TE OGH 1949/4/6 2Ob110/49

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Veröffentlicht am 06.04.1949
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Norm

Kündigungsschutz-Ausführungsverordnung vom 5. September 1939. DRGBl. I S. 1671 §1
Mietengesetz §1
Mietengesetz §19 Abs1
Mietengesetz §19 Abs2 Z5
Mietengesetz §19 Abs3
Mietengesetz §19 Abs6

Kopf

SZ 22/46

Spruch

Der Kündigungsgrund des § 19 Abs. 1 MietG. kann niemals wahlweise neben den im Abs. 2 angeführten Kündigungsgrunden geltend gemacht werden, auch nicht bei Mietobjekten, die nach § 1 der Verordnung vom 5. September 1939, DRGBl. I S. 1671, den Kündigungsbeschränkungen des Mietengesetzes unterstellt worden sind.

Die im § 19 Abs. 3 MietG. verfügte Einschränkung des Kündigungsrechtes nach § 19 Abs. 2. Z. 5 ist auf die nach der Verordnung vom 5. September 1939 neu geschützten Mietobjekte nicht anwendbar (Nr. 85).

Eine zugunsten des Erben nach § 19 Abs. 6 MietG. getroffene Vereinbarung muß sich auf einen im vorhinein bereits angegebenen, bestimmten Fall des Eigenbedarfes beziehen.

Entscheidung vom 6. April 1949, 2 Ob 110/49.

I. Instanz: Bezirksgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:

Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz.

Text

Das Erstgericht hat die auf § 19 Abs. 6 MietG. gestützte Aufkündigung zwar nicht aus diesem, sondern aus dem Kündigungsgrund des § 19 Abs. 1 MietG. für wirksam erkannt.

Das Berufungsgericht hat das Urteil aufgehoben und die Sache an die erste Instanz zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Urteilsfällung nach der Rechtskraft seines Beschlusses zurückverwiesen.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Klägerin keine Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Beide Unterinstanzen haben das Vorliegen eines Eigenbedarfes auf Seite der Klägerin und dessen Dringlichkeit als erwiesen angesehen. Ebenso ist unbestritten, daß die Klägerin Alleinerbin des Hauserbauers und früheren Hauseigentümers ist. Den Einwand des Beklagten, daß der Eigenbedarf der Klägerin selbstverschuldet sei, haben beide Unterinstanzen verneint.

Auch darin stimmen beide Unterinstanzen überein, daß der in der Klage angerufene Kündigungsgrund nach § 19 Abs. 6 MietG. nicht gegeben sei. Während aber das Erstgericht wohl das Vorliegen eines wichtigen Kündigungsgrundes nach § 19 Abs. 2 Z. 5 MietG. annimmt, der Klägerin aber das Recht, diesen Kündigungsgrund anzurufen, im Hinblick auf § 19 Abs. 3 MietG., dessen Anwendbarkeit auf diesen Fall es aus der Verordnung vom 5. September 1939, DRGBl. I S. 1671, ableitet, verweigert, hat das Berufungsgericht die Anwendbarkeit dieser Verordnung auf § 19 Abs. 3 MietG. verneint. Das Erstgericht glaubte die von ihm selbst geschaffene Schwierigkeit durch Heranziehung des § 19 Abs. 1

MietG. überwinden zu können, indem es den Sachverhalt der Generalklausel dieser Gesetzesstelle unterstellte und in ihm einen wichtigen Kündigungsgrund erblickte. Das Berufungsgericht, das zutreffend die Bestimmung des § 19 Abs. 3 MietG. als auf den vorliegenden Fall unanwendbar ansieht und darum den Kündigungsgrund des § 19 Abs. 2 Z. 5 MietG. in seinen tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen prüft, brauchte sich mit der Frage der subsidiären Geltung des allgemeinen Kündigungsgrundes nach § 19 Abs. 1 MietG. nicht zu befassen. Es nimmt aber dennoch auch zu dieser Frage Stellung und schließt die Heranziehung der Generalklausel bei Vorliegen eines bestimmten, in Absatz 2 des § 19 MietG. geregelten Kündigungstatbestandes aus.

Der Rekurs pflichtet, da diese Rechtsansicht ja dem Interesse der Rekurswerberin entspricht, auch der Ansicht der II. Instanz, betreffend die Zulässigkeit der Geltendmachung des Kündigungsgrundes des § 19 Abs. 2 Z. 5 MietG. bei Neubauten trotz der Ausführungsverordnung vom 5. September 1939, DRGBl. I S. 1671, zu, bekämpft aber die Rechtsansicht der Unterinstanzen über das Nichtvorliegen des vereinbarten Kündigungsgrundes nach § 19 Abs. 6 MietG. und die des Berufungsgerichtes, betreffend die Unzulässigkeit der Heranziehung der Generalklausel des § 19 Abs. 1 MietG.

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

Die Vereinbarung vom 18. Oktober 1946 zwischen dem Beklagten und dem Nachlaßkurator Dr. T. sagt in Punkt 8, daß es den Erben, denen die Verlassenschaft eingeantwortet werden sollte, freistehe, einen allfälligen Eigenbedarf geltend zu machen. Damit wollte der Kurator nach den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Erstrichters in einem Zeitpunkt, in dem noch nicht bekannt war, ob und welche Erben vorhanden seien, diesen die Möglichkeit einer Eigenbedarfskündigung sichern. Allein diese Vereinbarung entbehrt nach der zutreffenden Rechtsansicht beider Unterinstanzen jeder Wirkung. Sofern sie nur sagen sollte, daß ein eventueller Erbe berechtigt sein solle, wegen eines in seiner Person sich ereignenden dringenden Eigenbedarfes nach Maßgabe der Bestimmungen des § 19 Abs. 2 Z. 5 MietG. zu kundigen, ist sie überflüssig, weil sie nur Selbstverständliches ausspricht. Wenn aber damit gemeint war, daß es dem Erben freistehe, schon auf Grund dieser Klausel allein bei bestehendem Eigenbedarf zu kundigen, auch wenn die sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen mangeln, ist sie unwirksam. Denn § 19 Abs. 6 MietG. soll nur die Vereinbarung eines bestimmten Falles von Eigenbedarf als Kündigungsgrund zulässig machen, er sagt aber nicht, daß der Fall des Eigenbedarfes schlechthin schon einen Kündigungsgrund darstellt. Die Wirkung einer solchen Vereinbarung besteht nun darin, daß bei Nachweis des Vorliegens des vereinbarten Falles Eigenbedarf als erwiesen anzunehmen ist und die Interessenabwägung im Sinne der Z. 5 zu entfallen hat. Dagegen wird auch hier die Dringlichkeit des Eigenbedarfes darzutun sein (Swoboda, S. 269 ff.).

Die gegenständliche Vereinbarung, die nur vom Eigenbedarf des Erben schlechthin spricht, verwirklicht die Voraussetzungen der angerufenen Gesetzesstelle nicht, weil es sich nicht um einen bestimmten, im vorhinein vereinbarten Fall von Eigenbedarf handelt.

§ 19 Abs. 6 MietG. soll wohl die Eigenbedarfskündigung erleichtern, nicht aber neue Kündigungsgrunde in das Gesetz einführen. Die Unterinstanzen haben darum mit Recht abgelehnt, einen Anwendungsfall dieser Gesetzesstelle anzunehmen.

Dem Berufungsgericht ist auch zuzustimmen, wenn es die vom Erstgericht für zulässig erachtete subsidiäre Heranziehung des § 19 Abs. 1 MietG. ablehnt. Der Oberste Gerichtshof hält an der in vielen Entscheidungen ausgesprochenen Ansicht fest, daß dort, wo ein im Absatz 2 exemplifizierter Kündigungsgrund angerufen oder seinem Substrat nach zum Kündigungsgrund gemacht wird, dessen Voraussetzungen erfüllt werden müssen. Es geht nicht an, wenn einzelne dieser besonderen Voraussetzungen fehlen, diese durch Heranziehung des allgemeinen Tatbestandes des Absatzes 1 zu ergänzen (vgl. Swoboda, S. 207, Handl, 738). Damit ist nicht gesagt, daß Tatbestände, die nicht in Absatz 2 geregelt, aber einem der dort demonstrativ angeführten ähnlich sind, wenn sie sich in einem wesentlichen Punkte von ihm unterscheiden, keine Beachtung als Kündigungsgrunde finden können. Es kommt vielmehr darauf an, ob der in der Generalklausel enthaltene Grundgedanke auf den konkreten Tatbestand anwendbar ist, was insbesondere dann zutreffen wird, wenn die Voraussetzungen für die Annahme eines wichtigen Kündigungsgrundes vorliegen, der an Bedeutung hinter den im Gesetz exemplifizierten Sondertatbeständen nicht zurücksteht (Swoboda, S. 208, Sternberg II, Nr. 908). Wenn es sich nicht um einen ähnlichen, sondern um eben den speziell in Absatz 2 geregelten Tatbestand handelt, müssen sämtliche vom Gesetz geforderten Tatbestandsmerkmale gegeben sein. Vorliegendenfalls liegt aber nichts anderes als der Kündigungsgrund des dringenden Eigenbedarfes nach § 19 Abs. 2 Z. 5 MietG. vor, so daß die Ausschaltung einzelner seiner Merkmale durch subsidiäre Heranziehung der Generalklausel einer Umgehung des Gesetzes gleichkommen würde. Die Ansicht des Rekurses, daß bei den durch die Verordnung vom 5. September 1939, DRGBl. I S. 1671, den Kündigungsbeschränkungen des Mietengesetzes unterstellten Mietobjekten der generelle Kündigungstatbestand des § 19 Abs. 1 MietG. ohne weiteres den demonstrativ in Abs. 2 geregelten Spezialfällen gleichgestellt sei und wahlweise neben ihnen angerufen werden könne, findet im Gesetz keine Stütze. Für diese Fälle hat das Gesetz keine Ausnahme geschaffen, sondern es gilt für sie nach der noch immer in Kraft stehenden Ausführungsverordnung lediglich der Kündigungsschutz der §§ 19 bis 23 MietG., der ihnen bis dahin auf Grund der einschränkenden Ausnahmsbestimmungen des § 1 Abs. 2 Z. 1, 2, 7 und Abs. 4 und 5 MietG. versagt gewesen war. Die allzu weite Fassung des § 1 der zitierten Verordnung wollte nicht etwa auch § 19 Abs. 3 MietG. auf diese Fälle angewendet wissen, da sich die Ausschließung des Kündigungsrechtes nach § 19 Abs. 2 Z. 5 MietG. für den sogenannten neuen Eigentümer nur auf Althäuser bezog, die nach dem 31. Juli 1914 (bzw. 31. Dezember 1917) durch Rechtsgeschäft unter Lebenden erworben worden waren. Es steht außer Streit, daß der Rechtsvorgänger der Klägerin das streitgegenständliche Haus erst 1937 erbaut hat. Die Ausführungsverordnung entzog zwar den Eigentümern eines Neubaues im Sinne des § 1 Abs. 2 Z. 2 MietG. das freie Kündigungsrecht und nötigte sie, wichtige Kündigungsgrunde anzurufen, wollte sie aber den Eigentümern der Althäuser nur gleichstellen, nicht aber diesen gegenüber noch weiter benachteiligen.

Anmerkung

Z22046

Schlagworte

Eigenbedarf bei Neubauten, Eigenbedarf nach § 19 Abs. 6 MietG., Eigenbedarf nicht nach § 19 Abs. 1 MietG., Kündigungsgrunde nach § 19 Abs. 2 MietG. im Verhältnis zu Abs. 1, Neubauten, Eigenbedarfskündigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1949:0020OB00110.49.0406.000

Dokumentnummer

JJT_19490406_OGH0002_0020OB00110_4900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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