TE OGH 1951/1/11 2Ob860/50

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Veröffentlicht am 11.01.1951
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Norm

ABGB §§326 ff
ABGB §335
ABGB §338
ABGB §372
ABGB §1295
ABGB §1297
ABGB §1306a
ABGB §1307
EO §42
EO §44
EO §§394 ff
Mietengesetz §§38 ff
Schutzverordnung Art6

Kopf

SZ 24/8

Spruch

Umfang der Ersatzansprüche des aus dem Rechtsbesitz verdrängten Bestandnehmers gegen den Dritten, der das Bestandobjekt unbefugt besetzt hielt.

Entscheidung vom 11. Jänner 1951, 2 Ob 860/50.

I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt - Wien; II. Instanz:

Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Die Klägerin erhob Anspruch auf Ersatz der ihr durch die Unterbringung ihres Sohnes entstandenen Mehrauslagen mit der Begründung, daß die Beklagten widerrechtlich die Räumung ihrer von ihnen benützten Wohnung auch nach Aufhebung der ihnen seinerzeit gewährten vorläufigen Einweisung durch Bescheid des Bundesministeriums für soziale Verwaltung verweigerten, es auf einen Räumungsprozeß ankommen ließen und auch nach Urteilsrechtskraft nicht die Wohnung räumten, sondern weitere Räumungsaufschübe bis 31. März 1950 erbaten und erwirkten.

Das Erstgericht, welches das Verfahren auf den Grund des Anspruches einschränkte, wies das Klagebegehren zur Gänze ab, weil die Wohnungsbenützung durch die Beklagten zumindest bis zur Zustellung des die vorläufige Einweisung infolge Antrages der Klägerin rechtskräftig aufhebenden Bescheides auf Grund eines öffentlichrechtlichen Titels und somit nicht rechtswidrig erfolgte. Die Beklagten hätten darum insoweit nur von ihrem Rechte Gebrauch gemacht und seien zum Schadenersatz nicht verpflichtet. Für die nachfolgende Zeit sei aber ein Verschulden der Beklagten deswegen ausgeschlossen, weil sie den Räumungsprozeß nicht in Verschleppungsabsicht geführt, sondern sich auf einen gutgläubig abgeschlossenen Mietvertrag bezogen, ihre Beweisanbote auf ein geringes Maß beschränkt und sich darauf bezogen hätten, daß die Hausverwaltung von ihnen trotz Weigerung, einen schriftlichen Mietvertrag abzuschließen, einen Neuvermietungszuschlag eingehoben habe. Überdies hätten die Beklagten gegen das kondemnierende Urteil kein Rechtsmittel ergriffen. In der Inanspruchnahme von Räumungsaufschüben nach Art. 6 der SchutzV., 4. Dezember 1943, DRGBl. I, S. 666, liege aber nur die Ausübung eines gesetzlichen Rechtes, welche Schadenersatzpflicht nicht herbeiführen könne, weil weder Rechtswidrigkeit noch Verschulden gegeben seien. Zur Zeit der Zwangsräumung habe sich ergeben, daß die Wohnung bereits geräumt war und die Klägerin somit in der Lage gewesen wäre, die Wohnung zu beziehen. Es könne darum auch für die Zeit nach Ablauf der letzten Räumungsfristverlängerung kein Anspruch erhoben werden.

Das Berufungsgericht gab der von der Klägerin erhobenen Berufung teilweise Folge, indem es das Ersturteil zwar, insoweit es den Anspruch für die Zeit bis zum Tage der Zustellung der Räumungsklage abwies, bestätigte, dagegen den Anspruch hinsichtlich der folgenden Zeit dem Gründe nach zu Recht bestehend erkannte.

Das Berufungsurteil wurde, soweit es dem Klagebegehren stattgab, d.

i. hinsichtlich der Ersatzansprüche für die Zeit nach Zustellung der Räumungsklage, von der beklagten Partei mit Revision angefochten. Der Oberste Gerichtshof hat dieser Revision zum Teil Folge gegeben und das Berufungsurteil zum Teil dahin abgeändert, daß die Ersatzansprüche der Klägerin für die Zeit des nach Rechtskraft des Räumungsurteils bewilligten Räumungsaufschubes als nicht zu Recht bestehend erkannt wurden.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Wenn das Berufungsgericht den Bestand des Anspruches auf die Bestimmungen der §§ 335, 338 ABGB. über den unredlichen Besitz stützt, kann ihm allerdings nicht gefolgt werden. Der Oberste Gerichtshof hat schon mehrfach (1 Ob 184/50, 1 Ob 286/50, 3 Ob 416/50) ausgesprochen, daß das Bestandrecht nicht als quasidingliches Recht anzusehen sei, wie in älteren Entscheidungen wohl gelegentlich behauptet und auch von Ehrenzweig, Obligationenrecht, 1928, S. 447, vertreten wurde, und daß die Gewährung eines petitorischen Rechtsschutzes an den Mieter, resp. die Anwendung der §§ 372 ff. ABGB. im Verhältnis zwischen mehreren konkurrierenden Bestandnehmern nicht dazu verleiten dürfe, die Vorschriften der §§ 335 ff. ABGB. auf das Bestandrecht anzuwenden. Vielmehr handelt es sich hier nur um den Schutz rein obligatorischer Verhältnisse gegen den Eingriff Dritter, hier also um den Schutz des Bestandrechtes gegen Personen, die sich auf ein konkurrierendes Bestandrecht berufen oder die Bestandsache ohne Rechtstitel benützen. Eine analoge Anwendung der Normen über die Konkurrenz dinglicher Rechte oder den Eingriff in solche wäre unbegrundet, vor allem dann, wenn der Beklagte ohne Titel die Bestandsache innehat und darum nicht einmal Rechtsbesitz am Bestandrecht behaupten kann. Aber selbst wenn es sich um konkurrierende Bestandrechte handelt, müßte die Analogie abgelehnt werden, weil der Bestandnehmer kein absolutes, sondern nur ein relatives Recht an der Sache gegenüber dem Bestandgeber besitzt, wenngleich er gegen Dritte nach der herrschenden Lehre und Judikatur geschützt wird. Bei Verletzung obligatorischer Rechte kann aber nur nach den Bestimmungen der §§ 1295 ff. ABGB. und nicht nach den strengeren Vorschriften der §§ 335, 338 ABGB. Schadenersatz gefordert werden, nur deshalb, weil das Recht verletzt wurde. Die Bestimmungen des § 326 ff. ABGB. über den unredlichen Besitz finden darum weder hinsichtlich der Schadenersatzfolgen noch rücksichtlich des Aufwandersatzes ohne weiteres Anwendung. Der Beklagte haftet darum nicht schon dann für Schaden, wenn er im Sinn des § 338 ABGB. hätte erkennen können und sollen, daß er in fremde Rechte eingreift, sondern es muß feststehen, daß er bei nötiger Aufmerksamkeit hätte erkennen müssen, daß er die Rechte eines Dritten verkürze (§ 1297 ABGB.), ihm also an seiner irrigen Auffassung ein Verschulden zur Last fällt.

Im besonderen Fall steht nun fest, daß die Beklagten einen privatrechtlichen Titel, der ihnen - abgesehen von dem öffentlichrechtlichen der Einweisung - eine Befugnis zur Benützung der gegenständlichen Wohnung gewährt hätte, nicht besaßen, da ein Mietvertrag zwischen ihnen und der Hausverwaltung niemals zustande kam. Wenn das Berufungsgericht ihnen aber guten Glauben deswegen zubilligen will, weil sie immerhin der Meinung sein konnten, es sei infolge der Einhebung des sogenannten Neuvermietungszuschlages nach § 16 MietG. durch die Hausverwaltung konkludent ein solcher Vertrag zustande gekommen, so kann dieser als eine Frage der rechtlichen Beurteilung anzusehenden Meinung nicht zugestimmt werden. Hat doch schon das Gericht im Räumungsprozeß, gewiß nicht bindend für das Berufungsgericht, aber doch tatbestandsmäßig beachtlich, festgestellt, daß die Hausverwaltung stets dem von den Beklagten gewünschten Abschluß eines Bestandvertrages abgelehnt hat, weil es sich um eine provisorische Einweisung handelte, später, weil die Klägerin bereits Schritte zur Erwirkung einer Aufhebung der vorläufigen Einweisung unternommen hatte. Mit Recht hat das Gericht darauf hingewiesen, daß in der Zahlung und Annahme eines "Zinses", d. h. eines Benützungsentgeltes, und in der Verrechnung des Neuvermietungszuschlages die Abschließung eines Mietvertrages durch konkludente Handlungen nicht erblickt werden kann und die Beklagten erkennen mußten, daß ihren Zahlungen eine solche Bedeutung nicht zukomme. War auch die Forderung eines solchen Zuschlages unter den gegebenen Umständen widerrechtlich, so hätten die Beklagten daraus eben nur die Folgerung ableiten können, daß die Zahlung in diesem Umfang zu verweigern, nicht aber, daß trotz erklärter und begrundeter Weigerung der Hausverwaltung, mit ihnen jenen schriftlichen Vertrag zu schließen, ohne den nach der Aussage des Hausverwalters in jenem Hause niemals Mietverträge zustande kamen, durch konkludente Handlungen ein solcher Vertrag perfekt geworden sei. Die Beklagten haben also nicht im guten Glauben gehandelt, da sie schon aus diesen Umständen, darüber hinaus aber auch aus der Tatsache, daß die Wohnung noch möbliert war und daraus ebenfalls zu entnehmen war, daß der frühere Mieter seine Rechte noch nicht aufgegeben habe, erkennen mußten, daß sie durch ihr Verhalten die Rechte dieses Mieters verkürzen. Sie haben sich also wider besseres Wissen, obwohl ihnen bekannt war oder doch bei pflichtmäßiger Aufmerksamkeit hätte erkennbar sein müssen, daß sie weder einen öffentlich-rechtlichen noch einen privatrechtlichen Benützungstitel besitzen, in den Räumungsstreit eingelassen. Daß sie in diesem Streit nur wenige Beweisanträge stellten und gegen das kondemnierende Urteil keine Berufung ergriffen, ändert daran nichts. Ihr Verhalten ist darum rechtswidrig und schuldhaft, so daß sie zum Schadenersatz verpflichtet sind. Diese Erwägung trifft für die Zeit von der Klagszustellung bis zum Tage der Anbringung des Ansuchens um Räumungsaufschub nach Art. 6 SchutzV. zu, so daß, wenn auch aus anderen rechtlichen Erwägungen, der Spruch des Berufungsgerichtes in diesem Umfang rechtlich richtig ist, vorbehaltlich der noch zu erörternden Frage des Notstandes.

Die Ansicht des Berufungsgerichtes, die Beklagten seien auch für die Zeit des bewilligten Räumungsaufschubes schadenersatzpflichtig, weil dieser Aufschub nur eine exekutionsrechtliche Maßnahme darstelle, nicht aber die Geltendmachung des durch die Aufschiebung verursachten Schadens hindere, kann nicht geteilt werden. Dem Berufungsgericht schwebt dabei, wie sich aus der Anführung des § 44 Abs. 2 EO. ergibt, der Gedanke des Handelns auf eigene Gefahr vor, wie er ähnlich auch der Norm des § 394 EO. zugrunde liegt. Dieser Fall liegt aber nicht vor. Die Exekutionsordnung geht davon aus, daß auf Grund eines Exekutionseinstellungsantrages der Verpflichtete nach § 42 EO. oder ähnlichen Bestimmungen zunächst eine Aufschiebung der Exekution erwirken kann, aber für den Fall der Abweisung des Einstellungsantrages dem betreibenden Gläubiger für den durch die Aufschiebung entstandenen Schaden ohne Rücksicht auf ein etwaiges Verschulden zu haften hat. Er handelt, wenn er die Aufschiebung erwirkt und in der Folge sich erweist, daß kein Einstellungsgrund vorlag, auf eigene Gefahr. Ähnlich beim Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung, wenn der gefährdeten Partei später der durch diese Verfügung zu sichernde Anspruch rechtskräftig aberkannt wird oder ihr Ansuchen sich sonst als ungerechtfertigt erweist (§ 394 EO.). Der Antragsteller hat die einstweilige Verfügung eben auf eigene Gefahr erwirkt und muß darum in solchen Fällen dem Gegner für den ihm durch die einstweilige Verfügung erwachsenen Vermögensnachteil Ersatz leisten. Bei einer Räumungsfristverlängerung nach §§ 38 ff. MietG. oder einem Räumungsaufschub nach Art. 6 SchutzV. dagegen handelt es sich um eine Hemmung des Exekutionsverfahrens auf Grund besonderer, außerhalb der Exekutionsordnung liegender Vorschriften, um eine Art richterlicher Stundung des vollstreckbaren Räumungsanspruches aus Billigkeitserwägungen. Eine spätere Rechtfertigung der Maßnahme wie in den früher erwähnten Fällen kommt hier nicht in Betracht, das Gericht bewilligt vielmehr Stundung für einen gewissen Zeitraum, wenn es der Ansicht ist, daß die geforderten Billigkeitserwägungen zutreffen. Von einer Rechtseinräumung oder der Schaffung eines neuen Benützungsrechtes, wie die Revisionsmitteilung es tut, zu reden, ist abwegig. Natürlich wird durch einen solchen Aufschub kein Benützungsrecht geschaffen, was ja auch im Widerspruch zum Räumungsurteil stunde, sondern nur dessen Vollstreckbarkeit, vergleichbar einem Moratorium, hinausgeschoben. Die Erwirkung eines solchen Aufschubes stellt nur die Ausübung eines gesetzlichen Rechtes dar und kann darum nicht zum Schadenersatz verpflichten. Durch seine Bewilligung wird die fortdauernde Benützung der Bestandsache für die Dauer des Aufschubes des Charakters der Rechtswidrigkeit eben entkleidet. Für diesen Zeitabschnitt besteht der Anspruch dem Gründe nach nicht zu Recht.

Dagegen ist dem Berufungsgericht darin zuzustimmen, daß mit dem Ablauf des letzten Räumungsaufschubes der früher geschilderte rechtswidrige Zustand wieder einsetzt und damit grundsätzlich Schadenersatzpflicht gegeben ist.

Dennoch kann hinsichtlich der angeführten Zeiträume der Klagsanspruch noch nicht als dem Gründe nach zu Recht bestehend erkannt werden, weil noch zu prüfen sein wird, inwieweit trotz Vorliegens eines widerrechtlichen und schuldhaften Verhaltens der Beklagten die Schadenersatzpflicht ganz oder teilweise zessiert, weil sie sich auf Notstand berufen können. Abwegig ist allerdings die Ansicht der Klägerin, schon das Beziehen der Wohnung bedinge einen verschuldeten Notstand, weil die Beklagten hätten erkennen müssen, daß der frühere Mieter seine Rechte noch nicht aufgegeben habe. Die vorläufige Einweisung, die erfolgte, weil die Beklagten ihre Wohnung zugunsten einer Besatzungsmacht hatten aufgeben müssen und somit obdachlos waren, stellt einen verwaltungsrechtlichen Akt dar, den zu überprüfen die Beklagten weder berechtigt noch verpflichtet waren. Sie durften annehmen, daß er gesetzmäßig erlassen worden sei, und konnten auch nicht die spätere Entwicklung auf Grund des NS-Gesetzes 1947 vorausahnen. Es kann also nicht davon die Rede sein, daß sie ihren Notstand im Sinn des § 1307 ABGB. selbst verschuldet haben. Mit der Aufhebung der Einweisung durch den Bescheid des Bundesministeriums für soziale Verwaltung entstand für die Beklagten abermals ein Notstand, da sie durch sofortige Räumung der Wohnung der Gefahr der Obdachlosigkeit preisgegeben gewesen wären. Nun verpflichten Notstandshandlungen grundsätzlich zum Schadenersatz, weil Notstand nur eine Entschuldigung rechtswidrig verbleibender Eingriffe, nicht aber - wie die Notwehr - einen Rechtfertigungsgrund bedeutet. Wer darum im Notstand einen Schaden verursacht, um eine Gefahr von sich abzuwenden, handelt rechtswidrig und ist grundsätzlich schadenersatzpflichtig. Doch sieht § 1306a ABGB. vor, daß Ersatz nach richterlichem Ermessen zu leisten ist und unter Umständen auch ganz zu entfallen hat. Es wird dabei auf die Proportion zwischen dem durch die Notstandshandlung verhüteten und dem durch sie herbeigeführten Schaden, aber auch auf die beiderseitigen Vermögensverhältnisse und andere Billigkeitserwägungen ankommen. Es wird darum im fortgesetzten Verfahren zu prüfen sein, ob Umstände vorliegen, welche die Ersatzpflicht ausschließen oder herabmindern, so daß der Anspruch als dem Gründe nach nicht oder nur mit einem Quotienten als zu Recht bestehend anzusehen wäre.

Anmerkung

Z24008

Schlagworte

Besetzung des Bestandobjektes, unbefugte -, Bestandnehmer Ersatzansprüche des verdrängten -, Bestandvertrag Ersatzansprüche des verdrängten Bestandnehmers, Ersatzansprüche des verdrängten Bestandnehmers, Mietvertrag Ersatzansprüche des verdrängten Bestandnehmers, Rechtsbesitz des Bestandnehmers, Ersatzansprüche gegen Verdränger, Schadenersatz des verdrängten Bestandnehmers

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1951:0020OB00860.5.0111.000

Dokumentnummer

JJT_19510111_OGH0002_0020OB00860_5000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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