TE OGH 1949/9/14 3Ob253/49

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Veröffentlicht am 14.09.1949
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Norm

ABGB §319
ABGB §351
ABGB §372
ABGB §1096
Nationalsozialistengesetz Z8
Verbotsgesetz 1947 §4
Wohnungsanforderungsgesetz §14

Kopf

SZ 22/131

Spruch

Der Mieter ist zur Räumungsklage gemäß § 372 ABGB. gegen Personen, die ohne Titel oder nach Erlöschen des Titels Räume der Wohnung innehaben, auch dann legitimiert, wenn er nach dem Abschluß des Mietvertrages nur die anderen Räume dieser Wohnung in Benützung genommen hat.

Entscheidung vom 14. September 1949, 3 Ob 253/49.

I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Das Prozeßgericht gab dem auf Räumung und Übergabe der Wohnung Nr. 6 im Hause Wien, III., H.straße gerichteten Klagebegehren Folge. Es stellte fest, daß dem Kläger auf Grund einer Einweisung der Ärztekammer und sodann auf Grund einer vorläufigen Benützungsbewilligung der Magistratsabteilung III/2 die Bewilligung zur Benützung der ganzen von der Beklagten als Hauptmieterin gemieteten Wohnung erteilt wurde, daß der Kläger nur zwei Räume und das Vorzimmer der insgesamt aus drei Zimmern und Kabinett samt Nebenräumen bestehenden Wohnung in Benützung nahm, während die anderen Räume von der Beklagten weiterbenutzt wurden, daß der Kläger zunächst den aliquoten Teil des Mietzinses der Beklagten bezahlte, daß im Mai 1948 auf Grund eines Bescheides der Magistratsabteilung 50, der dem Hauseigentümer den Abschluß eines Mietvertrages hinsichtlich der ganzen Wohnung mit dem Kläger auftrug, der Kläger einen Mietvertrag über die gesamte Wohnung mit dem Hauseigentümer abschloß und von diesem Zeitpunkte an den Mietzins für die ganze Wohnung an die Hauseigentümer entrichtete, schließlich, daß die Beklagte rechtskräftig als minderbelastete Nationalsozialistin registriert ist und daß der Antrag der Beklagten auf Aufhebung der vorläufigen Benützungsbewilligung des Klägers rechtskräftig abgewiesen wurde. Aus diesen Feststellungen zog das Prozeßgericht die Schlußfolgerung, daß der Mietvertrag der Beklagten gemäß Ziffer 8 Abs. 1 Abschnitt III des XIV. Hauptstückes des Nationalsozialistengesetzes als aufgelöst anzusehen sei, der Beklagten daher kein Titel mehr zustehe und daß dem Kläger der petitorische Rechtsschutz zu gewähren sei, weil er mit dem Besitz an einem Wohnungsteil auch die Besitzrechte an den von der Beklagten benützten Räumen erworben habe.

Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte sich auf den Standpunkt, daß bei Abschluß des Mietvertrages eine Übergabe des Bestandgegenstandes an den Kläger nicht erfolgt sei und dieser daher nicht Besitz an dem Bestandgegenstand erlangt habe, weshalb ihm ein petitorisches Klagerecht nicht zustehe. Denn er habe nur an den von ihm benützten Räumen Besitz erworben, hingegen nicht an den von der Beklagten benützten Räumen, hinsichtlich deren die Beklagte den Mietrechtsbesitz nicht verloren habe, da sie diese weiterbenütze. Ihr Mietvertrag sei nicht erloschen, da das Erlöschen des Mietvertrages gemäß § 14 Abs. 4 WAG. erst mit der vollzogenen Übergabe eintrete.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers Folge und stellte das Urteil des Prozeßgerichtes wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Entscheidungsgründe:

Nach den tatsächlichen Feststellungen des Prozeßgerichtes, die auch vom Berufungsgerichte übernommen wurden, ist die Beklagte rechtskräftig als minderbelastete Nationalsozialistin im Sinne des § 4 Abs. 1 VerbG. 1947 registriert, und es wurde dem Kläger am 10. November 1945 von der zuständigen Verwaltungsbehörde die Bewilligung zur vorläufigen Benützung der ganzen Wohnung der Beklagten erteilt, welche Bewilligung innerhalb der in Ziffer 8 Abs. 2 des XIV. Hauptstückes des Nationalsozialistengesetzes angeführten Frist nicht widerrufen wurde. Gemäß Ziffer 8 Abs. 1 der vorerwähnten Gesetzesstelle ist daher der Mietvertrag der Beklagten kraft Gesetzes als aufgelöst anzusehen. Die Rechtsmeinung des Berufungsgerichtes, die Auflösungswirkung trete gemäß § 14 Abs. 4 WAG. erst mit vollzogener Übergabe ein, ist verfehlt, weil Ziffer 8 Abs. 1 des XIV. Hauptstückes des Nationalsozialistengesetzes für die in diesem Gesetze angeführten Fälle eine abgesonderte, von der Norm des § 14 Abs. 4 WAG. abweichende Regelung trifft.

Nach den weiteren, vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Prozeßgerichtes hat der Kläger bereits drei Räume der Wohnung in Benützung genommen, hat im Mai 1948 einen Hauptmietvertrag hinsichtlich der ganzen Wohnung mit dem Hauseigentümer abgeschlossen und bezahlt seither den Mietzins für die ganze Wohnung an den Hauseigentümer. Ob dieser Mietvertrag freiwillig oder auf Grund eines Bescheides der zuständigen Verwaltungsbehörde zustande kam, ist für die rechtliche Beurteilung der vorliegenden Rechtssache ohne Bedeutung. Es ist dem Prozeßgerichte beizupflichten, daß der Kläger dadurch, daß er den Mietvertrag hinsichtlich der ganzen Wohnung abschloß, vom Zeitpunkte des Vertragsabschlusses an den Mietzins für die ganze Wohnung an den Vermieter bezahlte und die von ihm in Benützung genommenen Räume auf Grund des Mietvertrages weiterbenützte, den Mietrechtsbesitz an der ganzen Wohnung erworben hat. Wie der Oberste Gerichtshof bereits in seinen Entscheidungen vom 18. Februar 1948, 1 Ob 38/48, und vom 16. März 1949, 1 Ob 414/48, zum Ausdruck gebracht hat, steht dem Mieter die Legitimation zur Klage nach § 372 ABGB., und um eine solche handelt es sich im vorliegenden Falle, bereits dann zu, wenn er schon einen Teil der Wohnung für sich allein benützt; eine förmliche Übergabe jedes einzelnen Raumes des Bestandobjektes ist nicht erforderlich. Im übrigen wird auf die ausführliche Begründung dieser Rechtsansicht in der Entscheidung 1 Ob 38/48 verwiesen.

Wenn das Berufungsgericht auf die Bestimmung des § 319 ABGB. verweist, nach der der Inhaber einer Sache nicht berechtigt ist, den Grund seiner Gewahrsame eigenmächtig zu ändern und sich dadurch einen Titel anzumaßen, so ist ihr entgegenzuhalten, daß der Kläger den Grund seiner Gewahrsame nicht eigenmächtig, sondern durch Abschluß des Mietvertrages geändert und hiedurch einen Titel erworben hat. Die vom Berufungsgerichte geäußerte Rechtsansicht, daß die Beklagte ihren Mietrechtsbesitz gemäß § 351 ABGB. nicht verloren habe, schlägt nicht durch, da es sich nicht darum handelt, ob die Beklagte ihren Besitz verloren hat, sondern lediglich darum, ob sie noch einen Titel besitzt. Denn im Falle des § 372 ABGB., der hier zur Anwendung zu kommen hat, ist auch der Beklagte noch im Besitz; er muß aber, wenn er keinen gültigen Titel hat, dem Kläger weichen, wenn dieser einen gültigen Titel hat und auf echte Art in den Besitz gelangt ist. Dies ist aber, wie bereits oben festgestellt, beim Kläger der Fall. Es ist daher die Frage, ob der Kläger von seiner vorläufigen Benützungsbewilligung für die ganze Wohnung zunächst keinen Gebrauch gemacht hat und ob er nur die Schlüssel für die von ihm benützten Räume oder für sämtliche Räume der Wohnung vom Hauseigentümer erhalten hat, ohne rechtliche Bedeutung, da es ja lediglich darauf ankommt, ob er nach Abschluß des Mietvertrages wenigstens einen Teil des Bestandgegenstandes benützt und sonstige Besitzhandlungen, wie Bezahlung des ganzen Mietzinses, ausgeübt hat.

Da somit die Voraussetzungen des § 372 ABGB. gegeben sind, war der Revision Folge zu geben und das Urteil des Prozeßgerichtes wiederherzustellen.

Anmerkung

Z22131

Schlagworte

Actio Publiciana des Mieters gegen Dritte, Besitzesschutz des Mieters, Bestandnehmer petitorischer Rechtsschutz, Mieter petitorischer Rechtschutz, Petitorischer Rechtsschutz des Mieters gegen Dritte, Räumungsklage des Mieters gegen Dritte, Rechtsbesitz des Mieters, petitorischer Rechtsschutz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1949:0030OB00253.49.0914.000

Dokumentnummer

JJT_19490914_OGH0002_0030OB00253_4900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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