TE OGH 1950/5/3 1Ob379/49

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Veröffentlicht am 03.05.1950
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Norm

ABGB §6
ABGB §246
ABGB §1325

Kopf

SZ 23/126

Spruch

Gemäß § 246 ABGB. kann der Minderjährige nicht nur über den Ertrag einer auf Erwerb gerichteten Tätigkeit, sondern auch darüber frei verfügen, was ihm als Ersatz für Verdienstentgang zukommt, nicht aber über Schmerzengeld.

Entscheidung vom 3. Mai 1950, 1 Ob 379/49.

I. Instanz: Bezirksgericht Lambach; II. Instanz: Kreisgericht Wels.

Text

Der Minderjährige hat durch einen Messerstich, den ihm ein Altersgenosse zufügte, eine schwere Verletzung erlitten. Der Vater des Schuldigen hat aus diesem Anlaß auf Grund eines vom Vormundschaftsgericht genehmigten Vergleiches einen Betrag von 5000 S, worin Schadenersatz für Verdienstentgang, Schmerzengeld und einige Kosten inbegriffen sind, bei der Raiffeisenkasse E. für den Minderjährigen erlegt. Der Betrag wurde vom Vormundschaftsgericht gesperrt.

Der Antrag der Mutter und Vormunderin, dem Minderjährigen den Betrag von 5000 S zur freien Verfügung zu überlassen, wurde vom Vormundschaftsgerichte abgewiesen. Dem dagegen vom Minderjährigen durch die Vormunderin eingebrachten Rekurse hat das Rekursgericht Folge gegeben. Der Beschluß des Vormundschaftsgerichtes wurde aufgehoben und die Sache zur weiteren Erhebung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen. Das Rekursgericht führt in der Begründung seines Beschlusses aus, daß das, was dem Minderjährigen als Ersatz für versäumte Entlohnung seiner Arbeitsleistung zukommt, an die Stelle des Lohnes tritt und daher im Sinne des § 246 ABGB. dem Minderjährigen ebenso wie das, was er durch seinen Fleiß erwirbt, zur freien Verfügung zu überlassen ist. Auf das Schmerzengeld sei aber diese Regel nicht anwendbar. Da der Vergleich nicht im Wortlaut vorliege und den Akten nicht zu entnehmen sei, welcher Teil der Vergleichssumme auf den Verdienstentgang entfällt, bedürfe das Verfahren einer Ergänzung.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurse des Minderjährigen nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Im Revisionsrekurs vertritt der Minderjährige die Ansicht, daß es der Zweck des Schmerzengeldes ist, dem Beschädigten Lustgefühle zu verschaffen und mit diesen die erlittenen Schmerzen auszugleichen, daß aber dieser Zweck nicht erreicht werden kann, wenn der Minderjährige der freien Verfügung über das Schmerzengeld beraubt ist. Wolle man sowohl der Bestimmung des § 246 ABGB. wie auch dem Zwecke des Schmerzengeldes gerecht werden, so müsse man hiefür eine beiden Momenten in gleicher Weise Rechnung tragende Norm aufstellen. In seinem Zusammenhange betrachtet, lasse das Gesetz die Absicht erkennen, jene Einkünfte, die dem Minderjährigen durch irgendein persönliches Tun oder Lassen erwachsen, von jenen anderen Einkünften zu trennen, die ohne sein Dazutun entstehen. Nur in diesem Sinne könne das Wort "Fleiß" verstanden werden. Bei dieser Auslegung könne aber das Schmerzengeld nicht der freien Verfügung des Minderjährigen entzogen sein.

Dem muß entgegengehalten werden, daß § 246 ABGB. in seinem ersten Satz die Fähigkeit des Pflegebefohlenen zur Eingehung von Dienstverträgen regelt und hiebei dem Vormund das Recht einräumt, einen vom Minderjährigen geschlossenen Vertrag vorzeitig zu lösen. Wenn anschließend daran im Gesetze gesagt wird, daß der Minderjährige über das, was er "auf diese oder auf eine andere Art durch seinen Fleiß erwirbt", frei verfügen kann, so kann damit nur der Ertrag einer auf Erwerb gerichteten Tätigkeit gemeint sein. Ob diese Tätigkeit als Verpflichtung im Rahmen eines Dienstvertrages, eines Werkvertrages oder eines sonstigen Verpflichtungsverhältnisses entfaltet wird, ist dabei nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes gleichgültig. Allein auch solche Beträge, die nicht aus einer Erwerbstätigkeit fließen, sondern dem Minderjährigen als materieller Ausgleich für erlittene körperliche und seelische Schmerzen zukommen, der Bestimmung des § 246 ABGB. zu unterstellen und dem Minderjährigen zur freien Verfügung zu überlassen, verbietet, wie das Rekursgericht zutreffend erklärt, die Auslegungsregel des § 6 ABGB., weil es eine durch den Zweck des Gesetzes nicht mehr gerechtfertigte analoge Anwendung bedeuten würde. Denn der Zweck des § 246 ABGB. ist wohl vor allem ein erzieherischer; der Minderjährige soll einerseits einen Ansporn zu regelmäßiger Arbeit erhalten und anderseits lernen, in dem Maße, das ihm der Ertrag seiner Arbeitstätigkeit bietet, ordentliche Wirtschaft zu führen, d. h. Ausgaben und Einnahmen miteinander in Einklang zu bringen. Die Überlassung größerer Beträge zur freien Verfügung ließe sich durch diesen Zweck nicht rechtfertigen, ja sie würde ihn sogar ernstlich gefährden, weil der Minderjährige dadurch zu Ausgaben verleitet würde, die über seine bisherige Lebenshaltung hinausgehen und auch für die Zukunft Wünsche wecken, die aus dem Arbeitslohn nicht befriedigt werden können.

Daraus ergibt sich, daß der angefochtene Beschluß von einer zu billigenden Rechtsansicht ausgeht. Damit erweist sich aber das Verfahren nach der vom Rekursgerichte angegebenen Richtung hin als ergänzungsbedürftig.

Dem Revisionsrekurs mußte deshalb der Erfolg versagt bleiben.

Anmerkung

Z23126

Schlagworte

Geschäftsfähigkeit, freie Verfügung eines Minderjährigen über, Schadenersatzbetrag, Handlungsfähigkeit, freie Verfügung eines Minderjährigen über, Schadenersatzbetrag, Kind freie Verfügung über Schadenersatzbetrag, Körperverletzung Verfügungsfreiheit des Minderjährigen über, Schadenersatzleistung, Minderjähriger, freie Verfügung über Schadenersatzbetrag, Schadenersatz, Verfügungsfreiheit eines Minderjährigen über, Ersatzbetrag, Schmerzengeld, keine Verfügungsfreiheit des Minderjährigen, Verdienstentgang Verfügungsfreiheit des Minderjährigen über, Ersatzbetrag, Verletzung eines Minderjährigen, Verfügung über Ersatzbetrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1950:0010OB00379.49.0503.000

Dokumentnummer

JJT_19500503_OGH0002_0010OB00379_4900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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