TE OGH 1950/11/22 2Ob440/50

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Veröffentlicht am 22.11.1950
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Norm

ABGB §1380
ZPO §204

Kopf

SZ 23/340

Spruch

Ein mit Vorbehalt des Widerrufes vor Gericht geschlossener Vergleich kann nur dem Gericht gegenüber rechtswirksam widerrufen werden; trotzdem kann die bürgerlich-rechtliche Wirksamkeit desselben durch Übereinkunft der Parteien oder durch außergerichtlichen Widerruf behoben werden.

Entscheidung vom 22. November 1950, 2 Ob 440/50.

I. Instanz: Bezirksgericht Floridsdorf; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Nach den Feststellungen des Erstgerichtes hat der Kläger den in seiner Abwesenheit aufgesetzten Vergleich über das Eigentum an einem Acker vor der Rückstellungskommission nur deshalb unterschrieben, weil er belehrt wurde, daß der Vergleich bis 15. April 1949 widerrufen werden könne und weil zugleich vereinbart wurde, daß die Erstbeklagte den Kläger wegen Herbeiführung einer Einigung besuchen werde. Tatsächlich ist die Erstklägerin am 3. April 1949 beim Kläger erschienen, der Acker wurde besichtigt und eine Pachtung vereinbart.

Nach Ansicht des Erstgerichtes stellt die Vereinbarung vom 3. April 1949, mit der das Grundstück von der Beklagten an den Kläger verpachtet wurde, einen außergerichtlichen Widerruf des ersten Teiles des vor der Rückstellungskommission abgeschlossenen Vergleiches dar. Der Widerruf sei rechtzeitig vor dem 15. April 1949 erfolgt und bewirke, da ein qualifizierter Widerruf im Vergleich nicht vereinbart wurde, die Unwirksamkeit der ersten Alternative des im Vergleich enthaltenen bürgerlich-rechtlichen Rechtsgeschäftes.

Das Berufungsgericht war der Meinung, daß die Unterredung zwischen dem Kläger und der Erstbeklagten zum Abschluß eines Vertrages nicht führen konnte, weil der Kläger damals noch bücherlicher Eigentümer des Grundstückes war, das er angeblich gepachtet hat. Der Pachtvertrag konnte nach Meinung des Berufungsgerichtes - selbst wenn er zustandegekommen sein sollte - niemals Rechtswirksamkeit erlangen. Das Berufungsgericht vertritt ferner den Standpunkt, daß ein vor Gericht abgeschlossener Vergleich nur dem Gericht gegenüber rechtswirksam widerrufen werden kann und daß nur ein solcher Widerruf die Wirksamkeit des vor der Rückstellungskommission geschlossenen Vergleiches beseitigt hätte.

Der Oberste Gerichtshof hat der Revision des Klägers Folge gegeben und das erstgerichtliche Urteil wiederhergestellt.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die rechtliche Beurteilung, die der festgestellte Sachverhalt durch das Berufungsgericht gefunden hat, kann nicht geteilt werden. Das Erstgericht hat zutreffend zwischen dem bürgerlichrechtlichen Rechtsgeschäft und der prozessualen Erklärung unterschieden, die beide den Inhalt eines während des Rechtsstreites abgeschlossenen Vergleiches bilden. Der Vergleich im Prozeß oder der im Verfahren außer Streitsachen vor Gericht - auch vor einem Sondergericht - geschlossene Vergleich ist nicht nur eine Prozeßerklärung, sondern bedeutet auch ein zivilrechtliches Rechtsgeschäft. Vom Standpunkt des Prozeßrechtes gesehen ist dem Berufungsgericht zuzustimmen, daß ein mit Vorbehalt des Widerrufes vor Gericht geschlossener Vergleich nur dem Gerichte gegenüber rechtswirksam widerrufen werden kann. Dieser Grundsatz hindert jedoch nicht, daß die bürgerlich-rechtliche Wirksamkeit des vor Gericht geschlossenen Vergleiches durch Übereinkunft der Parteien behoben wird oder daß der bedingt abgeschlossene Vergleich infolge außergerichtlicher Erklärung gegenüber dem Vertragspartner materiellrechtliche Gültigkeit nicht erlangt; letzteres wäre nur dann ausgeschlossen, wenn die Möglichkeit des Widerrufs auf die dem Gericht gegenüber abzugebende Erklärung beschränkt worden wäre. Ein so qualifizierter Widerruf würde nach den Feststellungen des Erstgerichtes jedoch nicht vereinbart, so daß die außergerichtliche Erklärung des Widerrufs für den Bereich des bürgerlichen Rechtes den Vertragspartner von der im Vergleich übernommenen widerruflichen Verpflichtung befreit.

Nach den Feststellungen der Untergerichte haben die Streitteile am 3. April 1949 eine Pachtung vereinbart, sich auf einen jährlichen Pachtschilling von 90 S geeinigt und Kläger hat seinen Vertreter von dem Ergebnis der Unterhandlungen verständigt. Damit ist der Widerruf des ersten Teiles des Vergleiches vom 28. März 1949 von der beklagten Partei zur Kenntnis genommen worden und für den Bereich der bürgerlich-rechtlichen Wirkungen der zweite Teil des Vergleiches, der die Rückstellung der Liegenschaft zum Inhalt hat, rechtswirksam geworden. Gegen die Verpachtung des Grundstückes an den Kläger bestand kein Hindernis. Verfahrensrechtlich ist es allerdings bei dem im Protokoll vor der Rückstellungskommission festgelegten Inhalt des Vergleiches geblieben, weil die Rückstellungskommission von dem Widerruf des Vergleiches nicht in Kenntnis gesetzt wurde.

Anmerkung

Z23340

Schlagworte

Vergleich gerichtlicher, außergerichtlicher Widerruf, Widerruf, außergerichtlicher, eines gerichtlichen Vergleiches

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1950:0020OB00440.5.1122.000

Dokumentnummer

JJT_19501122_OGH0002_0020OB00440_5000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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