TE OGH 1950/11/3 3Ob455/50

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Veröffentlicht am 03.11.1950
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Norm

ABGB §1295
Reichsversicherungsordnung §1542
ZPO §411

Kopf

SZ 23/312

Spruch

Nach § 1542 RVO. gehen auf den Versicherungsträger nur jene Ersatzansprüche über, die dem Verletzten nach gesetzlichen Vorschriften gebühren, nicht aber solche, die ihm auf Grund einer freiwilligen Verpflichtung des Beschädigten zustehen.

Entscheidung vom 3. November 1950, 3 Ob 455/50.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Der Beklagte, der im Jahre 1939 den Bauern und Kleinrentner Josef K. durch einen von ihm gelenkten Personenkraftwagen schwer verletzt hatte (Josef K. mußte das linke Bein oberhalb des Knies abgenommen werden, wodurch er vollkommen arbeitsunfähig wurde), wurde mit Urteil des Reichsgerichtes in Leipzig vom 8. November 1944 schuldig erkannt, dem Josef K. vollen Schadenersatz zu leisten und insbesondere eine stufenweise festgesetzte Rente bis zum Lebensende zu bezahlen, wobei das Reichsgericht den Standpunkt vertrat, der Beklagte habe den Anspruch auf Leistung einer Rente auf Lebenszeit anerkannt, es stehe auch derzeit noch nicht fest und könne auch noch nicht gesagt werden, ob Josef K. nach Vollendung des 70. Lebensjahres vollständig erwerbsunfähig sein würde. Es sei daher die dem Josef K. dann noch verbleibende Erwerbsfähigkeit mit dem vom Beklagten anerkannten Rentenbetrag von 63.56 RM monatlich voll abgegolten.

Die Klägerin begehrt nun als Versicherungsträgerin des Josef K. vom Beklagten gemäß § 1542 RVO. den Ersatz der von ihr an Spitalskosten, Prothesen und an Renten ausgelegten Beträge von zusammen 5.659.99 S und die Feststellung, daß der Beklagte schuldig sei, ihr die Leistungen zu ersetzen, die sie dem Josef K. als Sozialversicherungsträgerin aus dem Unfall vom 13. Jänner 1939 zu erbringen habe.

Das Prozeßgericht erkannte nach dem Klagebegehren. Das Berufungsgericht hob das Urteil des Prozeßgerichtes, das hinsichtlich des Zuspruches von 5659.99 S als unangefochten unberührt blieb, in seinem Ausspruch über das Feststellungsbegehren und im Kostenpunkte auf und verwies die Sache im Umfange der Aufhebung zur neuerlichen Verhandlung und Urteilsfällung an das Prozeßgericht zurück, wobei es aussprach, daß das Verfahren erst nach Rechtskraft seiner Entscheidung fortzusetzen sei. Es fand das Verfahren über das Feststellungsbegehren für ergänzungsbedürftig, weil das Prozeßgericht nicht den vom Beklagten beantragten Sachverständigenbeweis darüber durchgeführt habe, daß Josef K., der nunmehr das 70. Lebensjahr überschritten hat, bereits infolge seines Alters vollkommen erwerbsunfähig sei. Nach Ansicht des Berufungsgerichtes sei zwar die ab 1. März 1948 zugesprochene Rente dem Gründe nach eine Schadenersatzrente, somit ein gesetzlicher Anspruch des Josef K., doch sei es nicht ausgeschlossen, daß bei Änderung der tatsächlichen Grundlagen das Anerkenntnis ebenfalls eine Änderung erleide. In dem Augenblick, wo feststunde, daß Josef K. auch unabhängig vom erlittenen Unfall und dessen Folgen vollkommen arbeitsunfähig geworden sei, bleibe zwar die Verpflichtung des Beklagten zur Zahlung einer monatlichen Rente von 63.56 S bis zum Ableben des Josef K. bestehen, aber nicht mehr als gesetzliche Verpflichtung, nämlich aus dem Titel des Schadenersatzes, sondern als eine unabhängige, freiwillig durch Vergleich oder Anerkenntnis übernommene Verpflichtung. Da aber nach § 1542 RVO. nur gesetzliche Schadenersatzansprüche, nicht aber Ansprüche aus freiwilligen Verpflichtungen auf den Versicherungsträger übergehen, würde der Anspruch des Versicherungsträgers von dem Zeitpunkt an entfallen, von dem an nach dem normalen Verlauf des Lebens der Wegfall der Erwerbsunfähigkeit des Verletzten anzunehmen und kein Schaden durch den verursachten Unfall mehr vorhanden sei, was auch dann gelte, wenn der Versicherungsträger dem Verletzten gegenüber weiterhin Leistungen zu erbringen habe. Es sei deshalb die Feststellung notwendig, ob und seit wann Josef K. unabhängig von dem erlittenen Unfall voll oder beschränkt arbeitsunfähig wurde.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurse der klagenden Sozialversicherungsanstalt nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der Rekurs wendet sich zunächst gegen die Auslegung der Anerkenntniserklärung des Beklagten vom 26. Juli 1939 durch das Berufungsgericht, welches angenommen habe, der Beklagte habe sich schriftlich lediglich dazu verpflichtet, wozu er schon auf Grund des § 1542 RVO. verpflichtet gewesen wäre, mit der Behauptung, der Wortlaut der erwähnten Anerkenntniserklärung lasse nur die Auslegung zu, daß der Beklagte sich verpflichtet habe, der Klägerin für alle Leistungen, die sie wegen des Verschuldens des Beklagten zu erbringen haben werde, Regreß zu leisten.

Abgesehen davon, daß der Wortlaut der Erklärung vom 26. Juli 1939, Beilage B: "Ich anerkenne meine Verpflichtung zur Regreßleistung an die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft Donauland und verpflichte mich, die Regreßansprüche der Berufsgenossenschaft zu befriedigen" überhaupt keine andere als die vom Berufungsgerichte vorgenommene Auslegung zuläßt, zumal die Klägerin keinen Grund anführen konnte, der den Beklagten hätte dazu veranlassen sollen, sich der Klägerin gegenüber zu Leistungen zu verpflichten, die über die in § 1542 Abs. 1 RVO statuierte Regreßpflicht hinausgehen, läßt sich auch aus der vom Rekurse gewollten Auslegung nichts für die Klägerin gewinnen. Wenn es richtig sein sollte, daß Josef K. auch ohne den ihm durch das Verschulden des Beklagten zugestoßenen Unfall im Hinblick auf sein Alter bereits voll arbeitsunfähig ist, so wären die von der Klägerin dem Josef K. in Zukunft zu erbringenden Leistungen nicht auf das Verschulden des Beklagten zurückzuführen, sondern würden sich als der Klägerin nach den Sozialversicherungsgesetzen obliegende Leistungen darstellen, zu deren Ersatz der Beklagte nach § 1542 Abs. 1 RVO. nicht verpflichtet ist, weil es sich nicht um eine auf gesetzlicher Vorschrift beruhende Regreßpflicht handeln könnte. Da aber der Beklagte in der mehrfach erwähnten Urkunde nur seine Verpflichtung zur Regreßleistung und zur Befriedigung der Regreßansprüche anerkannt hat, würde in dem Falle, als nunmehr die Erwerbsunfähigkeit des Josef K. auch ohne den Unfall eingetreten wäre, für eine weitere Verpflichtung des Beklagten zur Regreßleistung an die Klägerin jede Grundlage fehlen.

Die weiteren Ausführungen des Rekurses, die den Standpunkt vertreten, daß das Urteil des Reichsgerichtes dem Beklagten gegenüber Rechtskraftwirkung habe und daß der Beklagte eine Änderung dieses Urteiles nur bei Vorliegen von Wiederaufnahmsgrunden anstreben könnte, verraten eine Verkennung der Bestimmungen des § 411 ZPO., nach welchen das Urteil nur insoweit der Rechtskraft teilhaftig wird, als in ihm über einen durch Klage geltend gemachten Anspruch entschieden wurde. § 411 ZPO. setzt somit die Identität der Prozeßparteien und des Klagsgrundes voraus. Beide Voraussetzungen sind nicht gegeben, da in dem vom Reichsgericht entschiedenen Rechtsstreit nicht die Klägerin, sondern Josef K. dem Beklagten als Prozeßpartei gegenüberstand und sich der dort geltend gemachte Anspruch nicht auf die Bestimmungen des § 1542 RVO., sondern auf die der §§ 1295 ff. ABGB. stützte. Das Urteil im Schadenersatzprozeß des Josef K. hat somit keine Rechtskraftwirkung für das gegenständliche Verfahren. Abgesehen davon kann eine Änderung in den Erwerbsverhältnissen, die auf die Fortdauer einer auf Erwerbsunfähigkeit basierenden Rente von Einfluß ist, trotz Rechtskraft des die Verpflichtung zur Rentenleistung aussprechenden Urteiles auch ohne Vorliegen von Wiederaufnahmsgrunden im Prozeßwege geltend gemacht werden, welchen Standpunkt die Rechtsprechung bereits wiederholt, so in den Entscheidungen SZ. I/14, VII/226 und XXII/111, der ein ähnlich gelagerter Sachverhalt zugrunde lag, vertreten hat. Im übrigen hat, wie das Berufungsgericht richtig hervorhebt, das Reichsgericht in seinem Urteil ausdrücklich darauf hingewiesen, daß der Zuspruch des Rentenbetrages auf Lebensdauer nur nach der gegenwärtig zu übersehenden Lage erfolgte, und daher die Möglichkeit einer Änderung im Falle des Eintrittes einer vollkommenen Erwerbsunfähigkeit ohne Zusammenhang mit dem Unfall offengelassen.

Was schließlich die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes anlangt, daß § 1542 Abs. 1 RVO. sich nur auf diejenigen Ansprüche beziehe, die sich als Folgen des zum Schadenersatz verpflichtenden Unfalles ergeben, und nicht auf solche Ansprüche angewendet werden könne, die dem Verletzten selbst gegen den Schädiger auf Grund einer freiwilligen Verpflichtung zustehen, so genügt es, auf die im angefochtenen Beschluß angeführten Belegstellen und die in diesen bezogene Rechtsprechung zu verweisen, die die volle Richtigkeit der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes ergeben.

Wenn der Rekurs behauptet, es sei ausgeschlossen, daß der Sachverständige feststellen könnte, es sei bei Josef K. auch ohne Unfall bereits die Erwerbsunfähigkeit eingetreten, so ist ihm entgegenzuhalten, daß dies ohne Vernehmung des Sachverständigen im voraus nicht beurteilt werden kann. Im übrigen ist der Bestand des Regreßanspruches davon abhängig, daß in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise bewiesen ist, daß die Erwerbsunfähigkeit auf das schädigende Ereignis zurückzuführen sei.

Die Ausführungen des Rekurses, die Klägerin sei berechtigt, ihren Regreßanspruch nicht nur bis zu dem dem Verletzten zugesprochenen Monatsbetrag von 63.56 S, sondern bis zur vollen Höhe der sie treffenden Zahlungspflicht geltend zu machen, weil eine Geldwertänderung eingetreten sei und sie deshalb die von ihr zu bezahlende Sozialrente erhöht habe, sind im Hinblick auf die oben dargelegte Rechtslage ohne jede Bedeutung, weil in dem Fall, als eine durch den Unfall verursachte Erwerbsminderung bei Josef K. nicht mehr besteht, der Klägerin ein Regreßanspruch überhaupt nicht mehr zusteht und es daher gleichgültig ist, welche Rentenleistungen sie in Erfüllung der ihr als Sozialversicherungsträger obliegenden gesetzlichen Verpflichtung dem Josef K. erbringt.

Anmerkung

Z23312

Schlagworte

Cessio legis nach § 1542 RVO., Regreß nach § 1542 RVO., Rückgriff nach § 1542 RVO., Schadenersatz Übergang auf Versicherungsträger nach § 1542 RVO., Sozialversicherung Forderungsübergang nach § 1542 RVO., Versicherungsträger Forderungsübergang nach § 1542 RVO., Zession gesetzliche, nach § 1542 RVO.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1950:0030OB00455.5.1103.000

Dokumentnummer

JJT_19501103_OGH0002_0030OB00455_5000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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