TE OGH 1949/4/20 1Ob316/48

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Veröffentlicht am 20.04.1949
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Norm

ABGB §1313a
Versicherungsvertragsgesetz §6
Versicherungsvertragsgesetz §158c
ZPO §510

Kopf

SZ 22/54

Spruch

§ 6 Abs. 1 und 2 VersVG.: § 2 Abs. 2 der Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrversicherung (AKB.) statuiert Obliegenheiten des Versicherungsnehmers, deren Verletzung nach § 6 Abs. 1 und 2 VersVG. zu beurteilen ist. § 2 Abs. 3 der AKB. enthält eine Risikoausschlußklausel.

Entscheidung vom 20. April 1949, 1 Ob 316/48.

I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.

Text

Der Kläger hat mit der beklagten Partei einen Haftpflichtversicherungsvertrag hinsichtlich des Betriebes seines Lastkraftwagens Büssing Nr. 8145 abgeschlossen, der mit 3. Mai 1946 in Kraft trat. Nach dem Einheitstarif für Kraftfahrversicherungen in der im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses geltenden Fassung (S. 28/29 des K-Tarifes 1941) ist in alle Haftpflichtversicherungen von Güterfahrzeugen die Beförderung von acht Personen stets eingeschlossen. Wünscht der Versicherungsnehmer mehr als acht Personen zu versichern, so ist von der neunten Person an für jede Person ein Zuschlag von jährlich 5 RM zur Versicherungsprämie zu entrichten, wodurch sich auch die Deckungssumme entsprechend erhöht. Am 21. Mai 1946 hat sich mit dem versicherten Lastkraftwagen ein Unfall ereignet, bei welchem mehrere Personen getötet und andere schwer verletzt wurden. Die beklagte Partei hat die Gewährung des Versicherungsschutzes für diesen Unfall abgelehnt, weil auf dem Lastkraftwagen im Augenblick des Unfalles außer einer Holzlast noch etwa 20 Personen - also weit mehr als die versicherte Personenanzahl - befördert wurden. Letztere Behauptung wird vom Kläger nicht bestritten. Er mißt ihr aber keine grundsätzliche rechtliche Bedeutung für die Leistungsverpflichtung der Beklagten bei. Der Kläger begehrt die Feststellung, daß die Beklagte verpflichtet ist, ihm Versicherungsschutz zu gewähren.

Die beiden Untergerichte haben den Standpunkt der beklagten Partei, daß die Beförderung von mehr als acht Personen auf dem versicherten Lastkraftwagen den Risikoausschluß zur Folge habe, abgelehnt und im Sinne des Klagebegehrens erkannt. Es sei nicht richtig, daß das Fahrzeug, auf dem statt der versicherten acht Personen gegen 20 Personen befördert wurden, hiedurch zu einem anderen als dem im Antrag angegebenen Zwecke verwendet wurde (§ 2 Abs. 2 lit. a der Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrversicherung (AKB.)). Das Berufungsgericht betont insbesondere, daß durch die Erhöhung der Anzahl der auf dem Fahrzeug beförderten Personen eine Erhöhung der Gefahr nicht eingetreten sei. Hiedurch könne möglicherweise der Umfang des Schadens vergrößert, nicht aber die Wahrscheinlichkeit des Eintrittes eines Schadensfalles, d. i. das Risiko des Versicherers, erweitert werden. Im gegebenen Falle liege ein der Unterversicherung gleichkommender Tatbestand vor, der auch bei der Haftpflichtversicherung möglich sei.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei Folge, hob die Urteile der beiden Untergerichte auf und wies die Rechtssache zu neuerlicher Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Dem vorliegenden Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrversicherung (AKB.), eingeführt mit der Anordnung des Reichsaufsichtsamtes für Privatversicherung vom 31. Juli 1940, DRAnz. Nr. 187 vom 12. August 1940, und allgemein verbindlich erklärt durch die Anordnung des Reichsaufsichtsamtes für Privatversicherung vom 28. Dezember 1940, DRAnz. Nr. 1 vom 2. Jänner 1941, zugrunde. Die Bestimmungen über die Einschränkung des Versicherungsschutzes sind im § 2 AKB. enthalten. Diese unterscheiden a) die Fälle, in denen der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei ist (enthalten in § 2 Abs. 2 AKB.) und b) die Fälle, in denen ein Versicherungsschutz nicht gewährt wird (enthalten im § 2 Abs. 3 AKB.). Der Ausschluß der Gewährung des Versicherungsschutzes bedeutet, daß in den im § 2 Abs. 3 AKB. angeführten Fällen die Gefahr vom Versicherer überhaupt nicht übernommen worden ist (sogenannte Risikoausschlußklausel; § 158c Abs. 3 VersVG.). Dagegen deutet die verschiedene Diktion im § 2 Abs. 2 AKB. darauf hin, daß in den dort geregelten Fällen nicht die Gefahrübernahme ausgeschlossen werden sollte, sondern daß nur im Falle der Verletzung der dort übernommenen Verpflichtungen der Versicherer von der Leistung im Sinne des § 6 VersVG. frei sein soll, daß also § 2 Abs. 2 AKB. nur eine sogenannte Obliegenheit festsetzt. Es ist in der deutschen Lehre und Rechtsprechung unbestritten, daß § 2 Abs. 2 AKB. in diesem Sinne auszulegen ist (E.

d. RG. v. 31. Jänner 1941, JRPV. 1941, S. 59, Nr. 35; Thees, "Neue allgemeine Bedingungen für die Kraftfahrhaftpflichtversicherung" in DJ. 1940, S. 1051 f. und Anm. z. d. E. d. RG. v. 15. Oktober 1940, DJ. 1940, S. 1399; Prölß, "Neues Vertragsrecht in der Kraftfahrzeugversicherung" in Deutsches Recht (A) 1940, S. 1712, und in seinem Kommentar, Anm. 2 zu § 2 AKB.). Die im § 2 Abs. 2 lit. a AKB. angeführte Leistungsfreiheit, die dann eintritt, wenn das Fahrzeug zu einem anderen als dem im Antrag angegebenen Zweck verwendet wird, kann daher nicht als Risikoausschlußklausel angesehen werden; so auch die österreichische Praxis vor 1938 (vgl. die Zusammenstellung in den Bemerkungen von Wahle, Rsp. 1936, S. 212 f., Nr. 324).

Im vorliegenden Falle hat der Kläger in dem Antrag auf Kraftfahrversicherung (Beilage 5), dessen Echtheit er ausdrücklich anerkannt hat, die Frage, ob sich die Versicherung auf die Verwendung des Lastkraftwagens für Fahrten zur Personenbeförderung beziehen solle, nicht beantwortet und dadurch im Sinne der Fußnote im Antragsformular verneint. Nichtsdestoweniger war er auf Grund der eingangs erwähnten Bestimmung des Einheitstarifes berechtigt, auch Personen, jedoch höchstens acht an der Zahl, auf dem Lastkraftwagen zu befördern, ohne die ihm durch § 2 Abs. 2 lit. a AKB. auferlegte Obliegenheit, den Wagen zu keinem anderen als dem im Antrag angegebenen Zweck zu verwenden, zu verletzen. Die Beförderung von mehr als acht Personen auf dem versicherten Lastkraftwagen bedeutete aber eine Verletzung dieser Obliegenheit, weil sie sich nicht mehr im Rahmen des im Antrag angegebenen Zweckes hielt. Infolgedessen wäre die beklagte Partei grundsätzlich von der Verpflichtung zur Leistung von Versicherungsschutz frei.

Eine Obliegenheitsverletzung befreit aber den Versicherer nicht schlechthin von der Deckung der versicherten Risikos, sondern nur dann, wenn die Obliegenheitsverletzung nicht als eine unverschuldete anzusehen ist (§ 6 Abs. 1 VersVG.). Im gegebenen Falle wäre die Obliegenheitsverletzung insbesondere dann nicht vom Kläger verschuldet, wenn dieser nicht laufend mehr als acht Personen auf dem versicherten Wagen befördert hätte oder wenn sein Chauffeur ohne sein Einverständnis bei der Fahrt, bei der sich der Unfall ereignete, eigenmächtig mehr als acht Personen mitgenommen hätte. Denn für Obliegenheitsverletzungen von Hilfspersonen haftet der Versicherungsnehmer grundsätzlich nicht. § 1313a ABGB. kommt hier nicht zur Anwendung, weil es nicht zu den Verbindlichkeiten des Versicherungsnehmers gegenüber dem Versicherer gehört, das versicherte Fahrzeug nur zu dem im Antrag angegebenen Zweck zu verwenden, und er sich des Chauffeurs nicht zur Erfüllung einer dem Versicherer gegenüber obliegenden Verbindlichkeit bedient hat (RG. Bd. 97, S. 279; Bd. 117, S. 327 u. a.).

Die Befreiung der beklagten Partei von der Leistungspflicht träte aber auch dann nicht ein (§ 6 Abs. 2 VersVG.), wenn im konkreten Falle die Verletzung der Obliegenheit keinen Einfluß auf den Eintritt des Versicherungsfalles oder den Umfang der der beklagten Partei obliegenden Leistung gehabt hätte.

Die Untergerichte haben diese für die Leistungspflicht der beklagten Partei entscheidenden Umstände nicht erörtert, weil sie von der unrichtigen Rechtsansicht ausgegangen sind, daß die Bestimmung des § 2 Abs. 2 lit. a AKB. die Bedeutung einer Risikoausschlußklausel habe und die Beförderung von mehr als acht Personen auf dem versicherten Wagen eine Erhöhung des vertragsmäßigen Risikos für die beklagte Partei nicht zur Folge gehabt habe. Da es demnach offenbar einer Verhandlung in erster Instanz bedarf, um die Sache spruchreif zu machen, war das angefochtene Urteil und auch das Urteil der ersten Instanz aufzuheben und die Sache gemäß § 510 Abs. 1 ZPO. an die erste Instanz zurückzuverweisen.

Anmerkung

Z22054

Schlagworte

Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahrversicherung, Haftpflichtversicherung, Risikoausschluß, Kraftfahrversicherung, Allgemeine Bedingungen für die -, Obliegenheiten des Versicherungsnehmers bei Kraftfahrversicherung, Risikoausschluß bei Kraftfahrversicherung, Versicherung Risikoausschluß bei Kraftfahrversicherung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1949:0010OB00316.48.0420.000

Dokumentnummer

JJT_19490420_OGH0002_0010OB00316_4800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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