Kopf
Der Oberste Gerichtshof als Revisionsgericht hat durch den Ersten Päsidenten Dr. Strobele als Vorsitzenden und durch die Senatspräsidenten Dr. Höller, Dr. Wahle, sowie die Räte des Obersten Gerichtshofes Dr. Moyzisch und Dr. Hohenecker als Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) Franz K*****, 2.) Pauline S*****, 3.) Katharina J*****, vertreten durch Dr. Hans Schmid, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1.) Dr. Otto G*****, 2.) Dr. Karl G*****, vertreten durch Dr. Ottokar Soukup, Rechtsanwalt in Wien, wegen Abtransport von Schutt (Streitwert S 1.000,-) infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 17. Juni 1948, GZ 42 R 1183/48-7, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt vom 29. April 1948, GZ 31 C 137/48-3, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil des Berufungsgerichtes dahin abgeändert, daß der Berufung nicht Folge gegeben, das erstinstanzliche Urteil bestätigt und die klagenden Parteien zu ungeteilten Handen schuldig erkannt werden, den Beklagten die mit S 117,88 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu ungeteilten Handen binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die Kläger sind ferner zu ungeteilten Handen schuldig, den Beklagten binnen 14 Tagen die mit S 137,23 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen steht außer Streit, daß ein Teil der die Häuser der beiden Parteien trennenden Feuermauer des Hauses der Beklagten durch einen Bombentreffer beschädigt wurde und daß beim Einstürzen der Feuermauer Schutt und Ziegeltrümmer in den Lichthof des Hauses der Kläger fielen. Die Beklagten haben bloß die noch brauchbaren Ziegel aussuchen und wegtransportieren lassen, weigern sich, aber den restlichen Schutt fortzuschaffen. Das auf Entfernung des Schuttes gerichtete Klagebegehren wurde vom Prozeßgericht abgewiesen. Das Berufungsgericht hat der Berufung der Kläger Folge gegeben und im Sinne des Klagebegehrens erkannt. Den Bedenken der Beklagten hinsichtlich der Zulässigkeit des Rechtsweges, die sich auf die Bestimmungen der Kriegssachschadenverordnung vom 30. 11. 1940 DRGBl.I S 1547, gründen, tritt das Berufungsgericht nicht bei, weil die Kläger weder einen Anspruch geltend machen, auf den im § 1044 ABGB Anwendung finden könnte, noch eine Entschädigung im Sinne der Kriegssachschadenverordnung begehren, sondern ihren Anspruch aus dem Eigentumsrechte ableiten und die Beseitigung einer Beschränkung ihres Eigentums begehren. Darüber zu entscheiden, seien die ordentlichen Gerichte zuständig. In der Sache selbst sei zu unterscheiden zwischen dem Eingriff in das Eigentumsrecht der Kläger, der durch den Bombentreffer unmittelbar herbeigeführt wurde, und der Beschränkung des Eigentums der Kläger, die sich daraus ergibt, daß die Beklagten es bei der durch den Bombenschaden herbeigeführten Lage bewenden lassen. Die Verlagerung des Schuttes und der Ziegeltrümmer auf das Eigentum der Kläger sei durch einen Zufall geschaffen worden, dessen Folgen die Kläger gemäß § 1311 ABGB selbst zu tragen haben, soweit es die reine Tatsache der Verlagerung betrifft. Der Zufall habe sich aber gleichzeitig auch im Vermögen der Beklagten dadurch ausgewirkt, daß ein Teil ihres Eigentums auf fremden Grund verlagert wurde. Da die Beklagten ihr Eigentum an dem verlagerten Baumaterial nicht aufgegeben haben, seien sie gemäß § 364 ABGB verpflichtet, bei Ausübung ihres Eigentumsrechtes an den Schuttmassen einen Zustand herbeizuführen, durch den die Kläger in der Ausübung ihres Eigentums nicht behindert werden, d.h. sie seien verpflichtet, den Schutt wegzuräumen. Eine Dienstbarkeit, die sie dieser Verpflichtung entheben würden, sei von ihnen gar nicht behauptet worden. Das Klagebegehren sei daher begründet.
Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes wendet sich die Revision der Beklagten, die den Revisionsgrund des § 503, Z 4, ZPO geltend macht und den Antrag stellt, das angefochtene Urteil abzuändern und das Klagebegehren abzuweisen. Die Kläger haben in der Revisionsbeantwortung den Antrag gestellt, der Revision nicht Folge zu geben.
II. Ohne die Nichtigkeit des angefochtenen Urteils als Revisionsgrund (§ 503, Z 1, ZPO) ausdrücklich geltend zu machen, greifen die Beklagten die schon in den Vorinstanzen vergeblich vorgebrachten Bedenken gegen die Zulässigkeit des Rechtsweges wieder auf, indem sie den Klageanspruch als einen Anspruch auf Ersatz eines Kriegssachschadens bezeichnen, über den nach § 1 der Verordnung vom 30. 11. 1940, DRGBl I S 1547, ausschließlich die Verwaltungsbehörde zu entscheiden habe. Die Kriegssachschadenverordnung als lex specialis et posterior derogiere den Bestimmungen des ABGB. Auch § 1044 ABGB spreche zugunsten der Beklagten. Die Geltendmachung des Klageanspruches könne daher im ordentlichen Rechtswege nicht erfolgen.
Es ist zwar wie gegenüber der Revisionsbeantwortung bemerkt werden muß, belanglos, daß der Beschluß des Prozeßgerichtes, mit dem die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges zurückgewiesen wurde, nicht angefochten worden ist, da ein Prozeßhindernis dieser Art in jeder Lage des Rechtsstreites von amtswegen wahrzunehmen wäre. Allein die Revision übersieht, daß die Kriegssachschadenverordnung nur die Frage geregelt hat, ob und in welchem Ausmaße einem durch die Kriegshandlungen Geschädigten ein Anspruch auf Ersatz gegenüber dem Deutschen Reiche zusteht, im vorliegenden Falle aber die Frage beantwortet werden soll, wem überhaupt der Schaden erwachsen ist. Die Kläger wollen mit ihrer Klage den Schaden, den sie zunächst durch den teilweisen Einsturz der Feuermauer und die daraus folgende Verlagerung des Schuttes auf ihren Grund erleiden, auf die Beklagten überwälzen, sodaß diese ihn allenfalls nach der Kriegssachschadenverordnung geltend machen könnten. Der Ausgang des Prozesses ist also wohl präjudiziell für das nach der Kriegssachschadenverordnung einzuleitende Verfahren, betrifft aber eben deshalb eine Frage, die nur unter dem Gesichtspunkte der privatrechtlichen Beziehungen zwischen Grundnachbarn gelöst werden kann und über die deshalb das ordentliche Gericht zu entscheiden hat. Die von der Revision vorgebrachten Bedenken gegen die Zulässigkeit des Rechtsweges sind daher nicht begründet.
III. In der Sache selbst wendet sich die Revision dagegen, daß die Beklagten für verpflichtet erklärt wurden, den Schutt wegzuräumen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist begründet.
Nach § 1319 ABGB ist der Besitzer eines Gebäudes für den durch Einsturz verursachten Schaden nur dann ersatzpflichtig, wenn die Ereignung die Folge der mangelhaften Beschaffenheit des Bauwerkes ist oder wenn er nicht alle zur Abwendung der Gefahr erforderliche Sorgfalt angewendet hat. Damit ist zum Ausdruck gebracht, daß der Inhaber eines Bauwerkes über die Verschuldenshaftung hinaus auch für die Betriebsgefahr haftet, die mit dem Besitz eines Hauses notwendig verbunden ist; deshalb haftet er auch für Immissionen im Sinne des § 364 (2) ABGB. Von Betriebsgefahr kann aber nicht mehr gesprochen werden, wenn das Schadensereignis außerhalb des Betriebskreises entsprungen ist. Für Naturkatastrophen und Auswirkungen des Krieges haftet daher der Besitzer eines Bauwerkes ebensowenig, wie sonst der Inhaber eines Betriebes für von außen einwirkende Ereignisse. Es fehlt deshalb jede Rechtsgrundlage, um die Kläger für die Folgen der Zerstörung ihres Hauses durch Bombeneinwirkung haftbar zu machen. Daraus kann auch der Umstand nichts ändern, daß sie die noch brauchbaren Ziegel aus dem Schutt herausgesucht und abgeführt haben. Das war ihr gutes Recht; denn durch die Zerstörung ihres Hauses haben sie das Eigentum an den Bestandteilen nicht verloren, sie konnten daher ihr Eigentum vindizieren, auch mußten die Beklagten nach allgemein anerkannten Rechtsgrundsätzen ihnen gestatten, zu diesem Zwecke ihr Grundstück zu betreten, sie konnten nur den Ersatz des ihnen dadurch (das Betreten und Abführen) zugefügten Schadens verlangen.
Der Umstand, daß sie die noch brauchbaren Teile des eingestürzten Bauwerkes weggeschafft haben, hinderte die Kläger nicht, nachträglich auf das Eigentum des restlichen für sie wertlosen Schuttes zu verzichten, da jedermann berechtigt ist, einen Teil seines Eigentums zu derelinquieren. Das gilt auch dann, wenn alle diese Sachen einmal vor der Bombenkatastrophe eine einheitliche Sache gebildet haben. Ein Rechtssatz, daß in einem solchen Fall die Eigentümer nur dann berechtigt seien, die noch brauchbaren Sachen abzuholen, wenn sie auch die wertlosen abtransportieren lassen, ist dem österreichischen Rechte fremd.
Es mußte daher das erstinstanzliche Urteil wieder hergestellt werden. Der Kostenausspruch stützt sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E73323 1Ob276.48European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1949:0010OB00276.48.0413.000Dokumentnummer
JJT_19490413_OGH0002_0010OB00276_4800000_000