TE OGH 1949/11/2 1Ob406/49

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Veröffentlicht am 02.11.1949
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Norm

ABGB §932
ABGB §1053
ABGB §1284
ABGB §1447
Handelsgesetzbuch vom 10. Mai 1897. DRGBl. S. 219 §344
Versicherungsvertragsgesetz §1
Versicherungsüberleitungsgesetz §4
Zweite Versicherungsüberleitungsverordnung vom 16. Jänner 1947, BGBl. Nr. 43 §1

Kopf

SZ 22/168

Spruch

Koppelung eines Kaufvertrages mit einem Rentenversicherungsvertrag.

Anwendung der Zweiten Versicherungsüberleitungsverordnung.

Entscheidung vom 2. November 1949, 1 Ob 406/49.

I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.

Text

Die Firma S. U. schloß im Jahre 1934 mit der beklagten Versicherungsgesellschaft einen Kaufvertrag über ein ihr gehöriges Haus, in dem sich die Beklagte verpflichtete, einen Teilbetrag in bar sofort an die verkaufende Firma zu zahlen und für den Restbetrag mit der Klägerin, Gesellschafterin der Verkaufsfirma, einen Rentenversicherungsvertrag abzuschließen, was auch geschehen ist. Nach Erlassung der Zweiten Versicherungsüberleitungsverordnung zahlte die Beklagte die Rente nur im gekürzten Betrag im Sinne dieser Verordnung aus. Klägerin begehrt Vollauszahlung der ungekürzten Rente.

Die erste Instanz wies das Klagebegehren ab; das Berufungsgericht gab der Klage statt; der Oberste Gerichtshof stellte das erstinstanzliche Urteil wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Entscheidungsgründe des Obersten Gerichtshofes:

Auf Grund eines in der Versicherungsurkunde Nr. 159.529 vom 2. Juli 1934 beurkundeten Vertrages verpflichtete sich die beklagte Partei, an die Klägerin eine Rente von jährlich 18.878.40 S in monatlichen Raten von 1573.20 S, beginnend am 26. September 1934, zu bezahlen. Die Rechtsnatur dieses Vertrages ist zwischen den Parteien streitig. Die beklagte Partei behandelt ihn als Versicherungsvertrag und zahlt daher der Klägerin nur den auf Grund des Versicherungsüberleitungsgesetzes vom 13. Juni 1946, BGBl. Nr. 108, bzw. der Zweiten Versicherungsüberleitungsverordnung vom 16. Jänner 1947, BGBl. Nr. 43, gekürzten Rentenbetrag aus. Die klagende Partei hingegen ist der Ansicht, daß der oben angeführte Vertrag kein Versicherungsvertrag im Sinne des § 4 Abs. 1 des Versicherungsüberleitungsgesetzes, sondern ein Leibrentenvertrag nach bürgerlichem Recht (§ 1284 ABGB.) sei, und fordert daher von der beklagten Partei die Bezahlung der ungekürzten Rente.

Das Erstgericht hat das Klagebegehren abgewiesen. Es steht auf dem Standpunkt, daß der oben angeführte Vertrag ein Leibrentenversicherungsvertrag im Sinne des § 1 VersVG. sei und daß daher die beklagte Partei die vereinbarten Leistungen nur im Rahmen des Versicherungsüberleitungsgesetzes und der Zweiten Versicherungsüberleitungsverordnung erbringen dürfe. Das Berufungsgericht hat der Berufung der klagenden Partei Folge gegeben und die beklagte Partei zur Zahlung der vollen Rente verurteilt. Es stimmt zunächst mit dem Erstgericht darin überein, daß der eingangs erwähnte Vertrag ein Versicherungsvertrag ist, auf den das Versicherungsüberleitungsgesetz und die Zweite Versicherungsüberleitungsverordnung anzuwenden seien.

Es lehnt aber die Auffassung des Erstgerichtes ab, daß der Kaufvertrag vom 9. Juli 1934, mit dem die Firma S. U. ihr Haus an die beklagte Partei verkaufte, und der Vertrag, mit dem sich die beklagte Partei zur Zahlung einer Leibrente an die Klägerin verpflichtete, zwei getrennte, selbständig zu beurteilende Verträge seien, und vertritt die Ansicht, daß zwischen diesen beiden Verträgen "ein gewisser innerer Zusammenhang" bestehe. Der Leibrentenversicherungsvertrag sei nämlich eine mit der Firma S. U. und der Klägerin vereinbarte Hingabe an Zahlungs Statt für einen Teil des für das Haus vereinbarten Kaufpreises. Hinsichtlich dieses neuen Schuldverhältnisses, das zur Erfüllung eines Teiles der Verpflichtung der Beklagten aus dem Kaufvertrag begrundet worden sei, sei Unmöglichkeit der Leistung eingetreten. Im Sinne der §§ 932 und 1447 ABGB. habe deshalb die Beklagte der Klägerin insoweit Vergütung zu leisten, als sie aus deren Schaden keinen Gewinn ziehen dürfe. Diese Vergütung bestehe in der Differenz zwischen der ursprünglich zugesicherten und der durch das Versicherungsüberleitungsgesetz gekürzten Leibrente.

Gegen dieses Urteil hat die beklagte Partei Revision eingelegt, in der sie als Revisionsgrund lediglich unrichtige rechtliche Beurteilung der Sache geltend macht und in der sie den Antrag stellt, das Urteil dahin abzuändern, daß das abweisende Urteil des Erstgerichtes bestätigt werde. Die klagende Partei beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist begrundet. Der Oberste Gerichtshof stimmt mit den beiden Untergerichten darin überein, daß der in der Versicherungsurkunde als "Leibrentenversicherung" bezeichnete Vertrag ein Versicherungsvertrag im Sinne des § 1 VersVG. ist. Die gegen diese Ansicht vorgetragenen Argumente der klagenden Partei, die in der Revisionsbeantwortung wiederholt werden, vermögen die durchaus zutreffende Begründung des angefochtenen Urteils nicht wirksam zu widerlegen. Die der Entscheidung vom 16. Dezember 1924, SZ. VI/397, zugrunde liegende Rechtsansicht, daß ein Leibrentenvertrag, auch wenn er von einer Versicherungsanstalt abgeschlossen wurde, niemals ein Versicherungsvertrag im technischen Sinne ist, wird vom Obersten Gerichtshof nicht mehr aufrechterhalten. Diese Entscheidung, die sofort, nachdem sie bekannt geworden war, in der Literatur entschiedenen Widerspruch gefunden hat und der nur wenige ähnliche Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes nachgefolgt sind (E. v. 4. November 1925, Ob I 900/25, Rspr. 1925, Nr. 163, und die nicht veröffentlichte Entscheidung vom 26. Mai 1925, Ob I 234/25, in der letztangeführten Entscheidung bezogen), ist aus dem offenbaren Bestreben entstanden, einem durch die Geldentwertung schwer betroffenen Rentner zu helfen. Nach dem Stande der gegenwärtigen Gesetzgebung ist aber eine solche Hilfe nicht möglich, weil der Gesetzgeber selbst in dem Versicherungsüberleitungsgesetz in bindender Weise die Grenzen gezogen hat, innerhalb deren die Ansprüche der Versicherten aus der Lebensversicherung befriedigt werden sollen und dürfen. Es ist nun zwar nicht ausgeschlossen, daß auch eine Versicherungsanstalt einen Leibrentenvertrag abschließt, der kein Versicherungsvertrag ist und nach bürgerlichem Recht zu beurteilen ist. Im Zweifel wird das aber nicht anzunehmen sein (§ 344 HGB.). Im vorliegenden Falle lassen die äußeren Umstände, unter denen der Vertrag abgeschlossen wurde, gar keinen Zweifel daran aufkommen, daß die Beklagte den Vertrag im Rahmen ihres Versicherungsbetriebes abgeschlossen hat.

In dieser Beziehung wird auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Urteils verwiesen.

Der Oberste Gerichtshof teilt auch die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, daß der zwischen der Firma S. U. und der beklagten Partei abgeschlossene Kaufvertrag über das Haus Wien, I., K.markt, und der zwischen der Beklagten und der Klägerin abgeschlossene Leibrentenversicherungsvertrag in einem gewissen Zusammenhang stehen. Es liegen zwei gekoppelte Verträge vor:

1. ein Kaufvertrag der Firma S. U. mit der Beklagten, in dem sich die Beklagte verpflichtet, gegen die Übertragung des Eigentums des in Frage stehenden Vertrages a) einen Barbetrag zu bezahlen und b) einen Versicherungsvertrag mit der Gesellschafterin dieser Firma R.

U. abzuschließen, und 2. ein mit der Gesellschafterin R. U. im Vollzug des Vertrages ad 1 abgeschlossener Versicherungsvertrag.

Von Leistung an Zahlungs Statt, wie sie das Berufungsgericht annimmt, kann daher keine Rede sein, weil die Versicherungsanstalt laut dem mit der Firma S. U. abgeschlossenen Vertrag von vornherein nicht zur Zahlung eines bloßen Geldbetrages verpflichtet war, an dessen Stelle dann ein Versicherungsvertrag gesetzt wurde, sondern sich von Anfang an neben der Zahlung eines Geldbetrages zum Abschluß eines Versicherungsvertrages mit einem Dritten, nämlich der Klägerin, verpflichtet hatte.

Der Abschluß dieses Vertrages stellte die der beklagten Partei neben der Zahlung des Barbetrages obliegende Gegenleistung für die Übereignung des Hauses dar. Mit der Bezahlung des Barbetrages und dem Abschluß des Versicherungsvertrages hatte die Beklagte die ihr aus dem mit der Firma S. U. abgeschlossenen Vertrag obliegenden Verpflichtungen erfüllt. Es blieb jetzt nur mehr ihre Verpflichtung gegenüber der Klägerin aus dem Versicherungsvertrag übrig, der ganz selbständig nach den Vorschriften über den Versicherungsvertrag zu beurteilen ist. Zu diesen Vorschriften gehört auch das Versicherungsüberleitungsgesetz und die Zweite Versicherungsüberleitungsverordnung. Da die Höhe der Renten, die die Beklagte der Klägerin bisher ausbezahlt hat, diesen Vorschriften unbestrittenermaßen entspricht, erweist sich das Klagebegehren als unbegrundet. Infolgedessen war der Revision der beklagten Partei Folge zu geben und das Urteil des Erstgerichtes wiederherzustellen.

Die Entscheidung des Erstgerichtes war auch keineswegs unbillig. Es ist zwar richtig, daß die Klägerin im Jahre 1934 ein wertbeständiges Vermögensobjekt hingegeben hat, um sich eine Leibrente einzukaufen, und daß es sie jetzt schwer trifft, daß sie nur einen Bruchteil der seinerzeit vereinbarten Rente erhält. Sie teilt aber damit nur das Schicksal vieler Tausender von Versicherten, die seinerzeit, wenn auch nicht Immobilien, so doch gutes Geld, mit dem sie sich ohneweiters Immobilien hätten kaufen können, geopfert haben, um sich einen sorgenfreien Lebensabend zu sichern und die jetzt infolge der Kriegsereignisse und der dadurch bedingten Gesetzgebung sich in dieser Erwartung getäuscht sehen müssen.

Anmerkung

Z22168

Schlagworte

Kaufvertrag Koppelung mit Rentenversicherungsvertrag, Leibrente, gekoppelt mit Kaufvertrag, als Versicherungsvertrag, Ratenversicherungsvertrag, Koppelung mit Kaufvertrag, Versicherungsvertrag Kaufvertrag gekoppelt mit Rentenversicherung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1949:0010OB00406.49.1102.000

Dokumentnummer

JJT_19491102_OGH0002_0010OB00406_4900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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