TE Vwgh Erkenntnis 2005/1/28 2003/01/0547

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Veröffentlicht am 28.01.2005
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
19/05 Menschenrechte;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §10 Abs1;
AsylG 1997 §10;
AsylG 1997 §11;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FlKonv Art1 AbschnC Z5;
MRK Art3;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 2003/01/0548

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Dr. Kleiser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerden 1. des BG, geboren 1972, 2. der LG, geboren 1967, 3. des mj. DG, geboren 1999, und 4. der mj. AG, geboren 1995, beide vertreten durch die Zweitbeschwerdeführerin, alle in Wien und vertreten durch Dr. Hans G. Mondel, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wipplingerstraße 16, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates (ad 1.) vom 8. Juli 2003, Zl. 221.332/0-XII/36/01, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997, sowie (ad 2. bis 4.) vom 16. Juli 2003, Zlen. 221.335/0-XII/36/01, 221.334/0-XII/36/01 und 221.333/0- XII/36/01, betreffend §§ 10 und 11 Asylgesetz 1997 (jeweils weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der zu 1. genannte angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der zu 2. bis 4. genannte angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Erstbeschwerdeführer und den Zweit- bis Viertbeschwerdeführern jeweils Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 (sohin insgesamt EUR 1.982,40) binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Erstbeschwerdeführer ist Ehegatte der Zweitbeschwerdeführerin und der Vater des Dritt- und der Viertbeschwerdeführerin. Er ist Staatsangehöriger von Serbien und Montenegro, gehört der serbischen Volksgruppe an und ist orthodoxen Glaubens. Die Zweitbeschwerdeführerin ist ebenfalls Staatsangehörige von Serbien und Montenegro, gehört der ungarischen Volksgruppe an und ist katholischen Glaubens. Der Drittbeschwerdeführer und die Viertbeschwerdeführerin sind ebenso Staatsangehörige von Serbien und Montenegro. Alle Beschwerdeführer stammen aus der Stadt Ada in der Vojvodina. Die zweit- bis viertbeschwerdeführenden Parteien reisten am 4. August 2000, der Erstbeschwerdeführer am 2. September 2000 in das Bundesgebiet ein, und der Erstbeschwerdeführer stellte am 12. September 2000 einen Antrag auf Gewährung von Asyl. Die Zweitbeschwerdeführerin stellte anlässlich ihrer Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 25. Oktober 2000 für sich und den Dritt- und die Viertbeschwerdeführerin Anträge auf Erstreckung des vom Erstbeschwerdeführer beantragten Asyls.

Als Fluchtgründe machte der Erstbeschwerdeführer im Wesentlichen geltend, er sei als Angehöriger einer Spezialeinheit der serbischen Polizei im Jahre 1998 im Kosovo eingesetzt worden und habe kurz danach den Polizeidienst gekündigt, da er die Einsätze physisch und psychisch nicht mehr ertragen habe können. Kurz nach der Beendigung seines Polizeidienstes sei er im Jahre 1998 von Beamten in Zivil einvernommen und misshandelt worden, wovon auch Narben am linken Unterarm bzw. im Gesicht des Erstbeschwerdeführers zeugten. Dabei sei der Erstbeschwerdeführer befragt worden, ob er "etwas über die Vorgänge im Kosovo erzählt habe". Diese Befragungen hätten sich bis ins Jahr 2000 fortgesetzt. Auch habe der Erstbeschwerdeführer als Reserve-Polizist eine Uniform erhalten und hätte auf Grund der Verpflichtung zur Dienstleistung als Polizist im Falle künftiger Konflikte das Land nicht verlassen dürfen. Aus diesen Gründen befürchte er für den Fall seiner Rückkehr nach Serbien und Montenegro eine Gefängnisstrafe. Angesprochen auf die geänderte politische Situation in Serbien und Montenegro gab der Erstbeschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde am 10. Juni 2003 an, dies möge zwar stimmen, jedoch "sei die Polizeispitze die gleiche geblieben".

Ergänzend gab die Zweitbeschwerdeführerin zu diesem Vorbringen an, nach Mitteilung der Eltern des Erstbeschwerdeführers hätten die Polizeibehörden etwa eineinhalb Monate nach der Einreise des Erstbeschwerdeführers in das Bundesgebiet eine Hausdurchsuchung durchgeführt und nach dem Erst- bzw. der Zweitbeschwerdeführerin gefahndet. Ihr Mann sei öfters durch die Polizei einvernommen worden, kurz nach seinem Austritt aus dem Polizeidienst sei er zweimal verprügelt worden, danach nur befragt worden. Der Erstbeschwerdeführer habe Angst, wieder als Reservist einberufen bzw. im Falle seiner Rückkehr nach Serbien und Montenegro eingesperrt zu werden.

Mit dem erstangefochtenen Bescheid vom 8. Juli 2003 wurde nach Durchführung einer Berufungsverhandlung die Berufung des Erstbeschwerdeführers gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 5. Februar 2001, mit welchem sein Asylantrag abgewiesen wurde, gemäß § 7 AsylG abgewiesen und gemäß § 8 AsylG festgestellt, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Serbien und Montenegro zulässig sei.

Begründend stellte die belangte Behörde fest, der Erstbeschwerdeführer sei im Jahr 1998 mehrere Monate lang im Kosovo als Kraftfahrer einer Polizeieinheit zum Einsatz gekommen und habe dabei Menschenrechtsverletzungen seitens der Polizeibehörden wahrgenommen. Innerhalb eines Monats nach der Auflösung seines Dienstverhältnisses 1998 sei der Erstbeschwerdeführer zur Polizeistation in Ada vorgeladen, misshandelt und befragt worden, ob er irgendwelche Wahrnehmungen aus dem Kosovo weitergegeben habe. Weitere Vorladungen oder Misshandlungen seitens der Polizeibehörden bis in das Jahr 2000 sowie der Umstand, dass dem Erstbeschwerdeführer vor seiner Ausreise eine 'Polizeiuniform als Reserve-Polizist zugeschickt' worden sei, habe jedoch nicht festgestellt werden können. Der vom Erstbeschwerdeführer vorgelegte Reisepass belege nach Ausweis der Grenzkontrollstempel vielmehr, dass der Erstbeschwerdeführer im Jahr 2000 zahlreiche Auslandsreisen absolviert habe, woraus erkennbar sei, dass die jugoslawischen Behörden offensichtlich nicht interessiert seien, des Erstbeschwerdeführers habhaft zu werden. Im Übrigen seien die Angaben des Erstbeschwerdeführers zu diesem Vorbringen widersprüchlich und unpräzise.

Zur Lage in Serbien und Montenegro stellte die belangte Behörde im erstangefochtenen Bescheid fest, seit dem Machtwechsel und der Abwahl des früheren jugoslawischen Präsidenten Milosevic am 5. Oktober 2000 würden die verfassungsmäßigen Rechte der Bürger, insbesondere die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, die Meinungs- und Pressefreiheit respektiert. Es könne nicht festgestellt werden, dass Personen, die im Kosovo-Konflikt den Polizeidienst verlassen hätten, irgendwelchen Verfolgungsmaßnahmen staatlicher Behörden ausgesetzt seien. Auch werde das Amnestiegesetz, Amtsblatt Nr. 9/01 der Bundesrepublik Jugoslawien, vollinhaltlich angewandt und bestünden keine Anhaltspunkte, dass seit Abschluss des Kosovokonfliktes im Juni 1999 eine Einberufung von Reservisten zum Militär oder zur Polizei erfolgt sei.

Rechtlich folgerte die belangte Behörde daraus, dass im Hinblick auf § 7 AsylG die Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung des Erstbeschwerdeführers nicht mehr gegeben sei. Der Erstbeschwerdeführer habe nur Misshandlungen im Jahr 1998 im Zusammenhang mit seinem Einsatz im Kosovo, jedoch keine bis zur Ausreise aus seinem Heimatland im August 2000 andauernde staatliche Verfolgung glaubhaft machen können. Die von ihm vorgebrachten Vorfälle im Jahr 1998 könnten nicht mehr zur Asylgewährung führen. Selbst wenn man "das gesamte Vorbringen des Erstbeschwerdeführers zu Grunde legen würde", sei im Hinblick auf die grundlegenden politischen Veränderungen in Serbien und Montenegro seit Oktober 2000, welche u.a. eine vollständige und tatsächlich durchgeführte Amnestie für Wehrdienstverweigerung im Kosovo-Konflikt beinhalteten, davon auszugehen, dass sich der Erstbeschwerdeführer wieder unter den Schutz des Herkunftsstaates stellen könne. Im Hinblick auf § 8 AsylG bestünde kein Hinweis auf außergewöhnliche Umstände (lebensbedrohende Erkrankung oder dgl.), welche eine Abschiebung unzulässig machen würden.

Mit dem zweitangefochtenen Bescheid wurden die Berufungen der zweit- bis viertbeschwerdeführenden Parteien gegen die Bescheide des Bundesasylamtes jeweils vom 5. Februar 2001, mit welchen ihre Anträge auf Asylerstreckung abgewiesen worden waren, gemäß §§ 10, 11 AsylG abgewiesen. Begründet wurde der zweitangefochtene Bescheid im Wesentlichen damit, dass im Hinblick auf die Abweisung des Asylantrages des Erstbeschwerdeführers mit dem erstangefochtenen Bescheid Asylerstreckung gemäß § 10 Abs. 1 AsylG nicht gewährt werden könne.

Über die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden, die wegen ihres persönlichen, sachlichen und rechtlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden wurden, hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die Beschwerdeführer rügen in ihren Beschwerden übereinstimmend den Umstand, über die behaupteten im September 2000 im Haus der Eltern des Erstbeschwerdeführers vorgenommenen Hausdurchsuchungen seien keine Feststellungen getroffen worden. Daraus lasse sich aber auf "die virulente Verfolgung" des Erstbeschwerdeführers schließen. Darüber hinaus rügen sie die Feststellungen der belangten Behörde zur Lage in Serbien und Montenegro.

Mit diesem Argument zeigen die Beschwerdeführer einen Begründungsmangel des erstangefochtenen Bescheides auf, da im erstangefochtenen Bescheid eine Auseinandersetzung mit der sowohl vom Erstbeschwerdeführer als auch von der Zweitbeschwerdeführerin vorgebrachten Hausdurchsuchung fehlt. Diese konnte im Hinblick auf das Vorbringen der Zweitbeschwerdeführerin auch nicht mit der Unglaubwürdigkeit des Erstbeschwerdeführers abgehandelt werden.

Insoweit die belangte Behörde als Hilfsbegründung eine relevante Lageänderung (im Sinn des Art. 1 Abschnitt C Z. 5 der Genfer Flüchtlingskonvention) ins Treffen führt, hat sie sich nicht mit dem Vorbringen des Erstbeschwerdeführers auseinandergesetzt, trotz des Regierungswechsels hätte sich in der "Polizeispitze" (sohin: der Polizeiorganisation) keine Änderung ergeben (vgl. in diesem Zusammenhang auch den in den vorgelegten Verwaltungsakten enthaltenen Bericht des Auswärtigen Amtes Berlin über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro), Stand: Ende September 2002, in dem es auf Seite 7 u.a. heißt, es sei "angesichts der erst vor kurzem erfolgten Wende nicht ausgeschlossen, dass vereinzelt weiterhin Menschenrechte verletzt werden (v.a. im Polizeigewahrsam und Strafvollzug das Recht auf Unversehrtheit der Person)").

Dass diese behaupteten Umstände (Hausdurchsuchung nach Abreise der Beschwerdeführer, kein Wechsel der in der Polizeiorganisation tätigen Personen) für die Beurteilung des Asylantrags des Erstbeschwerdeführers grundsätzlich von Bedeutung sind, bedarf keiner näheren Erörterung.

Auch die Überlegungen der Behörde zu dem im Amtsblatt Nr. 9/01 der Bundesrepublik Jugoslawien kundgemachten Amnestiegesetz machen eine Beschäftigung mit diesen Verfolgungsbehauptungen nicht entbehrlich. So erlauben die von der belangten Behörde zum besagten Amnestiegesetz getroffenen Feststellungen keine eindeutige Beurteilung dahingehend, ob der Beschwerdeführer (unter Zugrundlegung seiner Behauptungen) der Amnestie unterliege. So werden von der belangten Behörde als vom besagten Amnestiegesetz erfasste Straftaten solche aufgezählt, die mit einer militärischen Dienstleistung (arg.: Wehrdienst) in Zusammenhang stehen, es ist jedoch nicht klargestellt, ob die (vom Erstbeschwerdeführer behauptete) Entziehung vom Reservedienst der Polizei auch unter diese Straftaten fallen würde (vgl. hiezu auch das hg. Erkenntnis vom 21. September 2004, Zl. 2003/01/0225).

Nach dem Gesagten haften dem erstangefochtenen Bescheid Begründungsmängel an. Er war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Mit der Aufhebung des den Erstbeschwerdeführer betreffenden Bescheides ist das Verwaltungsverfahren über dessen Asylantrag mit Wirkung ex tunc wieder offen. Der Bescheid, mit dem die Asylerstreckungsanträge der zweit- bis viertbeschwerdeführenden Parteien abgewiesen wurden, ist insoferne vor rechtskräftiger Entscheidung über den Hauptantrag ergangen und aus diesem Grund inhaltlich rechtswidrig (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 25. Mai 2004, Zl. 2003/01/0186). Der zweitangefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 bzw. 4 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Kostenersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 28. Jänner 2005

Schlagworte

Begründung Begründungsmangel Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2003010547.X00

Im RIS seit

11.03.2005
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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