TE OGH 1946/6/15 1Ob31/46

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Veröffentlicht am 15.06.1946
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Norm

ABGB §580
ABGB §581
Notariatszwangsgesetz §1 lite
Testamentsgesetz §6
Testamentsgesetz §50
ZPO §503 Z2
ZPO §503 Z4

Kopf

SZ 21/3

Spruch

Wer die Dinge der Außenwelt nicht mehr wahrnimmt, ist blind im Sinne des Notariatszwangsgesetzes.

Entscheidung vom 15. Juni 1946, 1 Ob 31/46.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:

Oberlandesgericht Graz.

Text

Die Kläger haben als Eigentümer je zur Hälfte des Erbhofes gegen den Beklagten, ihren Sohn, das Klagebegehren auf Nichtigerklärung des Übergabsvertrages vom 11. Juli 1943, betreffend die Übergabe ihres Erbhofes an den Beklagten, sowie das weitere Klagebegehren gestellt, ihn zur Einwilligung in die grundbücherliche Rückübertragung dieser Liegenschaften an sie je zur Hälfte zu verurteilen, indem sie unter anderem vorbrachten, der Vertrag sei trotz der Blindheit des Erstklägers, statt nach § 1, lit. e des Notariatszwangsgesetzes vom 25. Juli 1871, RGBl. Nr. 76, in der Form eines Notariatsaktes, bloß schriftlich abgeschlossen und es seien die Unterschriften nur durch ein Beurkundungsorgan des Bezirksgerichtes L. legalisiert worden. Der Vertrag sei aber auch hinsichtlich der Zweitklägerin nichtig, da er ein unteilbares Ganzes bilde. Der Beklagte bestritt die Blindheit des Erstklägers im Zeitpunkte der Vertragserrichtung und beantragte die Abweisung des Klagebegehrens.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es stellte den Inhalt des ihm vorgelegten Übergabsvertrages vom 11. Juli 1943 fest, ferner daß der Erstkläger im Zeitpunkt der Unterfertigung des Vertrages, also am 11. Juli 1943, in seinem Sehvermögen derart eingeschränkt war, wie er es jetzt ist, daß er nämlich den Unterschied zwischen Licht und Dunkel nur schwer erkenne, Handbewegungen vor seinen Augen nur undeutlich wahrnehme, Schriftzeichen nicht unterscheide, menschliche Züge nicht erkennen könne und daß er seinen Namen nur, wenn man ihm Papier und Bleistift in die Hand drückt, wie ein Blinder hinschreibe, ohne Einzelheiten zu erkennen. Diese Feststellungen würdigte der Erstrichter dahin, daß der Erstkläger, wenn er auch nicht im medizinischen Sinne blind sei, und zog aus dieser tatsächlichen Feststellung den rechtlichen Schluß, daß der Übergabsvertrag bei sonstiger Ungültigkeit im Sinne des § 1, lit. e des Notariatszwangsgesetzes eines Notariatsaktes bedurft hätte. Der Mangel eines solchen mache wegen der Einheitlichkeit des Vertrages diesen auch hinsichtlich der Zweitklägerin ungültig.

Dagegen erhob der Beklagte die Berufung.

Das Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge, indem es die tatsächlichen Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich und daher als nicht weiter beweisbedürftig übernahm, diese Feststellungen so wie dieses würdigte und der gleichen rechtlichen Beurteilung unterzog, also annahm, daß der Übergabsvertrag zu seiner Gültigkeit eines Notariatsaktes bedurft hätte.

Die Revision des Beklagten hatte keinen Erfolg.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen des Obersten Gerichtshofes:

Aber auch der Revisionsgrund nach § 503, Z. 2 ZPO. ist nicht gegeben.

Der Revisionswerber erblickt diesen darin, daß das Berufungsgericht erst durch Beischaffung der Akten der Kreis- und Landesbauernschaft und durch Einvernehmung der als Zeugen geführten Referenten dieser beiden Körperschaften sich ein klares Bild von den selbstsüchtigen Motiven des Klagebegehrens hätte machen sollen, zumal nur der Beklagte selbst als Hofübernehmer vom Erstkläger bestimmt worden wäre. Aber das ist ebensowenig entscheidend wie die Frage, ob xie Blindheit des Erstklägers als Anfechtungsgrund nur deswegen herangeholt wurde, um Sonderinteressen der Kläger zu verfolgen, ... denn die Grundfrage des Prozesses bleibt doch immer nur die, ob der Übergabsvertrag mangels der Einhaltung der Form des Notariatsaktes gültig ist oder nicht.

Diese Frage haben die Untergerichte verneint.

Mit Unrecht wendet sich dagegen der Revisionswerber unter Heranziehung des Revisionsgrundes nach § 503, Z. 4 ZPO. Er vermeint, daß § 1, lit. e des Notariatszwangsgesetzes die völlige Blindheit erfordere und daß die von den Untergerichten als praktische Blindheit gewürdigte Einschränkung des Sehvermögens des Erstklägers hiezu nicht genüge. Nach der Auffassung des normalen Lebens und des Verkehres muß aber unter einem Blinden nicht nur jemand verstanden werden, der überhaupt nichts sieht, sondern auch ein solcher, der Gegenstände der Außenwelt nicht mehr wahrnehmen kann. Das ist aber nach den Feststellungen der Untergerichte beim Erstkläger im Zeitpunkte der Vertragserrichtung der Fall gewesen. Die seinerzeitige Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 8. Juli 1932, 4 Ob 289/32, veröffentlicht in der Gerichtshalle 1932, S. 170, steht dieser Erwägung nicht entgegen, denn es handelt sich dort um eine bloße Einschränkung des Sehvermögens. Eine solche geht aber in Blindheit über, wenn jemand Gegenstände der Außenwelt nicht mehr unterscheiden kann. Die in dieser Entscheidung erfolgte Verweisung auf die seither durch § 50 des Testamentsgesetzes vom 31. Juli 1938, DRGBl. I S. 973, aufgehobenen §§ 580 und 581 ABGB. kann an dieser Rechtsansicht nichts ändern, denn das Notariatszwangsgesetz ist viel später als diese beiden Gesetzesstellen in Kraft getreten und diese können daher nicht zu dessen Auslegung herangezogen werden. Es sind ja auch durch § 6 des jetzt in Geltung stehenden Testamentsgesetzes ganz besondere Sicherheiten für die Errichtung letztwilliger Verfügungen durch Blinde getroffen worden, die der durch einen Notariatsakt gewährten Sicherheit gleichkommen ...

Der Hinweis des Revisionswerbers auf das Sehvermögen der Zweiklägerin und seine Behauptung, daß durch diese der Erstkläger in voller Kenntnis der Vertragsbestimmungen war, ist unbeachtlich, denn es handelt sich beim Notariatszwangsgesetz um Formvorschriften, deren Nichtbeachtung die Ungültigkeit des Rechtsgeschäftes nach sich zieht und denen gegenüber solche Erwägungen praktischer Natur nicht von Bedeutung sind.

Die rechtliche Beurteilung der Untergerichte aber, daß der Vertrag durch Hintansetzung der Vorschrift des § 1, lit. e des Notariatszwangsgesetzes beim Erstkläger auch hinsichtlich der Zweitklägerin ungültig ist, ist es im Revisionsverfahren vom Beklagten nicht mehr angefochten worden.

Anmerkung

Z21003

Schlagworte

Blindheit im Sinne des § 1, lit. e NotzwG., Formvorschrift, Notariatsakt bei Blindheit, Notariatsakt Blindheit im Sinne des § 1, lit. e NotzwG., Übergabsvertrag, Formvorschrift

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1946:0010OB00031.46.0615.000

Dokumentnummer

JJT_19460615_OGH0002_0010OB00031_4600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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