TE OGH 1950/7/5 1Ob360/50

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Veröffentlicht am 05.07.1950
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Norm

ABGB §7
ABGB §46
Handelsagentengesetz §10
ZPO §503 Z4

Kopf

SZ 23/216

Spruch

Die verlassene Verlobte, die infolge der Verlobung eine Dauerstellung verloren hat, kann nur das ersetzt verlangen, was sie während der Verlobung zu verdienen unterlassen hat, und nach Auflösung der Verlobung noch für eine weitere Zeitperiode, bis sie einen Verdienst gefunden hat, vorausgesetzt, daß sie sich darum bemüht hat.

Entscheidung vom 5. Juli 1950, 1 Ob 360/50.

I. Instanz: Kreisgericht Leoben; II. Instanz: Oberlandesgericht Graz.

Text

Beklagter, ein verheirateter Mann, begann mit der Klägerin ein intimes Verhältnis, dem ein uneheliches Kind entsproß. Wegen dieses Verhältnisses brachte die Gattin des Beklagten die Ehescheidungsklage gegen den Beklagten ein. Die Ehe wurde aus dem Alleinverschulden des Beklagten wegen Ehebruches mit der Klägerin geschieden. Die beiden Streitteile suchten dann um Befreiung vom Ehehindernis des Ehebruches an, die auch gewährt wurde. Da die Klägerin beim Einlangen der Dispens hochschwanger war, verschoben die Parteien die Eheschließung auf die Zeit nach der Geburt des Kindes. Kurze Zeit nach der Geburt des Kindes begannen Streitigkeiten zwischen den beiden Streitteilen, die mehrere Monate andauerten und damit endeten, daß die Beziehungen zwischen den Parteien aufgehoben wurden und Beklagter wieder zu seiner Ehegattin, die sich von ihm hatte scheiden lassen, zurückkehrte.

Klägerin begehrt nun vom Beklagten 30.000 S Schadenersatz mit der Begründung, daß die Bezirkshauptmannschaft X., wo sie als Vertragsangestellte Dienst machte, ihr das Dienstverhältnis mit Rücksicht auf ihre bevorstehende Verehelichung aufgekundigt habe. Da der Beklagte durch sein Verhalten Anlaß zur Aufhebung des Verlöbnisses gegeben habe, sei er verpflichtet, ihr den Schaden, den sie durch Verlust ihrer Stellung erlitten habe, zu ersetzen.

Die beiden unteren Instanzen haben nach Einschränkung auf den Grund des Anspruches zu Recht erkannt, daß der Anspruch dem Gründe nach zu Recht bestehe.

Das Berufungsgericht stellt mit dem Erstgericht fest, daß der Beklagte das der Klägerin gegebene und von ihr angenommene unbedingte Eheversprechen nicht eingehalten habe; sein Einwand, daß er dessen Einlösung nachträglich (erstmalig nach der Geburt des Kindes am 20. April 1948) von der Bedingung ihres Wohlverhaltens durch ein halbes Jahr abhängig gemacht habe, sei nach der Auffassung des Berufungsgerichtes unerheblich, da eine einmal bedingungslos gegebene Ehezusage in der Folge nicht einseitig durch eine Bedingung eingeschränkt werden könne. Von der Seite der Klägerin sei keine gegrundete Ursache zum Rücktritt entstanden; vielmehr sei anzunehmen, daß der Beklagte durch sein brutales Verhalten gegen die Klägerin und ihre Kinder ihr gegrundeten Anlaß zum Rücktritt gegeben habe. Daß die Klägerin sich einmal zu Tätlichkeiten gegen den Beklagten habe hinreißen lassen, sei lediglich als maßhaltende und entschuldbare Reaktion auf die Mißhandlung ihrer Kinder zu werten.

Bedeutungslos sei es, daß Beklagter den Verlust der Stellung der Klägerin bei der Bezirkshauptmannschaft nicht veranlaßt habe, desgleichen die Tatsache, daß die Klägerin die Kündigung widerspruchslos hingenommen habe, weil der Beklagte gar nicht behaupte, daß eine Stellungnahme gegen sie zu ihrer Zurückziehung geführt hätte.

Bei diesem Sachverhalt sei daher der Beklagte verpflichtet, der Klägerin den durch den Verlust der Anstellung erlittenen Schaden zu ersetzen, da dieser wirklicher Schade und kein bloßer Verdienstentgang sei (SZ. X/105).

Der Oberste Gerichtshof hob auf.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der Revisionswerber macht zunächst geltend, daß die Meinung des Berufungsgerichtes rechtsirrig sei, daß es ihm nicht gestattet gewesen sei, sein unbedingtes Eheversprechen nachträglich von Bedingungen abhängig zu machen. Dieser Rechtsauffassung kann sich der Oberste Gerichtshof nicht anschließen. Auch das Eheverlöbnis ist ein Vertrag wie jeder andere, wenn auch auf seine Zuhaltung nicht geklagt werden kann. Es kann daher von keinem der beiden Vertragsteile einseitig abgeändert oder von Bedingungen abhängig gemacht werden. Hat die Gegenpartei Anlaß zum Rücktritt gegeben, so kann der andere Teil zurücktreten, anderenfalls muß er den Vertrag zuhalten, wenn er nicht schadenersatzpflichtig werden will. Bedingungen für die Erfüllung seiner Vertragszusage kann er aber nicht stellen.

Da das Berufungsgericht ausdrücklich übereinstimmend mit dem Erstgericht festgestellt hat, daß Klägerin keinen Anlaß zum Rücktritt gegeben hat, wohl aber, daß Beklagter sich brutal gegen die Klägerin verhalten und ihre Kinder mißhandelt hat, so sind die Voraussetzungen gegeben, unter denen nach § 46 ABGB. Schadenersatz begehrt werden kann.

Daß die Klägerin einmal, als Beklagter ihre Kinder mißhandelt hat, sich zu Tätlichkeiten hinreißen ließ, kann, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, nicht dahin gewertet werden, daß auch die Klägerin eine begrundete Ursache für die Auflösung des Verlöbnisses gesetzt habe.

Rechtlich irrelevant ist es auch, ob Beklagter Schritte unternommen habe, daß das Dienstverhältnis der Klägerin von der Bezirkshauptmannschaft gekundigt werde. § 46 ABGB. setzt keine Verursachung durch den Schadenersatzpflichtigen voraus; es genügt, wenn der andere Teil durch das Verlöbnis einen wirklichen Schaden erlitten hat.

Wohl aber ist die Revision begrundet, soweit sie sich dagegen wendet, daß der Beklagte schlechthin zum Ersatz aller Vermögensnachteile verurteilt werde, die die Klägerin durch den Verlust ihrer Stellung bei der Bezirkshauptmannschaft erlitten hat.

§ 46 ABGB. spricht nur vom Ersatz des wirklichen Schadens. Als wirklicher Schade kann aber nicht jeder Nachteil durch Verlust einer Stellung angesehen werden, sondern nur der konkrete Schaden durch Arbeitslosigkeit oder Schlechterbezahlung bis zum Wiedererlangen einer entsprechenden Anstellung, unter der Voraussetzung, daß sich der Geschädigte um eine passende Stellung bemüht hat.

Bei einer anderen Auslegung des § 46 ABGB. wäre die verlassene Verlobte besser gestellt als die schuldlos geschiedene Ehegattin, die im Falle der Arbeitsfähigkeit keine Alimentation verlangen kann, auch wenn sie anläßlich der Eheschließung eine Dauerstellung aufgegeben hat.

Für diese Auslegung spricht auch die Entstehungsgeschichte der geltenden Fassung des § 46 ABGB., die auf eine Anregung Zeillers (Ofner, Protokolle, I, 69) zurückgeht. Zeiller bemerkte, daß man die im Falle des Verlöbnisbruches zuzusprechende Entschädigung nicht wohl auf den Ersatz der Auslagen allein beschränken dürfte, weil der reelle Schaden auch in anderen Stücken bestehen könne. So sei ihm z. B. der Fall vorgekommen, daß eine Witwe den Provisor einer Apotheke durch wiederholte Zusicherungen der Ehe bestimmte, aus dem Dienste zu treten; sie sei sodann von der Ehe wieder abgestanden und der Provisor habe durch längere Zeit keine Versorgung finden können.

Zeiller wollte also den zu ersetzenden Schaden auf den tatsächlich eingetretenen Arbeitsverlustschaden einschränken und keineswegs dem verlassenen Verlobten eine Lebensrente sichern. Das erklärt auch, warum er den Vorschlag machte, den Urentwurf durch Beifügung des Wortes "wirklichen" Schaden zu verdeutlichen, aber zugleich erkennbar zu machen, daß Gewinnentgang nicht gebühre.

Im gleichen Sinne erging auch die vom Berufungsgericht angezogene Entscheidung SZ. X/105. Wie aus dem in der oberstgerichtlichen Entscheidung wiedergegebenen Sachverhalt ersichtlich, hatte damals die Klägerin, eine Schauspielerin, Schadenersatzanspruch geltend gemacht, weil sie wegen ihrer Verlobung mit dem Kläger die zu ihrer normalen Verdienstmöglichkeit gehörenden Gastspiele ausgeschlagen hatte. Der Oberste Gerichtshof verpflichtete daher den an der Auflösung des Verlöbnisses schuldigen Teil nur zum Ersatz des eingetretenen Arbeitsverlustschadens und zu nicht mehr. Die Auffassung, daß der Vermögenswert einer aufgegebenen Stellung zu ersetzen sei, ist wohl in der Literatur, aber niemals vom Obersten Gerichtshof vertreten worden. Sie ist, da mit der Begrenzung des Ersatzes auf den wirklich eingetretenen Schaden unvereinbar, als rechtsirrig abzulehnen.

Der Umfang des nach § 46 ABGB. zu ersetzenden Schadens deckt sich ungefähr mit dem nach § 10 Abs. 1 HAG. zu ersetzenden Schaden, mit welcher Bestimmung der Geschäftsherr verpflichtet wird, dem Handelsagenten den Schaden zu ersetzen, den er erlitten hat, weil er vertragswidrig verhindert worden ist, Provisionen im zu erwartenden Umfange ins Verdienen zu bringen. Im Falle des § 46 ABGB. handelt es sich nicht gerade um Provisionen und auch nicht um eine vertragswidrige Hinderung am Verdienste, im übrigen ist aber der Rechtsgedanke der gleiche (§ 7 ABGB.). Der nach § 46 ABGB. an der Auflösung der Verlobung schuldige Teil soll dem anderen das ersetzen, was er infolge der Verlobung zu verdienen unterlassen hat, das heißt, während der Verlobung - es sei denn, daß er während dieser Zeit vom schuldtragenden Teil entsprechend alimentiert worden ist - und nach der Auflösung der Verlobung noch für eine weitere Zeitperiode, bis er einen Verdienst gefunden hat, vorausgesetzt, daß er sich darum bemüht hat.

Von dieser Rechtsanschauung aus ist die Sache nicht spruchreif, da sich die Untergerichte darauf beschränkt haben, festzustellen, daß die Klägerin infolge der Verlobung ihren alten Dienstposten verloren hat, aber nicht, ob sie nach Auflösung der Verlobung sofort eine entsprechende Stellung gefunden hat, bzw. wie lange die Arbeitslosigkeit (Arbeit zu minderer Entlohnung) gedauert hat, bzw. ob sie sich um eine neue Arbeit bemüht hat, ferner, ob sie während der Verlobungszeit, da sie mit dem Beklagten zusammengelebt hat, in einer Weise alimentiert wurde, die als Ersatz ihres vom Staate bezogenen, ihr nunmehr entgangenen Gehaltes angesehen werden kann.

Mit Rücksicht auf diese Feststellungsmängel erscheint die auf § 503 Z. 4 ZPO. gestützte Revision begrundet. Es mußte daher das Berufungsgericht und, da eine Verhandlung in erster Instanz nicht zu vermeiden sein wird, auch das erstinstanzliche Urteil aufgehoben werden.

Anmerkung

Z23216

Schlagworte

Auflösung des Verlöbnisses, Schadenersatz, Braut, verlassene, Schadenersatz, Dauerstellung, aufgegebene, der verlassenen Verlobten, Dienstvertrag, Schadenersatz der verlassenen Verlobten, Ersatz des Verdienstentganges für verlassene Verlobte, Schadenersatz wegen Auflösung der Verlobung, Verdienstentgang, Ersatz bei Auflösung des Verlöbnisses, Verlöbnis, Schadenersatz wegen Auflösung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1950:0010OB00360.5.0705.000

Dokumentnummer

JJT_19500705_OGH0002_0010OB00360_5000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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