TE OGH 1950/2/1 1Ob550/49

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Veröffentlicht am 01.02.1950
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Norm

ABGB §1091
Kündigungsschutz-Ausführungsverordnung vom 5. September 1939. DRGBl. I S. 1671 §7
Mietengesetz §19
ZPO §503 Z2
ZPO §503 Z4
ZPO §567

Kopf

SZ 23/14

Spruch

Jedes Pachtverhältnis, das ein gewerbliches Unternehmen welcher Art immer zum Gegenstande hat, unterliegt den Kündigungsbeschränkungen des § 19 MietG.

Entscheidung vom 1. Februar 1950, 1 Ob 550/49.

I. Instanz: Bezirksgericht Kufstein; II. Instanz: Landesgericht Innsbruck.

Text

Gegen den Auftrag zur Übergabe eines Geschäftslokales (§ 567 Abs. 1 ZPO.) des Bezirksgerichtes Kufstein erhob die Beklagte rechtzeitig Einwendungen des Inhaltes, der Bestandvertrag über das von der Antragstellerin der Antragsgegnerin verpachtete Handelsunternehmen samt dem dazugehörigen Geschäftslokal sei nicht, wie jene behauptete, für die Dauer eines Jahres, d. h. bis 30. April 1949, abgeschlossen worden, sondern auf 5 Jahre und ende daher ohne vorhergehende Kündigung nicht schon am 30. April 1949, sondern erst im Mai 1953. Außerdem wendete die Beklagte ein, daß der gekundigte Geschäftsraum unter erweitertem Kündigungsschutz stehe und ein Kündigungsgrund im Sinne des Mietengesetzes weder vorliege noch behauptet worden sei.

Das Erstgericht ließ zunächst Beweise über das beiderseitige Vorbringen zu und nahm diese auch auf, wies aber dann das Klagebegehren aus rechtlichen Erwägungen ab, weil nach dem Parteivorbringen außer Streit stehe, daß es sich um einen Vertrag auf bestimmte Zeit handle, dessen Dauer ein halbes Jahr übersteige, weshalb nach der Verordnung vom 5. September 1939, DRGBl. I S. 1671, die Bestimmungen der §§ 19 bis 23 MietG. anzuwenden seien. Der Vertrag gelte darum jedenfalls als auf unbestimmte Zeit erneuert und könne nur aus wichtigen Gründen unter Einhaltung der ortsüblichen Kündigungstermine im Sinne des § 19 MietG. aufgelöst werden. Die Klägerin habe jedoch wichtige Kündigungsgrunde im Sinne dieser Gesetzesstelle nicht geltend gemacht. Das Erstgericht gelangte darum zu einer Klagsabweisung, ohne daß es die Klärung der Frage, ob eine einjährige oder fünfjährige Pachtdauer bedungen war, oder eine Stellungnahme zu den diesbezüglich vorliegenden Beweisergebnissen für nötig ansah.

Der Berufung der Klägerin verweigerte das Berufungsgericht den Erfolg, indem es die Streitfrage, ob die Verpachtung eines einen Verkaufsraum umfassenden Gemischtwarengeschäftes unter die Bestimmungen der sogenannten Ausdehnungsverordnung vom 5. September 1939, DRGBl. I S. 1671, falle und darum den Kündigungsbeschränkungen des Mietengesetzes unterliege, im Sinne der ständigen Rechtsprechung, die es im einzelnen zitierte, bejahte.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Oberste Gerichtshof kann sich im allgemeinen damit begnügen, auf seine ständige Rechtsprechung in dieser Frage hinzuweisen, von der abzugehen der vorliegende Fall keinen Anlaß bietet. Lediglich zur Widerlegung der weitläufigen, aber nicht überzeugenden Ausführungen der Revision sei in Kürze folgendes bemerkt.

Die Ursache der hier auftauchenden Zweifel liegt in der Stilisierung der Verordnung vom 5. September 1939, DRGBl. I S. 1671 (KSchAusfV.), und ihrer der österreichischen Rechtssprache fremden Terminologie, aber auch in ihrer mit der verschiedenartigen Rechtsentwicklung in Deutschland zusammenhängenden Entstehungsgeschichte. Nach dem ABGB. kann es über Geschäftsräume überhaupt nur Miete und nicht Pacht geben (Ehrenzweig, II/1, S. 433, Entscheidung unter Anmerkung 6, Swoboda, Kommentar zum Mietengesetz, S. 9 ff.). Dies ergibt sich aus der von der herrschenden Lehre und Rechtsprechung angenommenen Begriffsunterscheidung zwischen Miete und Pacht, vor allem daraus, daß der Pächter im Bestandobjekt nicht nur einen Zweig der Produktion ausübt, sondern die Produktion zugleich eine Bearbeitung des Bestandgegenstandes enthalten muß. Das Bestandobjekt darf nicht nur den Raum bilden, in dem das Gewerbe ausgeübt wird, sondern es muß zugleich auch die "Quelle des Ertrages" sein (Swoboda, Kommentar, l. c., S. 11). Dazu kommt die für die Pacht im Gegensatz zur Miete charakterische Betriebspflicht. Die Inbestandnahme eines Raumes, in dem der Bestandnehmer ein Unternehmen, einen Gewerbebetrieb, auszuüben gedenkt, ist darum Miete, nicht Pacht, und daran ändert sich auch nichts, wenn er Maschinen mietet und in den Raum einbringt, aber auch dann nicht, wenn er solche Maschinen oder anderes zur Gewerbeausübung erforderliches Inventar, das sich bereits im gemieteten Raum befunden hat und dem Bestandgeber gehört, gegen Benützungsentgelt zum Gebrauche auf bestimmte oder unbestimmte Zeit bestandweise übernimmt (Swoboda, l. c., S. 15 ff.). Wenn dagegen die zur Gewerbeausübung erforderlichen Räume und Maschinen oder Inventargegenstände als rechtliche Einheit, demnach als ein lebendes Unternehmen, ein Komplex körperlicher und unkörperlicher Sachen, mit der Verpflichtung zum ordentlichen Betrieb in Bestand gegeben werden, so liegt Pacht, nicht Miete vor (vgl. Ehrenzweig, II/1, S. 434, Swoboda, l. c., S. 16) und es finden, auch wenn der Vertrag daneben zugleich die Gebrauchsüberlassung an den den Standort des Unternehmens bildenden Räumen umfaßt, gemäß § 1091 ABGB. auf dieses Vertragsverhältnis die Bestimmungen über den Pachtvertrag Anwendung. Denn das Geschäft bildet in einem solchen Fall ein einheitliches Pachtverhältnis, das nicht in einen Miet- und in einen Pachtvertrag zerlegt werden darf, sondern gemäß der Beschaffenheit der Hauptsache zu beurteilen ist. Bei der Pachtung eines Unternehmens ist aber grundsätzlich der Komplex von Vermögenswerten, aus denen sich ein solches zusammensetzt, wie Warenlager, Kundschaft, Gewerbeberechtigung, die Hauptsache, während die Geschäftsräume, in denen das Unternehmen betrieben wird, an Bedeutung ihnen gegenüber zurücktreten. Darum hat die Rechtsprechung vor der Erlassung der Kündigungsschutz-Ausführungsverordnung die Inbestandgabe von Gewerbebetrieben oder sonstigen Unternehmungen samt zugehörenden Räumen nach den Grundsätzen der Verpachtung behandelt und die Anwendung des Mietengesetzes auf sie abgelehnt. Daraus folgte, daß eine besondere, auf einen der Kündigungsgrunde des § 19 MietG. gestützte Aufkündigung der den Standort des Unternehmens bildenden Räume unzulässig war.

Diese Rechtslage ist durch die auf Grund der Verordnung über Kündigungsschutz für Miet- und Pachträume vom 28. August 1937, DRGBl. I S. 917, und der Verordnung über Kündigungsschutz für Miet- und Pachträume in der Ostmark vom 31. August 1939, DRGBl. I S. 1602, erlassene Verordnung zur Ausführung der Verordnung über Kündigungsschutz für Miet- und Pachträume vom 5. September 1939, DRGBl. I S. 1671, geändert worden, deren § 7 bestimmt, daß die Vorschriften des Mietengesetzes über Kündigungsbeschränkungen für Pacht- und Unterpachtverhältnisse über Räume entsprechend gelten. Der Oberste Gerichtshof hat in einer Reihe von Entscheidungen, die von der angefochtenen Entscheidung zitiert werden und zu denen noch die Entscheidungen SZ. XXI/73, XXII/87 und 97 kommen, in Übereinstimmung mit der Literatur (Stagel bei Pfundtner - Neubert,

II b 7, S. 16, und Michlmayr im Österr. Recht, V 61/2 zu § 7 KSchAusfV.) diese Gesetzesstelle dahin ausgelegt, daß durch sie Pachtverhältnisse über gewerbliche Unternehmen, mit denen Räume verbunden sind, des Kündigungsschutzes nach dem Mietengesetz teilhaftig werden, u. zw. ohne Unterschied, ob der Benützung der Räume überwiegende Bedeutung im einheitlichen Bestandverhältnis zukommt oder aber der Ausübung des in diesen betriebenen Unternehmens. Es kommt aber auch nicht darauf an, ob dieses Unternehmen der Gewerbeordnung untersteht und ob es in diesem Falle zu den freien, gebundenen, handwerksmäßigen oder konzessionierten Gewerben gehört (vgl. Klang, Kommentar zum ABGB., 2. Aufl., V, S. 29). Wäre diese Ansicht nicht richtig, so bliebe für die Anwendung der bisher nicht aufgehobenen KSchAusfV., die keineswegs als zeitlich beschränktes Kriegsnotrecht bezeichnet werden kann, nahezu kein Anwendungsgebiet übrig, weil die Bestandnahme von Räumen allein, auch wenn in ihnen ein Unternehmen ausgeübt wird, nach dem ABGB. nicht unter den Begriff der Pacht, sondern der Miete fällt. Anderseits sind Pachtverhältnisse über kleingärtnerisch genützte Grundstücke oder über land- und forstwirtschaftliche Betriebe, wenn mit solchen Räume verbunden sind, von der Anwendbarkeit der KSchAusfV. ohnedies ausgenommen. Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen wird auf die Entscheidung SZ. XXII/97 verwiesen, in welcher sich der Oberste Gerichtshof mit allen in diesem Zusammenhang sich ergebenden Rechtsfragen ausführlich auseinandergesetzt hat. Die KSchAusfV. wollte im Hinblick auf die durch den Krieg gesteigerte Not an Bestandobjekten und zur Erhaltung gewerblicher Unternehmen die bis dahin bestandene Lücke ausfüllen, indem sie den mietenrechtlichen Kündigungsschutz auch auf das ihm bisher nach den obigen Ausführungen entzogene Gebiet der Pacht- oder Unterpachtverträge über Gewerbebetriebe oder sonstige Unternehmungen ausdehnte, mit welchen Räume verbunden sind. Wenn sie dabei an den aus dem deutschen Recht stammenden Begriff der Raumpacht anknüpft, so erklärt sich dies historisch (vgl. Michlmayr, Österr. Recht, l. c., und SZ. XXII/97) aus dem Zusammenhang der KSchAusfV. mit der vom gleichen Tage stammenden 3. Verordnung zur Ausführung der Verordnung über den Kündigungsschutz für Miet- und Pachträume vom 5. September 1939, DRGBl. I S. 1670, und der Verordnung vom 23. Dezember 1931, DRGBl. I S. 796, über die außerordentliche Mietkündigung. Letztere Verordnung unterscheidet zwischen Raumpacht und Pacht eines gewerblichen Unternehmens und spricht in Art. IX aus, daß die Bestimmungen dieser Verordnung auf Pacht- und Unterpachtverhältnisse über gewerbliche Räume entsprechend Anwendung finden und daß ein Pachtvertrag über gewerbliche Räume im Sinne des § 3 II. Teil Kap. 3 der Verordnung des Reichspräsidenten vom 8. Dezember 1931, DRGBl. I

S. 699, nicht vorliege, wenn bei der Verpachtung eines wirtschaftlichen Unternehmens dem Pächter auch der Gebrauch von Gebäuden oder Gebäudebestandteilen überlassen wurde und sich die Überlassung des Unternehmens als die Hauptleistung des Verpächters darstellt. Weder die Verordnung vom 8. Dezember 1931 noch jene vom 23. Dezember 1931 haben je in Österreich gegolten; sie enthalten spezifisch deutsches Recht. Der § 7 der KSchAusfV. entspricht nun dem § 9 der ebenfalls nur für das deutsche Rechtsgebiet ergangenen

3. Verordnung zur Ausführung der Verordnung über den Kündigungsschutz für Miet- und Pachträume vom 5. September 1939, DRGBl. I S. 1670. In Auslegung dieser Bestimmung hat aber schon das Reichsgericht in seiner Entscheidung vom 13. November 1941, DR. A 1942, S. 221 ff., entschieden, daß die Unterscheidung zwischen Unternehmenspacht und Raumpacht seit § 9 der zit. Verordnung keine Rolle mehr spielt, und daß jede Pachtung, welche auch Räume umfaßt, geschützt ist. Diese Ansicht liegt auch der österreichischen Judikatur zugrunde. Sie muß um so eher gelten, als infolge des dem ABGB. eigentümlichen Rechtsbegriffes von Pacht und Miete eine Raumpacht stets als Miete anzusehen war. Die Ausführungen der Revision (wie auch schon jene der Berufung) zu diesem Punkt stützen sich auf die abweichende Ansicht von Herschel im Deutschen Wohnungsarchiv 1942, Spalte 89, mit der sich die Entscheidung SZ. XXII/97 eingehend auseinandergesetzt und die sie abgelehnt hat. Es sind darum die Darlegungen der Revision, welche dartun wollen, daß im vorliegenden Fall die der Bestandnehmerin überlassene Gewerbeberechtigung mit Rücksicht auf das Untersagungsgesetz der wichtigste, die Bedeutung der Überlassung der Räume weitaus überwiegende Teil des Bestandvertrages war, bedeutungslos. Jede Pachtung eines gewerblichen Unternehmens ist nunmehr, gleichviel, welches ihr Betriebsgegenstand und ohne Rücksicht darauf, welche Rolle der Überlassung des Unternehmens und der Gewerbeberechtigung im Rahmen des Vertrages spielte, mietenrechtlich gegen Aufkündigung nach Maßgabe des § 19 MietG. geschützt. Die von der Revision geforderte Wertprüfung der einzelnen Tatbestandsobjekte bei einem einheitlichen Bestandvertrag über gewerbliche Unternehmen würde überdies zu gar nicht lösbaren Schwierigkeiten führen. Es sind daher auch die, überdies zum Teil als unbeachtliche Neuerungen zu qualifizierenden Ausführungen der Revision über die Frage der Verlegbarkeit des Gewerbebetriebes innerhalb der Gemeinde und über die Größe und Ersetzbarkeit des Betriebslokales belanglos.

Die Heranziehung des Revisionsgrundes des § 503 Z. 2 ZPO., der darin gefunden wird, daß das Verhältnis des Wertes der Geschäftsräume zur gesamten Pacht nicht untersucht wurde, ist im Hinblick auf die Vorschrift des § 502 Abs. 4 ZPO. unzulässig, weil bei Kündigungsstreitigkeiten über mietengeschützte Räume gegenüber konformen Urteilen überhaupt nur die Anrufung des Revisionsgrundes der unrichtigen rechtlichen Beurteilung möglich ist.

Die Klägerin hat es aber auch verabsäumt, diesen von ihrem Standpunkt aus schon im Verfahren erster Instanz unterlaufenen Mangel mit Berufung zu rügen.

Der Revision war darum der Erfolg zu versagen.

Anmerkung

Z23014

Schlagworte

Kündigungsschutz bei Pachtverträgen, Pachtvertrag, Kündigungsschutz, Raumpacht, Kündigungsschutz, Unternehmen Kündigungsschutz für Pachtvertrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1950:0010OB00550.49.0201.000

Dokumentnummer

JJT_19500201_OGH0002_0010OB00550_4900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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