Norm
ABGB §§139 ffKopf
SZ 22/170
Spruch
Minderjährigen Kindern steht ein Eintrittsrecht in den Mietvertrag nach § 19 Abs. 2 Z. 11 MietG. nach dem Tode der Eltern auch dann zu, wenn sie nach dem Willen der Eltern vor deren Tod auf zeitlich begrenzte Dauer zu Erziehungs- oder Unterrichtszwecken außerhalb des gemeinsamen Haushaltes ihrer Eltern untergebracht wurden.
Der Kündigungsgrund des § 19 Abs. 2 Z. 13 MietG. ist auf die Verlassenschaft nach einem verstorbenen Mieter nicht anwendbar.
Entscheidung vom 3. November 1949, 3 Ob 352/49.
I. Instanz: Bezirksgericht Döbling; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Text
Der Kläger kundigte der Verlassenschaft nach Dr. Johann P. die vom Erblasser gemietete Wohnung unter Geltendmachung der Kündigungsgrunde des § 19 Abs. 2 Z. 11 und 13 MietG. (der Kündigungsgrund nach § 19 Abs. 2 Z. 3 wurde zurückgezogen) mit der Behauptung auf, daß der Verstorbene im Zeitpunkt seines Todes allein in der Wohnung wohnte, daß sich seine Kinder außer Haus zunächst in Oberösterreich und dann bei der Schwester des Erblassers Hilde P. befanden, die nicht die Absicht habe, die Kinder in die Wohnung zu bringen, und daß die Wohnung nicht zur Befriedigung eines regelmäßigen Wohnungsbedürfnisses diene, vielmehr seit einem Jahre leer stehe.
Das Prozeßgericht erklärte ohne Aufnahme von Beweisen die Aufkündigung aus beiden angeführten Kündigungsgrunden für rechtswirksam. Es gab der Rechtsmeinung Ausdruck, daß die Kinder des Erblassers nicht die letzten zwei Jahre vor dessen Tode mit ihm im gemeinsamen Haushalt gelebt haben und daß es auf die Gründe, aus denen die Kinder während der bezeichneten Zeit nicht im gemeinsamen Haushalt mit ihrem Vater lebten, nicht ankomme; auch der Kündigungsgrund nach Z. 13 sei gegeben, da die Wohnung vom Zeitpunkte des Todes des Erblassers bis zur Kündigung leer gestanden sei.
Das Berufungsgericht hob dieses Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Urteilsfällung an das Prozeßgericht zurück. Es stellte zunächst fest, daß nach § 4 der Verordnung vom 5. September 1939, DRGBl. I S. 1671, das Erfordernis einer bestimmten Dauer des gemeinsamen Haushaltes weggefallen sei, und vertrat die Rechtsansicht, der Umstand allein, daß die Kinder des Erblassers mit diesem im Zeitpunkte des Todes nicht im gemeinsamen Haushalt gelebt haben, reiche noch nicht aus, um den Kindern das Eintrittsrecht zu versagen; es sei vielmehr entscheidend, ob nach Willen und Absicht des Erblassers die Kinder nur vorübergehend nicht bei diesem gewohnt haben oder ob sie in dauernde Verpflegung der Hilde P. überlassen wurden. Im ersteren Falle sei die Hausgemeinschaft nicht als aufgehoben anzusehen, da der gleiche Fall vorliege, wie wenn die Kinder in einem Institut untergebracht gewesen wären, und daher das Eintrittsrecht gegeben; hierüber habe aber das Erstgericht keine Feststellungen vorgenommen. Nach Ansicht des Berufungsgerichtes komme der Kündigungsgrund nach § 19 Abs. 2 Z. 13 MietG. überhaupt nicht in Betracht, da eine Verlassenschaft nur nach § 19 Abs. 2 Z. 11 MietG. gekundigt werden könne. Das Berufungsgericht sprach aus, daß das Verfahren erster Instanz erst nach Rechtskraft seiner Entscheidung fortzusetzen sei.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurse des Klägers nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Begründung:
Der Rekurs macht zunächst geltend, daß die Ansicht des Berufungsgerichtes, der Wille und die Absicht des Vormieters sei für die Beurteilung der Rechtsfrage, ob den Kindern des Erblassers das Eintrittsrecht in dem Mietvertrag zustehe, maßgebend, jeder gesetzlichen Grundlage entbehre und daß sich im übrigen die Absicht der Rechtsnachfolger, den Mietvertrag nicht fortzusetzen, daraus ergebe, daß nach mehr als einem Jahre nach dem Tode des Erblassers noch niemand die Wohnung bewohne.
Der Rekurs übersieht bei diesen Ausführungen, daß es sich bei den eintrittsberechtigten Personen um Kinder im Alter von 11 und 14 Jahren handelt, deren Wohnsitz, Aufenthalt und Erziehung zu bestimmen gemäß den §§ 139 ff. ABGB. lediglich den Eltern, hier dem verwitweten ehelichen Vater allein, zukam, und daß es schon aus diesem Gründe und auch deshalb, weil für die Beurteilung des Eintrittsrechtes die Rechtslage vor dem Tode des Erblassers maßgebend ist, auf die Absicht und den Willen der mj. Kinder gar nicht ankommt. Die Rechtsmeinung des Berufungsgerichtes, daß im vorliegenden Falle für die Beurteilung, ob ein Eintrittsrecht der mj. Kinder bestehe, lediglich entscheidend sei, ob die Kinder nach dem Willen des Vaters und Erziehungsberechtigten außerhalb der Hausgemeinschaft vorübergehend (der Zeitraum kann sich während der Erziehung der Minderjährigen auch auf längere Zeit erstrecken) untergebracht wurden, ist richtig und steht mit der ständigen Rechtsprechung in Übereinstimmung. Wie der Oberste Gerichtshof in mehreren gleichartigen Fällen entschieden hat, ist unter Haushalt im Sinne des § 19 Abs. 2 Z. 11 MietG. jene Stelle zu verstehen, von der aus die Erziehung mj. Kinder geleitet, ihr Unterhalt bestritten wird und zu der sie immer wieder zurückkommen, sooft es die Regeln der Erziehung zulassen. Eine Abwesenheit zu Unterrichts- oder Erziehungszwecken kann auch dann nicht als Unterbrechung des gemeinsamen Haushaltes angesehen werden, wenn sie gerade im Zeitpunkte des Todes des Erblassers bestand; es kommt vielmehr nur darauf an, ob der Erziehungsberechtigte die Absicht hatte, die Haushaltstrennung nur zu Erziehungszwecken durchzuführen, oder ob die anderweitige Unterbringung als dauernde Maßnahme erfolgt war (im gleichen Sinne SZ. X/337, SZ. XII/176, GH. 1928, S. 19, ZBl. 1936, Nr. 478). Der im Rekurs bezogenen Entscheidung ZBl. 1929, Nr. 166, lag ein ganz anders gelagerter Sachverhalt zugrunde, nach welchem ein großjähriger Sohn, der eine eigene Wohnung besaß und sich in der Wohnung des Vaters vor dessen Tode lediglich deshalb aufhielt, um den Vater zu pflegen, erst nach dem Tode des Vaters seine eigene Wohnung aufgab und nunmehr ein Eintrittsrecht in den Mietvertrag des Vaters geltend machte; diese Entscheidung kann daher zur Beurteilung der vorliegenden Rechtsfrage nicht herangezogen werden.
Es ist aber auch die Ansicht des Berufungsgerichtes frei von Rechtsirrtum, daß der Kündigungsgrund nach § 19 Abs. 2 Z. 13 MietG. nicht gegen die Verlassenschaft eines verstorbenen Mieters geltend gemacht werden kann. Eine Anwendung des letzteren Kündigungstatbestandes auf einen verstorbenen Mieter oder dessen Verlassenschaft ist schon begrifflich ausgeschlossen, da ein Verstorbener oder dessen ruhender Nachlaß kein Wohnungsbedürfnis haben und auch nicht zu beruflichen, Kur- oder Unterrichtszwecken abwesend sein kann. Der Tod des Mieters kann vielmehr nur aus dem Kündigungsgrund des § 19 Abs. 2 Z. 11 MietG. geltend gemacht werden, welcher Kündigungstatbestand nicht nur den Tod des Mieters an sich, sondern auch den Umstand zur Voraussetzung hat, daß die Benützung der Wohnung durch bisherige mitbenützungsberechtigte Verwandte nicht mehr der Befriedigung ihres Wohnbedürfnisses diente oder daß solche Verwandte nicht vorhanden sind.
Anmerkung
Z22170Schlagworte
Eintrittsrecht in den Mietvertrag nach § 19 Abs. 2 Z. 11 MietG., mj., Kinder, Kind, minderjähriges, Eintrittsrecht in den Mietvertrag nach § 19, Abs. 2 Z. 11 MietG., Mietvertrag Eintrittsrecht des mj. Kindes nach § 19 Abs. 2 Z. 11 MietG., Nachlaß nicht nach § 19 Abs. 2 Z. 13 MietG. zu kundigen, Verlassenschaft nicht nach § 19 Abs. 2 Z. 13 MietG. zu kundigen, Wohnungsbedürfnis, regelmäßiges, § 19 Abs. 2 Z. 13 MietG. bei, Verlassenschaft unanwendbarEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1949:0030OB00352.49.1103.000Dokumentnummer
JJT_19491103_OGH0002_0030OB00352_4900000_000