TE OGH 1947/3/15 1Ob147/47

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Veröffentlicht am 15.03.1947
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Norm

ABGB §3
Außerstreitgesetz §16
Bundesverfassungsgesetz 1920 Art. 89
Bundesverfassungsgesetz 1920 Art140
Ehegesetz §15
Personenstandsgesetz §50

Kopf

SZ 21/26

Spruch

Der auf dem Bundesgesetzblatt angegebene Tag der Herausgabe gilt als Versendungstag und Tag der Verlautbarung des Gesetzes. Gegen die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes vom 26. Juni 1945, StGBl. Nr. 31, bestehen keine Bedenken.

Entscheidung vom 15. März 1947, 1 Ob 147/47.

I. Instanz: Bezirksgericht Korneuburg; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Das Standesamt O. hat den Antrag der W. B., geb. S., ihre am 10. Juli 1945 vor dem röm.-kath. Pfarramte O. mit O. B. geschlossene Ehe in das standesamtliche Familienbuch einzutragen, unter Berufung auf § 3 des Gesetzes vom 26. Juni 1945, StGBl. Nr. 31, abgelehnt, weil dieser Ehe, die außerhalb des Zeitraumes vom 1. April 1945 bis 29. Juni 1945 geschlossen wurde, die Wirkung einer vor dem Standesamte geschlossenen Ehe nicht zukomme.

Im Sinne des § 50, Abs. 1 des Personenstandesgesetzes hat W. B. daraufhin beim Bezirksgerichte Korneuburg den Antrag gestellt, dem Standesamte O. den Auftrag zur Eintragung der Ehe zu erteilen. Dieser Antrag wurde vom Bezirksgerichte abgewiesen; das Landesgericht Wien als Rekursgericht hat die Entscheidung des Bezirksgerichtes bestätigt.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung des Rekursgerichtes:

Gemäß § 3, Abs. 1 des Gesetzes vom 26. Juni 1945 über Maßnahmen auf dem Gebiete des Eherechtes, des Personenstandsrechtes und des Erbgesundheitsrechtes, StGBl. Nr. 31, kommen den in der Zeit vom 1. April 1945 bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes vor nicht zuständigen weltlichen Behörden oder vor Funktionären der gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften geschlossenen Ehen vom Zeitpunkte der Eheschließung an die Wirkungen einer vor dem Standesamte gemäß den §§ 15 ff. des Ehegesetzes geschlossenen Ehe zu, sobald sie in das standesamtliche Familienbuch eingetragen worden sind (§§ 1, 3 der Verordnung des Staatsamtes für Inneres vom 6. Juli 1945 über die Ordnung von Personenstandsfällen, StGBl. Nr. 55). Dieses Gesetz wurde am 28. Juni 1945 kundgemacht und ist am 29. Juni 1945 in Kraft getreten, so daß es nur für Ehen wirksam ist, die innerhalb des Zeitraumes vom 1. April bis 29. Juni 1945 geschlossen wurden.

Die Rechtsansicht der Rekurswerberin, daß es für die Feststellung des Zeitpunktes des Inkrafttretens eines Gesetzes nötig sei, neben dem Zeitpunkte der Herausgabe auch den Tag der Versendung festzustellen und daß mit Rücksicht darauf, daß das Versanddatum des Gesetzblattes nach Auskunft der Versandstelle der Staatsdruckerei nicht mehr genau festgestellt werden könne, das zitierte Gesetz am 10. Juli 1945, dem Tage der kirchlichen Eheschließung der Rekurswerberin noch nicht in Kraft getreten sei, vermag sich das Rekursgericht nicht anzuschließen, verweist auf die zutreffende erstrichterliche Begründung und fügt noch folgendes bei:

Gemäß § 3 ABGB. nehmen die Wirksamkeit eines Gesetzes und die daraus entspringenden rechtlichen Folgen gleich nach der Kundmachung ihren Anfang, es wäre denn, daß in dem kundgemachten Gesetz selbst der Zeitpunkt seiner Wirksamkeit weiter hinaus bestimmt wurde. Im § 4 des Gesetzes vom 1. Mai 1945 über das Staatsgesetzblatt, StGBl. Nr. 8, ist festgesetzt, daß die rechtsverbindliche Kraft der Verlautbarungen, wenn darin nichts andere bestimmt ist, nach Ablauf des Tages beginnt, an dem das Stück des Staatsgesetzblattes, das die Kundmachung enthält, herausgegeben und versendet wird. Der Tag der Herausgabe ist auf jedem Stück des Staatsgesetzblattes anzugeben. Im Gesetzes vom 26. Juni 1945, StGBl. Nr. 31, ist ein besonderer Tag des Beginnes seiner Wirksamkeit nicht angegeben. Daher beginnt die rechtverbindliche Kraft dieses Gesetzes nach Ablauf des Tages, an dem das Stück herausgegeben und versendet worden ist.

Durch Heranziehung dieser Vorschriften ist für die Ermittlung des Zeitpunktes des Inkrafttretens des letztgenannten Gesetzes im Hinblick darauf wohl nichts gewonnen, weil wohl der Herausgabetag des Gesetzes am 28. Juni 1945 feststeht, aber das Versendedatum nicht feststellbar ist. Angesichts dieser Gesetzeslücke hat das Rekursgericht die von den österreichischen Gesetzgebern seit 1849 über den Beginn der rechtverbindlichen Kraft der Gesetze ergangenen Bestimmungen zur Herstellung eines Ähnlichkeitsschlusses der Betrachtung unterzogen. Hiebei ergibt sich folgendes:

Sämtliche in Betracht kommenden Gesetze, nämlich das Kaiserlichen Patent vom 4. März 1849, RGBl. Nr. 153, wodurch die Einführung eines allgemeinen Reichsgesetz- und Regierungsblattes angeordnet wurde; das Gesetz vom 10. Juni 1869 über die Kundmachung der Gesetze und Verordnungen durch das Reichsgesetzblatt, RGBl. Nr. 113; das Gesetz vom 12. November 1918, StGBl. Nr. 7, mit dem an Stelle des Reichsgesetzblattes das Staatsgesetzblatt getreten ist; das Verfassungsgesetz vom 1. Oktober 1920, BGBl. Nr. 2, das besagt, daß die Bestimmungen des Gesetzes vom 12. November 1918, StGBl. Nr. 7, über die Kundmachung von Gesetzen und Verordnungen im Staatsgesetzblatt sinngemäß für das Bundesgesetzblatt anzuwenden sind; das Bundesgesetz vom 7. Dezember 1920 über das Bundesgesetzblatt, BGBl. Nr. 33; die Verordnung der Bundesregierung vom 24. April 1934 über die Verfassung des Bundesstaates Österreich, BGBl. I Nr. 239; sowie das bereits zitierte Gesetz vom 1. Mai 1945 über das Staatsgesetzblatt, StGBl. Nr. 8, bestimmen, daß die rechtsverbindende Kraft der kundgemachten Gesetze sofort oder eine bestimmte Zeit nach Ablauf des Tages eintritt, an welchem das Stück des betreffenden Gesetzblattes herausgegeben und versendet wird. Nach den Gesetzes RGBl. Nr. 153/1849 (§ 3), RGBl. Nr. 113 ex 1869 (§ 6) und StGBl. Nr. 7/1918 (§ 6) ist der Tag der Herausgabe, welcher mit dem Versendungstage zusammentreffen muß, nach dem Gesetze, BGBl. Nr. 33 ex 1920 (§ 4) der Tag der Herausgabe, an dem zugleich die Versendung zu erfolgen hat, auf jedem Stück des Gesetzblattes (ausdrücklich) anzugeben. Bei Heranziehung dieser Bestimmungen ist der Ähnlichkeitsschluß gerechtfertigt, daß auch bei dem Gesetze StGBl. Nr. 31/1945 wie bei jedem anderen Gesetze der Tag der Herausgabe und der der Versendung zusammenfallen, daß also dieses Gesetz an dem der Herausgabe folgenden Tag, das ist am 29. Juni 1945, wirksam geworden ist. Der gleichen Auffassung ist ohne nähere Begründung Köstler (Österreichisches Eherecht, 2. Auflage, S. 6).

Da die kirchliche Eheschließung der Rekurswerberin am 10. Juli 1945, somit nach dem Inkrafttreten des zuletzt zitierten Gesetzes erfolgt ist, hat das Standesamt die Eintragung in das Familienbuch mit Recht abgelehnt, so daß der erstgerichtliche Beschluß begrundet und dem Rekurs der Erfolg zu versagen war.

Der Oberste Gerichtshof gab der Beschwerde gegen diesen Beschluß keine Folge.

Aus der Begründung des Obersten Gerichtshofes:

Gegen die rekursgerichtliche Entscheidung richtet sich nun der Rekurs der Antragstellerin, der richtig als Beschwerde oder als außerordentlicher Revisionsrekurs im Sinne des § 16 AußstrG. zu bezeichnen ist und gegen dessen Zulässigkeit keine Bedenken bestehen, da er lediglich die rechtliche Beurteilung der Sache durch das Rekursgericht bekämpft. Inhaltlich decken sich seine Ausführungen im wesentlichen mit dem, was im Rekurs gegen den Beschluß des Bezirksgerichtes vorgebracht worden ist. Hiezu hat bereits das Landesgericht Wien in seiner Entscheidung Stellung genommen und der Oberste Gerichtshof schließt sich der dort ausgesprochenen Rechtsansicht, die durch die Ausführungen des Rekurses nicht widerlegt wird und die maßgebende Rechtsfrage erschöpfend behandelt, an. Zur Vermeidung überflüssiger Wiederholungen wird daher auf die Begründung der rekursgerichtlichen Entscheidung verwiesen. Beigefügt könnte lediglich werden, daß es einfach unmöglich ist, den Geltungsbeginn eines Gesetzes davon abhängig zu machen, wann der einzelne Staatsbürger Kenntnis von dem Gesetze erhalten hat. Wenn also § 4, Abs. 2 des Gesetzes vom 1. Mai 1945, StGBl. Nr. 8, von der in den analogen Gesetzen früherer Zeiten eingehaltenen Gepflogenheit, die Versendung des Gesetzblattes zwingend für den Tag der Ausgabe vorzuschreiben, aus rein technischen Gründen, nämlich wegen der durch den Krieg hervorgerufenen Schäden und insbesondere wegen der damals eingetretenen völligen Lahmlegung des Postverkehr abgeht, so kann das nur bedeuten, daß zwar die Versendung am Tage der Ausgabe erfolgen soll, daß aber wegen der tatsächlichen Unsicherheit ihres Zeitpunktes für den Geltungsbeginn des Gesetzes nur der Tag seiner Herausgabe maßgebend ist. Auch der Tag des Geltungsbeginnes bedarf einer allgemeinen Verlautbarung weil er einen Bestandteil des Gesetzinhaltes bildet. Sofern nicht ein anderer Tag im Gesetz selbst bestimmt wird, kommt eben die Regel des schon erwähnten § 4 zur Anwendung. Der Tag der Versendung ist aber, wenn er nicht mit dem Tage der Ausgabe identisch ist und die Versendung nicht an einem einzigen Tage erfolgen kann, einer allgemeinen Verlautbarung gar nicht fähig. Es kann also nur der Tag der Herausgabe des Gesetzes, der auf dem Gesetzblatte angegeben wird, den Geltungsbeginn bestimmen.

Dem Revisionsrekurse war daher nicht Folge zu geben.

Die Rekurswerberin schließt ihren Rekursausführungen die Anregung an, beim Verfassungsgerichtshofe die Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes vom 26. Juni 1945, StGBl. Nr. 31 zu beantragen. Sie begrundet dies damit, daß erstens die Gerichte zur materiellen Überprüfung des Gesetzes vom 1. Mai 1945, StGBl. Nr. 8 (das dabei unrichtigerweise als Verfassungsgesetz bezeichnet wird) nicht berechtigt seien und daher mit dem Versuch, die vermeintliche Lücke in diesem Gesetze durch Auslegung zu schließen, ihre Befugnis überschritten haben, zweitens das Gesetz vom 26. Juni 1945, StGBl. Nr. 31, dadurch, daß es einen Teil der nach dem 1. April 1945 vor unzuständigen weltlichen Behörden oder kirchlichen Funktionären vorgenommenen Eheschließung für ungültig erklärt, die verfassungsgesetzlich gewährleistete Gleichheit vor dem Gesetz verletze, drittens selbst wenn das Gesetz vom 26. Juni 1945 am 29. Juni 1945 in Kraft getreten sein sollte, die Herausgabe des Gesetzes ohne Versendedatum nicht als gehörige Kundmachung angesehen werden müsse, zumal es im Juli 1945 einen Postverkehr nicht gegeben habe.

Dem gegenüber ist zu sagen, daß den Gerichten nur die Überprüfung der Gültigkeit gehörig kundgemachter Gesetze durch Art. 89, Abs. 1 des Bundesverfassungsgesetzes 1920 verwehrt ist, daß aber ihr Recht, jedes Gesetz, auch Verfassungsgesetze, anzuwenden und auszulegen, dadurch nicht eingeschränkt wird. Die Frage der Zuständigkeit hat damit nichts zu tun, sondern wird durch die Natur des geltend gemachten Anspruches beantwortet. Nur wenn darnach der Verfassungsgerichtshof zuständig ist, hat das ordentliche Gericht eine Entscheidung in der Sache selbst abzulehnen. Es besteht daher für den Obersten Gerichtshof kein Anlaß, beim Verfassungsgerichtshof einen Antrag im Sinne des Artikels 140 des Bundesverfassungsgesetzes zu stellen.

Auch aus dem Gründe, weil durch das Gesetz vom 26. Juni 1945, StGBl. Nr. 31, die vor unzuständigen Behörden geschlossenen Ehen verschieden behandelt werden, je nachdem, ob sie vor oder nach dem 29. Juni 1945 geschlossen wurden, können Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des erwähnten Gesetzes nicht entstehen. Die Regelung, die das Gesetz trifft, geht nicht von der Person des einzelnen Betroffenen aus, sondern von einem zeitlichen Moment. Wenn die Auffassung der Rekurswerberin über den Begriff der Gleichheit vor dem Gesetze richtig wäre, dann dürfte das Gesetz auch nicht Verträge unter gewissen objektiven Voraussetzungen für ungültig erklären, Personen von einem gewissen Alter von Rechten ausschließen oder von Pflichten befreien usw. So weit kann also der Begriff der Gleichheit vor dem Gesetze nicht gefaßt werden, ohne daß die Rechtsordnung empfindlich gestört würde. Vor allem aber kann dann, wenn eine Rechtsnorm an ein objektives Merkmal anknüpft und aus ihm ohne Rücksicht auf die Person des von ihr Betroffenen rechtliche Folgerungen zieht, von einer Verletzung der Gleichheit vor dem Gesetze nicht die Rede sein. Der Oberste Gerichtshof findet daher keinen Anlaß, der Anregung der Rekurswerberin zu folgen.

Was aber schließlich die Meinung der Rekurswerberin anlangt, daß durch die Herausgabe des Gesetzes ohne Angabe des Versendetages die Verfassung verletzt worden sei, so genügt es, auf das zu verweisen, was in der Sache selbst oben ausgeführt worden ist. Denn wenn die Angabe des Tages der Herausgabe auf dem Gesetzblatte genügt, um den Zeitpunkt des Inkrafttretens zu bestimmen, der Tag der Versendung also dabei nicht von Bedeutung ist, so kann in seiner Nichtanführung eine Verfassungswidrigkeit nicht gesehen werden.

Aus all diesen Gründen kann der Oberste Gerichtshof die von der Rekurswerberin geltend gemachten Bedenken nicht teilen.

Anmerkung

Z21026

Schlagworte

Eheschließung, kirchliche, Familienbuch, Gesetze, Inkrafttreten, außerordentlicher, im außerstreitigen Verfahren, Staatsgesetzblatt, Herausgabe und Versendung, Verlautbarung von Gesetzen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1947:0010OB00147.47.0315.000

Dokumentnummer

JJT_19470315_OGH0002_0010OB00147_4700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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