TE Vwgh Erkenntnis 2004/9/28 2001/18/0092

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Veröffentlicht am 28.09.2004
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
19/05 Menschenrechte;
24/01 Strafgesetzbuch;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

B-VG Art130 Abs2;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrG 1997 §37 Abs1;
FrG 1997 §37 Abs2;
MRK Art8 Abs2;
StGB §92 Abs2;
StGB §92 Abs3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde der M, geboren 1969, vertreten durch Mag. Nadja Lorenz und Dr. Gabriele Vana-Kowarzik, Rechtsanwältinnen in 1070 Wien, Kirchengasse 19, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 15. Februar 2001, Zl. SD 317/00, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 15. Februar 2001 wurde gegen die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Bosnien-Herzegowina, gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Die Beschwerdeführerin sei gemeinsam mit ihrem Ehegatten und ihren drei Kindern 1992 nach Österreich gekommen und habe hier mit ihrer Familie gelebt und über Aufenthaltstitel, zuletzt gültig bis 12. Februar 1997, verfügt.

Am 31. August 1999 sei sie vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen des Verbrechens des Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen nach § 92 Abs. 2 und 3 zweiter Fall StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden. Der Urteilsbegründung zufolge habe die Beschwerdeführerin, die 1993 ihr viertes Kind geboren habe, im Herbst 1997 ihren Ehemann verlassen, weil sie ihren Angaben zufolge die familiäre Situation nicht mehr habe ertragen können. Ihr Gatte habe sehr viel Alkohol getrunken, Geld verspielt und sie und die Kinder mehrmals geschlagen. Die Beschwerdeführerin, die zu diesem Zeitpunkt ihr fünftes Kind erwartet habe, habe jedoch ihre vier Kinder bei ihrem Ehemann zurückgelassen. Am 1. März 1998 habe sie ihren Sohn M. geboren, mit dem sie seit November 1998 unangemeldet in einer Wohnung in Wien gelebt habe. Am 1. Jänner 1999 sei ein gewisser K. in ihre Wohnung eingezogen und habe dort bis April 1999 gewohnt. Da sie für den Lebensunterhalt dringend Geld benötigt habe, habe sie eine Beschäftigung als Kellnerin in zwei Lokalen angenommen. Während ihrer Arbeitszeiten habe sie das noch nicht einjährige Kind bei K. gelassen. Etwa ab Anfang März 1999 - ein genauer Zeitpunkt habe nicht mehr festgestellt werden können - habe K. begonnen, den damals einjährigen M. systematisch zu quälen bzw. zu misshandeln. Seit etwa Anfang März 1999 habe die Beschwerdeführerin täglich nach ihrem Nachhausekommen bei M. "blaue Flecken" am Körper und im Gesicht bemerkt. K. habe ihr auf Befragen hin angegeben, dass sich das Kind angeschlagen hätte bzw. dass die Verletzungen beim Spielen passiert wären. Ende März 1999 sei der Beschwerdeführerin aufgefallen, dass ihr Sohn den linken Arm nicht mehr habe ausstrecken können, und habe sie auch eine Schwellung an der linken Schulter bemerkt. Außerdem sei ihr aufgefallen, dass ihr Sohn nicht habe stehen wollen und beim Anziehen immer wieder eingeknickt sei. Ungeachtet dessen habe sie ihrem Sohn nie eine ärztliche Behandlung zukommen lassen. Erst am Abend des 12. April 1999 habe sie mit ihrem Sohn ein Kinderspital aufgesucht, nachdem das Kind "eine grüne Flüssigkeit" durch die Nase verloren und bereits Atemstillstand gehabt habe und der Bauch des Kindes stark aufgebläht gewesen sei. Der Sohn der Beschwerdeführerin sei am 14. April 1999 infolge eines Schädel-Hirn-Traumas an einer wässrigen Hirnschwellung nach einer subduralen Blutung eines gewaltsamen Todes gestorben. Bei der anschließenden Obduktion sei festgestellt worden, dass das Kind zahlreiche Verletzungen, wie Brüche des Schlüsselbeins, am Unterarmknochen, im Mittelhandknochen, mehrere alte Rippenbrüche, einen frischen Bruch zweier Rippen sowie eine ausgedehnte Bandscheibensprengung der Brustwirbelsäule und mehrere Blutunterlaufungen aufgewiesen habe. Vorliegende Hautläsionen seien mit einiger Wahrscheinlichkeit durch Nadelstiche und durch Verbrennung erklärbar.

Auf Grund dieser Verurteilung sei der in § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG normierte Tatbestand verwirklicht.

Das dargestellte Gesamt(fehl)verhalten der Beschwerdeführerin gefährde die öffentliche Ordnung und Sicherheit in höchstem Maß, sodass sich die Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch im Grund des § 36 Abs. 1 leg. cit. - vorbehaltlich der §§ 37 und 38 leg. cit. - als gerechtfertigt erweise.

Die Beschwerdeführerin sei 1992 mit ihrem Ehemann nach Österreich gekommen, von dem sie sich ihren Angaben zufolge mittlerweile scheiden lassen wolle. Ihre vier Kinder, die sie 1997 bei ihrem Ehemann zurückgelassen habe, lebten seit November 1997, nachdem deren Vater wegen gröblicher Vernachlässigung der Pflege und Erziehung seiner Kinder beim Bezirksgericht angezeigt worden sei, im Kinderheim. Den Berufungsausführungen zufolge habe die Beschwerdeführerin, nachdem sie ihren Mann verlassen habe, vorübergehend in einer Mutter-Kind-Wohnung in einem niederösterreichischen Landeskinderheim gewohnt. Derzeit verbüße sie ihre Freiheitsstrafe in einer Justizanstalt. Weiters verweise sie darauf, einen österreichischen Freund zu haben, der sie nach ihrer Entlassung aus der Haft heiraten und ihre Tochter adoptieren wollte.

Auf Grund des bisherigen Aufenthalts der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet und in Anbetracht ihrer familiären Bindungen sei von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in ihr Privat- und Familienleben im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG auszugehen gewesen. Ungeachtet dessen sei jedoch die gegen sie gesetzte fremdenpolizeiliche Maßnahme zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Verhinderung strafbarer Handlungen und zum Schutz der Gesundheit und der körperlichen Unversehrtheit anderer - dringend geboten. Die Beschwerdeführerin habe durch ihr aufgezeigtes Gesamt(fehl)verhalten sehr augenfällig dokumentiert, nicht in der Lage bzw. nicht gewillt zu sein, die zum Schutz maßgeblicher Rechtsgüter aufgestellten Normen einzuhalten. Angesichts der vorliegenden Verurteilung und im Hinblick darauf, dass sie im Herbst 1997 ihre vier minderjährigen Kinder bei ihrem von ihr selbst als gewalttätig und trunksüchtig beschriebenen Ehemann zurückgelassen habe, ohne die Fürsorge oder sonst eine entsprechende Institution zu informieren, die sich um die Kinder hätte kümmern können, könne eine positive Verhaltensprognose für sie keinesfalls in Betracht gezogen werden.

Im Rahmen der nach § 37 Abs. 2 FrG erforderlichen Interessenabwägung sei auf den etwa neunjährigen inländischen Aufenthalt der Beschwerdeführerin Bedacht zu nehmen gewesen. Gleichzeitig sei jedoch zu berücksichtigen gewesen, dass der daraus ableitbaren Integration kein entscheidendes Gewicht zukomme, weil die dafür erforderliche soziale Komponente durch ihr strafbares Verhalten erheblich gemindert werde. Diesen - solcherart geschmälerten - privaten und familiären Interessen der Beschwerdeführerin stünden die genannten - hoch zu veranschlagenden - öffentlichen Interessen entgegen. Die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation der Beschwerdeführerin und ihrer Familie wögen keinesfalls schwerer als die gegenläufigen öffentlichen Interessen und damit die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von dieser Maßnahme.

Die aufenthaltsverfestigenden Bestimmungen der §§ 38 und 35 FrG stünden der Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht entgegen, zumal sich die Beschwerdeführerin erst seit 1992 im Bundesgebiet aufgehalten habe.

Da auch keine weiteren, zu ihren Gunsten sprechenden Umstände gegeben seien, habe von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch nicht im Rahmen des der Behörde zustehenden Ermessens Abstand genommen werden können.

Angesichts des dargelegten Gesamt(fehl)verhaltens der Beschwerdeführerin sei die unbefristete Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes gerechtfertigt. Es könne derzeit nicht abgesehen werden, wann der für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgebliche Grund, nämlich die erhebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den inländischen Aufenthalt der Beschwerdeführerin, weggefallen sein werde.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Auf dem Boden der unbestrittenen Feststellungen der belangten Behörde zur strafgerichtlichen Verurteilung der Beschwerdeführerin begegnet die - unbekämpfte - Auffassung der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG verwirklicht sei, keinen Bedenken.

1.2. Nach den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen habe die Beschwerdeführerin im Herbst 1997 ihren Ehemann verlassen, weil sie die familiäre Situation - so habe ihr Gatte sehr viel Alkohol getrunken, Geld verspielt und sie und die Kinder mehrmals geschlagen - nicht mehr habe ertragen können. Dennoch habe sie ihre vier Kinder bei ihrem Ehemann zurückgelassen. Nach der Geburt ihres Kindes M. am 1. März 1998 habe sie eine Beschäftigung als Kellnerin in zwei Lokalen angenommen und ihr Kind M. bei ihrem Mitbewohner K., der am 1. Jänner 1999 in ihre Wohnung eingezogen sei, gelassen. Obwohl sie etwa Anfang März 1999 täglich nach ihrem Nachhausekommen "blaue Flecken" am Körper und im Gesicht des Kindes bemerkt habe, ihr Ende März 1999 aufgefallen sei, dass das Kind den linken Arm nicht habe ausstrecken können, eine Schwellung an der linken Schulter gehabt habe, nicht habe stehen wollen und beim Anziehen immer wieder eingeknickt sei, habe sie dem Kind keine ärztliche Behandlung zukommen lassen. Erst nachdem es "eine grüne Flüssigkeit" durch die Nase verloren habe, bereits Atemstillstand eingetreten sei und der Bauch des Kindes stark aufgebläht gewesen sei, habe sie das Kinderspital aufgesucht. In weiterer Folge sei das Kind, das zahlreiche Verletzungen, wie Brüche, eine ausgedehnte Bandscheibensprengung der Brustwirbelsäule, mehrere Blutunterlaufungen und Hautläsionen aufgewiesen habe, infolge eines Schädel-Hirn-Traumas verstorben.

In Anbetracht des Fehlverhaltens der Beschwerdeführerin begegnet die Ansicht der belangten Behörde, das die im § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, keinem Einwand, hat die Beschwerdeführerin doch über einen längeren Zeitraum ihre Fürsorge- und Schutzpflichten gegenüber ihrem schutzlosen Kind gröblichst vernachlässigt, was einen gravierenden Charaktermangel und insbesondere auch einen Mangel an Verbundenheit mit den in Österreich rechtlich geschützten Werten zeigt. Wenn die Beschwerde meint, dass die Beschwerdeführerin lediglich ein Fahrlässigkeitsdelikt durch Unterlassung begangen habe, so verkennt sie, dass die Verwirklichung des Tatbestandes des § 92 Abs. 2 (und 3) StGB u.a. voraussetzt, dass der Täter die in dieser Gesetzesbestimmung angeführte Vernachlässigung zur Fürsorge oder Obhut mit (zumindest bedingtem) Vorsatz begangen hat, sodass die Beschwerdeführerin insoweit vorsätzliche Tatbegehung zu verantworten hat.

2. Bei der Interessenabwägung gemäß § 37 Abs. 1 und 2 FrG hat die belangte Behörde der Beschwerdeführerin den inländischen Aufenthalt seit 1992 und den Umstand, dass in Österreich auch ihr Ehegatte und ihre vier Kinder, die sie verlassen hat, leben, zugute gehalten und zutreffend einen mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen relevanten Eingriff im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG angenommen. Diesen gewichtigen persönlichen Interessen der Beschwerdeführerin an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet steht die aus der genannten Straftat resultierende Gefährdung öffentlicher Interessen durch ihren weiteren Aufenthalt gegenüber. Im Hinblick auf das große öffentliche Interesse an der Verhinderung von Straftaten gegen Leib oder Leben ist das Aufenthaltsverbot zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen (Verhinderung strafbarer Handlungen, Schutz der Rechte anderer) dringend geboten und daher im Grund des § 37 Abs. 1 FrG zulässig. Ferner wiegen die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation der Beschwerdeführerin und ihrer Familie, insbesondere ihrer Kinder, von denen sie bereits vor ihrer Verhaftung getrennt lebte und die in einem Jugendheim untergebracht wurden, nicht schwerer als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung (§ 37 Abs. 2 FrG).

3. Auch das weitere Beschwerdevorbringen, dass die Behörde das ihr gemäß § 36 Abs. 1 FrG eingeräumte Ermessen rechtswidrig gehandhabt habe, ist nicht zielführend. So würde eine auf einer Ermessenserwägung beruhende Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nach der genannten Bestimmung offensichtlich nicht im Sinn des Gesetzes (Art. 130 Abs. 2 B-VG) erfolgen, wenn der Fremde - wie im vorliegenden Fall - wegen eines Verbrechens zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr rechtskräftig verurteilt worden ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 10. September 2003, Zl. 2003/18/0103, mwN). Mit ihrem Vorbringen, dass ihre Kinder bei Pflegefamilien bzw. in einem Pflegeheim untergebracht seien und sie mit ihren Kindern in Briefkontakt stehe, woraus deren starke Bindung zu ihrer Mutter hervorgehe, zeigt die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit der Beurteilung der belangten Behörde im Rahmen des ihr eingeräumten Ermessens auf. Darüber hinaus ergibt sich weder aus dem Akteninhalt noch dem Beschwerdevorbringen, dass der Beschwerdeführerin nach ihrer Entlassung aus der Strafhaft die Obsorge für ihre Kinder - die ihr laut den im erstinstanzlichen Bescheid getroffenen, in der Berufung nicht bestrittenen Feststellungen entzogen worden ist - wieder zukommen werde.

4. Die Beschwerde erweist sich sohin als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 28. September 2004

Schlagworte

Ermessen besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2001180092.X00

Im RIS seit

22.10.2004

Zuletzt aktualisiert am

01.08.2016
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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