TE OGH 1952/3/7 3Ob98/52

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Veröffentlicht am 07.03.1952
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Norm

ABGB §1320

Kopf

SZ 25/60

Spruch

Über die Haftung des Tierhalters für einen auf seinem Bauernhof gehaltenen Kettenhund.

Entscheidung vom 7. März 1952, 3 Ob 98/52.

I. Instanz: Kreisgericht Krems; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.

Text

Die Klägerin begehrt 9120 S als Schadenersatz, weil sie vom Hund der Beklagten gebissen worden ist. Das Erstgericht sprach der Klägerin 2212.50 S zu und wies das Mehrbegehren ab. Dabei ging es von folgendem Sachverhalt aus: Die Beklagten, welche in Gütergemeinschaft leben, sind Eigentümer des Hundes. Das Haus der Beklagten ist straßenseitig durch ein Haustor zu betreten, welches in einen Hof führt, der links vom Wohngebäude und im übrigen von den Wirtschaftsgebäuden eingeschlossen wird. An der Hinterfront des Wirtschaftsgebäudes befinden sich an zwei Stellen Ausfahrtmöglichkeiten, durch die ebenfalls der Hof betreten werden kann, und zwar durch die 6 bis 8 m breite Futterkammer. Diese ist durch zwei Schiebetüren in der Breite von je 2.68 m abgeschlossen. Betrat man den Hof durch die Futterkammer, so hatte man zur rechten Hand in einer Entfernung von 1.65 m die Hundehütte. Der Hund war an einer 2.25 m langen Kette verwahrt, deren Anhängepflock in einer Entfernung von 2.16 m vor der rechten Türkante (der Futterkammer) neben der Hundehütte befestigt war. Bei Annäherung fremder Personen pflegt der Hund aus der Hütte herauszukommen und zu bellen. Vor zwei Jahren ging der Hund auf einen Altersrentner los, welcher den Hof durch die Futterkammer betrat, wo der Hund damals angekettet war. Am 22. Feber 1950 wurde der Gatte der Klägerin, als er an dem Hund vorbeiging, von diesem angefallen und gebissen. Am gleichen Tag betrat die Klägerin, die ihrem Manne nachgegangen war, durch die offenen Schiebetüren der Futterkammer den Hof, wobei sie sich beim Betreten des Hofes, in ihrer Gehrichtung gesehen, etwa im ersten Drittel links des Toreinganges bewegte. Von dort wendete sie sich schräg nach rechts, um den rechtwinkelig angebauten Wohntrakt, in dessen Mitte sich die Haustür befindet, zu erreichen. Sie geriet hiebei in den Aktionsradius des Hundes, von dessen Dasein sie keine Kenntnis hatte. Der Hund fiel sie sofort an und biß sie in den Unterschenkel.

Das Erstgericht nahm auf Grund dieses Sachverhaltes beiderseitiges Verschulden an. Der Hund neige zur Bissigkeit wie jeder Kettenhund. Die Befestigung des Hundes, welche ihm gestattete, Personen, die durch das Schiebetor den Hof betreten, anzufallen, wenn sie sich in der rechten Hälfte der Torbreite in den Hof begeben, sei ungenügend, da die Beklagten damit hätten rechnen müssen daß auch hausfremde Personen diesen Eingang benützen würden. Die Beklagten hätten das Schiebetor geschlossen halten oder den Hund so anketten müssen, daß er keinen Schaden stiften konnte. Die Klägerin treffe jedoch ein Mitverschulden. Wenn sie ihr Augenmerk auf den Hund gerichtet hätte und nicht im schrägen Winkel, sondern geradeaus zum Wohnhaus gegangen wäre, hätte sie den Schaden vermieden.

Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Es müsse nicht jede Möglichkeit der Beschädigung durch das Tier ausgeschlossen sein, um den Tierhalter von der Schadenersatzpflicht zu befreien. Werde ein Hund so verwahrt, daß bei wirklicher Aufmerksamkeit eine Beschädigung von Personen nicht zu erwarten sei, liege ein Verschulden des Tierhalters nicht vor. Ein Wachhund müsse so postiert sein, daß er Eintretende nicht nur hören, sondern auch sehen könne. Der Hund sei so angepflockt gewesen, daß die Augen die Torkante um etwa 30 cm überragt hätten. Dies habe dem Hunde gestattet, gerade noch die Eintretenden zu sehen. Die örtliche Wahl des Pflocks und die Kettenlänge entsprächen daher dem Zwecke des Haltens eines Wachhundes. Anderseits schlage ein Wachhund bei Herannahen fremder Personen an, wie dies auch vom Hunde der Beklagten festgestellt sei. Dadurch werde der Eintretende auf das Vorhandensein des Hundes aufmerksam gemacht. Er könne daher dem Hunde ausweichen, wozu hinreichend Raum vorhanden gewesen sei. Die Klägerin müsse als Bäuerin mit den örtlichen Verhältnissen von Bauernhöfen vertraut sein. Schon ein Mindestmaß von Aufmerksamkeit hätte genügt, um dem Hund auszuweichen. Es liege daher Alleinverschulden der Klägerin vor.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin Folge und trug dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung über die Berufungen beider Streitteile auf.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Unter dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung wird die Annahme des Alleinverschuldens der Klägerin bekämpft. Das Alleinverschulden liege vielmehr auf Seite der Beklagten, die damit hätten rechnen müssen, daß durch das Schiebetor der Hof von fremden Personen betreten werde, und daher den Hund hätten entsprechend verwahren müssen.

In diesem Punkte kommt der Revision Berechtigung zu. Es ist richtig, daß die erforderliche Verwahrung eines Haustieres keineswegs derart sein muß, daß hiedurch jede Möglichkeit einer Beschädigung ausgeschlossen wird, weil eine derartige Forderung zur vollen Zufallshaftung des Tierhalters führen müßte. Der Tierhalter haftet nur für die Unterlassung von Vorkehrungen, die nach den Umständen des Falles geboten waren, um eine Beschädigung durch das Tier zu verhindern, mit der, bei Anwendung gebotener Vorsicht, immerhin gerechnet werden konnte (RZ. 1932 S. 36). Im konkreten Fall ist es nicht von wesentlicher Bedeutung, wie weit der Hund die Öffnung des Schiebetores beherrschte, da sich ja der Unfall nicht beim Schiebetor, sondern erst im Hofe ereignete, und zwar dadurch, daß die Klägerin vom Schiebetor schräg zum Wohnhaus ging und dabei in den Aktionsradius des Hundes gelangte. Nun ist zu beachten, daß die Beklagten damit rechnen mußten, daß hausfremde Personen durch das hintere Tor den Hof betreten können. Bellt der Hund, wenn sich diese Personen noch in der Futterkammer befinden, sind diese Personen gewarnt und können auch den Aktionsradius des Hundes, der beim Tor sichtbar wird, abschätzen, so daß bei gehöriger Aufmerksamkeit jede Berührung mit dem Hund vermieden werden kann. Anders liegt der Fall jedoch, wenn der Hund erst dann meldet, wenn sich diese hausfremden Personen bereits im Hofe und auf dem Wege zum Wohnhaus befinden. Jede solche Person wird sich ebenso wie die Klägerin schräg zum Wohnhaus begeben und wird dadurch mit großer Wahrscheinlichkeit in den Aktionsradius des Hundes gelangen. Der Hund, der an sich zur Bissigkeit neigt, wird eine solche auf ihn gerichtete Bewegung als Angriffshandlung auffassen und schon aus diesem Gründe die Person anfallen. Der Eintretende muß aber nicht damit rechnen, daß sich weit seitlich des Schiebetores ein Kettenhund mit einem derartigen Aktionsradius befindet, daß der Besucher, wenn er schräg über den Hof zum Wohnhaus geht, von diesem Hunde angefallen werden kann. Gerade dieser Umstand hat im konkreten Falle zum Unfalle geführt. Nach den Feststellungen des Erstgerichtes hatte die Klägerin bis zum Augenblicke, in dem sie angefallen wurde, von der Existenz des Hundes keine Kenntnis. Daraus folgt, daß der Hund nicht meldete, als die Klägerin noch in der Futterkammer war, sondern erst dann, als sie sich im Hofe schräg zum Wohnhaus bewegte, wobei er sie gleichzeitig anfiel. Das Gegenteil wurde auch gar nicht von den Beklagten behauptet. Mit einem solchen Verhalten des Hundes konnten aber die Beklagten rechnen. Sie haben daher den Hund nicht so verwahrt, daß eine solche voraussehbare Verletzungsmöglichkeit ausgeschaltet wurde, und haben damit ihre Verwahrungspflicht verletzt. Sie haften nach § 1320 ABGB.

Anderseits kann nicht übersehen werden, daß die Klägerin, die selbst Bäuerin ist, daher mit den bäuerlichen Gepflogenheiten vertraut sein muß, auch mit der Möglichkeit der Anwesenheit eines Hundes im Hofe rechnen mußte. Sie wäre daher verpflichtet gewesen, vor dem Betreten des Hofes ihre Aufmerksamkeit darauf zu lenken, ob sich nicht ein Kettenhund in Reichweite befinde, und hätte dann ihren Weg, entsprechend ihren Beobachtungen, nehmen müssen. Auf diese Weise hätte sie den Unfall vermeiden können. In der Unterlassung dieser gebotenen Aufmerksamkeit liegt daher auch ein Verschulden der Klägerin selbst. Zutreffend hat daher das Erstgericht beiderseitiges gleichteiliges Verschulden angenommen.

Wird von einem beiderseitigen Verschulden ausgegangen, wird der Klägerin jeweils nur die Hälfte ihrer als bestehend angenommenen Forderungen zuzusprechen sein. Hierüber kann jedoch der Oberste Gerichtshof nicht selbst entscheiden, weil das Berufungsgericht, von seiner Rechtsansicht ausgehend, zu diesen Forderungen im einzelnen nicht Stellung genommen hat und in den Berufungen die tatsächlichen Feststellungen, welche diesen Forderungen zugrunde liegen, angefochten wurden. Es war daher das berufungsgerichtliche Urteil aufzuheben und dem Berufungsgerichte die neuerliche Entscheidung aufzutragen.

Anmerkung

Z25060

Schlagworte

Hundebiß, Haftung für Kettenhund, Schadenersatz für Hundebiß, Tierhalter, Haftung für Kettenhund

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1952:0030OB00098.52.0307.000

Dokumentnummer

JJT_19520307_OGH0002_0030OB00098_5200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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