TE Vwgh Erkenntnis 2004/12/17 2000/03/0338

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Veröffentlicht am 17.12.2004
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Index

E000 EU- Recht allgemein;
E3R E07204030;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
50/03 Personenbeförderung Güterbeförderung;

Norm

31994R3298 idF 31996R1524 ÖkopunktesystemV Lkw Transit Österreich Art1 Abs1 litb;
31994R3298 idF 31996R1524 ÖkopunktesystemV Lkw Transit Österreich Art1 Abs1;
31994R3298 VerfahrensV Ökopunkte Art1 Abs1;
AVG §66 Abs4;
B-VG Art140 Abs7;
EURallg;
GütbefG 1995 §23 Abs1 Z8 idF 1998/I/017;
GütbefG 1995 §23 Abs2 Z7 idF 1998/I/017;
GütbefG 1995 §23 Abs2 Z8 idF 1998/I/017;
GütbefG 1995 §23 Abs2 Z9 idF 1998/I/017;
VStG §24;
VStG §31 Abs1;
VStG §32 Abs2;
VStG §5 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Riedinger und Dr. Handstanger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Beschwerde des AF in B, Deutschland, vertreten durch Dr. Christian Pichler, Rechtsanwalt in 6600 Reutte, Untermarkt 6, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 14. September 2000, Zl. uvs- 2000/6/061-1, betreffend Übertretung des Güterbeförderungsgesetzes 1995, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich des Schuldspruches als unbegründet abgewiesen. Hinsichtlich des Ausspruches über die verhängte Strafe und die diesbezüglichen Kosten des Berufungsverfahrens wird der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.172,88 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe am 9. Mai 2000 als Lenker des Sattelzuges mit den Kennzeichen K und K (D) in der Zeit von 19.35 bis 20.30 Uhr auf der B 179 eine Transitfahrt durch das Gebiet der Republik Österreich auf dem Streckenabschnitt aus Richtung Deutschland kommend bis Fernpaßhöhe, km 22,6 durchgeführt, obwohl der im Lkw angebrachte Umweltdatenträger (ECOTAG) defekt gewesen sei, wobei keine automatische Abbuchung von Ökopunkten erfolgt sei. Der Beschwerdeführer habe auch kein ordnungsgemäß ausgefülltes Einheitsformular oder eine auf die konkrete Fahrt bezughabende österreichische Bestätigung der Entrichtung von Ökopunkten für die betreffende Fahrt (genannt Ökokarte) mitgeführt.

Der Beschwerdeführer habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 23 Abs. 1 Z. 8 GütbefG iVm Art. 1 Abs. 1 lit. a und b sowie Art. 2 Abs. 1 und 2 der Verordnung (EG) Nr. 3298/94 der Kommission vom 21. Dezember 1994 idF der Verordnung (EG) Nr. 1524/96 der Kommission vom 30. Juli 1996, idF der Verordnung (EG) Nr. 609/2000 der Kommission vom 21. März 2000 begangen, über ihn wurde gemäß § 23 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 zweiter Satz GütbefG eine Strafe von S 20.000,-- (EUR 1.453,46), Ersatzfreiheitsstrafe 4 Tage, verhängt.

In der Begründung führte die Behörde im Wesentlichen aus, dass die Verpflichtung, im Falle einer ökopunktepflichtigen Transitfahrt die Ökopunkte zu entrichten, den Fahrer treffe. Aus der Produktbeschreibung des Ecotag ergebe sich, dass auf die Funktionsfähigkeit und die richtige Deklaration zu achten sei. Dementsprechend habe ein LKW-Lenker, der eine Transitfahrt durchführe, bei Einhaltung der pflichtgemäßen Sorgfalt vor Durchführung der Transitfahrt (vor Durchfahren des Abbuchungsbalkens) darauf zu achten, dass das Gerät richtig eingestellt und auch funktionstüchtig sei. Ein Beachten der Leuchtdioden zum Zeitpunkt des Durchfahrens des Abbuchungsbalkens diene lediglich der Kontrolle, wobei jedoch die richtige Disposition (und die Überprüfung der Funktionstüchtigkeit) bereits vor der Kommunikation sichergestellt werden müsse. Bereits aus diesem Grund sei ein Verschulden auf Seiten des Beschwerdeführers anzunehmen. Das Vorliegen einer Notstandssituation komme nicht in Betracht, zumal das Feststellen der Funktionstüchtigkeit eines Gerätes entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht erst und allein beim Durchfahren des Abbuchungsbalkens möglich sei, sondern bereits vorher. Wenn der Beschwerdeführer darauf verweise, dass er auf Grund einer aktuell gefährlichen Verkehrssituation die volle Aufmerksamkeit dem Lenken des KFZ habe widmen müssen, so unterstreiche dies die einen LKW-Lenker treffende Verpflichtung, vor dem Durchfahren des Abbuchungsbalkens das Gerät auf seine Funktionstüchtigkeit und die richtige Deklaration zu überprüfen.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 13. Dezember 2000, Zl. 2000/03/0262, die Auffassung vertreten, dass sich der Lenker eines Kraftfahrwagens bei einer ökopunktepflichtigen Transitfahrt vor der Einreise in das Hoheitsgebiet Österreichs im Fall der Benutzung eines Umweltdatenträgers (auf geeignete Weise) davon zu überzeugen hat, dass mit diesem eine automatische Abbuchung von Ökopunkten auch möglich ist. Unterlässt er dies, fällt ihm eine als Verschulden zu qualifizierende Sorgfaltsverletzung zur Last, zumal er eine Transitfahrt, wenn sich ein Umweltdatenträger vor der Einreise nicht als funktionstüchtig erweist, nur bei Erfüllung einer der anderen Verpflichtungen gemäß Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 3298/94 der Kommission in der jeweils gültigen Fassung durchführen darf.

In diesem Zusammenhang bringt der Beschwerdeführer vor, dass er rechtzeitig vor Eintritt in österreichisches Staatsgebiet eine ordnungsgemäße Abbuchung der Ökopunkte vorgenommen habe und ihm diese Abbuchung seitens des Ecotag-Gerätes einwandfrei bestätigt worden sei.

Dem steht die Rechtfertigung des Beschwerdeführers im Zuge seiner Anhaltung am 9. Mai 2000 entgegen, wo er angab, dass er keine Ahnung habe, wie lange das Gerät schon nicht funktioniere. Er habe auch nicht darauf geachtet, weil dies Sache der Firma sei. Aus dem Schreiben der Zollwachabteilung Reutte MÜG vom 6. Juli 2000 ergibt sich schließlich, dass das Ecotag bei der händischen Überprüfung mittels Knopfdruck überhaupt kein Blinksignal abgegeben habe, sodass eine einwandfreie Bestätigung der Ecotag-Abbuchung auszuschließen gewesen sei.

Bei diesen Ermittlungsergebnissen begegnet es daher keinen Bedenken, wenn die belangte Behörde in freier Beweiswürdigung zur Feststellung gelangte, dass der Beschwerdeführer vor Durchführung der Transitfahrt die pflichtgemäße Sorgfalt bei der Verwendung des Ecotaggerätes nicht eingehalten habe.

Wenn der Beschwerdeführer vorbringt, er habe sich beim Passieren der Abbuchungsstation in einer "Notstandssituation" befunden, die sein "gesamtes Aufmerksamkeits- und Reaktionsspektrum auf die im relevanten Zeitpunkt Leib und Leben gefährdende Verkehrssituation" gelenkt habe, sodass er vollkommen außer Stande gewesen sei, zu diesem Zeitpunkt das Blinksignal des Ecotag-Gerätes zu beobachten, ist ihm zu entgegnen, dass unter Notstand im Sinn des § 6 VStG nur ein Fall der Kollision von Pflichten und Rechten verstanden werden kann, in dem jemand sich oder einen anderen aus schwerer unmittelbarer Gefahr einzig und allein dadurch retten kann, dass er eine im Allgemeinen strafbare Handlung begeht. Es muss sich um eine unmittelbar drohende Gefahr für das Leben, die Freiheit oder das Vermögen handeln (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Juni 1990, Zl. 89/03/0293). Da es der Beschwerdeführer unterlässt, diese Verkehrssituation näher zu beschreiben, kann seinem Vorbringen das Vorliegen einer im Sinne des § 6 VStG relevanten Bedrohung nicht entnommen werden. Vor diesem Hintergrund erweist sich auch die Rüge, die belangte Behörde habe das vom Beschwerdeführer zur Frage der Wahrnehmbarkeit der Ecotagabbuchung bei Vorliegen einer zur sofortigen Reaktion zwingenden gefährlichen Verkehrssituation beantragte Gutachten nicht eingeholt, als nicht zielführend.

Der Beschwerdeführer rügt ferner, dass die belangte Behörde dem Spruch des Straferkenntnisses in unzulässiger Weise angefügt habe, dass er kein ordnungsgemäß ausgefülltes Einheitsformular oder eine auf die konkrete Fahrt bezughabende österreichische Bestätigung der Entrichtung von Ökopunkten (Ökokarte) mitgeführt habe. Diesbezüglich sei auch in rechtlicher Hinsicht die Übertretungsnorm geändert worden. Hiezu ist festzuhalten, dass im Beschwerdefall keine Verfolgungsverjährung nach § 31 Abs. 2 VStG eingetreten ist (Tatbegehung 9. Mai 2000, Zustellung des angefochtenen Bescheides vom 14. September 2000 am 21. September 2000), sodass die Berufungsbehörde im Sinne des § 24 VStG iVm § 66 Abs. 4 AVG nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet war, einen nicht vollständigen Abspruch der Behörde erster Instanz im Rahmen der "Sache" des bei ihr anhängigen Verfahrens richtig zu stellen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 10. Dezember 2001, Zl. 2000/03/0373).

Entgegen der Beschwerde war die Ergänzung des Spruches erforderlich, weil sich der Umweltdatenträger im Fahrzeug des Beschwerdeführers nicht als funktionstüchtig erwies, sodass er die Transitfahrt durch Österreich nur bei Erfüllung einer der anderen Verpflichtungen gemäß Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 3298/94 der Kommission (in der im Spruch des angefochtenen Bescheides angeführten Fassung) durchführen durfte. Dass kein ordnungsgemäß ausgefülltes Einheitsformular und auch keine Ökokarte verwendet wurde, um die notwendige Anzahl von Ökopunkten für die Transitfahrt durch Österreich zu entrichten, lässt der Beschwerdeführer unbestritten.

Dennoch liegt eine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides vor:

In seinem Erkenntnis vom 14. Dezember 2001, G 181/01, hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, dass die Wortfolge "und Z. 7 bis 9" im zweiten Satz des § 23 Abs. 2 des Güterbeförderungsgesetzes 1995, BGBl. Nr. 593, in der Fassung BGBl. Nr. 17/1998, verfassungswidrig war. Im genannten Erkenntnis, kundgemacht im Bundesgesetzblatt am 8. Februar 2002 unter BGBl. I Nr. 37, hat der Verfassungsgerichtshof ferner - gestützt auf Art. 140 Abs. 7 zweiter Satz B-VG - Folgendes ausgesprochen:

"(2) Die verfassungswidrige Bestimmung ist insofern nicht mehr anzuwenden, als sie sich auf die Z. 8 bezieht."

Da der zuletzt genannte Ausspruch des Verfassungsgerichtshofes die Anwendung der als verfassungswidrig festgestellten gesetzlichen Bestimmung auch im vorliegenden Beschwerdefall ausschließt (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 17. Dezember 1979, Slg. Nr. 9994/A), erweist sich der auf dem Boden dieser Bestimmung getroffene Ausspruch über die im Beschwerdefall verhängte Strafe als inhaltlich rechtswidrig.

Der angefochtene Bescheid war daher in dem im Spruch genannten Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, im Übrigen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil im Pauschalbetrag für Schriftsatzaufwand die Umsatzsteuer enthalten ist und an Stempelgebührenersatz nur die auch die Beilagen einschließende Gebühr nach § 24 Abs. 3 VwGG zuerkannt werden konnte.

Wien, am 17. Dezember 2004

Schlagworte

Berufungsverfahren Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Besondere Rechtsprobleme Verwaltungsstrafrecht Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Bindung an den Gegenstand des vorinstanzlichen Verfahrens Allgemein Besondere Rechtsgebiete Besondere verfahrensrechtliche Aufgaben der Berufungsbehörde Spruch des Berufungsbescheides Gemeinschaftsrecht Verordnung Strafverfahren EURallg5/2 Rechtliche Wertung fehlerhafter Berufungsentscheidungen Rechtsverletzung durch solche Entscheidungen Umfang der Abänderungsbefugnis Allgemein bei Einschränkung der Berufungsgründe beschränkte Parteistellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2000030338.X00

Im RIS seit

11.01.2005
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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