TE Vwgh Erkenntnis 2004/9/14 2002/10/0088

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Veröffentlicht am 14.09.2004
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Index

L92053 Altenheime Pflegeheime Sozialhilfe Niederösterreich;
L92103 Behindertenhilfe Pflegegeld Rehabilitation Niederösterreich;
L92603 Blindenbeihilfe Niederösterreich;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
20/11 Grundbuch;
23/02 Anfechtungsordnung Ausgleichsordnung;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

ABGB §938;
AnfO §3;
AVG §56;
AVG §66 Abs4;
GBG 1955 §4;
SHG NÖ 2000 §15 Abs1;
SHG NÖ 2000 §63;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak, Dr. Mizner, Dr. Stöberl und Dr. Köhler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hofer, über die Beschwerde der VW in K, vertreten durch Thum & Weinreich Rechtsanwälte OEG in 3100 St. Pölten, Josefstraße 13, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 20. März 2002, Zl. GS5-F-32.030/24-02, betreffend Kostenersatz für Sozialhilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Tulln (BH) vom 17. September 2001 wurde die beschwerdeführende Partei gemäß § 15 Abs. 1 NÖ SHG verpflichtet, für ihren Aufenthalt vom 27. November 1998 bis 3. Mai 1999 im Pensionistenheim der Caritas in St. Pölten und vom 25. April 2001 bis 31. Juli 2001 im NÖ Landespensionisten- und -pflegeheim in Tulln und für Kosten, die für "Hilfe für pflegebedürftige Menschen durch häusliche Pflege" von August 1998 bis April 2001 aufgelaufen seien, den Betrag von S 737.121,30 (EUR 53.568,69) zu leisten. Sollte die beschwerdeführende Partei nicht in der Lage sein, diesen Betrag zu bezahlen, werde eine grundbücherliche Sicherstellung der Forderung erfolgen.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, die BH gewähre der beschwerdeführenden Partei wie dargestellt Pflege. Die täglichen Verpflegskosten würden durch 80 % ihrer Pension und ihres Pflegegeldes nur teilweise gedeckt. Da die Leistung der Hilfe zum Lebensbedarf gemäß § 15 Abs. 1 NÖ SHG unter Berücksichtigung des Einkommens und des verwertbaren Vermögens zu erfolgen habe und die beschwerdeführende Partei Eigentümerin einer Liegenschaft sei, deren Verkehrswert auf rund S 1,260.000,-- (EUR 91.567,77) geschätzt worden sei, könne ihr der Ersatz der aufgelaufenen Kosten zugemutet werden.

Die beschwerdeführende Partei erhob Berufung und brachte vor, es sei nicht nachvollziehbar, wie die Höhe der vorgeschriebenen Kosten berechnet worden sei; die Kosten seien der beschwerdeführenden Partei niemals bekannt gegeben worden. Weiters sei in einem Bescheid der BH vom 7. Juni 2001 ausgesprochen worden, dass eine Realisierung des Liegenschaftsbesitzes nicht möglich bzw. nicht zumutbar sei; demgegenüber werde nunmehr die grundbücherliche Sicherstellung angedroht. Unrichtig sei auch, dass die beschwerdeführende Partei Eigentümerin einer Liegenschaft sei, deren Verkehrswert S 1,260.000,-- (EUR 91.567,77) betrage.

Mit Schriftsatz vom 31. Jänner 2002 präzisierte die beschwerdeführende Partei ihr Berufungsvorbringen. Es werde die Richtigkeit des Bewertungsgutachtens bestritten und es sei die erwähnte Liegenschaft bereits mit Schenkungsvertrag vom 21. Juni 2001 - vor Kenntnis der Gebührenvorschreibung - dem Sohn der beschwerdeführenden Partei, Wolfgang W., übertragen worden; die beschwerdeführende Partei sei völlig vermögenslos. Gleichzeitig wurde ein Grundbuchsauszug vorgelegt, der das Eigentumsrecht des Wolfgang W. an der erwähnten Liegenschaft ausweist.

Mit Bescheid der NÖ Landesregierung vom 20. März 2002 wurde die Berufung der beschwerdeführenden Partei abgewiesen und der erstbehördliche Bescheid bestätigt. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der beschwerdeführenden Partei bzw. ihrem Sachwalter seien die aus den einzelnen Sozialhilfemaßnahmen aufgelaufenen Kosten bekannt gegeben worden. Einer - näher dargestellten - Berechnung zufolge bestehe per Juli 2002 ein offener Sozialhilfeaufwand von S 737.121,36 (EUR 53.568,70). Die beschwerdeführende Partei sei zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung Eigentümerin einer näher bezeichneten Liegenschaft gewesen. Die Voraussetzung gemäß § 3 Abs. 1 Z. 3 der Verordnung über die Berücksichtigung von Eigenmitteln, wonach ein Eigenheim ein "anrechenfreies Vermögen" darstelle, so lange es der Deckung des notwendigen Wohnbedarfes des Hilfe Suchenden und seiner unterhaltsberechtigten Angehörigen diene, liege nicht vor. Laut Bewertungsgutachten des Amtssachverständigen des NÖ Gebietsbauamtes habe die Liegenschaft einen Verkehrswert von rund S 1,260.000,-- (EUR 91.567,77). Der Ersatz der offenen Sozialhilfekosten sei der beschwerdeführenden Partei daher zumutbar. Selbst nach Abzug der bestehenden Pfandrechte vom Wert der Liegenschaft verbleibe ein Wert von EUR 60.681,82 (S 835.000,--); die offenen Sozialhilfekosten fänden darin Deckung. Was jedoch die behauptete Schenkung der Liegenschaft an Wolfgang W. anlange, so sei der diesbezügliche Grundbuchsantrag (erst) am 17. Jänner 2002 vom Bezirksgericht vollzogen worden. Im Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides sei die beschwerdeführende Partei daher noch Eigentümerin der Liegenschaft gewesen. Die gegenständliche Eigentumsübertragung werde "die zivilrechtliche Voraussetzung einer Anfechtung erfüllen." Im Schenkungsvertrag sei übrigens auf die "Inanspruchnahme nach dem NÖ Sozialhilfegesetz" ausdrücklich hingewiesen worden. Da ein Hilfeempfänger zum Ersatz der für ihn aufgewendeten Kosten verpflichtet sei, wenn die Verwertung von Vermögen nachträglich möglich und zumutbar werde, sei der beschwerdeführenden Partei ein Ersatz der offenen Kosten vorzuschreiben gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 15 Abs. 1 NÖ Sozialhilfegesetz (NÖ SHG) hat die Leistung der Hilfe zum Lebensbedarf unter Berücksichtigung des Einkommens und des verwertbaren Vermögens des Hilfeempfängers, bei Hilfe zur stationären Pflege gemäß § 12 auch unter Berücksichtigung der pflegebezogenen Geldleistungen, insoweit diese vom Anspruchsübergang nach den bundes- und landesrechtlichen Pflegegeldregelungen erfasst sind, zu erfolgen.

Die Verwertung des Einkommens oder Vermögens darf gemäß § 15 Abs. 3 NÖ SHG nicht verlangt werden, wenn dadurch die Notlage verschärft oder vorläufig verschlimmert würde.

Als nicht verwertbar gelten gemäß § 15 Abs. 4 NÖ SHG Gegenstände, die zur persönlichen Berufsausübung oder zur Fortsetzung einer Erwerbstätigkeit oder zur Vermeidung, Bewältigung oder Überwindung einer Notlage dienen, ebenso ein Eigentum oder eine Eigentumswohnung, die der Deckung des notwendigen Wohnbedarfs des Hilfeempfängers und seiner unterhaltsberechtigten Angehörigen dienen.

Der Hilfeempfänger ist gemäß § 38 Abs. 1 NÖ SHG zum Ersatz der für ihn aufgewendeten Kosten verpflichtet, wenn

1.

er zu hinreichendem Einkommen oder Vermögen gelangt;

2.

nachträglich bekannt wird, dass er zur Zeit der Hilfeleistung hinreichendes Einkommen oder Vermögen hatte;

              3.              im Falle des § 15 Abs. 3 und 4 die Verwertung von Vermögen nachträglich möglich und zumutbar wird.

Von der Verpflichtung zum Kostenersatz ist gemäß § 38 Abs. 2 NÖ SHG abzusehen, wenn dies für den Hilfeempfänger eine Härte bedeuten oder den Erfolg der Sozialhilfe gefährden würde.

Dem angefochtenen Bescheid liegt die Auffassung zugrunde, die beschwerdeführende Partei sei zum Ersatz der Kosten der ihr gewährten Sozialhilfemaßnahmen in der dargestellten Höhe verpflichtet, weil sie in Gestalt der erwähnten Liegenschaft über Vermögen verfüge, deren Verwertung ihr möglich und zumutbar sei.

Dem hält die beschwerdeführende Partei wie schon im Verwaltungsverfahren entgegen, sie sei nicht mehr Eigentümerin der Liegenschaft, sondern völlig vermögenslos. Bereits dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.

Die belangte Behörde stützt ihre Auffassung, die beschwerdeführende Partei verfüge über im Sinne des § 15 NÖ SHG verwertbares Vermögen auf den Umstand, dass das Eigentumsrecht des Wolfgang W. an der in Rede stehenden Liegenschaft im Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides im Grundbuch (noch) nicht eingetragen war; das Eigentumsrecht des Wolfgang W. an der Liegenschaft im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides wird damit abgetan, dass die Eigentumsübertragung "die zivilrechtlichen Voraussetzungen einer Anfechtung erfüllen wird".

Nun sind gemäß § 63 NÖ SHG auf behördliche Verfahren nach diesem Gesetz die Vorschriften des AVG anzuwenden, soweit im NÖ SHG nicht anderes normiert ist. Betreffend die Entscheidungsbefugnis der Berufungsbehörde gilt mangels abweichender Regelungen im NÖ SHG daher die Bestimmung des § 66 Abs. 4 AVG, wonach die Berufungsbehörde, soferne die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden hat. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

Die Verpflichtung der Berufungsbehörde (grundsätzlich) in der Sache zu entscheiden bedeutet, dass sich die Berufungsbehörde mit der ihr vorliegenden Sache in gleicher Weise zu befassen hat wie die erstinstanzliche Behörde. Ihre Aufgabe ist es daher nicht, zu überprüfen, ob der erstinstanzliche Bescheid der im Zeitpunkt seiner Erlassung gegebenen Sach- und Rechtslage entsprochen hat. Vielmehr schließt, soweit die Verwaltungsvorschriften nicht die Beurteilung eines im Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides bereits abgeschlossenen Sachverhalts gebieten, die Ermächtigung zur Entscheidung in der Sache die Verpflichtung der Berufungsbehörde in sich, Änderungen des maßgeblichen Sachverhalts, die erst nach Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides eingetreten sind, zu berücksichtigen (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 (1998), S. 1294 f, dargestellte Judikatur).

Im vorliegenden Fall geht es um die Beurteilung der Vermögenssituation der beschwerdeführenden Partei als Grundlage für die Vorschreibung eines Kostenersatzes. Entscheidend ist, ob die beschwerdeführende Partei aktuell Vermögen besitzt, dessen Verwertung möglich und zumutbar ist. Maßgeblich ist daher die im Zeitpunkt der Erlassung des Berufungsbescheides und nicht - wie die belangte Behörde unzutreffender Weise annahm - die im Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides bestehende Rechts- und Sachlage. Es ist daher nicht relevant, ob die beschwerdeführende Partei im Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides Eigentümerin der in Rede stehenden Liegenschaft gewesen ist, sondern, ob sie das auch im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides war. Letzteres trifft allerdings selbst nach Auffassung der belangten Behörde, die von der vor Erlassung des angefochtenen Bescheides erfolgten Einverleibung des Eigentums des Wolfgang W. im Grundbuch ausgeht, nicht zu.

Ob der Schenkungsvertrag - wie die belangte Behörde meint - die Voraussetzungen einer Anfechtung erfüllen "wird", kann dahingestellt bleiben. Selbst wenn dieser nämlich eine anfechtbare Rechtshandlung im Sinne des § 3 der Anfechtungsordnung darstellte, änderte das für sich noch nichts daran, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides im Grundbuch das Eigentumsrecht an der in Rede stehenden Liegenschaft für Wolfgang W. und nicht für die beschwerdeführende Partei einverleibt war und daher dieser und nicht die beschwerdeführende Partei Eigentumsrecht an dieser Liegenschaft hatte (vgl. § 4 Grundbuchsgesetz). Daran ändert auch der Hinweis auf Punkt 9 des Schenkungsvertrages, wo festgehalten ist, dass "der Schriftenverfasser" die vertragschließenden Parteien auf "Haftungen einer eventuellen Inanspruchnahme nach dem NÖ Sozialhilfegesetz aufmerksam gemacht" hat, nichts.

Der angefochtene Bescheid erweist sich schon aus den dargelegten Gründen als inhaltlich rechtswidrig. Er war daher - ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen eingegangen werden muss - gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 14. September 2004

Schlagworte

Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Beachtung einer Änderung der Rechtslage sowie neuer Tatsachen und Beweise Umfang der Abänderungsbefugnis Diverses

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2002100088.X00

Im RIS seit

29.10.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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