TE OGH 1950/9/28 1Ob518/50

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Veröffentlicht am 28.09.1950
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Norm

ABGB §1295
ABGB §1313a
ABGB §1315

Kopf

SZ 23/273

Spruch

Einmalige Unachtsamkeit ist noch keine Untüchtigkeit. Eine Person, die zur gehörigen Besorgung der ihr übertragenen Angelegenheiten nur unter Leitung und Überwachung fähig ist, ist ohne diese Überwachung als untüchtig anzusehen.

Entscheidung vom 28. September 1950, 1 Ob 518/50.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Am 1. Februar 1947 beauftragte die Hausverwaltung des Hauses Wien, XIX., D-Straße 61, den Beklagten, den Wassermesser, bzw. die zu diesem führenden Wasserzuleitungsrohre, in welchen das Wasser eingefroren war, aufzutauen. Der Beklagte beauftragte mit der Durchführung dieser Arbeit den Lehrling Josef W. Die Klägerin, die im genannten Hause Geschäftslokalitäten gemietet hat, behauptet, daß Josef W. mit der Lötlampe so unvorsichtig verfahren sei, daß dadurch im Lokal der Klägerin entlang der Wand aufgestellte Bücher in Brand gesetzt wurden. Sie behauptet, dadurch einen Schaden in der Höhe von 14.265 S erlitten zu haben, den sie im Klagewege begehrt.

Das Erstgericht erkannte mit Zwischenurteil, daß der Klagsanspruch nicht zu Recht bestehe. Auf § 1313a ABGB. könne der Anspruch nicht gestützt werden, weil der Beklagte zur Klägerin in keinerlei Vertragsverhältnis gestanden sei, da der Beklagte von der Hausinhabung mit den Arbeiten beauftragt worden sei. § 1315 ABGB. sei nicht anwendbar, weil der Beklagte sich keiner untüchtigen Person bedient habe, denn nach dem Sachverständigengutachten sei der Brand lediglich auf die nicht erkennbare Schadhaftigkeit der Trennungsmauer zurückzuführen und es sei daher gleichgültig, ob sich der Beklagte zur Ausführung der Arbeiten des Lehrlings Josef W. oder einer anderen Person bedient habe.

Das Berufungsgericht erkannte, daß der Anspruch dem Gründe nach zu Recht bestehe. Abweichend vom Erstrichter vertrat das Berufungsgericht die Rechtsauffassung, daß der mit der Erbringung einer Leistung betraute Unternehmer einem Dritten nach § 1313a ABGB. für das Verschulden seiner Erfüllungsgehilfen hafte, wenn der Dritte gegen den Auftraggeber einen Anspruch auf Erbringung der betreffenden Leistung habe und wenn überdies die Vertragsauslegung nach der Verkehrssitte ergebe, daß der Schuldner (Unternehmer) auch gegenüber dritten Personen - im vorliegenden Falle die Mieter des Hauses - die Pflicht zur Sorgfalt übernommen habe. Der Beklagte habe daher nach § 1313a ABGB. der Klägerin gegenüber ein etwaiges Verschulden seines Lehrlings Josef W. zu vertreten.

Das Berufungsgericht ist der Meinung, daß den Lehrling tatsächlich ein Verschulden treffe. Aus der Aussage der Hausbesorgerin ergebe sich, daß der zwei Finger breite Riß in der Mauer bei eingehender Prüfung zu erkennen gewesen wäre. Es sei festzuhalten, daß die Handhabung einer Lötlampe infolge der großen Hitzeentwicklung zur Vermeidung von Gefahren immer mit größter Vorsicht zu geschehen habe. Wer mit einer Lötlampe arbeite, sei daher verpflichtet, die Arbeitsstelle genau zu untersuchen. Ein zwei Finger breiter Riß, der selbst bei normaler Stärke der Mauer eine Gefahrenquelle darstellen könne, müsse bei einiger Sorgfalt auch im schwachen Schein einer Lötlampe festgestellt werden können. Diese Vorsicht habe aber der Lehrling vermissen lassen, auch habe er sich insbesondere nach Wahrnehmung des Brandgeruches nicht richtig verhalten, da er zunächst die Brandbekämpfung mit untauglichen Mitteln versuchte, anstatt die sofortige Verständigung der Feuerwehr zu veranlassen.

Der Oberste Gerichtshof stellte das erstinstanzliche Urteil wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung ist gegeben. Das angefochtene Urteil setzt sich zu dem Judikat 50 (neu) in Widerspruch, in dem ausgesprochen wurde, daß § 1313a ABGB. nur dann anwendbar ist, wenn der Dienstgeber einem bestimmten Dritten gegenüber zu einer Handlung oder Unterlassung verpflichtet ist. Da die Verpflichtung des Beklagten zur Vornahme der ihm übertragenen Arbeit auf einem Vertrag mit der Hausinhabung beruhte, so war Beklagter nur dieser gegenüber verpflichtet und nicht der Klägerin gegenüber. Der Klägerin fehlt demnach die Aktivlegitimation, da, wenn überhaupt, nur der Auftraggeber des Beklagten berechtigt gewesen wäre, Ersatz des der Klägerin zugefügten Schadens zu verlangen.

Die Klägerin selbst konnte ihren unmittelbar gegen den Beklagten erhobenen Anspruch nur auf § 1315 ABGB. stützen. Dazu reicht aber die bloße Tatsache, daß dem Lehrling des Beklagten nach der Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes ein Versehen zur Last fällt, weil er die erforderliche Sorgfalt außer acht gelassen und daher den zwei Finger breiten Riß in der Mauer übersehen hat, nicht hin, weil eine einmalige Unachtsamkeit noch keine Untüchtigkeit im Sinne des § 1315 ABGB. darstellt. Das gleiche gilt von dem Umstand, daß er zunächst das Feuer mir untauglichen Mitteln zu löschen versucht hat, statt sofort die Feuerwehr zu verständigen, ganz abgesehen davon, daß aus den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichtes nicht zu entnehmen ist, daß der Lehrling sofort hätte erkennen können, daß es sich um einen Brand handle, der sich mit einfachen Mitteln nicht löschen ließ.

Der Anspruch kann auch nicht auf die allgemeine Verschuldensnorm des § 1295 ABGB. gestützt werden, daß dem Beklagten ein Auswahlverschulden zur Last liege, weil er einen Lehrling mit den Auftauarbeiten betraut habe, obwohl nach den Richtlinien der Innung Lehrlinge nicht mit diesen Aufgaben beauftragt werden sollen. § 1295 ABGB. ist nicht subsidiär neben § 1315 ABGB. anwendbar; die Frage des Auswahlverschuldens ist abschließend in § 1315 ABGB. geregelt. Das folgt aus der Erwägung, daß § 1315 ABGB. einerseits die Haftung für Auswahlverschulden gegenüber § 1295 ABGB. einschränkt, indem nur für die wissentliche Auswahl von gefährlichen Personen gehaftet wird, nicht aber für die fahrlässige; anderseits aber die Haftung wieder erweitert, indem für die Auswahl einer untüchtigen Person ohne Rücksicht darauf gehaftet wird, ob den Dienstgeber ein Verschulden trifft oder nicht.

Der Klagsanspruch steht und fällt daher mit der Frage, ob gesagt werden kann, daß der Beklagte durch die Entsendung des Lehrlings Josef W. eine untüchtige Person beauftragt habe. Es soll nicht bestritten werden, daß eine Person, die zur gehörigen Besorgnis nur unter Leitung und Überwachung fähig ist, als untüchtig anzusehen ist, wenn sie ohne Überwachung tätig wird. Das setzt aber voraus, daß nachgewiesen ist, daß sie nur bei ordentlicher Überwachung imstande ist, die ihr aufgetragenen Arbeiten zu verrichten. Das kann aber bei einem Lehrling im dritten Lehrjahr nicht ohneweiters behauptet werden. Daß aber Josef W. weder die erforderlichen Kenntnisse noch Fähigkeiten gehabt hätte, um die Auftauarbeiten durchzuführen, ist weder behauptet noch unter Beweis gestellt worden. Es ist also nicht erwiesen, daß im konkreten Fall eine ungeeignete Person verwendet worden ist. Darauf kommt es aber allein an und nicht darauf, ob die Richtlinien der Innung eingehalten werden oder nicht. Wenn eine Person verwendet wurde, die im konkreten Falle nicht untüchtig war, so kann § 1315 ABGB. nicht zur Anwendung kommen; denn wer fachlich geeignet, also tüchtig ist, ist eben nicht untüchtig.

Das Berufungsgericht hat daher die Rechtslage unrichtig beurteilt; es mußte demnach der Revision Folge gegeben und das erstrichterliche Urteil wieder hergestellt werden.

Anmerkung

Z23273

Schlagworte

Besorgungsgehilfe, einmalige Unachtsamkeit, Haftung nach § 1315 ABGB., einmalige Unachtsamkeit, Schadenersatz nach § 1315 ABGB., einmalige Unachtsamkeit, Unachtsamkeit, einmalige, keine Untüchtigkeit, Untüchtigkeit nach § 1315 ABGB., einmalige Unachtsamkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1950:0010OB00518.5.0928.000

Dokumentnummer

JJT_19500928_OGH0002_0010OB00518_5000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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