TE OGH 1947/4/19 1Ob218/47

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Veröffentlicht am 19.04.1947
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Norm

ABGB §362
ABGB §1093
Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz §11
ZPO §503 Z4

Kopf

SZ 21/29

Spruch

Unwirksamkeit der von einem Bürgermeisteramt vorgenommenen Verpachtung brachliegender Grundstücke, die nicht im Gemeindeigentum stehen.

Entscheidung vom 19. April 1947, 1 Ob 218/47.

I. Instanz: Bezirksgericht Eisenstadt; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtsachen Wien.

Text

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision gegen die gleichlautenden Entscheidungen der Untergerichte keine Folge.

Rechtliche Beurteilung

Entscheidungsgründe des Obersten Gerichtshofes:

Das Erstgericht hatte den Beklagten schuldig erkannt, der Klägerin einen Acker, auf den er Rechte in Anspruch nahm, da ihm dieser Acker während der Abwesenheit der Klägerin vom Bürgermeister der Gemeinde verpachtet worden war, zu übergeben, mit der Begründung, daß die Verpachtung durch den Bürgermeister, eine ungesetzliche Handlung, nicht geeignet gewesen sei, dem Beklagten einen Rechtanspruch auf den Acker zu verschaffen.

Das Berufungsgericht, das dieses Urteil bestätigte, nahm insbesondere zu den Ausführungen der Berufung Stellung, daß ein Verwaltungsakt vorliege, den das Gericht zu beachten habe, so daß ihm nicht die Möglichkeit gegeben sei, sich darüber hinwegzusetzen. Das Berufungsgericht führt aus, die Bindung der Gerichte an einen Verwaltungsakt sei an die Voraussetzung geknüpft, daß der Verwaltungsakt zulässig war. Ein zulässiger Verwaltungsakt, der von einer Behörde nicht in Ausübung ihrer Funktion gesetzt worden sei, sei ebenso wie ein Verwaltungsakt, der offenbar unzulässig sei, nicht zu beachten, vielmehr könne sich das Gericht über einen solchen Verwaltungsbescheid hinwegsetzen, denn solche Verfügungen seien absolut nichtig und daher ohne rechtliche Wirkung.

Das Berufungsgericht sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 5000 S übersteigt.

Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision des Beklagten, die als Revisionsgrund unrichtige rechtliche Beurteilung nach § 503, Z. 4 ZPO. geltend macht. In der Revision wird vor allem die Rechtsansicht des Berufungsgericht gekämpft und ausgeführt, daß durch die Verfügung des Bürgermeisters ein Verwaltungsakt gesetzt worden sei, zu dem er auf Grund eines Erlasses des Staatsamtes für Inneres vom 9. Juni 1945, Z. 14.267- 2/45, befugt gewesen sei, da diesem Erlaß zufolge der Bürgermeister als Organ der untersten Verwaltung ermächtigt wurde, im Interesse der Volksernährung eine vorläufige Benützungsbewilligung hinsichtlich brachliegender Grundstücke zu erteilen. Auf Grund der Verfügung des Bürgermeisters habe der Beklagte einen Titel des öffentlichen Rechtes zur Benützung des der Klägerin gehörenden Ackers erworben, der mit dem privatrechtlichen Eigentumstitel der Klägerin in einem unlösbaren Widerspruch stehe und so lange die Rechte der Klägerin hemme, als der Verwaltungsakt aufrecht sei. Sache der klagenden Partei wäre es gewesen, den Verwaltungsakt des Bürgermeisters im Verwaltungswege anzufechten und dessen Außerkraftsetzung zu erwirken.

Auf Grund dieser Ausführungen beantragt der Beklagte, das Urteil des Berufungsgerichtes aufzuheben und im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern.

Die Revision ist nicht begrundet.

Nicht alle von einem Verwaltungsorgan gesetzten Handlungen sind Verwaltungsakte, sondern nur solche, die die Besorgung behördlicher Aufgaben betreffen. Auch wenn davon ausgegangen wird, was die Revisionsschrift hinsichtlich eines vom Staatsamt für Inneres erfolgten Erlasses über die Benützung brachliegender Grundstücke ausführt, kommt man nicht zu dem vom Revisionswerber gewünschten Ergebnis. Nach diesem Erlaß war wohl den Bürgermeistern zur Aufgabe gemacht, im Interesse der Volksernährung dafür zu sorgen, daß Grundstücke nicht brachliegen und demnach an Nichteigentümer vorläufige Benützungsbewilligungen zu erteilen. Wenn der Bürgermeister aber über das der Klägerin gehörige Grundstück in der Weise verfügt, daß er es dem Beklagten verpachtete, dann ging er nicht nur über die ihm erteilten Befugnisse weit hinaus, sondern nahm eine Handlung vor, die niemals Rechtswirkungen erzeugen konnte. Nach § 362 ABGB. steht dem Eigentümer das Recht zu, über seine Sache frei zu verfügen. Der Bürgermeister war nicht befugt, hinsichtlich des Eigentums der Klägerin einen Vertrag abzuschließen, der zu seiner Gültigkeit die Willensübereinstimmung des Übernehmens, wie auch des Eigentümers zur Voraussetzung hat. Tat er es dennoch, ohne von der Klägerin hiezu beauftragt und bevollmächtigt zu sein, so kam ein Vertrag im Sinne des § 1093 ABGB. überhaupt nicht zustande, da die Erklärung des Bürgermeisters die der abwesenden Klägerin nicht rechtsgültig ersetzen konnte. Wäre im öffentlichen Interesse ein solcher Vertrag erforderlich gewesen, dann hätte der Bürgermeister entsprechend den Vorschriften des § 11 AVG. die Bestellung eines Kurators durch das zuständige Bezirksgericht erwirken müssen.

Die beiden Vorinstanzen haben bei dieser Sachlage mit Recht dem Klagebegehren stattgegeben, so daß auch der Revision der beklagten Partei der Erfolg versagt werden mußte.

Anmerkung

Z21029

Schlagworte

Bindung der Gerichte an Verwaltungsakte, Gemeinde verpachtet nicht in ihrem Eigentum stehende Grundstücke, Kurator nach § 11 AVG., Pachtvertrag über nicht im Gemeindeeigentum stehende Grundstücke kann, vom Bürgermeister nicht wirksam vorgenommen werden, Verwaltungsakte Bindung der Gerichte an V.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1947:0010OB00218.47.0419.000

Dokumentnummer

JJT_19470419_OGH0002_0010OB00218_4700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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