..."

2.4. Art1 litj Verordnung Nr. 1408/71 enthält eine Definition des (ua.) in Art22 Abs1 leg. cit. verwendeten Begriffs "Rechtsvorschriften": Als "Rechtsvorschriften" sind demnach anzusehen

"in jedem Mitgliedstaat die bestehenden und künftigen Gesetze, Verordnungen, Satzungen und alle anderen Durchführungsvorschriften in bezug auf die in Artikel 4 Absätze 1 und 2 genannten Zweige und Systeme der sozialen Sicherheit oder die in Artikel 4 Absatz 2a erfaßten beitragsunabhängigen Sonderleistungen.

Dieser Begriff umfaßt bestehende oder künftige tarifvertragliche Vereinbarungen nicht, selbst wenn eine behördliche Entscheidung sie für allgemein verbindlich erklärt oder ihren Geltungsbereich erweitert hat. Diese Einschränkung kann jedoch in bezug auf solche tarifvertraglichen Vereinbarungen,

i) die der Erfüllung einer Versicherungspflicht dienen, die sich aus den in Unterabsatz 1 genannten Gesetzen oder Verordnungen ergibt, oder

ii) die ein System schaffen, dessen Verwaltung von dem Träger gewährleistet wird, der auch die Systeme verwaltet, die durch in Unterabsatz 1 genannte Gesetze oder Verordnungen eingeführt worden sind,

jederzeit durch eine Erklärung des betreffenden Mitgliedstaats aufgehoben werden, in der die Systeme dieser Art genannt sind, auf die diese Verordnung anwendbar ist. Diese Erklärung ist gemäß Artikel 97 zu notifizieren und zu veröffentlichen.

Unterabsatz 2 darf nicht bewirken, daß unter die Verordnung Nr. 3 fallende Regelungen aus dem Geltungsbereich der vorliegenden Verordnung ausgeschlossen werden.

Der Begriff 'Rechtsvorschriften' umfaßt ferner nicht die Bestimmungen für Sondersysteme für Selbständige, deren Schaffung der Initiative der Betreffenden überlassen ist oder deren Geltung auf einen Teil des Gebietes des betreffenden Mitgliedstaats beschränkt ist; dabei ist unerheblich, ob sie durch eine Entscheidung von Behörden zu Pflichtversicherungen erklärt worden sind oder ob ihr Geltungsbereich ausgeweitet wird oder nicht. Die betreffenden Sondersysteme sind in Anhang II aufgeführt(.)"

II. 1.1. Die Ärztekammer für Tirol (in Hinkunft: Ärztekammer) beantragte mit Schriftsatz vom 25. März 1994, die Landesschiedskommission für Tirol möge mit Bescheid folgende Feststellung treffen:

"Die Vertragsärzte, die auf Grundlage des Gesamtvertrages für praktische Ärzte und Fachärzte mit Wirksamkeitsbeginn ab 1.1.1985 abgeschlossen zwischen der Ärztekammer für Tirol einerseits und dem Hauptverband der österr. Sozialversicherungsträger für die Tiroler Gebietskrankenkasse, die Versicherungsanstalt des österr. Bergbaus und die Betriebskrankenkasse der Austria Tabakwerke Aktiengesellschaft andererseits, einen Einzelvertrag abgeschlossen haben, sind selbst im Falle dringender Behandlungsnotwendigkeit nicht verpflichtet, Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten des Vertrages über den Europäischen Wirtschaftsraum, die nicht aufgrund der inländischen sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften anspruchsberechtigt sind, Sachleistungen auf Grundlage des zitierten Gesamtvertrages über die Honorierung vertragsärztlicher Tätigkeiten zu gewähren."

Begründend wird dazu im wesentlichen folgendes ausgeführt:

Die Antragsgegner, insbesondere die Tiroler Gebietskrankenkasse, hätten die Rechtsauffassung vertreten, seit dem Inkrafttreten des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) am 1. Jänner 1994 treffe die Vertragsärzte der Antragsgegner gemäß §30 Gesamtvertrag für Tirol die Pflicht, auch sämtliche EWR-Bürger, insbesondere Urlauber, wie Versicherte nach dem ASVG zu den Tarifansätzen der für Tirol gültigen Honorarordnung zu behandeln.

Diese Rechtsauffassung sei jedoch nach Ansicht der antragstellenden Ärztekammer unzutreffend; die Rechtsstellung der in Tirol freiberuflich tätigen Vertragsärzte sei mit dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1408/71 nämlich nicht berührt worden:

Gemäß §338 ASVG seien die Beziehungen zwischen den Krankenversicherungsträgern und den freiberuflich tätigen Ärzten durch privatrechtliche Verträge zu regeln. Nach diesen Verträgen habe auch die Honorierung der von den Vertragsärzten erbrachten Leistungen zu erfolgen. Aus Anlaß des Inkrafttretens des EWR-Abkommens sei eine Abänderung des Gesamtvertrages für Tirol nicht erfolgt.

In §18 Abs3 Gesamtvertrag für Tirol sei zwar vorgesehen, daß - bei Bestehen eines zwischenstaatlichen Abkommens über soziale Sicherheit - auch ausländische Staatsangehörige anspruchsberechtigt seien; zwischen Österreich und anderen EWR-Vertragsstaaten bestehende Abkommen seien jedoch durch Art6 Verordnung Nr. 1408/71 außer Kraft gesetzt worden. Für die Honorierung der ärztlichen Versorgung von EWR-Bürgern in Österreich bestehe somit - nach dem Wortlaut des §18 Abs3 Gesamtvertrag für Tirol - derzeit keine vertragliche Regelung, zumal auch eine Sondervereinbarung über die Honorierung der in Betracht kommenden ärztlichen Leistungen zwischen den Gesamtvertragsparteien nicht zustande gekommen sei.

Insbesondere im Bereich der Urlaubsbehandlung seien die Vertragsärzte daher weiterhin berechtigt, Patienten aus EWR-Vertragsstaaten nicht als Kassenpatienten, sondern privat zu behandeln und mit diesen auch Privathonorare zu vereinbaren.

Die Verordnung Nr. 1408/71 sei Bestandteil des "EWR-relevanten acquis communautaire", der als sog. "EWR-Primärrecht" unmittelbar anwendbarer Bestandteil der österreichischen Rechtsordnung geworden sei. Diese unmittelbare Anwendbarkeit des "EWR-Primärrechts" in Österreich könne im Bereich des Sozialversicherungsrechts jedoch bloß die Konsequenz haben, daß es den Krankenversicherungsträgern in Hinkunft verwehrt sei, sich auf die formell bestehenden österreichischen Sozialversicherungsgesetze zu berufen, um die Behandlung von EWR-Bürgern in Österreich zu verweigern. Seit dem Inkrafttreten des EWR sei ein Urlauber, dessen Herkunftsstaat EWR-Vertragspartei sei, somit (im Beispielfall Tirol) gegen die Tiroler Gebietskrankenkasse anspruchsberechtigt, diese sei ihm insbesondere zur Erbringung von Sachleistungen in der Krankenversicherung verpflichtet. Die Krankenversicherungsträger treffe somit die Pflicht, all jene Maßnahmen zu ergreifen, die gewährleisten, Urlauber im österreichischen Krankenversicherungssystem medizinisch zu versorgen. Es obliege also der Tiroler Gebietskrankenkasse, Vertragsverhandlungen mit der Ärztekammer aufzunehmen und im gegenseitigen Einvernehmen die Honorar- und sonstigen Bedingungen hinsichtlich der Behandlung von Urlaubern aus einem EWR-Vertragsstaat zu vereinbaren. Ohne Modifizierung des bestehenden Vertragsverhältnisses zwischen Sozialversicherungsträgern, Ärztekammern und Ärzten könne hingegen nicht erreicht werden, daß Urlauber aus EWR-Vertragsstaaten im Inland von den Vertragsärzten auf Grund der geltenden gesamtvertragsrechtlichen und Honorarordnungsvorschriften zu behandeln seien.

Es könne dahinstehen, ob die Verordnung Nr. 1408/71 auch auf die Behandlung von Urlaubern zu beziehen sei, weil eine materielle Derogation nur hinsichtlich der "Rechtsvorschriften" gemäß Art22 Abs1 Verordnung Nr. 1408/71, die in Österreich in Geltung stünden (zB des ASVG) denkbar sei, nicht hingegen auch hinsichtlich des Gesamtvertrages für Tirol und der mit den Vertragsärzten abgeschlossenen Einzelverträge, weil es sich dabei jeweils nicht um allgemein verbindliche Normen, sondern um privatrechtliche Verträge handle. Diese Verträge seien somit als "tarifvertragliche Vereinbarungen" iS des Art1 litj Verordnung Nr. 1408/71 anzusehen und schon deshalb keine "Rechtsvorschriften" iS der Begriffsbestimmung dieser Verordnung.

1.2. Die Tiroler Gebietskrankenkasse erstattete im Verfahren vor der Landesschiedskommission eine Gegenschrift, in der sie beantragte, den Antrag als unbegründet abzuweisen.

Nach ihrer Auffassung sei es - entgegen dem Antragsvorbringen - geboten, auch den Gesamtvertrag für Tirol als "Rechtsvorschrift" iS des Art1 litj bzw. des Art22 Abs1 Verordnung Nr. 1408/71 anzusehen. Dieses Verständnis entspreche einer zu Z1277/70 (SOC 160) protokollierten Erklärung des (nunmehrigen) Rates der Europäischen Union aus Anlaß der Ausarbeitung der Verordnung Nr. 1408/71 vom 15. Juli 1970; diese Erklärung habe folgenden Wortlaut:

"Der Rat stellt fest, daß mit dem in Artikel 1a Z i gewählten Wortlaut zur Bestimmung des Begriffs 'Rechtsvorschriften' auch Vereinbarungen zwischen den betreffenden Trägern und den Ärzteverbänden erfaßt sind."

Es könne somit nicht zweifelhaft sein, daß seit dem Inkrafttreten des EWR-Abkommens die in Tirol ansässigen Vertragsärzte verpflichtet seien, auch "EWR-Urlauber" zu den vertraglich festgesetzten Tarifen zu behandeln.

1.3. Nachdem die Bundesschiedskommission den im ersten Rechtsgang erlassenen Bescheid im Berufungsweg aufgehoben und die Streitigkeit an die Landesschiedskommission zurückverwiesen hatte, entschied die Landesschiedskommission im zweiten Rechtsgang mit Bescheid vom 20. März 1996, den Antrag als unbegründet abzuweisen.

1.4. Diesen Bescheid bekämpfte die Ärztekammer mit Berufung an die Bundesschiedskommission, die dieses Rechtsmittel jedoch mit Bescheid vom 28. April 1997 als unbegründet abwies und den erstinstanzlichen Bescheid bestätigte.

Begründend wird in diesem Bescheid im wesentlichen folgendes ausgeführt:

"Nach §30 des Gesamtvertrages wird die Honorierung der vertragsärztlichen Tätigkeit durch die Honorarordnung geregelt, die einen Bestandteil des Gesamtvertrages bildet. Im Anhang Nr. 3 zum Gesamtvertrag vom 1.1.1985 wird der Inhalt der Einzelverträge zwischen den einzelnen Vertragsärzten und der Tiroler Gebietskrankenkasse auf Grund der Bestimmungen des Gesamtvertrages für die einzelnen der im §2 angeführten Krankenversicherungsträger festgelegt. Eine solche Sondervereinbarung - allerdings mit wesentlich höheren Tarifen - wurde hinsichtlich 'deutscher Urlauber' abgeschlossen (Z8 des Schlußprotokolles zum ÖDA).

Unbestritten ist, daß die Verordnung (EWG) Nr 1408/71 des Rates über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in Österreich unmittelbar anwendbares Recht darstellt. Im Art1 'Begriffsbestimmungen' werden für die Anwendung dieser Verordnung die nachstehenden Begriffe definiert; unter litj werden demnach 'Rechtsvorschriften' wie folgt definiert: 'In jedem Mitgliedstaat die bestehenden und künftigen Gesetze, Verordnungen, Satzungen und alle anderen Durchführungsvorschriften in Bezug auf die in Artikel 4 Absätze 1 und 2 genannten Zweige und Systeme der sozialen Sicherheit oder die in Artikel 4 Absatz 2 a erfaßten beitragsunabhängigen Sonderleistungen. Dieser Begriff umfaßt bestehende oder künftige tarifvertragliche Vereinbarungen nicht, selbst wenn eine behördliche Entscheidung sie für allgemein verbindlich erklärt oder ihren Geltungsbereich erweitert hat .....'. Der Begriff 'Rechtsvorschriften' ist nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) weit auszulegen und bezieht sich auf sämtliche einschlägigen nationalen Vorschriften nicht nur des jeweiligen Mutterlandes, sondern auch sonstiger Hoheitsgebiete (Schulte in Nomos-Kommentar zum Europäischen Sozialrecht I.1, RZ 35 mwN). Nach Auffassung des EuGH sollen mit der Erwähnung der 'Satzungen' offensichtlich diejenigen Systeme und Zweige der sozialen Sicherheit erfaßt werden, die von nicht hoheitlichen Trägern verwaltet werden und im Verhältnis zur öffentlichen Gewalt eine gewisse Autonomie besitzen. Unter den Begriff 'Satzungen' fallen nach dem EuGH Regelungen, die zwar in privatrechtlichen Formen und durch Einrichtungen des privaten Rechts erlassen und durchgeführt werden, aber insofern in das System der sozialen Sicherheit eines Mitgliedstaats eingegliedert sind, als sie die Gesetze und Verordnungen über die soziale Sicherheit ergänzen oder ersetzen sollen (EuGH RS 61/65, Slg 1966, 584). Im Schrifttum wird übereinstimmend die Auffassung vertreten, daß auch etwa Vereinbarungen, die zwischen den zuständigen Trägern der Krankenversicherung und den Verbänden der Ärzte geschlossen werden, unter den Begriff 'Rechtsvorschriften' im Sinne des Art1 litj der Verordnung 1408/71 fallen (Schulte aaO RZ 43; Vanas, Szenarien der gesetzlichen Krankenversicherung im EG-Binnenmarkt, SozSi l9(9)2, 61, 66; Linka/Spiegel, Welche Auswirkungen hätte das EG-Recht auf das vsterreichische System der sozialen Sicherheit? SozSi 1991, 51, 64; Spiegel in Hellmer (Herausgeber), Arbeitsrecht, Gesundheitsschutz und Sozialpolitik in der EU und im EWR, Textband C2.3/9; Wiegand, Das Europäische Gemeinschaftsrecht in der Sozialversicherung, 1983, 79 RZ 16). Dazu kommt, daß der Rat der Gemeinschaft, also der 'Gesetzgeber' selbst, durch seine Erklärungen im Protokoll zu den einzelnen EG-Verordnungen den Begriff 'Rechtsvorschriften' dahin interpretiert hat, daß darunter ebenfalls Vereinbarungen zwischen den zuständigen Trägern und den Ärzteverbänden fallen (Erklärung im Protokoll des Rates der EG vom 15.7.1970, 1277/70 (SOZ 160) im Zuge der Arbeiten betreffend die Ausarbeitung der Verordnung 1408/71; vgl Spiegel aaO FN 188). Der Einbeziehung der Vereinbarungen zwischen den zuständigen Trägern und den Ärzteverbänden unter den Begriff der Rechtsvorschriften stehen auch Art1 litj und der Abs2 der Verordnung 1408/71 nicht entgegen. Danach umfaßt der Begriff Rechtsvorschriften nicht bestehende oder künftige tarifvertragliche Vereinbarungen, selbst wenn eine behördliche Entscheidung sie für allgemein verbindlich erklärt oder ihren Geltungsbereich erweitert hat. Tarifvertragliche Vereinbarungen regeln Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien (Gewerkschaften, Zusammenschlüsse von Gewerkschaften, einzelne Arbeitgeber, Vereinigungen von Arbeitgebern, Zusammenschlüsse von Arbeitgebervereinigungen) und können Rechtsnormen enthalten, die betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen ordnen (vgl Harrer-Strasser, Das Sozialrecht der Europäischen Gemeinschaften und mögliche Auswirkungen auf Österreich, WISO-Sonderband Nr 2 Oktober 1990, 42).

Nach Art22 der Verordnung 1408/71 hat ein Arbeitnehmer oder Selbständiger, der die nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates für den Leistungsanspruch erforderlichen Voraussetzungen, gegebenenfalls unter Berücksichtigung des Art18 erfüllt und (-) lita (-) dessen Zustand während eines Aufenthalts im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates unverzüglich Leistungen erfordert (...) Anspruch auf Sachleistungen für Rechnung des zuständigen Trägers vom Träger des Aufenthalts- oder Wohnortes nach den für diesen Träger geltenden Rechtsvorschriften, als ob er bei diesem versichert wäre (...) (Abs1). Dies gilt auch entsprechend für Familienangehörige eines Arbeitnehmers oder Selbständigen (Abs3). Für den Anwendungsbereich der Verordnung 1408/71 führt dies zu dem Ergebnis, daß auch die freiberuflich tätigen Ärzte, Zahnärzte und Dentisten in Österreich verpflichtet sind, die in einem Mitgliedstaat versicherten Personen bzw deren Familienangehörige auf Grund der bestehenden Verträge zu denselben Bedingungen wie österreichische Versicherte zu behandeln, wenngleich nur ein Anspruch auf Leistungen besteht, die unverzüglich erforderlich sind, wozu nach Ansicht des EuGH nur Leistungen gehören, die bis zur Rückkehr in den Heimatstaat nicht aufgeschoben werden können (Bieback in Nomos-Kommentar zum Europäischen Sozialrecht I.22 RZ 6 mwN; M. Mayr, Österreich und die EG, RdW 1988, 119; Ziniel, Sozialrecht: Österreich/EG SoSi 1990 367, 370; Linka/Spiegel aaO 64; Spiegel aaO C2.3/9; Vanas aaO 66; Egger, EWR-Übereinkommen - Wichtige Auswirkungen auf das österreichische Sozialrecht, WBl 1992, 147, 152 f; Urlesberger, Die stufenweise Annäherung der österreichischen Sozialversicherung an Europa, SoSi 1994, 463, 465 f; ebenso Hummer in einem für die österreichische Ärztekammer erstatteten Rechtsgutachten und Wallner/Zehetner, Arzt und EG, 101 f).

Die Bundesschiedskommission tritt daher der Ansicht der Landesschiedskommission bei, daß die Einschränkung der Behandlungspflicht gemäß §18 Abs3 des Gesamtvertrages ('sofern es sich um (Grenz)gänger oder um Dienstnehmer handelt, die sich zum Zwecke der Berufsausübung im Bundesgebiet aufhalten. Über diesen Personenkreis hinaus wird die vertragsärztliche Behandlung nur übernommen, sofern die Sondervereinbarung über die Honorierung der in Betracht kommenden ärztlichen Leistungen zwischen den Vertragsparteien zustande kommt') durch die oben zitierten Bestimmungen der Verordnung 1408/71 nicht aufrecht zu halten (ist). Die Berufungswerberin hält dem entgegen, Art22 der Verordnung normiere lediglich, daß die im Inland gesetzlich eingerichteten Sozialversicherungsträger dafür Sorge zu tragen hätten, daß EWR-Bürger entsprechende Versorgungsleistungen erhalten; in welcher Form die Träger dieser Verpflichtung nachkommen, sei diesen überlassen. Die Übernahme des Gemeinschaftsrechtes könne jedenfalls nur Derogationswirkungen im öffentlich-rechtlichen (hoheitlichen) Bereich nach sich ziehen, jedoch keinen Einfluß auf privatrechtlich abgeschlossene Verträge haben. Bei diesen Ausführungen wird außer acht gelassen, daß es sich eben bei dem hier zur Auslegung stehenden Gesamtvertrag nicht um eine privatrechtliche Vereinbarung, sondern um eine Rechtsvorschrift im Sinne des Gemeinschaftsrechts handelt und nach Art3 der Verordnung Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaates wohnen und für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten auf Grund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates wie die Staatsangehörigen dieses Staates haben, soweit besondere Bestimmungen dieser Verordnung nichts anderes vorsehen. Es trifft daher nicht zu, daß die Vertragsärzte nur bei Abschluß einer entsprechenden Sondervereinbarung zur Behandlung von EWR-Bürgern verpflichtet wären."

2.1. Gegen diesen - letztinstanzlichen - Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde gemäß Art144 Abs1 B-VG. Darin behauptet die beschwerdeführende Ärztekammer, in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt zu sein; sie beantragt, den angefochtenen Bescheid seinem gesamten Umfange nach kostenpflichtig aufzuheben.

Begründend führt die Ärztekammer zunächst aus, es habe für die belangte Behörde - die als letztinstanzliches Gericht iS des Art177 III EGV (jetzt: Art234 III EG) anzusehen sei - die Pflicht bestanden, zwecks Klärung des Begriffs "Rechtsvorschriften" eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen. Dadurch, daß sie dies unterlassen habe, habe sie die beschwerdeführende Ärztekammer in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt:

"a) Der belangten Behörde ist grundsätzlich darin zuzustimmen, daß die angefochtene Entscheidung vor allem von der Auslegung des Begriffs 'Rechtsvorschriften' im Sinne der Verordnung (EWG) 1408/71 abhängt. Dies hatte bereits die Landesschiedskommission für das Bundesland Tirol richtig erkannt.

Die belangte Behörde übersieht jedoch, daß die Landesschiedskommission zwar von der Begriffsbestimmung im Artikel 1 litj. der gegenständlichen Verordnung ausgegangen ist, aber in der Begründung fast ausschließlich auf die österreichische() Rechtslage und Terminologie zurückgreift (...). Die Landesschiedskommission betont zwar den Vorrang des Gemeinschaftsrechtes vor dem nationalen Recht, kommt aber dann zum Ergebnis, daß 'nach österreichischer Terminologie' tarifvertragliche Vereinbarungen (im Sinne der Ausnahmevorschrift des Artikel 1 litj. zweiter Satz) als Kollektivverträge zu verstehen sind.

Die gegenständliche EWG-Verordnung bietet aber für diese Rechtsauffassung keinerlei Anhaltspunkt - auf die Frage der authentischen Interpretation wird später noch eingegangen werden. Der Begriff 'tarifvertragliche Vereinbarungen' ist in der Verordnung selbst nicht definiert; die österreichische Rechtsterminologie wird für die Auslegung dieses Begriffs im Sinne des EU-Rechts keinesfalls von Bedeutung sein können.

Nach Auffassung der Beschwerdeführerin sind Gesamtverträge, die als integrierenden Bestandteil eine Honorarordnung zu enthalten haben, jedenfalls auch als tarifvertragliche Vereinbarungen zu qualifizieren; wichtigster Bestandteil des Gesamtvertrages ist ja die Festlegung von Tarifansätzen für (die) von Vertragsärzten zu erbringenden Sachleistungen. Sowohl die Landes- als auch die Bundesschiedskommission bleib(en) jede Begründung da(für) schuldig, warum der Begriff 'tarifvertragliche Vereinbarungen' in österreichischer Rechtsterminologie auf 'Kollektivvertrag' eingeschränkt werden soll; nach richtiger Auffassung sind alle jene Vereinbarungen als Tarifverträge zu bezeichnen, die im weitesten Sinn die Honorierung von Leistungen und die Festsetzung von Tarifansätzen dafür vorsehen. Überdies gibt es auch inhaltlich sehr viele Ähnlichkeiten zwischen (nach österreichischer Terminologie) Kollektivverträgen und Honorarordnung (als Bestandteil des Gesamtvertrages)(.)

(...)

b) Nun kann der belangten Behörde darin gefolgt werden, daß der Begriff 'Rechtsvorschriften' nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofes weit auszulegen ist, wenn man Artikel 1 litj. aber genau liest, muß man nach Auffassung der Beschwerdeführerin dennoch zum Ergebnis kommen, daß vertragliche Vereinbarungen keinesfalls gemeint sein können:

(...)

Die Bundesschiedskommission geht offensichtlich davon aus, daß die gesamtvertraglichen Vereinbarungen unter dem Begriff 'Satzungen' Bestandteil der Rechtsvorschriften darstellen. Bei genauer Durchsicht fällt aber auf, daß die im ersten Satz der Begriffsbestimmung für Rechtsakte gebrauchten Ausdrücke ausschließlich hoheitliche Rechtsakte betreffen; anders können die Ausdrücke 'Gesetze, Verordnungen, Satzungen und Durchführungsvorschriften' nicht interpretiert werden. Im zweiten Satz ist sodann (als Ausnahme) von tarifvertraglichen Vereinbarungen die Rede, die selbst dann nicht unter den Begriff der Rechtsvorschriften fallen sollen, wenn eine behördliche Entscheidung sie für allgemein verbindlich erklärt oder ihren Geltungsbereich erweitert hat. Privatrechtliche Vereinbarungen sind somit als Gegensatz von der Begriffsbestimmung nach Auffassung der Beschwerdeführerin keinesfalls vom ersten Satz umfaßt.

c) Wenn sodann sozusagen als 'authentische Interpretation' der Rat der Europäischen Gemeinschaft(en) mit Erklärung im Protokoll vom 15.7.1970 auch Vereinbarungen zwischen den zuständigen Trägern und den Ärzteverbänden als Rechtsvorschriften angesehen hat, so ist dazu Nachstehendes auszuführen:

Der EG-Vertrag selbst enthält kaum Vorschriften über die Auslegung des Gemeinschaftsrechtes. Bezeichnend ist aber, daß weder die Landes- noch die Bundesschiedskommission auf die Rechtsfrage eingegangen sind, wie die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften auszulegen sind, obwohl es gerade darauf im vorliegenden Fall ankommt. Letztlich haben sich Auslegungsvorschriften lediglich aufgrund der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes herausgebildet, da gemäß Artikel 164 des EG-Vertrages der Gerichtshof die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung dieses Vertrages zu sichern hat. Geht man davon aus, daß (wie im gemeinschaftsrechtlichen Bereich fast üblich) die wörtliche Auslegung kaum zu einem befriedigenden Ergebnis führt, kann die Auslegung nur mit systematisch-teleologischen Überlegungen sowie unter Berücksichtigung der vom EG-Vertrag vorgegebenen Ziele vorgenommen werden (siehe Borchardt in Lenz, Kommentar zum EG-Vertrag, Randnummern 12 ff zu

Artikel 164). Gerade diese Auslegung ist grundsätzliche Aufgabe des Gerichtshofes. Selbstredend sind auch die Mitgliedstaaten (also auch die Behörden derselben) berechtigt (und geradezu verpflichtet), bei erforderlicher Anwendung des Gemeinschaftsrechtes (auf einen zu entscheidenden Anlaßfall) die Auslegung des Gemeinschaftsrechtes in dessen Sinn vorzunehmen. Aufgabe des Gerichtshofes ist es allerdings, die Wahrung des Rechts und der Einheitlichkeit seiner Anwendung zu sichern (Pernice in Grabitz/Hilf, Kommentar zur Europäischen Union, Randnummern 20 ff zu Artikel 164). Selbstverständlich ist auch im Bereiche des Gemeinschaftsrechtes eine Auslegung nach der historischen Absicht des Gesetzgebers legitim; dafür reicht aber keinesfalls lediglich der Hinweis auf eine Erklärung des Rates der Europäischen Gemeinschaft(en) aus; für eine sachgerechte historische Interpretation sind jedenfalls auch andere Dokumente über den Gesetzwerdungsprozeß, insbesondere Kommissionsentwürfe und -vorlagen zu überprüfen, um einen besseren Überblick über die damaligen Gesetzgebungsüberlegungen und damit den wahren Willen des Gesetzgebers haben zu können."

Darüber hinaus erhebt die Beschwerde den Vorwurf, die belangte Behörde habe die beschwerdeführende Ärztekammer in weiteren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt:

"Gemäß §338 ASVG haben die Sozialversicherungsträger ihre Beziehungen zu den freiberuflich tätigen Ärzten durch privatrechtliche Verträge zu regeln, also nicht auf Basis der Hoheitsverwaltung. Diese privatrechtlichen Vereinbarungen bieten den Vertragsärzten auch die Möglichkeit, im Rahmen des sogenannten 'kassenfreien Raums' ärztliche Behandlungen und Leistungen vorzunehmen, ohne daß die Sozialversicherungsträger darauf auch nur irgendeinen Einfluß hätten. Der klare Gesetzesauftrag an die Träger der Sozialversicherung, durch privatrechtliche Vereinbarungen mit freiberuflich tätigen Ärzten die erforderlichen Vorkehrungen zur Sachleistungserbringung im Bereich der Krankenversicherung zu treffen, indiziert bereits mehr als deutlich, daß kein Vertragsarzt zum Abschluß eines Einzelvertrages gezwungen werden kann, aber (dies auch als Ausfluß der Privatautonomie) dem bereits abgeschlossenen Vertrag (sowie der getroffenen Vereinbarung) nachträglich kein anderer Inhalt unterstellt werden kann, als tatsächlich vereinbart war. Dies impliziert auch, daß der Geltungsbereich eines solchen Vertrages nachträglich nicht durch einseitige Maßnahmen ausgeweitet werden kann.

Genau dies soll aber durch eine in Österreich unmittelbar wirksame EU-Verordnung geschehen, die durch den Beitritt Österreichs zum Europäischen Wirtschaftsraum in Kraft getreten ist. Vertragsärzte, die sich auf Basis einer anderen Rechtslage zum Abschluß eines Einzelvertrages mit dem zuständigen Sozialversicherungsträger entschlossen hatten, sollen jetzt aufgrund dieser geänderten Rechtslage gezwungen werden, eine Ausweitung der Behandlungsverpflichtung (auch gegenüber anderen EWR-Bürgern) in Kauf zu nehmen.

Die Ausdehnung des Anwendungsbereiches eines schon bestehenden privatrechtlichen Vertragsverhältnisses kann nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen nur einvernehmlich erfolgen, da andernfalls (zivilrechtlich) eine Änderung der Geschäftsgrundlage gegeben wäre, die keiner der beiden Vertragsteile einseitig gegen sich gelten lassen muß, da e(r) bei Kenntnis dieser geänderten Grundlage die Vereinbarung in dieser Form nicht eingegangen wäre.

Wäre es tatsächlich möglich, durch später in Kraft getretene Rechtsvorschriften bereits gültigen Vertragsverhältnissen einen anderen Inhalt zu unterstellen oder de(n) Anwendungsbereich zu vermindern oder zu erweitern, w(ü)rde dies eine Aushöhlung des Grundsatzes der österreichischen Rechtsordnung, insbesondere des ASVG(,) bewirken, daß die Beziehungen zu den freiberuflich tätigen Ärzten durch privatrechtliche Verträge zu regeln sind. Umgangen wird damit auch das Recht (sowie die Pflicht) der Interessensverbände, Verhandlungen über den Abschluß einer privatrechtlichen Vereinbarung zu führen. Die Beschwerdeführerin (und auch die Österreichische Ärztekammer als verhandlungs- und abschlußberechtigte Kammer) verlieren damit de facto einen wichtigen Bestandteil ihres gesetzlich eingeräumten Wirkungsbereiches.

Eine weitere Konsequenz liegt darin, daß sich bisher die Vertragsärzte (als Einzelvertragspartner) darauf verlassen konnten, daß die Beschwerdeführerin (als zuständige Landesärztekammer) ebenso wie die Österreichische Ärztekammer die Interessen der Ärzteschaft bei Gesamtvertragsverhandlungen (sowie allfälliger Abänderungen des Gesamtvertrages) entsprechend wahren wird. Der Einzelvertragsarzt hat ja selbst keine Möglichkeit, vertragliche Vereinbarungen abzuändern, da der Inhalt des Einzelvertrages für alle Vertragsärzte gleich ist und vom Gesamtvertrag nicht abweichen kann. Die freie Vertragsdisposition des Vertragsarztes reduziert sich im wesentlichen somit darauf, daß er den Abschluß eines Einzelvertrages ablehnen oder eine Kündigung des Vertrages vornehmen kann; alle anderen vertraglichen Dispositionen obliegen (in seiner Vertretung) den zuständigen Ärztekammern. Umgeht man nun die Mitwirkungsrechte dieser Kammern durch Erlassung von Rechtsvorschriften, die auch in den Gesamtvertrag und damit in den Einzelvertrag hinein wirksam sein sollen, begibt sich der Vertragsarzt damit automatisch auch seiner vertraglichen Dispositionsfreiheit (in weitestgehendem Ausmaß).

b) Bei ihrer Rechtsauffassung stützt sich die Beschwerdeführerin vor allem auf das Rech(t)sgutachten Univ.Prof. Dr. (B) (...). Dieser kommt nach grundlegender Überprüfung zum Ergebnis, daß das Inkrafttreten der EWG-Verordnung 1408/71 zwar die Tiroler Gebietskrankenkasse verpflichtet, fremde Arbeitnehmer mit eigenen Versicherten gleich zu behandeln und die Gleichstellung fremder Arbeitnehmer für Sachleistungen der Vertragsärzte im Rahmen der Krankenversicherung zu gewährleisten; mit dem Inkrafttreten der EWG-Verordnung selbst habe sich aber an der Gültigkeit und Anwendbarkeit des §18 Abs3 Gesamtvertrag nichts geändert, wonach für die Einbeziehung fremder Arbeitnehmer in den Gesamtvertrag eine Zusatzvereinbarung zwischen den Vertragspartnern erforderlich ist. Bezüglich dieser fremden Arbeitnehmer bestehe somit ein partiell 'vertragsfreier Zustand', der nur dadurch behoben werden könne, daß die Partner des Gesamtvertrages eine entsprechende Erweiterung oder Abänderung des Gesamtvertrages vertraglich vereinbaren. Allein (aus) de(m) Umstand, daß die in Österreich in Kraft stehende EWG-Verordnung als Gesetzesauftrag für die Sozialversicherungsträger verbindlich ist, läßt sich noch nicht ableiten, daß damit automatisch eine Erweiterung des Gesamtvertrages (ohne vertragliche Vereinbarungen) eingetreten ist und die Vertragspartner (Vertragsärzte) unmittelbar bereits zur Sachleistungserbringung gegenüber anderen EWR-Bürgern verpflichtet wären."

2.2. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, erstattete jedoch keine Gegenschrift.

Die Tiroler Gebietskrankenkasse erstattete als beteiligte Partei eine Äußerung, in der sie beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen, und den Beschwerdevorwürfen ua. wie folgt entgegentritt (Hervorhebungen jeweils im Original):

"Das von der Beschwerdeführerin zur Unterstützung ihrer Rechtsauffassung vorgelegte Rechtsgutachten von Univ.-Prof. (B) ist in einigen Punkten nicht schlüssig oder sogar in sich widersprüchlich.

Obwohl das Gutachten richtigerweise den Gesamtvertrag als 'Rechtsvorschrift' qualifiziert (...) und den Gesamtvertrag im Sinne des Artikel 22 Abs1 liti Verordnung Nr. 1408/71 im Grundsatz auf fremde Arbeitnehmer anwendbar hält, kommt es zum logisch nicht nachvollziehbare(n) Schluß, Artikel 22 Abs1 liti verweise bloß auf die 'geltenden Rechtsvorschriften' und damit auf den Gesamtvertrag, ändere aber den Inhalt dieser Rechtsvorschriften nicht.

Damit widerspricht das Gutachten der unbestrittenen und allgemeingültigen Rechtsauffassung, daß die Verordnung Nr. 1408/71 Teil des von Österreich mit dem EWR-Abkommen übernommenen primären Gemeinschaftsrechtes ('acquis communautaire') ist. Diese Verordnung ist somit in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat, was bedeutet, daß die Verordnung ohne jedes Dazwischentreten eines Legislativaktes innerstaatlich gilt (sog. 'Durchgriffswirkung'). Das hat zur Folge, daß die Verordnung entgegenstehendes nationales Recht verdrängt, (das) mit ihr unvereinbar (ist).

Von einem bloßen 'Verweis' auf geltende Rechtsvorschriften durch die Verordnung Nr. 1408/71 kann also keineswegs die Rede sein, vielmehr hat der Gesamtvertrag insofern eine Änderung erfahren, als dieser hinsichtlich jenes Personenkreises, der nach dem Willen des Gesetzgebers von der Behandlungsverpflichtung der Vertragsärzte erfaßt sein soll, erweitert wurde. (...)"

III. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Die §§338, 341, 342 sowie 345a ff des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes - ASVG, BGBl. Nr. 155/1989 idgF, haben - soweit hier relevant - samt Überschriften folgenden Wortlaut:

"SECHSTER TEIL

Beziehungen der Träger der Sozialversicherung (des Hauptverbandes)

zu den Ärzten, Dentisten, Hebammen, Apothekern, Krankenanstalten

und anderen Vertragspartnern

ABSCHNITT I

Gemeinsame Bestimmungen

§338. (1) Die Beziehungen der Träger der Sozialversicherung (des Hauptverbandes) zu den freiberuflich tätigen Ärzten, Dentisten, Hebammen, Apothekern, freiberuflich tätigen klinischen Psychologen, freiberuflich tätigen Psychotherapeuten, Pflegepersonen, die medizinische Hauskrankenpflege gemäß §151 erbringen, und anderen Vertragspartnern werden durch privatrechtliche Verträge nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen geregelt. Die Verträge bedürfen zu ihrer Rechtsgültigkeit der schriftlichen Form.

(2) Durch die Verträge nach Abs1 ist die ausreichende Versorgung der Versicherten und ihrer anspruchsberechtigten Angehörigen mit den gesetzlich und satzungsmäßig vorgesehenen Leistungen sicherzustellen. Eigene Einrichtungen der Versicherungsträger dürfen für die Versorgung mit diesen Leistungen nur nach Maßgabe der hiefür geltenden gesetzlichen Vorschriften herangezogen werden.

...

Gesamtverträge

§341. (1) Die Beziehungen zwischen den Trägern der Krankenversicherung und den freiberuflich tätigen Ärzten werden durch Gesamtverträge geregelt, die für die Träger der Krankenversicherung durch den Hauptverband mit den örtlich zuständigen Ärztekammern abzuschließen sind. Die Gesamtverträge bedürfen der Zustimmung des Trägers der Krankenversicherung, für den der Gesamtvertrag abgeschlossen wird. Die Österreichische Ärztekammer kann mit Zustimmung der beteiligten Ärztekammer den Gesamtvertrag mit Wirkung für diese abschließen.

...

(3) Der Inhalt des Gesamtvertrages ist auch Inhalt des zwischen dem Träger der Krankenversicherung und dem Arzt abzuschließenden Einzelvertrages. Vereinbarungen zwischen dem Träger der Krankenversicherung und dem Arzt im Einzelvertrag sind rechtsunwirksam, insoweit sie gegen den Inhalt eines für den Niederlassungsort des Arztes geltenden Gesamtvertrages verstoßen.

...

Inhalt der Gesamtverträge

§342. (1) Die zwischen dem Hauptverband und den Ärztekammern abzuschließenden Gesamtverträge haben nach Maßgabe der nachfolgenden Bestimmungen insbesondere folgende Gegenstände zu regeln:

1. Die Festsetzung der Zahl und der örtlichen Verteilung der Vertragsärzte mit dem Ziel, daß unter Berücksichtigung der örtlichen und Verkehrsverhältnisse sowie der Bevölkerungsdichte und -struktur eine ausreichende ärztliche Versorgung im Sinne des §338 Abs2 erster Satz der in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherten gesichert ist; in der Regel soll die Auswahl zwischen mindestens zwei in angemessener Zeit erreichbaren Vertragsärzten freigestellt sein;

2. die Auswahl der Vertragsärzte, Abschluß und Lösung der mit diesen zu treffenden Abmachungen (Einzelverträge);

3. die Rechte und Pflichten der Vertragsärzte, insbesondere auch ihre Ansprüche auf Vergütung der ärztlichen Leistung;

...

(2) Die Vergütung der vertragsärztlichen Tätigkeit ist grundsätzlich nach Einzelleistungen zu vereinbaren. Die Vereinbarungen über die Vergütung der ärztlichen Leistungen sind in Honorarordnungen zusammenzufassen; diese bilden einen Bestandteil der Gesamtverträge. Die Gesamtverträge sollen eine Begrenzung der Ausgaben der Träger der Krankenversicherung für die vertragsärztliche Tätigkeit (einschließlich der Rückvergütungen bei Inanspruchnahme der wahlärztlichen Hilfe (§131)) enthalten.

...

Landesschiedskommission

§345a. (1) Für jedes Land ist auf Dauer eine Landesschiedskommission zu errichten. ...

(2) Die Landesschiedskommission ist zuständig:

1. zur Schlichtung und Entscheidung von Streitigkeiten zwischen den Parteien eines Gesamtvertrages über die Auslegung oder die Anwendung eines bestehenden Gesamtvertrages und

2. ...

(3) Gegen die Entscheidungen der Landesschiedskommission kann Berufung an die Bundesschiedskommission erhoben werden.

Bundesschiedskommission

§346. (1) Zur Entscheidung über Berufungen, die gemäß §345a Abs3 erhoben werden, ist eine Bundesschiedskommission zu errichten.

(2) Die Bundesschiedskommission besteht aus einem aktiven Richter des Obersten Gerichtshofes als Vorsitzenden und aus sechs Beisitzern. ...

(3) Die Mitglieder der Bundesschiedskommission und ihre Stellvertreter werden vom Bundesminister für Justiz für eine Amtsdauer von fünf Jahren berufen. ...

...

(6) Die Mitglieder der Bundesschiedskommission sind in Ausübung ihres Amtes unabhängig und an keine Weisungen gebunden.

(7) Entscheidungen der Bundesschiedskommission unterliegen weder der Aufhebung noch der Abänderung im Verwaltungswege.

Allgemeine Bestimmungen über die Kommissionen

§347. ...

(4) Die in den §§344, 345, 345a und 346 vorgesehenen Kommissionen haben auf das Verfahren das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1950 anzuwenden, soferne dieses Bundesgesetz nichts anderes anordnet."

2.1. Der beschwerdeführenden Ärztekammer ist insoweit zuzustimmen, als sie davon ausgeht, daß die Bundesschiedskommission als Kollegialbehörde iS des Art133 Z4 B-VG als ein "Gericht" iS des Art234 III EG anzusehen ist. Nach Art234 III EG ist ein staatliches "Gericht", "dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können", verpflichtet, eine entscheidungsrelevante Frage der Auslegung des Gemeinschaftsrechts (oder der Gültigkeit des organgeschaffenen Gemeinschaftsrechts) dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen. Die Bundesschiedskommission ist auf Grund der Weisungsfreiheit ihrer Mitglieder und der Garantie ihrer Unabhängigkeit nicht nur ein Tribunal iS des Art6 Abs1 EMRK (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. Juni 2000, B1245/98, mwN), sondern auch ein vorlagepflichtiges Gericht iS des Art234 EG: Ihre Entscheidungen unterliegen nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungswege (§346 Abs7 ASVG); gegen ihre Entscheidungen ist die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofs nicht für zulässig erklärt; eine umfassende Nachprüfung ihrer Entscheidungen durch Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof kommt nicht in Betracht (vgl. wiederum das bereits genannte hg. Erkenntnis vom 14. Juni 2000, B1245/98).

Die Unterlassung der - nach gemeinschaftsrechtlichen Erfordernissen gebotenen - Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH durch ein vorlagepflichtiges Gericht iS des Art234 III EG bewirkt eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (grundlegend VfSlg. 14.390/1995). Verstößt ein innerstaatliches Organ entgegen der Anordnung des Art234 III EG gegen seine Vorlagepflicht, so verletzt dieses staatliche Organ die gesetzliche Zuständigkeitsordnung, zu der auch Art234 EG zählt, und entzieht dadurch den Parteien des bei ihm anhängigen Verfahrens insofern den gesetzlichen Richter, als eine dem EuGH zur Entscheidung vorbehaltene Frage nicht durch diesen gelöst werden kann. Einen solchen Fehler hat der Verfassungsgerichtshof wahrzunehmen, weil dadurch die gesetzlich begründete Zuständigkeitsverteilung verletzt wird, was nach der ständigen hg. Rechtsprechung eine Verletzung des Art83 Abs2 B-VG bewirkt (vgl. wiederum das soeben erwähnte Erkenntnis VfSlg. 14.390/1995).

Nach der Rechtsprechung des EuGH (Rs. 283/81, CILFIT, Slg. 1982, 3415 ff (Rz 13 ff)) hat ein vorlagepflichtiges Gericht iS des Art234 III EG im Falle einer klärungsbedürftigen Auslegungsfrage seiner Vorlagepflicht nachzukommen, wenn sich in einem bei ihm anhängigen Verfahren eine Frage des Gemeinschaftsrechtes stellt, es sei denn, dieses Gericht hätte festgestellt, daß die gestellte Frage nicht entscheidungserheblich ist, die betreffende gemeinschaftsrechtliche Bestimmung bereits in einem gleichgelagerten Fall Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof gewesen ist oder die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, daß keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel an der Entscheidung der gestellten Frage bleibt; das innerstaatliche Gericht darf jedoch nur dann davon ausgehen, daß ein solcher Fall vorliegt, "wenn es überzeugt ist, daß auch für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und den Gerichtshof die gleiche Gewißheit bestünde. Nur wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, darf das innerstaatliche Gericht davon absehen, diese Frage dem Gerichtshof vorzulegen, und sie stattdessen in eigener Verantwortung lösen" (aaO 3430 (Rz 20)).

2.2. Im vorliegenden Fall kann indes keine Rede davon sein, daß die belangte Behörde die sie als letztinstanzliches "Gericht" nach Art234 III EG prinzipiell treffende Vorlagepflicht verletzt hätte:

2.2.1. Gemäß Art22 Abs1 Verordnung Nr. 1408/71 hat ein in einem EG-Mitgliedstaat krankenversicherter Arbeitnehmer oder Selbständiger, der sich in einem anderen EG-Mitgliedstaat aufhält, unter weiteren - hier nicht interessierenden - Voraussetzungen Anspruch auf Leistungen vom Krankenversicherungsträger des Aufenthaltsorts "nach den für diesen Träger geltenden Rechtsvorschriften, als ob er bei diesem versichert wäre". Diese Vorschrift läßt zunächst keinen Zweifel daran, daß es den österreichischen Krankenversicherungsträgern unmittelbar kraft des Gemeinschaftsrechts obliegt, an den darin bezeichneten Personenkreis - sofern auch die übrigen Voraussetzungen erfüllt sind - Leistungen zu erbringen. Im Verfahren vor der belangten Behörde haben sich allein jene Modalitäten als strittig erwiesen, nach denen diese Leistungserbringung zu erfolgen hat.

2.2.2. Der belangten Behörde ist - wie auch die Beschwerde einräumt - darin zuzustimmen, daß es im Ergebnis von jenem Verständnis abhängt, das dem Begriff "Rechtsvorschriften" in Art22 Abs1 Verordnung Nr. 1408/71 beizulegen ist, ob es den (in Tirol tätigen) Vertragsärzten der Krankenversicherungsträger obliegt, all jene Personen, die in einem EWR-Mitgliedstaat krankenversichert sind, im Falle ihres Aufenthaltes in Österreich nach den Bestimmungen des Gesamtvertrages - einschließlich dessen Honorartarif - zu behandeln; ob also - anders formuliert - die Krankenversicherungsträger wegen der gemeinschaftsrechtlichen Beachtlichkeit des Gesamtvertrages als "Rechtsvorschrift" im genannten Sinne befugt sind, zur Erfüllung der ihnen durch das Gemeinschaftsrecht auferlegten Leistungspflicht, Vertragsärzte ohne weiteres (dh. nicht bloß erst auf Grund einer besonderen Zusatzvereinbarung zum Gesamtvertrag) heranzuziehen.

Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofs hat die belangte Behörde das Instrument des Gesamtvertrages zu Recht als "Rechtsvorschrift" iS der zitierten Verordnungsbestimmung qualifiziert:

a) Der beschwerdeführenden Ärztekammer ist zwar insoweit zuzustimmen, als "bestehende oder künftige tarifvertragliche Vereinbarungen" gemäß der in Art1 litj Verordnung Nr. 1408/71 enthaltenen Begriffsbestimmung (vorbehaltlich Erklärung und Notifizierung durch den jeweiligen Mitgliedstaat) nicht als "Rechtsvorschriften" anzusehen sind. Daraus allein ist für die Beschwerde indes nichts zu gewinnen. Mit den in Art1 litj leg. cit. genannten "tarifvertraglichen Vereinbarungen" sind nämlich bloß solche Verträge gemeint, deren Zweck darin besteht, jeweils ein besonderes Sozialversicherungssystem zu errichten. Dabei handelt es sich der ständigen Rechtsprechung des EuGH zufolge idR um - zumeist privatrechtliche - Verträge zwischen den zuständigen Stellen und den Berufsorganisationen oder den berufsübergreifenden Organisationen, den Gewerkschaften oder den Unternehmen oder um Kollektivverträge zwischen den Sozialpartnern (vgl. das Urteil des EuGH Rs. C-35/97, Kommission/Frankreich, Slg. 1998, I-5325 ff (Rz 34); ferner EuGH Rs. 313/82, NV Tiel Utrecht Schadeverzekering, Slg. 1984, 1389 ff (Rz 16), und Rs. C-57/90, Kommission/Frankreich, Slg. 1992, I-0075 ff (Rz 20)).

Gesamtverträge iS des Sozialversicherungsrechts regeln hingegen die "Beziehungen der Träger der Sozialversicherung (des Hauptverbandes) zu den freiberuflich tätigen Ärzten (...)" (§338 Abs1 erster Satz ASVG), sie gestalten somit das besondere Rechtsverhältnis zwischen den Krankenversicherungsträgern und diesen Ärzten - dh. denjenigen, die damit betraut sind, für Rechnung des Krankenversicherungsträgers Leistungen zu erbringen -, nicht jedoch zwischen den Krankenversicherungsträgern und den Versicherten.

b) Zwar trifft es zu, daß Gesamtverträge "privatrechtliche Verträge" (§338 Abs1 erster Satz ASVG) sind. Es wäre jedoch voreilig, allein aus diesem Umstand mit der beschwerdeführenden Ärztekammer den Schluß zu ziehen, Gesamtverträge seien bereits auf Grund dieser ihrer Rechtsnatur nicht als "Rechtsvorschriften" iS der genannten Verordnungsbestimmung in Betracht zu ziehen, sondern den - ebenfalls dort genannten - "tarifvertraglichen Vereinbarungen" zuzuzählen:

Wie nämlich der EuGH bereits in seinem Urteil vom 30. Juni 1966 (Rs. 61/65, Vaassen-Göbbels, Slg. 1966, 583 ff, 602 ff) festgestellt hat, können auch privatrechtliche Regelungen als "Rechtsvorschriften" (damals: iS des Art1 litb der Verordnung Nr. 3 des Rates der EWG über die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer, Amtsblatt 1958, S 561 ff, vom 16. Dezember 1958), uzw. als "Satzungen", anzusehen sein. Unter diesen Terminus fallen nämlich - in den Worten des Gerichtshofs (aaO 603) -

"Regelungen, die zwar in privatrechtlichen Formen und durch Einrichtungen des privaten Rechts erlassen und durchgeführt werden, aber insofern in das System der sozialen Sicherheit eines Mitgliedstaats eingegliedert sind, als sie die Gesetze und Verordnungen über die soziale Sicherheit ergänzen oder ersetzen sollen".

Dabei wird nicht verkannt, daß die in dem zitierten Urteil erörterte Begriffsbestimmung des Art1 litb Verordnung Nr. 3 sich von der hier in Rede stehenden des Art1 litj Verordnung Nr. 1408/71 unterscheidet; dessen ungeachtet vermag die in diesem Urteil geäußerte Rechtsauffassung des EuGH jedenfalls insoweit weiterhin Gültigkeit zu beanspruchen, als prinzipiell auch Rechtsakte des Privatrechts als "Rechtsvorschriften" anzusehen sind. Dieses Verständnis harmoniert im übrigen mit Art1 litj UAbs3 Verordnung Nr. 1408/71, wonach die für tarifvertragliche Vereinbarungen bestehende Exemtion des Art1 litj UAbs2 leg. cit. nicht bewirken darf, daß unter die Verordnung Nr. 3 fallende Regelungen aus dem Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 ausgeschlossen werden.

c) Dieses Verständnis entspricht schließlich auch jenem des Rates der Europäischen Gemeinschaften, der in der zuvor (Pkt. II.1.2.) erwähnten Erklärung festgestellt hat, daß als "Rechtsvorschriften" auch Vereinbarungen zwischen den Krankenversicherungsträgern und den Ärzteverbänden aufzufassen seien.

2.3. Es kann angesichts dessen kein

Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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