TE OGH 1949/6/15 1Ob48/49

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Veröffentlicht am 15.06.1949
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Norm

Deutsche Zivilprozeßordnung, §328
Vierte Durchführungsverordnung zum Ehegesetz §19
JN §42
JN §76
ZPO §477 Abs1 Z6
ZPO §478

Kopf

SZ 22/91

Spruch

Ehescheidung von Südtiroler Umsiedlern.

Entscheidung vom 15. Juni 1949, 1 Ob 48/49.

I. Instanz: Landesgericht Feldkirch; II. Instanz: Oberlandesgericht Innsbruck.

Text

In der Klage und Widerklage auf Ehescheidung bezeichnen sich die Parteien als Südtiroler Umsiedler; sie haben jedoch diese Frage unerörtert gelassen. Das Erstgericht hat sich mit der Staatszugehörigkeit nur insoweit befaßt, als es im Urteil die Meinung äußerte, daß Südtiroler Umsiedler "als Österreicher zu behandeln sind". Der Erstrichter schied die Ehe und stellte das überwiegende Verschulden des Ehemannes fest.

Aus Anlaß der vom Beklagten und Widerkläger erhobenen Berufung wurde das angefochtene Urteil und das demselben vorausgegangene Verfahren für nichtig erklärt und die zur gemeinsamen Verhandlung verbundenen Ehescheidungsklagen im Sinne der §§ 477 Abs. 1 Z. 6 und 478 Abs. 1 ZPO. zurückgewiesen.

Aus den Gründen des Berufungsgerichtes:

Eine Scheidung der Streitteile wäre nur dann in Österreich möglich, wenn die Parteien gemäß dem Beschlusse der Provisorischen Staatsregierung vom 27. August 1945 (JABl. 1946, S. 7) "auf ihr Ansuchen" einen Bescheid erwirkt hätten, wonach sie vorläufig so zu behandeln wären, als hätten sie am 13. März 1938 die österreichische Staatsbürgerschaft besessen und demgemäß nach den Bestimmungen des St-ÜG., StGBl. Nr. 59/1945, die österreichische Staatsbürgerschaft erworben. Solange aber die Erwirkung jener Gleichstellung weder behauptet noch bescheinigt sei, gälten Südtiroler im Sinne der herrschenden Rechtsprechung als deutsche Staatsangehörige. Es sei daher der vorliegende Rechtsstreit wegen Ehescheidung gemäß § 76 Abs. 3 JN. in der Fassung des § 19 der 4. DVzEheG. der inländischen Gerichtsbarkeit entzogen, auf welchen Umstand gemäß § 42 JN. von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens Bedacht genommen werden müsse.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurse der klagenden und widerbeklagten Partei Folge, hob den Beschluß des Berufungsgerichtes auf und trug diesem die Sachentscheidung über die Berufung auf.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen des Obersten Gerichtshofes:

Der Rekurs der Klägerin und Widerbeklagten ist begrundet.

Es mag dahingestellt bleiben, ob die vom Amte der Landesregierung auszusprechende "Gleichstellung" über den Verwaltungsbereich hinaus Wirkungen äußern, insbesondere etwa auch das Gericht zu binden vermöchte.

Davon abgesehen, kann es sich nur entweder um Staatsangehörige des Deutschen Reiches oder um Staatenlose handeln. Für den letzteren Fall verweist der Oberste Gerichtshof auf die Entscheidung vom 19. Jänner 1949, 3 Ob 18/49, EvBl. Nr. 197/1949, wonach Südtiroler Umsiedlern, denen - wie im vorliegenden Falle - auf Grund einer Einbürgerungsurkunde während der nationalsozialistischen Herrschaft die deutsche Staatsangehörigkeit verliehen wurde und die in Österreich ihren Wohnsitz haben, bezüglich der Zuständigkeit der inländischen Gerichte als Staatenlose anzusehen sind, sofern auf sie der Beschluß der Provisorischen österreichischen Staatsregierung vom 27. August 1945, JBl. 1946, S. 7, keine Anwendung findet. Für Staatenlose ist aber gemäß § 76 Abs. 3 Z. 1 letzter Fall JN. die Möglichkeit der Scheidung vor einem inländischen Gerichte gegeben.

Wenn aber die Streitteile deutsche Staatsangehörige geblieben sind, so kann ein österreichisches Gericht in der Sache dann entscheiden, wenn der gewöhnliche Aufenthaltsort des Mannes oder der Frau im Inland gelegen ist und nach dem Heimatrechte des Mannes die von dem österreichischen Gerichte zu fällende Entscheidung im Auslande anerkannt wird (§ 76 Abs. 3 Z. 1 erster Fall JN.). Auf die vorliegende Entscheidung angewendet, ist festzuhalten, daß die Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt seit 1940 im Inlande haben. Die Anerkennung eines Ehescheidungsurteiles ist in § 24 der 4. DVzEheG. geregelt. Eine Anerkennung durch Gerichte Deutschlands ist nach dieser Gesetzesstelle auf Grund der Mitteilung in JABl. 1947, Stück 3, S. 39, zumindest für die Britische Besatzungszone Deutschlands und den Bereich des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz anzunehmen; jedenfalls aber kann als unbedenklich angenommen werden, daß für ganz Deutschland § 328 RZPO. gilt, wenn die den Prozeß einleitende Ladung dem Beklagten durch das Prozeßgericht zu eigenen Handen zugestellt wurde, was im vorliegenden Falle zutrifft.

Bei Berücksichtigung aller dieser Umstände bestand daher für den Erstrichter keine Veranlassung, die Frage der Gleichstellung der Parteien als Südtiroler Umsiedler mit österreichischen Staatsbürgern zu prüfen oder diese Frage im Prozesse und im Urteile näher zu erörtern. Der Ansicht des Berufungsgerichtes, wonach Südtiroler Umsiedler ohne Ausspruch der Gleichstellung als deutsche Staatsangehörige anzusehen sind, denen der Rechtsweg für die Ehescheidungsklage in Österreich verschlossen ist, kann nicht beigepflichtet werden. Es sei hiezu noch bemerkt, daß das Berufungsgericht, wenn es Bedenken in der Richtung hatte, ob die Voraussetzungen des Beschlusses der Provisorischen Staatsregierung bei den Streitteilen gegeben seien, verpflichtet gewesen wäre, entweder selbst Erhebungen darüber durchzuführen oder diese dem Erstgerichte aufzutragen; nicht aber war es berechtigt, sogleich, ohne eine Klärung anzustreben, den Beschluß des Erstgerichtes aufzuheben und die Klage zurückzuweisen. Der Oberste Gerichtshof hat die gleiche Rechtsansicht bereits in der Entscheidung vom 23. Februar 1949, 1 Ob 60/49 (nicht veröffentlicht) vertreten.

Anmerkung

Z22091

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European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1949:0010OB00048.49.0615.000

Dokumentnummer

JJT_19490615_OGH0002_0010OB00048_4900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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