TE OGH 1950/4/22 2Ob277/50

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Veröffentlicht am 22.04.1950
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Norm

ABGB §586
Außerstreitgesetz §66

Kopf

SZ 23/107

Spruch

Die Bestimmung des § 586 ABGB. ist keine Beweisregel, sondern eine Formvorschrift; sie bildet einen zum rechtlichen Bestand der letztwilligen Erklärung erforderlichen Solennitätsakt.

Von der eidlichen Bekräftigung des Testamentsinhaltes durch die drei Zeugen kann nur Umgang genommen werden, wenn der dritte Zeuge nicht vernommen werden kann (z. B. Tod, Geisteskrankheit oder Unbekanntheit des Aufenthaltes), nicht aber, wenn er im Ausland (England) unter bekannter Adresse wohnt.

Entscheidung vom 22. April 1950, 2 Ob 277/50.

I. Instanz: Bezirksgericht Fünfhaus; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

In einer Verlassenschaftssache gaben einerseits die erblasserische Mutter auf Grund eines mündlichen Testamentes, anderseits die erblasserischen Halbbrüder auf Grund des Gesetzes Erbserklärungen ab. Von den drei Zeugen des mündlichen Testaments wurden lediglich zwei vernommen, von der dritten Zeugin, die in England wohnhaft ist, wurden dem Verlassenschaftsgericht zwei vor einem englischen Notar abgegebene eidesstättige Erklärungen über die Vorgänge bei der Testamentserrichtung und über den Inhalt des letzten Willens vorgelegt.

Das Abhandlungsgericht nahm sämtliche Erbserklärungen entgegen und verwies die gesetzlichen Erben unter gleichzeitiger Zuteilung der Klägerrolle auf den Rechtsweg.

Das Rekursgericht gab den Rekursen der gesetzlichen Erben insoweit Folge, als der erstgerichtliche Beschluß in dem Ausspruch über die Zuteilung der Klägerrolle aufgehoben und dem Erstgericht eine neuerliche Beschlußfassung nach Ergänzung des Verfahrens aufgetragen wurde.

Der Oberste Gerichtshof bestätigte den Beschluß des Rekursgerichtes.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Bestimmung des § 586 ABGB., wonach eine mündliche letztwillige Verfügung, über welche die Zeugen keine Niederschrift errichtet haben, durch deren übereinstimmende eidliche Aussage bestätigt werden muß, stellt keine Beweisregel, sondern eine Formvorschrift dar. Sie bildet einen zum rechtlichen Bestand der letztwilligen Erklärung erforderlichen Solennitätsakt (Ehrenzweig II/2, S. 439, Krasnopolski, S. 65, Mayr, S. 213, Stubenrauch, I, S. 793, Rintelen, S. 57, SZ. VI/278 u. a. m., aber unrichtig Handl bei Klang, 1. Aufl., II/1, S. 191).

Die Zeugen müssen sämtlich, u. zw. über Verlangen eines Interessenten eidlich, durch das Abhandlungsgericht, diejenigen aber, die in einem anderen Sprengel wohnen, durch das Bezirksgericht ihres Wohnsitzes als ersuchtes Gericht (§ 66 AußstrG.) vernommen werden. Von dieser Regel macht § 586 ABGB. nur eine Ausnahme, wenn einer der Zeugen aus irgendeinem Grund, wie z. B. Tod, Geisteskrankheit, Unbekanntheit des Aufenthaltes, nicht vernommen werden kann. Nur in diesem Fall genügt die übereinstimmende eidliche Aussage der beiden anderen Zeugen (Klang, l. c., S. 194, Ehrenzweig, II/2, S. 439). Im vorliegenden Fall ist die dritte Zeugin in England wohnhaft und statt eines Vernehmungsprotokolls ist eine eidesstättige Erklärung vor einem englischen Notar vorgelegt worden (Affidavit).

Der Revisionsrekurs ist nun der irrigen Ansicht, es genüge im Hinblick auf die Unmöglichkeit oder Untunlichkeit der Vernehmung der dritten Testamentszeugin im Rechtshilfewege durch ein britisches Gericht die übereinstimmende eidliche Aussage der beiden anderen Testamentszeugen und die vom Rekursgericht angeordneten Erhebungen seien darum entbehrlich. Das ist unrichtig und abwegig. Von dem als Gültigkeitsvoraussetzung zu wertenden Erfordernis der übereinstimmenden, auf Verlangen eines Interessenten eidlichen Bekräftigung des Testamentsinhaltes durch die drei Zeugen kann nur Umgang genommen werden, wenn der dritte Zeuge nicht vernommen werden kann, was z. B. auch dann der Fall wäre, wenn er in einem Lande lebt, welches österreichischen Gerichten weder vertraglich noch tatsächlich kraft Reziprozität Rechtshilfe gewährt.

Nun sieht der Rechtshilfevertrag vom 31. März 1931, BGBl. 1932, Nr. 45, ausdrücklich zwei Formen der zu gewährenden Rechtshilfe durch britische Behörden vor: die "letters of request" (Art. 7) und die "Commission" (Art. 8, vgl. E. v. 29. April 1932, JABl. S. 22). Im letzteren Fall kann eine Beweisaufnahme auch ohne Inanspruchnahme oder Beteiligung britischer Behörden von einer Person durchgeführt werden, die in Großbritannien dazu unmittelbar durch das Gericht, das die Beweisaufnahme begehrt, bestellt wird, z. B. ein diplomatischer oder konsularischer Vertreter oder irgendeine andere geeignete Person. Der Rechtshilfevertrag vom 31. März 1931 ist durch die Okkupation Österreichs außer Wirksamkeit getreten. Es wird daher zunächst durch eine an das Bundesministerium für Justiz zu richtende Anfrage zu klären sein, ob dieser Vertrag wieder in Kraft gesetzt wurde oder ob wenigstens tatsächlich die Bestimmungen des Vertrages kraft Gegenseitigkeit von den beiderseitigen Behörden beachtet und angewendet werden. Ebenso wird aber in gleicher Weise zu klären sein, ob die öffentlichen Notare im Sinn des Artikels 8 befugt sind, Eide abzunehmen oder eidliche Erklärungen entgegenzunehmen, und ob solche Eide oder Erklärungen den vor Gericht abgegebenen in zivilprozessualer und strafrechtlicher Beziehung nach englischem Recht gleichgestellt sind.

Schließlich müßte, wie das Rekursgericht zutreffend ausgesprochen hat, durch Anfrage an das Bundesministerium für Justiz auch klargestellt werden, ob die beiden vorgelegten Affidavits als eidesstättige Erklärungen vor einem öffentlichen Notar anzusehen sind oder als Beurkundung eines vor dem britischen Notar abgelegten Eides.

Es mag sein, daß diese Erhebungen zeitraubend sind, obwohl der Revisionsrekurs die Zeitdauer, die sie erfordern, offenbar weitaus überschätzt. Solche praktische Erwägungen können aber nicht maßgebend sein, wenn es sich darum handelt, den Erfordernissen des § 586 ABGB. zu genügen. Nur dann, wenn eine gerichtliche Vernehmung der dritten Testamentszeugin unter Eid durch ein britisches Gericht unmöglich ist und eine vor einem britischen Notar abgegebene eidesstättige Erklärung aus den angeführten grunden nicht einer gerichtlichen Vernehmung unter Eid gleichgehalten werden könnte, dürfte sich das Abhandlungsgericht im Sinne des § 586 ABGB. mit der übereinstimmenden Aussage der beiden im Inland lebenden Testamentszeugen begnügen. Ob dies zutrifft, ist aber zur Zeit nicht zu beurteilen, weshalb die vom Rekursgericht angeordneten Erhebungen notwendig und die Einwände des Revisionsrekurses unbegrundet sind.

Anmerkung

Z23107

Schlagworte

Ausland Testamentszeuge im -, Erfordernis der Vernehmung, Kundmachung des letzten Willens, Vernehmung von Testamentszeugen im, Ausland, Letztwillige Verfügung, mündliche, Testament mündliches, Vernehmung der Zeugen, Verfügung letztwillige mündliche, Zeuge bei Testamentserrichtung, Vernehmung bei Aufenthalt im Ausland

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1950:0020OB00277.5.0422.000

Dokumentnummer

JJT_19500422_OGH0002_0020OB00277_5000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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