TE OGH 1946/11/23 1Ob309/46

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Veröffentlicht am 23.11.1946
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Norm

Verschollenheitsgesetz §4

Kopf

SZ 21/12

Spruch

§ 4 VerschollenheitsG. vom 4. Juli 1939, DRGBl. I S. 1186. Der Zweite Weltkrieg ist im Jahre 1945 beendet worden. Kriegsteilnehmer können daher gemäß § 4, Abs. 1 Verschollenheitsgesetz ab 1. Jänner 1947 für tot erklärt werden.

Entscheidung vom 23. November 1946, 1 Ob 309/46.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Die Antragstellerin hat um Todeserklärung ihres Gatten mit der Begründung angesucht, daß ihr zu Weihnachten 1945 ein Heimkehrer unbekannten Namens und Aufenthaltes erzählt habe, daß ihr Mann in der Kriegsgefangenschaft gestorben sei.

Das Erstgericht hat die Einleitung des Verfahrens zur Beweisführung des Todes sowohl als jenes zur Todeserklärung abgelehnt und dies damit begrundet, daß der vorliegende Sachverhalt als unbedenklicher Beweis für den erfolgten Tod des Gatten der Antragstellerin nicht angesehen werden könne, daß auch für das Verfahren zur Todeserklärung die Voraussetzungen nicht gegeben seien, weil weder der Sachverhalt des § 4, Abs. 1 noch jener des § 4, Abs. 2 des Verschollenheitsgesetzes vorliege.

Das Rekursgericht gab dem Rekurse der Antragstellerin nicht Folge. Es begrundet seine Entscheidung damit, daß es an seiner schon einmal ausgesprochenen Ansicht festhalte, nach welcher die Bestimmung des § 4, Abs. 1 über die tatsächliche Beendigung des Kriegszustandes erst dann herangezogen werden könne, wenn feststehe, daß ein formeller Friedensschluß nicht in Frage komme. Eine andere Auslegung des Gesetzes würde zu dem unhaltbaren Ergebnis führen, daß der Beginn der Frist ohne Friedensvereinbarung auf einen früheren Zeitpunkt fiele als bei ordnungsgemäßer, der historischen Sitte entsprechenden Beendigung des Krieges durch Staatsvertrag. Auch für die Anwendung des § 4, Abs. 2 reiche der vorliegende Sachverhalt nicht aus, weil die Möglichkeit nicht bestehe, den Überbringer der Todesnachricht selbst zu hören.

Dem dagegen erhobenen Revisionsrekurs gab der Oberste Gerichtshof nicht Folge

Rechtliche Beurteilung

Begründung:

Der Oberste Gerichtshof folgt den Ausführungen der Untergerichte insoweit, als sie die Beweisführung des Todes ebenso wie die Anwendung des § 4, Abs. 2 des Verschollenheitsgesetzes ablehnen und verweist diesbezüglich auf die zutreffenden Ausführungen der Unterinstanzen.

Dagegen vermag sich der Oberste Gerichtshof der Auslegung, welche § 4, Abs. 1 durch die Untergerichte erfahren hat, nicht anzuschließen. Der Wortlaut der angeführten Gesetzesstelle nötigt zu dieser Auslegung in keiner Weise. Der Oberste Gerichtshof steht grundsätzlich auf dem Standpunkte, daß dort, wo der Wortlaut eines Gesetzes verschiedene Auslegung ermöglicht, jene zu wählen ist, welche den Interessen der beteiligten Personen am besten entspricht, es sei denn, daß zwingende Rücksichten des öffentlichen Interesses oder die klare Absicht des Gesetzes in andere Richtung weisen. Was die Untergerichte dafür vorbringen, daß den Parteien die Wahl zwischen den beiden im § 4, Abs. 1 erwähnten Ereignissen nicht freigestellt sein könne, ist nicht überzeugend. Das Rekursgericht bezieht sich hiebei auf eine eigene Entscheidung vom 23. Mai 1946, in ÖJZ. 1946, EvBl. Nr. 330, mit welcher allerdings eine frühere Entscheidung vom 25. März 1946, JBl. 1946, S. 239 in Widerspruch steht; es verweist auch auf die von Sabaditsch in der Ausgabe des Verschollenheitsgesetzes auf S. 17 vertretene Ansicht, welche mit der des Rekursgerichtes übereinstimmt. Diese Anschauung geht dahin, daß als Ausgangspunkt für die Fristberechnung das tatsächliche Ende der Kriegshandlungen nur dann gewählt werden dürfe, wenn feststehe, daß kein Friedensschluß stattfinden werde. Diese Anschauung kann aus dem Wortlaut des Gesetzes gewiß nicht abgeleitet werden. Sie hat aber auch keinerlei Zweckmäßigkeitserwägung für sich, da gar nicht einzusehen ist, welcher Schaden daraus entstehen könnte, daß die Frist vom Zeitpunkte der Beendigung der Kriegshandlungen an gerechnet wird und nachher dennoch ein Friedens- oder sonstiger Staatsvertrag zustande käme. Die Anschauung, die von den Untergerichten vertreten wird, führt in der augenblicklichen Lage Österreichs dahin, daß noch unabsehbare Zeit vergehen kann, bis die Verschollenheitsfristen zu laufen beginnen, ohne daß dafür ein anderer Grund angeführt werden könnte als die theoretische, aus dem Wortlaut des Gesetzes nicht abzuleitende Anschauung der Untergerichte, welche kein zu schützendes sachliches Interesse anzuführen vermag. Die Meinung des Rekursgerichtes, daß eine andere Auslegung der historischen Sitte widerspräche, kann angesichts der vielen Abweichungen, welche die Jetztzeit von der historischen Sitte gebracht hat, gewiß nicht als ein überzeugendes Argument angesehen werden. Noch weniger als die Anschauung der Untergerichte vermag die von Malaniuk in JBl. 1946, Heft 11, vertretene Anschauung zu überzeugen, daß die Verschollenheitsfrist erst nach Abschluß eines Friedensvertrages zwischen den Alliierten Mächten und dem Deutschen Reiche zu laufen beginne. Gerade wenn man auf dem Standpunkt steht, daß Österreich als Staat an dem Kriege nicht teilgenommen habe, kann die formelle Beendigung des Krieges durch Friedensschluß oder Staatsvertrag für den Beginn der Verschollenheitsfrist nicht in Betracht kommen, weil die Ordnung der Rechtsverhältnisse der eigenen Staatsbürger nicht von dem Abschlusse eines völkerrechtlichen Vertrages zwischen Dritten abhängig gemacht werden kann. Hat Österreich als Staat an dem Kriege nicht teilgenommen - und diese Meinung entspricht der allgemeinen Auffassung und der rechtlichen Konstruktion des Verhältnisses Österreichs zum Deutschen Reiche dann ist es ganz gleichgültig, ob für die Klärung der völkerrechtlichen Stellung unseres Staates ein Vertrag zwischen ihm und den Alliierten Mächten erforderlich ist oder nicht. Es kann vielmehr für den Beginn des Laufes der Verschollenheitsfrist unter diesem Gesichtspunkte nur die tatsächliche Beendigung der Kriegshandlungen in Betracht kommen. Diese Auffassung entspricht auch der Absicht des Gesetzgebers, welche aus der amtlichen Begründung (Sabaditsch, S. 13) hervorgeht. Dort wird hervorgehoben, daß für die Art der Berechnung der Verschollenheitsfrist nicht sossehr die besondere Lebensgefahr maßgebend ist, in der sich die Angehörigen der Wehrmacht während des Krieges befinden, als die Erschwerungen, welche sich für ein zuverlässiges Kontroll- und Nachrichtenwesen während des Krieges ergeben. Für das Aufhören dieser Erschwerungen ist aber das tatsächliche Ende der Kriegshandlungen von weitaus größerer Bedeutung als der formelle Friedensschluß. Das gilt im besonderen von der augenblicklich gegebenen Sachlage, in welcher das Bestreben, die Zustände in Österreich und die Verbindungen mit dem Auslande wiederherzustellen, deutlich zutage treten. Wenn das Nachrichtenwesen infolge verschiedener Hemmungen des Verkehres auch noch nicht so funktioniert wie in normalen Zeiten, so ist doch Post, Telegraphen- und Telefonverbindung mit dem Auslande wiederhergestellt und damit die Möglichkeit für jene Nachforschungen gegeben, welche die Sicherheit des Todeserklärungsverfahrens voraussetzt. Auch die Prüfung der Absicht des Gesetzgebers führt daher zu dem Ergebnis, daß für die Berechnung der Verschollenheitsfrist unter den gegebenen Umständen die tatsächliche Beendigung der Kriegshandlungen maßgebend sein muß. Dieses Ergebnis entspricht auch dem Interesse der Parteien und der Allgemeinheit an einer möglichst baldigen Klarstellung der Familien und vermögensrechtlichen Verhältnisse, die durch rein begreiflichkonstruktive Erwägungen, wie sie von den Untergerichten angestellt werden, nicht hinausgeschoben werden soll. Der Oberste Gerichtshof gelangt daher zu dem Ergebnis, daß für den Beginn der Verschollenheitsfrist das tatsächliche Ende der Kriegshandlungen maßgebend ist. Dieses Ende ist im Mai 1945 eingetreten. Nach § 4, Abs. 1 Verschollenheitsgesetz beginnt daher die einjährige Verschollenheitsfrist mit dem Ende des Jahres 1945, das heißt, sie endet am 31. Dezember 1946. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, daß der Antrag auf Einleitung des Verfahrens zur Todeserklärung des K. V. erst nach diesem Zeitpunkte gestellt werden kann. Im Ergebnis kommt daher auch der Oberste Gerichtshof für den vorliegenden Fall zur Abweisung des Antrages auf Einleitung des Todeserklärungsverfahrens, welcher aber aus den dagelegten Gründen nach dem 1. Jänner 1947 erfolgreich wird wiederholt werden können.

Anmerkung

Z21012

Schlagworte

Beweisführung des Todes eines Kriegsteilnehmers, Kriegsende, Kriegsverschollenheit Frist, Todeserklärung eines Kriegsteilnehmers, Verschollenheitsfrist für Kriegsteilnehmer

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1946:0010OB00309.46.1123.000

Dokumentnummer

JJT_19461123_OGH0002_0010OB00309_4600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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