TE Vfgh Erkenntnis 2001/3/16 G152/00

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Veröffentlicht am 16.03.2001
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Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art49
B-VG Art140 Abs1 / Allg
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsgegenstand
B-VG Art140 Abs4
Sozialrechts-ÄnderungsG 2000
BudgetbegleitG 2001

Leitsatz

Aufhebung der die Ambulanzgebühr betreffenden Bestimmungen des Sozialrechts-ÄnderungsG 2000 wegen verfassungswidriger Kundmachung; Missachtung des Gebotes der vollständigen Publikation im Bundesgesetzblatt; Verfassungswidrigkeit der neuerlichen Kundmachung des zuvor mangelhaft publizierten Gesetzes zur Gänze

Spruch

I. Die Bestimmungen der Art1 Z13a, Art1 Z53 (soweit §588 Abs4a ASVG betroffen ist), Art2 Z7b, Art3 Z4d und Art4 Z2b des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 2000, BGBl. I 92, werden als verfassungswidrig aufgehoben.

II. Das Sozialrechts-Änderungsgesetz 2000 BGBl. I 101, idF BGBl. I 102, wird, mit Ausnahme der Art1 Z14a, Art1 Z14b, Art1 Z49f, Art2 Z8a, Art3 Z1h, Art3 Z1l, Art3 Z1n, Art3 Z5b, Art4 Z3a, Art4 Z3b und Art6 Z1, als verfassungswidrig aufgehoben.

III. Die aufgehobenen Bestimmungen sind nicht mehr anzuwenden.

IV. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

V. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

VI. Der gegen das Sozialrechts-Änderungsgesetz 2000 BGBl. I 92 gerichtete Antrag wird,

a. soweit er sich gegen Art1 Z14a, Art1 Z14b, Art1 Z49f, Art2 Z8a, Art3 Z1h, Art3 Z1l, Art3 Z1n, Art3 Z5b, Art4 Z3a, Art4 Z3b und Art6 Z1 richtet, als unzulässig zurückgewiesen,

b. im Übrigen, soweit er über die gemäß Pkt. I aufgehobenen Bestimmungen hinausgeht, abgewiesen.

VII. Der gegen das Sozialrechts-Änderungsgesetz 2000 BGBl. I 101, idF 102, gerichtete Antrag wird, soweit er sich gegen Art1 Z14a, Art1 Z14b, Art1 Z49f, Art2 Z8a, Art3 Z1h, Art3 Z1l, Art3 Z1n, Art3 Z5b, Art4 Z3a, Art4 Z3b und Art6 Z1 richtet, als unzulässig zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit ihrem am 15. Dezember 2000 beim Verfassungsgerichtshof eingebrachten, auf Art140 B-VG gestützten Antrag begehren 63 Mitglieder des Nationalrates

"das Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz, das Bauern-Sozialversicherungsgesetz, das Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz, das Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977, das Arbeitsmarktpolitik-Finanzierungsgesetz und das Arbeitsmarktförderungsgesetz geändert werden (Sozialrechts-Änderungsgesetz 2000 - SRÄG 2000) in der Fassung der Kundmachung BGBl. I Nr. 92/2000;

das Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz, das Bauern-Sozialversicherungsgesetz, das Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz, das Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977, das Arbeitsmarktpolitik-Finanzierungsgesetz und das Arbeitsmarktförderungsgesetz geändert werden (Sozialrechts-Änderungsgesetz 2000 - SRÄG 2000) in der Fassung der Kundmachung BGBl. I Nr. 101/2000, berichtigt durch BGBl. I Nr. 102/2000

zur Gänze als verfassungswidrig aufzuheben;

in eventu ...

§135a des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes - ASVG, BGBl. Nr. 189/1955 in der Fassung des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 2000, BGBl. I Nr. 92/2000;

§135a des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes - ASVG, BGBl. Nr. 189/1955 in der Fassung des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 2000, BGBl. I Nr. 101/2000, berichtigt durch BGBl. I Nr. 102/2000;

§91a des Gewerblichen Sozialversicherungsgesetzes - GSVG, BGBl. Nr. 560/1978 in der Fassung des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 2000, BGBl. I Nr. 92/2000;

§91a des Gewerblichen Sozialversicherungsgesetzes - GSVG, BGBl. Nr. 560/1978 in der Fassung des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 2000, BGBl. I Nr. 101/2000, berichtigt durch BGBl. I Nr. 102/2000;

§85a des Bauern-Sozialversicherungsgesetzes - BSVG, BGBl. Nr. 559/1978 in der Fassung des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 2000, BGBl. I Nr. 92/2000;

§85a des Bauern-Sozialversicherungsgesetzes - BSVG, BGBl. Nr. 559/1978 in der Fassung des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 2000, BGBl. I Nr. 101/2000, berichtigt durch BGBl. I Nr. 102/2000;

§63a des Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetzes BGBl. Nr. 200/1967 in der Fassung des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 2000, BGBl. I Nr. 92/2000;

§63a des Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetzes BGBl. Nr. 200/1967 in der Fassung des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 2000, BGBl. I Nr. 101/2000, berichtigt durch BGBl. I Nr. 102/2000;

als verfassungswidrig aufzuheben."

2. Begründend führen die antragstellenden Mitglieder des Nationalrates dazu Folgendes aus:

"Sachverhalt

1. Am 11. August 2000 wurde im Teil I des Bundesgesetzblattes 2000 unter Nr. 92 das Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz, das Bauern-Sozialversicherungsgesetz, das Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz, das Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977, das Arbeitsmarktpolitik-Finanzierungsgesetz und das Arbeitsmarktförderungsgesetz geändert werden (Sozialrechts-Änderungsgesetz 2000 - SRÄG 2000) erstmals kundgemacht.

Gegenüber dem Gesetzesbeschluß des Nationalrates, wie er vom Präsidenten des Nationalrates nach der Dritten Lesung am 5. Juli 2000 beurkundet wurde (im Folgenden Originalbeschluß, Beilage), unterscheidet sich diese Kundmachung insofern, als sie an mehreren Stellen wesentliche Satzteile nicht widergibt, die für den normativen Gehalt des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 2000 von Bedeutung sind. Der normative Gehalt des Wortlautes der Kundmachung vom 11. August 2000 ist nicht ident mit dem normativen Gehalt, der sich aus dem Wortlaut des Gesetzesbeschlusses des Nationalrates ergibt. Darüber hinaus weicht die Kundmachung in einigen Punkten vom Originalbeschluß des Nationalrates geringfügig ab, ohne daß dies den Sinn des Textes verändert.

2. Im einzelnen enthält die Kundmachung in BGBl. I Nr. 92/2000 folgende Abweichungen gegenüber dem Originalbeschluß:

a) In Art1 (Änderung des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes) findet sich in Z1c folgende Überschrift des §32a ASVG: 'Zielvereinbarung'. Hier wurde der Plural des Gesetzesbeschlusses in der Kundmachung zum Singular gemacht, denn im Gesetzesbeschluß des Nationalrates ist bei der Überschrift des §32a von 'Zielvereinbarungen' die Rede.

b) In Art1 (Änderung des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes) fehlt in Z13a betreffend §135a Abs1 Z3 ASVG ein ganzer Halbsatz. In BGBl. I Nr. 92/2000 lautet diese Bestimmung wie folgt:

'3. in eigenen Einrichtungen der Versicherungsträger mit Ausnahme der Sonderkrankenanstalten für Rehabilitation',

Im Originalbeschluß lautet demgegenüber §135a Abs1 Z3 ASVG wie folgt:

'3. in eigenen Einrichtungen der Versicherungsträger (mit Ausnahme der Sonderkrankenanstalten für Rehabilitation und der Ambulatorien für physikalische Medizin), soweit es sich nicht um eine Rehabilitationsmaßnahme oder Jugendlichen- oder Vorsorge- (Gesunden)untersuchung handelt,'.

Betrachtet man also den Wortlaut der Kundmachung gegenüber dem Wortlaut des Originalbeschlusses des Nationalrates, besteht der Unterschied, daß die 'eigenen Einrichtungen der Versicherungsträger', wie sie in §135a Abs1 Z3 ASVG in der Fassung der ersten Kundmachung (BGBl. I Nr. 92/2000) verlautbart wurden, wesentlich weiter gefaßt sind, als vom Nationalrat beschlossen, fehlt doch die Ausnahme der Ambulatorien für physikalische Medizin sowie der Rehabilitationsmaßnahmen, der Jugendlichen- Vorsorge- sowie (Gesunden)untersuchung. (Die im Folgenden unter c, e und f geschilderten Fehler betreffen wortgleiche Bestimmungen)

c) In Art2 (Änderung des Gewerblichen Sozialversicherungsgesetzes) Z7b lautet §9la Abs1 Z3 GSVG wie folgt:

'3. in eigenen Einrichtungen der Versicherungsträger mit Ausnahme der Sonderkrankenanstalten für Rehabilitation';

richtig hätte diese Bestimmung in der Fassung des Originalbeschlusses wie folgt lauten müssen:

'3. in eigenen Einrichtungen der Versicherungsträger (mit Ausnahme der Sonderkrankenanstalten für Rehabilitation und der Ambulatorien für physikalische Medizin), soweit es sich nicht um eine Rehabilitationsmaßnahme oder Jugendlichen- oder Vorsorge- (Gesunden)untersuchung handelt,'.

d) In Art2 (Änderung des Gewerblichen Sozialversicherungsgesetzes) lautet der letzte Halbsatz des §284 Abs4 GSVG in Z30a wie folgt:

'wobei §133 Abs3 in der Fassung des Sozialversicherungs-Änderungsgesetzes 2000, BGBl I Nr. 43/2000, anzuwenden ist.';

nach dem Originalbeschluss hätte dieser letzte Halbsatz lauten müssen:

'wobei §133 Abs3 in der Fassung des Sozialversicherungs-Änderungsgesetzes 2000, BGBl. I Nr. 43 anzuwenden ist.'

e) In Art3 (Änderung des Bauern-Sozialversicherungsgesetzes) Z4d lautet §85a Abs1 Z3 BSVG:

'3. in eigenen Einrichtungen der Versicherungsträger mit Ausnahme der Sonderkrankenanstalten für Rehabilitation;

richtig hätte diese Bestimmung zu lauten:

'3. in eigenen Einrichtungen der Versicherungsträger (mit Ausnahme der Sonderkrankenanstalten für Rehabilitation und der Ambulatorien für Physikalische Medizin), soweit es sich nicht um eine Rehabilitationsmaßnahme oder Jugendlichen- oder Vorsorge- (Gesunden)untersuchung handelt,'.

f) In Art4 (Änderung des Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetzes) Z2b lautet §63a Abs1 Z3 B-KUVG:

'3. in eigenen Einrichtungen der Versicherungsträger mit Ausnahme der Sonderkrankenanstalten für Rehabilitation';

richtig hätte diese Bestimmung zu lauten:

'3. in eigenen Einrichtungen der Versicherungsträger (mit Ausnahme der Sonderkrankenanstalten für Rehabilitation und der Ambulatorien für physikalische Medizin), soweit es sich nicht um eine Rehabilitationsmaßnahme oder Jugendlichen- oder Vorsorge- (Gesunden)untersuchung handelt,'

g) In Art4 (Änderung des Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetzes) lautet in Z5 bei den Schlußbestimmungen des B-KUVG in §196 Abs2 das Zitat 'Die §§52 Abs3 litd' anstelle von 'Die §§52 Z3 litd'.

3. Am 24. August 2000 wurde daraufhin das Sozialrechts-Änderungsgesetz 2000 neuerlich in BGBl. I Nr. 101/2000 kundgemacht. An den Titel angefügt ist eine mit Stern bezeichnete Fußnote, die am Seitenende wiedergegeben ist. Diese Fußnote lautet:

'Diese Kundmachung ersetzt die Kundmachung BGBl. I Nr. 92/2000.'

Diese zweite Kundmachung enthält die eben angeführten Kundmachungsmängel des BGBl. I Nr. 92/2000 nicht mehr.

Allerdings enthalten die Inkrafttretensbestimmungen in den einzelnen Artikeln dieses Bundesgesetzes nicht den Verweis auf die zweite Kundmachung, sondern auf die erste Kundmachung des Bundesgesetzes in BGBl. I Nr. 92/2000. Diese Inkrafttretensbestimmungen setzen daher die einzelnen Bestimmungen des Bundesgesetzes in der Fassung der ersten Kundmachung in Kraft.

...

4. Mit Kundmachung des Bundeskanzlers betreffend die Berichtigung von Druckfehlern im Bundesgesetzblatt, BGBl. I Nr. 102/2000, ausgegeben am 7. September 2000 wurde unter anderem das Sozialrechts-Änderungsgesetz 2000, BGBl. I Nr. 101, berichtigt.

Mit Z3 dieser Kundmachung wurde in sämtlichen, ... Inkrafttretens- und Übergangsbestimmungen das Zitat 'BGBl. I Nr. 92' durch das Zitat 'BGBl. I Nr. 101' ersetzt.

III. Bedenken

...

1. Gemäß Art49 Abs1 B-VG sind ... Bundesgesetze vom Bundeskanzler im Bundesgesetzblatt kundzumachen. Gemäß Art49 Abs3 B-VG ergeht über das Bundesgesetzblatt ein besonderes Bundesgesetz, gegenwärtig das Bundesgesetz über das Bundesgesetzblatt 1996 (BGBlG), BGBl. Nr. 660.

Jeder Verstoß gegen die Vorschriften des Bundesgesetzblattgesetzes bewirkt eine gesetzwidrige Kundmachung, die gleichzeitig gemäß Art49 B-VG das kundgemachte Bundesgesetz mit Verfassungswidrigkeit belastet.

Das mit dem vorliegenden Antrag bekämpfte Bundesgesetz wurde entgegen den Vorschriften in Art49 B-VG und des Bundesgesetzblattgesetzes zweimal kundgemacht, es verstößt deswegen gegen Art49 B-VG.

Weiters erfolgte eine gegen die Bestimmungen des Bundesgesetzblattgesetzes verstoßende Druckfehlerberichtigung durch die Kundmachung BGBl. I Nr. 102/2000. Hinsichtlich dieser Kundmachung wird angeregt, aus Anlass des gegenständlichen Gesetzesprüfungsverfahrens von Amts wegen ein Verfahren gem. Art139 B-VG einzuleiten.

2. Zur Kundmachung vom 11. August 2000, BGBl. I Nr. 92/2000.

a) Vorausgeschickt sei, dass im folgenden davon ausgegangen wird, dass es auf folgende Weise zu den Auslassungen in dieser Kundmachung gekommen ist:

Die in der Kundmachung fehlenden Teile waren weder in der Regierungsvorlage, 181 d.B. XXI. GP, noch in dem im Ausschußbericht enthaltenen Gesetzesantrag, 254 d.B. XXI. GP, enthalten, sondern wurden aufgrund von Abänderungsanträgen in zweiter Lesung eingefügt. Die vom Präsidenten des Nationalrates beurkundete Fassung des Beschlusses des Nationalrates (Beilage) enthält die fehlenden Zeilen, dies war auch die Fassung des Gesetzesbeschlusses, die dem Verfahren im Bundesrat zugrunde lag (§42 Abs1 B-VG).

Das nach Befassung des Bundesrates vom Präsidenten des Nationalrates an den Bundeskanzler zur Vorlage an den Bundespräsidenten zur Beurkundung gemäß Art47 B-VG übersandte Exemplar enthielt ebenfalls den gesamten Text des Beschlusses, wie er im amtlichen Protokoll des Nationalrates aufscheint.

Da die Beurkundung durch den Bundespräsidenten und die Gegenzeichnung durch den Bundeskanzler üblicherweise auf dem Originalbeschluß erfolgt, ist davon auszugehen, daß auch der vom Bundespräsidenten beurkundete (und vom Bundeskanzler gegengezeichnete) Text vollständig ist, also die in der ersten Kundmachung gegenüber der zweiten Kundmachung fehlenden Zeilen enthält. Der Originalbeschluß (also das vom Bundespräsidenten unterfertigte und vom Bundeskanzler gegengezeichnete Exemplar), der die authentische, kundzumachende Fassung bildet (Walter, Die ominöse Seite 2.093 des BGBl. 1991, ÖJZ 1991, 846; Thienel, aa0, Rz 75), enthält also den vollständigen Beschluß des Nationalrates.

Der Fehler unterlief daher im Zuge des Druckvorganges, wobei für die Antragsteller nicht feststellbar ist, ob sich schon der Druckauftrag des Bundeskanzleramtes auf eine fehlerhafte Ausfertigung des Originalbeschlusses bezog oder der Fehler im Zuge der Drucklegung unterlief.

Die Antragsteller beantragen daher, die gesamten Akten betreffend die Kundmachungen vorzulegen.

b) Die bei der Kundmachung unterlaufenen Fehler sind als Kundmachungsmängel zu qualifizieren und nicht als Druckfehler. Es fehlen an mehreren Stellen der Kundmachung des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 2000 mehrere Zeilen, die selbständige normative Anordnungen treffen, nämlich Ausnahmen von einer allgemein geltenden Bestimmung.

Der Verfassungsgerichtshof hat in VfSlg. 3719/1960 ausgesprochen, daß als Druckfehler nur solche Unterschiede zwischen dem Beschluß des normsetzenden Organes und der Wiedergabe im Kundmachungsorgan gewertet werden können, die den materiellen Gesetzesinhalt unverändert lassen. Zwar sind unter Druckfehlern nicht nur unrichtig gesetzte Buchstaben, Zahlen, Zeilen usw. zu verstehen, sondern auch Auslassungen, Anführungen, aber nur, 'sofern sie nur den materiellen Gesetzesinhalt unverändert lassen. Diese Voraussetzung ist aber jedenfalls dann nicht mehr gegeben, wenn eine ganze in sich geschlossene Rechtsregel ausfällt. In einem solchen Fall liegt nicht mehr ein Druckfehler, sondern ein Publikationsmangel vor.' Bei dieser Rechtsprechung ist der Verfassungsgerichtshof bis in jüngste Zeit geblieben (vgl. VfGH 30.9.1999 V98/98, G241/98, VfSlg. 14.605/1996, 5.810/1968, 5.320/1966).

Bei den Auslassungen in der Kundmachung BGBl. I Nr. 92/2000 handelt es sich um derartige inhaltliche Auslassungen, durch die der materielle Gesetzesinhalt verändert wird; durch die fehlenden Zeilen fällt eine ganze geschlossene Rechtsregel, nämlich Ausnahmebestimmungen zur generellen Anordnung aus. Es liegt daher ein Kundmachungsmangel vor, der einer Druckfehlerberichtigung nicht zugänglich ist.

Maßgeblich ist im Sinne der Judikatur aber ausschließlich der kundgemachte Text, nicht der in der Originalfassung enthaltene (vgl. VfSlg. 3719/1960).

c) Die erste Kundmachung ist daher gesetzwidrig, weil sie nicht mit dem Originalbeschluß übereinstimmt. Dessen ungeachtet entfaltet sie - sieht man vorerst von Gerichten oder übrigen, von Art89 B-VG erfaßten Behörden ab - Rechtswirkungen, wie sich aus Art140 Abs3 B-VG ergibt, wonach der Verfassungsgerichtshof auch ein gesetzwidrig kundgemachtes Gesetz aufzuheben hat (vgl. Thienel, Art49 B-VG, in: Korinek/Holoubek (Hrsg.) Bundesverfassungsrecht, Rz 82 (1999); Funk, Die Berichtigung von Verlautbarungsfehlern in Gesetzblättern, in: Griller/Korinek/Potacs (Hrsg.), Festschrift Heinz Peter Rill (1995) 77 ff). ...

d) Der Verfassungsgerichtshof ist im Erkenntnis vom 30. September 1999 V98/98, G241/98, davon ausgegangen, daß von einem derartigen Kundmachungsmangel nur jene gesetzliche Bestimmung erfaßt wird, in der eine Rechtsregel ausgefallen ist, wobei sich der VfGH hiezu auf seine Vorjudikatur beruft. Die Antragsteller legen im folgenden dar, warum dies ihrer Auffassung nach nicht allgemein gelten kann, sondern lediglich unter bestimmten Voraussetzungen. Diese Frage kann allerdings dahingestellt bleiben, wenn man ... davon ausgeht, daß durch die zweite Kundmachung die erste Kundmachung normativ wirkungslos geworden ist und auch im Falle der Aufhebung der zweiten Kundmachung keine normative Wirkung mehr entfalten wird.

Aus folgenden Gründen belastet die fehlerhafte Kundmachung die gesamte Kundmachung des Gesetzes mit Gesetzwidrigkeit, sodaß das gesamte Gesetz aufzuheben ist, (soferne nicht der Fall des Art140 Abs3 letzter Satz B-VG gegeben ist, der allerdings bei einem Antrag eines Drittels der Mitglieder des Nationalrates nicht anwendbar ist):

aa) Grundsätzlich bezieht sich der Wille des Bundesgesetzgebers auf den gesamten von ihm beschlossenen Text, wie er im Originalbeschluß zum Ausdruck kommt. Es ist dabei unerheblich, aus welchen Gründen es gerade zu diesem Originalbeschluß und nicht zu einem anderen gekommen ist. Niemand kann davon ausgehen, daß das Gesetz insgesamt beschlossen worden wäre, wenn bestimmte Teile nicht Inhalt des Gesetzes geworden wären. Es ist von vornherein nicht auszuschließen, daß bestimmte Abgeordnete dem Gesetzestext nur deswegen zugestimmt haben, weil bestimmte Punkte in dem betreffenden Gesetz enthalten waren. Ob diese Punkte wesentlich oder unwesentlich sind, ist dabei unerheblich, maßgeblich ist lediglich das Ergebnis, ob nämlich mehr als die Hälfte der anwesenden Abgeordneten letzten Endes einem Gesetzestext insgesamt die Zustimmung erteilt haben oder nicht. Wird nun ein Gesetzestext verlautbart, der einzelne Teile - die für sich genommen eine normative Anordnung enthalten - nicht enthält, kann niemand beurteilen, ob der Gesetzestext mit diesen Auslassungen ebenfalls die Zustimmung der Mehrheit der Abgeordneten gefunden hätte, ob somit dieser Gesetzesentwurf dem Willen des Gesetzgebers, der ausschließlich für die Normqualität des Gesetzes maßgeblich ist, entspricht oder nicht.

Die Vorschriften über das Gesetzgebungsverfahren bringen dies klar zum Ausdruck. Ein Gesetzesvorschlag ist zunächst - nach der allenfalls durchzuführenden ersten Lesung - in einem Ausschuß des Nationalrates zu beraten, der einen Gesetzesantrag an das Plenum des Nationalrates richtet. Das Plenum des Nationalrates berät zunächst in zweiter Lesung über den Gesetzesvorschlag in der Fassung des Ausschußberichtes (§70 Bundesgesetz über die Geschäftsordnung des Nationalrates (Geschäftsordnungsgesetz 1975), BGBl. Nr. 410/1975, im folgenden GOG-NR). In zweiter Lesung können gemäß §72 GOG-NR Abänderungs- und Zusatzanträge gestellt werden, durch die der Gesetzestext verändert wird. Über jeden dieser Anträge ist gesondert abzustimmen.

Anschließend hat über den - auf diese Weise möglicherweise veränderten - Gesetzestext der Nationalrat in dritter Lesung abzustimmen. Diese ist, wie dies §74 Abs1 GOG-NR ausdrückt, 'die Abstimmung im ganzen', die sich also auf den gesamten Gesetzestext bezieht. Der Sinn dieser Vorschrift ist klar: Selbst wenn ein Abgeordneter einzelnen Abänderungs- oder Zusatzanträgen in zweiter Lesung zugestimmt hat, ist es möglich, daß er insgesamt den Gesetzestext ablehnt, beispielsweise, weil andere Zusatzanträge beschlossen oder nicht beschlossen wurden, die dazu führen, daß der Abgeordnete den gesamten Gesetzestext als solches ablehnt.

Dementsprechend können gemäß §74 Abs2 GOG-NR in der dritten Lesung nur Anträge auf die Behebung von Widersprüchen, die sich bei der Beschlußfassung in zweiter Lesung ergeben haben, gestellt werden, ferner können Schreib- und Druckfehler sowie sprachliche Mängel behoben werden. Auch in diesem Fall erfolgt in dritter Lesung die Abstimmung über den gesamten Gesetzestext erst nachdem die Abstimmung über derartige Widersprüche vorgenommen wurde.

Der Zweck all dieser Vorschriften ist eindeutig: Es soll gewährleistet sein, daß der letzten Endes beschlossene Gesetzestext vom Willen einer Mehrheit der Abgeordneten getragen ist.

bb) Wird nun nicht der gesamte Gesetzesbeschluß kundgemacht, sondern fehlen einzelne (wenn auch nur geringfügige) Teile, so wird ein Gesetzestext kundgemacht, von dem nicht bekannt ist, ob er eine Mehrheit von Abgeordneten hinter sich hat; es kann nicht ausgeschlossen werden, daß die Abgeordneten jenen Teilen, die kundgemacht wurden, ohne die fehlenden Teile nicht zugestimmt hätten. Würden lediglich solche Teile aufgehoben, in denen einzelne Bestimmungen fehlen, würde der Wille des Gesetzgebers noch weiter verzerrt.

Damit bliebe es der - die Kundmachung vornehmenden - Vollziehung überlassen, welche Teile eines Gesetzes sie in Kraft setzt, und zwar ohne dass der Verfassungsgerichtshof im Wege seiner Gesetzesprüfung und daran anschließenden Aufhebung hier dem Willen des Gesetzgebers Genüge verschaffen könnte:

Gemäß Art140 Abs6 B-VG bewirkt die Aufhebung eines Gesetzes - diese Bestimmung bezieht sich auch auf die Aufhebung einer einzelnen Gesetzesbestimmung -, daß mit dem Tag des Inkrafttretens der Aufhebung, falls das Erkenntnis nichts anderes ausspricht, die gesetzlichen Bestimmungen wieder in Wirksamkeit treten, die durch das vom Verfassungsgerichtshof (als) verfassungswidrig erkannte Gesetz aufgehoben worden waren. Für den Fall, daß der Verfassungsgerichtshof nicht ausspricht, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, bedeutet das, daß jene früheren gesetzlichen Bestimmungen wieder in Kraft treten, die lediglich die vom Verfassungsgerichtshof aufgehobenen Bestimmungen betreffen, dies muß sich aber keineswegs mit dem Willen des Gesetzgebers decken. Aber auch dann, wenn der Verfassungsgerichtshof ausspricht, daß frühere Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, kommt eine vom Willen des Gesetzgebers abweichende Gesetzeslage ab dem Zeitpunkt der Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof zur Geltung.

Dem kann auch nicht vom Verfassungsgerichtshof durch die Gestaltung der Aufhebung begegnet werden: Wird für die Aufhebung eine Frist gesetzt, bleibt das gesamte kundgemachte Gesetz, aber ohne die fehlenden Teile bis zum Ablauf der Frist in Wirksamkeit. Dies würde bedeuten, daß derjenige, der die Kundmachung veranlaßt hat - also die Vollziehung - bestimmt, welche Teile eines Gesetzes in Kraft treten sollen oder nicht. Nach dem Ablauf der Frist würde - wegen der Aufhebung von Bestimmungen, in denen Teile fehlen - ein noch stärker veränderter Gesetzestext in Geltung stehen. Daß während des Fristenlaufs der Gesetzgeber eine neue Regelung treffen kann, vermag diesen Mangel nicht zu sanieren, weil sich inzwischen die Voraussetzungen geändert haben können, man denke an den einfachen Fall dessen, daß sich die Zusammensetzung des Nationalrates mittlerweile geändert hat.

Dem kann nun nicht entgegen gehalten werden, daß dies eben die Folge der Erlassung von verfassungswidrigen Bestimmungen und der dafür vom Verfassungsgesetzgeber in Art140 B-VG vorgesehenen Fehlerfolgen sei. Der wesentliche Unterschied zu sonstigen Verfassungswidrigkeiten ist es nämlich, dass dieser Fehler nicht dem Gesetzgeber, sondern der Vollziehung zu zurechnen ist. Bei einer derartigen Interpretation hätte es also die Vollziehung im Wege der Kundmachung in der Hand, den Willen des Gesetzgebers zu verändern, und zwar endgültig, auch im Falle der Anrufung des Verfassungsgerichtshofes.

Nicht umsonst sieht daher Art140 Abs3 B-VG für den Fall der gesetzwidrigen Kundmachung die Aufhebung des ganzen Gesetzes vor. Diese Vorschrift gewährleistet, daß ein vom Gesetzgeber gefaßter Beschluß auch tatsächlich von der Vollziehung gesetzmäßig kundgemacht wird, und zwar so, dass stets dem vollen Willen des Gesetzgebers Geltung verschafft wird.

Im vorliegenden Zusammenhang braucht nicht untersucht zu werden, wie die Verfassungslage ist, wenn nicht einzelne Gesetzesteile fehlen, sondern in gesetzwidriger Weise mehr kundgemacht wird, als vom Gesetzgeber beschlossen wurde; in diesem Fall kann nämlich durch Aufhebung der zuviel beschlossenen Teile dem Willen des Gesetzgebers Geltung verschafft werden.

cc) Als Ergebnis folgt, daß dann, wenn ein Gesetzesbeschluß des Nationalrates nicht zur Gänze, also mit Auslassungen kundgemacht wird, dies die gesamte Kundmachung mit Gesetzwidrigkeit belastet. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, daß die vom Verfassungsgerichtshof bisher entschiedenen Fälle, in denen er wegen gesetzwidriger Kundmachung nur Teile eines Gesetzes aufgehoben hat, mit Ausnahme des Erkenntnisses VfGH 30.9.1999 V98/98, G241/98 nicht völlig vergleichbar sind, sondern folgenden Sachverhalt betrafen:

Im Erkenntnis VfSlg. 5320/1966 ging es darum, daß eine gesetzliche Vorschrift (§27 Abs1 Kärntner Naturschutzgesetz) auf (ursprünglich als Verordnung erlassene) Rechtsvorschriften verwies, die nicht im Landesgesetzblatt, sondern durch bloße Auflage bei der Bezirkshauptmannschaft kundgemacht worden (waren). In diesem Fall ging es also nicht darum, daß ein Gesetzestext als solcher nicht vollständig kundgemacht wurde, sondern daß ein Gesetzestext auf andere - nicht entsprechend den für Gesetze geltenden Vorschriften kundgemachte - Vorschriften verwies. In diesem Fall ist es ausreichend, die verweisende Vorschrift aufzuheben, weil damit der Verweis auf die nicht gesetzmäßig kundgemachten Vorschriften beseitigt wurde und insofern der gesetzlichen Vorschrift überhaupt ihr Anwendungsbereich genommen wurde (andernfalls hätte der Verfassungsgerichtshof nicht bloß die verweisende Norm in Prüfung ziehen und aufheben müssen, sondern auch die verwiesenen - in einer kartographischen Darstellung bestehenden - Normen, die durch die verweisende Gesetzesstelle Gesetzesrang erhalten haben, aber nicht in der für Gesetze geltenden Weise kundgemacht wurden).

Für den Fall aber, daß im Gesetzestext selbst Teile fehlen, die der Gesetzgeber beschlossen hat, gilt nichts anderes als das, was der Verfassungsgerichtshof selbst in VfSlg. 14.605/1996 für den Fall einer mangelnden Zustimmung der Bundesregierung zur Mitwirkung von Bundesorganen an der Vollziehung ausgesprochen hat: Auch wenn die Zustimmung der Bundesregierung nur für einzelne Bestimmungen erforderlich ist, ist im Fall der Kundmachung des (Landes)gesetzes ohne die Bestimmungen, für die die Zustimmung der Bundesregierung erforderlich wäre, die gesamte Kundmachung mangelhaft, weil der Landtag den Gesetzesbeschluß mit jenen Bestimmungen gefaßt hat, die der Zustimmung bedürfen, und keine Bestimmung der Landesverfassung den Landeshauptmann ermächtigt, einen solchen Gesetzesbeschluß ohne die zustimmungspflichtigen Bestimmungen kundzumachen; dies deswegen, weil niemand unterstellen kann, dass der Landtag den Gesetzesbeschluss auch ohne jene Bestimmungen gefasst hätte, die der Zustimmung bedürfen. Obwohl nur einzelne Teile des Gesetzesbeschlusses des Landtages in der Kundmachung gefehlt haben, war gleichwohl die gesamte Kundmachung mit Gesetzwidrigkeit behaftet.

dd) In dem Zusammenhang sei darauf verwiesen, daß es sich bei den vorstehenden Überlegungen nicht bloß um theoretische Erwägungen handelt: Wie vorhin erwähnt, wurden die dann in der Kundmachung fehlenden Bestimmungen in den Gesetzestext aufgrund eines Antrags von Abgeordneten in zweiter Lesung eingefügt, der die Mehrheit des Nationalrates gefunden hat. Es hat sich hiebei um politisch heftig umstrittene Ergänzungen gehandelt, die von Abgeordneten der Regierungsparteien vehement gefordert wurden, um die Einführung der Ambulanzgebühren eher sozial verträglich zu gestalten. Es ist daher keineswegs eine weltfremde Annahme, daß die Einfügung dieser Ausnahmen eine Voraussetzung für die Abgeordneten war, dem Gesetz ihre Zustimmung zu erteilen, es ist gerade im konkreten Fall keineswegs von der Hand zu weisen, daß das Gesetz keine Mehrheit gefunden hätte, wenn sich die Regierungsfraktionen nicht auf diese Änderung geeinigt hätten. Diese Ausführungen ändern aber nichts daran, daß es grundsätzlich unerheblich ist, von welchem Gewicht die fehlenden Teile sind und ob sie vor dem Hintergrund der politischen Debatte vermutlich zu einer Zustimmung von Abgeordneten geführt haben oder nicht.

ee) Aber auch aus Art89 B-VG folgt eindeutig, dass im Falle einer gesetzwidrigen Kundmachung das gesamte Bundesgesetz aufzuheben ist: Nach dieser Bestimmung steht die Prüfung der Gültigkeit gehörig kundgemachter Gesetze, Verordnungen und Staatsverträge den Gerichten nicht zu, soweit in diesem Artikel nichts anderes bestimmt wird.

Art89 B-VG spricht - anders als Art140 Abs3 B-VG - von 'nicht gehöriger' Kundmachung. Im vorliegenden Zusammenhang kann dahingestellt bleiben, ob 'nicht gehörig kundgemacht' den gleichen Begriffsinhalt hat wie 'nicht gesetzmäßig kundgemacht' (dazu Ringhofer, Prüfung und Anfechtung von Gesetzen und Verordnungen durch die Gerichte, in: Verfassung, Verwaltung, Gerichtsbarkeit (1977) 100; Klaushofer, Gehörig kundgemacht?, Die Prüfungsbefugnis der Gerichte, der unabhängigen Verwaltungssenate und des unabhängigen Bundesasylsenates bei der Kundmachung von Gesetzen, Verordnungen und Staatsverträgen, ÖJZ 2000, 161) ... Es ist nämlich unbestrittermassen davon auszugehen, dass jede 'nicht gehörige' Kundmachung auch gesetzwidrig ist.

Für eine solche gesetzwidrige Kundmachung sieht nun Art89 B-VG - insoweit von der Literatur unbestritten - vor, dass die Gerichte und die diesen gleichgestellten unabhängigen Behörden das Bundesgesetz nicht anzuwenden, es als absolut nichtig zu behandeln haben. Eine solche Vorgangsweise ist aber dann ausgeschlossen, wenn eine Kundmachung deswegen gesetzwidrig ist, weil sie einzelne Bestandteile des Gesetzesbeschlusses nicht enthält: Die nicht publizierten Gesetzesteile kann das Gericht schon deswegen nicht anwenden, weil sie nicht publiziert wurden - maßgeblich ist stets nur der kundgemachte Text, nicht der nur beschlossene (VfSlg. 3719/1960). Die Gesetzwidrigkeit der Kundmachung führt aber dazu, dass das gesamte Gesetz vom Gericht unbeachtet zu bleiben hat, jede andere Auslegung nähme Art89 B-VG im vorliegenden Zusammenhang jeglichen Sinn. Art89 B-VG kann nur die Wirkung haben, dass ein Gericht ein Gesetz, das nicht alle beschlossenen Teile enthält, gar nicht anzuwenden hat.

ff) Im übrigen sei darauf hingewiesen, dass auch der Bundeskanzler selbst davon ausgeht, daß die gesamte Kundmachung fehlerhaft ist, wenn einzelne Teile fehlen. Nur so ist es erklärbar, daß er die gesamte Kundmachung wiederholte und nicht bloß jene Passagen, in denen einzelne Teile fehlen (dies unabhängig davon, welche rechtliche Bedeutung der zweiten Kundmachung zugebilligt wird und wie die erste Kundmachung zu qualifizieren ist) ...

e) Zusammengefaßt ergibt sich daher, dass wegen der geschilderten Auslassungen die gesamte ersten Kundmachung des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 2000 im BGBl. I Nr. 92/2000 gesetzeswidrig ist. Welche Rechtsfolgen diese Rechtswidrigkeit nach sich zieht, wird im folgenden unter 3. erörtert, nachdem die Rechtswirkungen der zweiten Kundmachung in BGBl. I Nr. 101/2000 untersucht wurden.

3. Zur Kundmachung vom 24. August 2000, BGBl. I Nr. 101/2000:

a) Die folgenden Ausführungen gehen zunächst davon aus, daß die neuerliche Kundmachung vom zuständigen Beamten des Bundeskanzleramtes veranlaßt wurde und daher dem Bundeskanzler zuzurechnen ist. Weiters wird davon ausgegangen, daß der Druckauftrag des Bundeskanzleramtes dahingehend ging, daß die bisherige Kundmachung ergänzt um die fehlenden Teile und die dem Titel beigesetzte Fußnote 'Diese Kundmachung ersetzt die Kundmachung BGBl. I Nr. 92/2000' zu erfolgen habe und insofern die Staatsdruckerei - auch hinsichtlich der Inkrafttretensbestimmungen - nicht eigenmächtig vorgegangen ist.

Die Antragsteller beantragen, auch die gesamten Akten betreffend diese Kundmachung vorzulegen.

b) Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß es sich bei dieser zweiten Kundmachung um keine Druckfehlerberichtigung im Sinne des Bundesgesetzes über das Bundesgesetzblatt 1996 ... handelt, und zwar weder dem subjektiven Anspruch dieser Kundmachung nach noch objektiv:

Druckfehlerberichtigungen sind gemäß §2 Abs7 BGBlG vom Bundeskanzler durch Kundmachung vorzunehmen, sie werden auch im Bundesgesetzblatt selbst entsprechend bezeichnet. Die gegenständliche Kundmachung entspricht aber der äußeren Form der Kundmachung eines Bundesgesetzes und enthält dementsprechend auch die Wiedergabe der Unterschriften des Bundespräsidenten und des Bundeskanzlers. Aber auch objektiv handelt es sich um keine Druckfehlerberichtigung: Wie der Verfassungsgerichtshof in VfSlg. 10.739/1985 ausgesprochen hat, daß sich eine Berichtigung von Druckfehlern inhaltlich auf die Fehlerberichtigung zu beschränken hat (sodaß die Wiedergabe des gesamten Gesetzestextes ausgeschlossen ist) und im übrigen einer 'speziellen Kundmachung' bedarf.

c) Es liegt somit eine eigene, gesetzlich nicht vorgesehene Form der Kundmachung, eine, wie es die Literatur ausdrückt, 'Ersetzung' vor. Für eine derartige 'Ersetzung' gibt es keine Rechtsgrundlage (vgl. Walter, Die ominöse Seite 2093 des BGBl. 1991, ÖJZ 1991, 846).

Ohne eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage ist aber eine derartige Ersetzung gesetzeswidrig, auch wenn sie das Ziel verfolgt, den gesamten Text eines vom Gesetzgeber beschlossenen Bundesgesetzes wiederzugeben.

Das Bundesgesetzblattgesetz sieht nur eine einzige Form einer Berichtigung einer einmal erfolgten Kundmachung vor, nämlich die Druckfehlerberichtigung. §2 Abs7 BGBlG lautet:

'(7) Druckfehler in Verlautbarungen des Bundesgesetzblattes, ferner Verstöße gegen die innere Einrichtung dieses Blattes (Numerierung der einzelnen Verlautbarungen, Seitenangabe, Angabe des Ausgabe- und Versendungstages u. dgl.) werden durch Kundmachung des Bundeskanzlers in dem Teil des Bundesgesetzblattes, in dem diese Fehler unterlaufen sind, berichtigt.'

Eine derartige Ermächtigung wäre völlig überflüssig, wenn Art49 B-VG unmittelbar es erlauben würde, solche - offenkundige, und wie aus der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes folgt, keine normative Wirkungen nach sich ziehende - Fehler zu beheben. Wenn der Gesetzgeber diese Fehlerbehebungsmöglichkeit ausdrücklich vorsieht, ist daraus zu schließen, daß jede andere zusätzliche oder neuerliche Kundmachung ausgeschlossen ist. Erfolgt dessen ungeachtet eine neuerliche Kundmachung, hat dies die Gesetzwidrigkeit der neuerlichen Kundmachung zur Folge.

Aber auch aus Art49a B-VG betreffend die Wiederverlautbarung ergibt sich, daß die Verfassung selbst eine neuerliche Kundmachung eines Bundesgesetzes ausschließt. Art49a eröffnet dem Bundeskanzler die Möglichkeit, den Text von geltenden Bundesgesetzen neuerlich kundzumachen, wobei er die in Art49a Abs2 genannten Richtigstellungen vornehmen kann. Alle diese Richtigstellungen bewirken keine normativen Änderungen des Textes, sondern erleichtern bloß dem Normunterworfenen die Feststellung des geltenden Gesetzestextes. Es handelt sich damit bloß um eine schlichte neuerliche Kundmachung von bereits kundgemachten Gesetzen.

Der Umstand, daß das Bundes-Verfassungsgesetz selbst eine ausdrücklich Ermächtigung für derartige neuerliche Verlautbarungen vorsieht, läßt nur den zwingenden Schluß zu, daß ohne eine derartige verfassungsrechtliche Ermächtigung eine zwei- oder mehrmalige Kundmachung von Bundesgesetzen nicht zulässig ist. Nur am Rande sei bemerkt, daß die zweite Kundmachung auch nicht als Wiederverlautbarung im Sinne des Art49a B-VG qualifiziert werden kann, und zwar weder dem subjektiven Anspruch nach noch vom objektiven Gehalt her: Weder ist sie als Wiederverlautbarung bezeichnet, noch geht sie nach der Fertigungsklausel von dem für Wiederverlautbarungen gemäß Art49a zuständigen Organ - Bundeskanzler gemeinsam mit dem zuständigen Bundesminister - aus. Es ist daher müßig darauf hinzuweisen, daß eine derartige Wiederverlautbarung auch gesetzwidrig wäre, weil im Wege einer derartigen Wiederverlautbarung nur bereits geltende - also kundgemachte Gesetze wiederverlautbart werden können, der Nachtrag von in der ursprünglichen Kundmachung fehlenden Teilen daher ausgeschlossen ist.

d) Möglicherweise ist der Bundeskanzler davon ausgegangen, eine neuerliche Kundmachung sei aus dem Grund zulässig gewesen, weil die erste Kundmachung deswegen, weil darin Teile des beschlossenen Gesetzestextes fehlen, absolut nichtig sei. Diesfalls würde es sich bei der zweiten Kundmachung um die 'erste' Kundmachung des vollständigen Gesetzestextes handeln.

Zunächst sei darauf hingewiesen, daß, wie oben bereits erwähnt, dies voraussetzt, daß die ganze erste Kundmachung gesetzwidrig und daher absolut nichtig ist. Darüber hinaus steht dieser Auffassung der Wortlaut der zweiten Kundmachung entgegen: Nach der dem Titel beigefügten Fußnote 'ersetzt' diese Kundmachung die Kundmachung BGBl. I Nr. 92/2000. Dies ist schon nach dem Wortlaut der Kundmachung dahingehend zu verstehen, daß damit angeordnet wird, daß ab dem Zeitpunkt der neuerlichen Kundmachung diese Kundmachung an die Stelle der ersten Kundmachung tritt, somit auch die erste Kundmachung Geltung hat. Andernfalls wäre diese Fußnote überflüssig, diente sie bloß der Sichtlichmachung des Umstandes, daß hier das Gesetz - wegen Wirkungslosigkeit der ersten Kundmachung - 'erstmalig' kundgemacht wird, müßte sie anders lauten (etwa: 'Die Kundmachung in BGBl. I Nr. 92/2000 ist wegen Unvollständigkeit absolut nichtig' oder 'Die Kundmachung in BGBl. I Nr. 92/2000 ist mangels vollständiger Kundmachung des Gesetzesbeschlusses nicht gültig' oder ähnliches).

Entscheidend ist aber vor allem, daß die Bundesverfassung selbst für diesen Fall die Wirksamkeit eines gesetzwidrig kundgemachten Gesetzes anordnet:

Gemäß Art140 Abs3 zweiter Satz B-VG hat der Verfassungsgerichtshof, wenn er zu der Auffassung gelangt, 'daß das ganze Gesetz von einem nach der Kompetenzverteilung nicht berufenen Gesetzgebungsorgan erlassen oder in verfassungswidriger Weise kundgemacht wurde', das ganze Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben.

Dies zeigt ganz eindeutig, daß nach dem Willen der Verfassung auch ein fehlerhaft kundgemachtes Gesetz verbindlich ist, sonst müßte es auch der Verfassungsgerichtshof unbeachtet lassen und könnte es nicht als verfassungswidrig aufheben.

Auch Art89 B-VG spricht für diese Deutung, auch wenn zu dieser Bestimmung eine Fülle von Unklarheiten besteht (vgl. Funk, aaO, 77; jüngst Thienel, aaO, Rz 82; Klaushofer, Gehörig kundgemacht? Die Prüfungsbefugnis der Gerichte, der Unabhängigen Verwaltungssenate und des Unabhängigen Bundesasylsenates bei der Kundmachung von Gesetzen, Verordnungen und Staatsverträgen, ÖJZ 2000, 161, jeweils mit Hinweisen auf die bestehende Literatur). In einem Punkt ist sich die Literatur aber einig: Art89 B-VG bewirkt zwar, daß unter bestimmten Voraussetzungen (je nachdem, was man unter 'gehöriger Kundmachung' versteht) Gerichte und unabhängige Behörden, für die Art89 ebenfalls gilt (Unabhängige Verwaltungssenate und Unabhängiger Bundesasylsenat) die fehlerhaft kundgemachte Norm nicht anzuwenden haben, sehr wohl aber der Verfassungsgerichtshof selbst (so auch VfSlg. 7177/1973); umstritten ist allerdings, inwieweit dies auch für Verwaltungsbehörden gilt (vgl. hiezu die Nachweise bei Walter/Mayer, Bundesverfassungsrecht8, Rz 603).

Zusammengefasst folgt daraus, dass bereits die erste Kundmachung Rechtswirkungen entfaltete und daher wirksam war, auch wenn sie von Gerichten und den anderen unabhängigen Behörden, für die Art89 B-VG gilt, nicht anzuwenden gewesen sein mag. Als absolut nichtig bzw. nicht erfolgt kann diese erste Kundmachung daher nicht gelten, sodass eine zweite Kundmachung unzulässig war.

Dieses Ergebnis ist nicht nur vom Wortlaut her zwingend, sondern auch vom System der Bundesverfassung: Jede andere Auslegung hätte zur Folge, dass ein fehlerhaft kundgemachtes Gesetz (aber auch jede fehlerhaft kundgemachte generelle Norm) keinerlei Rechtswirkungen entfaltete, daher für alle Rechtsunterworfenen (nicht nur für Gerichte und diesen gleichgestellte unabhängige Behörden) keinerlei Rechtswirkungen entfaltet. Dies würde dazu führen, dass - ohne dass dies für den Normunterworfenen ersichtlich wäre - jede derartige Kundmachung im Bundesgesetzblatt ohne verbindliche Wirkung sein könnte, etwa deswegen, weil einzelne Zeilen fehlen. In diesem Fall wäre dann das gesamte Gesetz zur Gänze nicht anwendbar, und zwar nicht nur ab Entdeckung des Mangels, sondern ex tunc, sodass auch sämtliche auf das Gesetz aufbauenden Rechtshandlungen ex tunc nichtig sind.

Dies ist mit dem in Österreich verankerten System der verfassungsgerichtlichen Kontrolle unvereinbar, das von dem Grundsatz ausgeht, dass verfassungswidrige Gesetze grundsätzlich verbindlich sind, bis sie der Verfassungsgerichtshof aufhebt. Zwar ist es erforderlich, schon aus logischen Gründen eine Untergrenze anzunehmen, bei deren Unterschreitung überhaupt kein normativer Akt zustande kommt, doch kann im vorliegenden Zusammenhang dahingestellt bleiben, wo diese Untergrenze liegt: Jedenfalls liegt ein zwar fehlerhafter, normativ aber wirksamer Akt dann vor, wenn er von einem an sich zur Normsetzung befugten Organ erlassen und im amtlichen Publikationsorgan, wie hier dem Bundesgesetzblatt kundgemacht wurde. Jede andere Auslegung würde dazu führen, dass der Rechtsunterworfene jeden im Bundesgesetzblatt kundgemachten Gesetzestext daraufhin hinterfragen müsste, ob ihm eine entsprechend unterfertigte Originalurkunde über den Originalbeschluss zugrundeliegt. Dies wäre mit dem in Österreich herrschenden Rechtsschutzsystem unvereinbar.

e) Da somit der Gesetzesbeschluss zum Zeitpunkt der zweiten Kundmachung bereits einmal kundgemacht war und damit das Gesetzgebungsverfahren seinen Abschluss gefunden hatte, ist die zweite Kundmachung vom 24. August 2000 ebenfalls rechtswidrig. Zu klären ist, welche Rechtsfolgen diese Rechtswidrigkeit nach sich zieht:

aa) Denkbar wäre es, die zweite Kundmachung als absolut nichtig zu qualifizieren. Diese Variante trifft nach Auffassung der Antragsteller nicht zu, sie wird hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Gegen diese Interpretation spricht das vorhin erwähnte Rechtsschutzsystem des Bundes-Verfassungsgesetzes, das davon ausgeht, dass grundsätzlich in amtlichen Publikat

Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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